Blauzungenkrankheit

anzeigepflichtige Viruserkrankung der Wiederkäuer
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Die Blauzungenkrankheit (Syn. Bluetongue, Maulkrankheit, Catarrhal fever of sheep) ist eine virale Infektionskrankheit von Wiederkäuern wie z. B. Schafen, Rindern und Ziegen. Ihr Name leitet sich von der blauen Farbe (Zyanose) der Zunge, einem der Leitsymptome bei Krankheitsausbruch, ab. Die Erkrankung ist eine anzeigepflichtige Tierseuche.

Krankheitserreger

 
Blue-Tongue-Virus

Der krankheitsauslösende Erreger ist das Blue-Tongue-Virus (BTV), ein Orbivirus aus der Familie der Reoviridae. Es gehört somit zu den unbehüllten doppelsträngigen RNA-Viren. Von diesem Virus sind bislang mindestens 24 verschiedene Serotypen bekannt, die jeweils eine unterschiedliche Virulenz aufweisen.

Übertragung

Das Blue-Tongue-Virus wird durch Mücken der Gattung Culicoides aus der Familie der Gnitzen übertragen. Von den mehr als 5000 Arten kommen in Zentraleuropa etwa ein Dutzend als Vektoren, vor allem Insekten der Culicoides-obsoletus-Gruppe sowie Culicoides dewulfi [1] verantwortlich gemacht. Weiterhin sind die Arten C. actoni, C. brevitarsis, C. fulvus, C. imicola, C. insignis, C. nubeculosus und C. variipennis als Krankheitsüberträger nachgewiesen worden.

Die Gnitze nimmt das im Blut eines infizierten Tieres zirkulierende Virus während des Saugaktes auf. Nach einem Vermehrungszyklus im Insekt, bei dem das Virus auch in die Speicheldrüse gelangt, überträgt es dieses beim nächsten Saugen auf ein anderes Tier. Eine rein mechanische Übertragung ist auch durch andere blutsaugende Arthropoden (z. B. Stechmücken, Zecken oder Schaflausfliegen) möglich, allerdings ist über die Häufigkeit und Effizienz dieses Übertragungsweges bisher wenig bekannt. Weitere Möglichkeiten sind die Übertragung über das Sperma infizierter Bullen, welches während der Virämie Virus enthält sowie durch kontaminierte Spritzen im Rahmen tierärztlicher Tätigkeiten. Eine Übertragung durch Kontaktinfektion oder Schmierinfektion unter Tieren sowie eine Übertragbarkeit auf den Menschen ist nicht bekannt.

Die Empfänglichkeit für diese Infektionskrankheit ist beim Schaf, besonders bei den Lämmern am größten, bei den verschiedenen Schafsrassen jedoch ungleich verteilt. Ziegen und andere Haustiere erkranken weniger häufig und schwer. Als Erregerwirte bzw. Reservoirwirte gelten hauptsächlich Rinder, die daher selbst ebenfalls nur selten schwer erkranken, sowie Wildwiederkäuer (Antilopen, Hirsche) und afrikanische Wildnager.

Vorkommen und Ausbreitung

Die Krankheit wurde erstmalig in Südafrika festgestellt und von dort mit Merinoschafen in andere Teile Afrikas verschleppt. Dort tritt sie überwiegend während der Sommerregenzeit auf. Diese saisonale Erscheinungsform der Erkrankung hängt eng mit der Flugzeit der Gnitzen zusammen. Die Seuchenhöhepunkte sind daher bei feuchtwarmem Wetter und während der Schwärmperiode. Durch Winde können infizierte Mücken bis zu 200 Kilometer weit versetzt werden und anschließend am neuen Ort den Erreger weiterverbreiten.

Durch die Klimaerwärmung ist die Krankheit aus Afrika über die Mittelmeer-Inseln auch nach Süd- und Mitteleuropa vorgedrungen. Weiterhin wurde die Blauzungenkrankheit auch in arabischen, asiatischen, europäischen und nordamerikanischen Ländern nachgewiesen. Im Jahre 2000 hat sich Bluetongue in Schafbeständen auf Sizilien, Sardinien, Korsika und auf den Balearen bestätigt. Die Vektoren der Blauzungenkrankheit wurden in der warmen Jahreszeit zunehmend auch in vielen anderen Gebieten der EU gefunden. In den Jahren 2001 und 2002 wurden Seuchenausbrüche in Südeuropa (Griechenland, Kroatien, Mazedonien, Italien, Albanien) gemeldet. Die Viruserkrankung ist auch schon in der Toskana bei Schafen und Rindern festgestellt worden und breitet sich stetig nordwärts aus. Nach Voraussage des Spezialisten Philip Mellor vom Institute for Animal Health wandere mit jedem weiteren Grad der Temperaturerhöhung im Verlauf der aktuellem Klimaerwärmung die krankheitsübertragende Mückenart 90 km weiter nach Norden.

Bis Anfang 2003 wurden Krankheitsfälle auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, Tunesien und Singapur aber auch in Südamerika (Brasilien, Argentinien) gemeldet. Durch Tierbewegungen, über das Sperma und den Handel infizierter Tiere einerseits, die Verschleppung von Insekten durch Flugzeuge und starke Winde andererseits kann der Erreger jederzeit in weitere freie Regionen eingeschleppt werden. Dort ist ihm ein Überleben jedoch nur möglich, wenn geeignete Vektoren und eine empfängliche Wirtspopulation vorhanden sind.

Bluetongue ist nunmehr in Afrika, im Nahen Osten, auf dem Indischen Subkontinent, in China, den USA und Mexiko, wo die Mücken als Überträger ganzjährig aktiv sind, klinisch präsent. Virusstämme ohne typisches Krankheitsbild sind in Südostasien, im nördlichen Südamerika, in Nordaustralien und in Papua Neuguinea nachgewiesen worden.

Im August 2006 ist die Krankheit erstmals auch bei Schafen in der niederländischen Provinz Limburg, in der belgischen Provinz Lüttich sowie in acht Rinderbeständen und einer Schafsherde im grenznahen Raum Aachen in Nordrhein-Westfalen aufgetreten. Im September kamen weitere hinzu, sodass am 27. September 2006 85 Betriebe in NRW betroffen waren. Im deutschen Bundesgebiet wurden dann bis zum 25. Oktober 2006 463 Fälle, bis zum 31. Dezember 2006 890 Fälle, bis zum 31. Juli 2007 1095 Fälle, bis zum 31. August 2007 3231 Fälle und bis zum 24. September 2007 10.061 Fälle amtlich festgestellt.

Bei dem in den Niederlanden gefundenen Viren-Stamm vom Serotyp 8 (BTV-8) handelt es sich allerdings nicht um den gleichen, der in Südeuropa heimisch ist. Wissenschaftler schließen daher klimatische Gründe als Grund für die Ausbreitung nach Nordeuropa aus. Der Serotyp 8 kommt nach bisherigem Kenntnisstand ausschließlich südlich der Sahara und in der Karibik, eventuell auch in Indien oder Pakistan vor. Wie das Virus in die Niederlande gelangt ist, ist allerdings weiter unklar.[2]

Derzeit gibt es in der EU keinen zugelassenen Impfstoff, so dass sich möglichen Maßnahmen auf die Bekämpfung der Gnitzen (Stechmücken) als Infektionsträger mit Insektiziden und Repellentien beschränkt, die jedoch keinen absoluten Schutz bieten. Durch Transportrestriktionen (z. B. virologische und serologische Test) bei Transport von Tieren aus der 20-km-Zone (Gefährdungsgebiet) in die 150-km-Zone (Beobachtungsgebiet) bzw. von der 150-km-Zone in das „freie“ Gebiet soll die Ausbreitung der Krankheit verlangsamt werden.

Vorhandene Lebendimpfstoffe aus Drittstaaten wurden testweise in südlichen Ländern der EU (z. B. Italien) gegen den dort vorkommenden Serotyp mit Erfolg eingesetzt. Gegen den Einsatz von Lebendimpfstoffen (abgeschwächte Viren) spricht, dass die Gefahr besteht, dass weitere Erreger, die dann noch verheerendere Konsequenzen nach sich ziehen, eingeschleppt werden könnten. Aus diesem Grund wird die Entwicklung einer Totvakzine abgewartet, die im Jahr 2008 zur Verfügung stehen soll. Beim Einsetzen winterlicher Witterung sind keine neue Infektionen mehr zu erwarten, da die Gnitzen als Überträger dann nicht mehr aktiv sind. Diese Winterpause muss dringend zur Entwicklung eines wirksamen Impfstoffes und Vorbereitung eines effektiven Impfprogrammes für das neue Jahr genutzt werden.

Krankheitsbild

Die Blauzungenkrankheit ist eine zyklische (phasenweise in verschiedenen typischen Stadien ablaufende) Allgemeinerkrankung.

Nach einer Inkubationszeit von fünf bis zwölf Tagen kommt es nur in rund 5 % aller Rindererkrankungen mitunter zu Fieber, verstärkter Speichelsekretion, Hyperämie sowie Schwellungen und Geschwüren im Maul.

Bei den wesentlich häufiger betroffenen Schafen treten hier nach einer Inkubationszeit von 2 bis 15 Tagen folgende Symptome auf:

  1. 6 bis 8 Tage anhaltendes Fieber
  2. Hyperämie bzw. Kongestion (vermehrte Blutfülle) der Kopfschleimhäute
  3. Hämorrhagien (innere Blutungen)
  4. Ödembildung (Schwellung infolge der Ansammlung von Flüssigkeiten im Gewebe) an Lippen, Augenlidern und Ohren
  5. Zyanose (blaurote Färbung infolge mangelnder Sauerstoffsättigung des Blutes) im Maulbereich und der Zunge
  6. Geschwüre und Erosionen (medizinisch: nässender, nicht blutender, nur die oberste Schicht der Haut oder Schleimhaut betreffender Substanzverlust) an den Schleimhäuten
  7. häufig schaumiger Speichelfluss, Nasenausfluss (eventuell eitrig) und Atembeschwerden
  8. Lahmheiten, hervorgerufen durch Muskel- und Klauensaumentzündung
  9. mitunter auch Aborte (Fehlgeburten) und angeborene Missbildungen

Von den im Mittelmeerraum vorkommenden Serotypen sind vor allem Schafe betroffen. In Deutschland wurde im Jahr 2007 (Stand 14. September 2007) in 2.788 Rinder-, 3.180 Schaf-, 20 Ziegen-, 114 Misch- und 11 Wildbestände der BT8-Virus nachgewiesen. Die Sterblichkeit der erkrankten Tiere ist je nach Tierart und Region unterschiedlich hoch. Insgesamt liegt sie zwischen 2 und 80 %, wobei die Sterblichkeit bei Schafen deutlich höher als bei Rindern ist.

Vorbeugung und Therapie bei Haustieren

Zur Krankheitsvorbeugung gehören planmäßige Insektenbekämpfung, Stallhaltung gefährdeter Tierbestände während der Nacht sowie aktive Immunisierung in verseuchten oder seuchenverdächtigen Ländern. In Deutschland ist eine Impfung gegen die Blauzungenkrankeit verboten.

Neben Maßnahmen zur Linderung lokaler Krankheitserscheinungen wird empfohlen, erkrankte Tiere nicht der Sonnenstrahlung, die die Symptome verschlimmern kann, auszusetzen.[3]

Bei einem milden Krankheitsverlauf ist besonders bei Rindern auch eine selbstständige Heilung möglich. Eine medikamentöse Unterstützung zur Genesung zum Beispiel durch Virustatika ist auf Grund mangelnden Erfolges und eines unvertretbar ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses praktisch nicht gegeben.

Quellen

  1. http://cordis.europa.eu/fetch?CALLER=DE_NEWS&ACTION=D&RCN=26556&DOC=3&CAT=NEWS&QUERY=1161972580663
  2. http://www.nrc.nl/wetenschap/article440950.ece
  3. International Society for Infectious Diseases Promed Mailing List: BLUETONGUE – EUROPE (26): BTV-8, FRANCE, NETHERLANDS, 23. August 2007

Literatur

  • Dieter Ebner: Blauzungenkrankheit. In: Heinrich Behrens u. a.: Lehrbuch der Schafkrankheiten. 4. Auflage. Parey, Berlin 2001, S. 159–162, ISBN 3-8263-3186-9
  • Franz J. Conraths et al.: Blauzungenkrankheit in Deutschland: Klinik, Diagnostik und Epidemiologie. In: Der praktische Tierarzt. 88 (Suppl. 2), 2007, S. 9–15