Dynamisches System

mathematisches Modell eines zeitabhängigen Prozesses, der homogen bezüglich der Zeit ist
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Unter einem dynamischen System versteht man das mathematische Modell eines zeitabhängigen Prozesses. Der Begriff geht in seiner heutigen Form auf den Mathematiker George David Birkhoff zurück. Dynamische Systeme finden vielfältige Anwendungen auf Prozesse im Alltag und erlauben Einblicke in viele Bereiche nicht nur der Mathematik (z.B. Zahlentheorie, Stochastik), sondern auch der Physik (z.B. Pendelbewegung, Klimamodelle) oder der theoretischen Biologie (z.B. Räuber-Beute-Modelle).

Man unterscheidet zwischen kontinuierlicher und diskreter Zeitentwicklung. Bei einem diskreten System interessiert man sich für die Zustandsänderungen bei festen endlichen Zeitsprüngen. Bei einem kontinuierlichen dynamischen System wir die Zustandsänderung hingegen für infinitesimal kleine Zeitschritte beschrieben. Wichtigste Beispiele für kontinuierliche dynamische Systeme sind autonome gewöhnliche Differenzialgleichungen.

Formale Definition

Ein dynamisches System ist rein formal gegeben durch eine Gruppenwirkung. Genauer gesagt ist es ein Tripel  , wobei   eine Gruppe,   eine nichtleere Menge und   eine Abbildung sei, so dass für alle   gilt

  1.   und
  2.  .

Erläuterung

Unter Eigenschaft 1 aus der Definition versteht man die Identitätseigenschaft, d.h. ein Zustand verändert sich nicht nach 0 Zeiteinheiten. Eigenschaft 2 gibt die Halbgruppeneigenschaft wieder. Man gelangt zunächst in   Zeiteinheiten von   nach   und anschließend in   Zeiteinheiten von   nach  . Alternativ zu 2 schreibt man auch  .

Durch Projektion erhält man aus dem Fluss   den Orbit (die Trajektorie)  , das heißt, die Bahn der Lösung im Zustandsraum. In der Theorie dynamischer Systeme interessiert man sich besonders bei gegebenem   für das Verhalten des Flusses für  . Hierbei sind Limesmengen von großer Bedeutung. Dabei sind Fixpunkte gerade diejenigen Punkte x dens Phasenraums, für die ein Fluss dessen Orbit für   gegen x strebt existiert und Limesmengen Mengen solcher Punkte. Die wichtigsten Limesmengen sind neben Fixpunkten die periodischen Orbits. Gerade in nichtlinearen Systemen trifft man aber auch komplexe nichtperiodische Grenzmengen an. Diese werden in der Chaostheorie ausführlich untersucht.

Wichtige Spezialfälle

  • Stetige dynamische Systeme:   ist topologische Gruppe,   ist topologischer Raum und   ist stetig.
  • Differenzierbare dynamische Systeme:  ,   ist differenzierbare Mannigfaltigkeit und   ist differenzierbar.
  • Reelles dynamisches System:  .
  • Symbolische Dynamik:   oder  ,   bzw.   für ein Alphabet   (  ist also eine unendliche Sequenz von Symbolen aus  ),   ist eine sogenannte Shiftabbildung, die die Symbole der Sequenz um eine Stelle verschiebt.

Beispiele

Ein differenzierbares dynamisches System aus der Physik

Sei   eine kompakte differenzierbare Mannigfaltigkeit, beispielsweise eine nichtdegenerierte Energiefläche im  , und   ein glattes Vektorfeld über  . Dann existiert nach dem Satz von Picard-Lindelöf eine einparametrige Gruppe von Diffeomorphismen   mit

  •  
  •  
  •   für alle   aus  .

Halten wir einen Punkt   aus   fest, dann beschreibt   die Lösungenskurve der Differentialgleichung   auf   zum Anfangswert  . Man nennt diese zum glatten Vektorfeld   korrespondierende 1-parametrige Gruppe den Fluss auf  . Schränken wir die Parametrisierung auf   ein, dann erhalten wir eine dynamische Halbgruppe, betrachten wir die Zeit-1-Abbildung

 ,

dann erhalten wir ein diskretes dynamisches System mit  .

Ein dynamisches System aus der Biologie

Ein Beispiel eines dynamischen Systems aus der Biologie ist das sogenannte SIR-Modell, welches die Ausbreitung von Krankheiten in Populationen beschreibt.