Joachim Hoffmann (* 1. Dezember 1930 in Königsberg in Preußen; † 8. Februar 2002 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher Historiker und Publizist.
Leben und Werk
Ab 1951 studierte er Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte und Vergleichende Völkerkunde. Er promovierte zum Dr. phil. Von 1960 bis 1995 war er am Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr tätig, zuletzt als Wissenschaftlicher Direktor. Sein dienstliches Forschungsgebiet waren die Streitkräfte der Sowjetunion. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher und Aufsätze zur politischen, diplomatischen und militärischen Geschichte des 19. Jahrhunderts und zur Geschichte des deutsch-sowjetischen Krieges.
Hoffmann veröffentlichte unter anderem eine Publikation mit der These, dass die Sowjetunion 1941 ihrerseits einen Krieg gegen Deutschland vorbereitete (siehe dazu: Präventivkriegsthese). Hoffmann vertrat Positionen, in denen er sich gegen das "hergebrachte Geschichtsbild" wandte, welches nach seiner Ansicht wenig mit dem "wie es wirklich gewesen ist" zu tun hat.
Die 1991 vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt herausgegebene Arbeit Hoffmanns mit dem Titel "Kaukasien 1942/43 behandelt eine Episode des deutsch-sowjetischen Krieges: das Vordringen der deutschen Truppen nach Kaukasien bis an die Grenzen Asiens und des Vorderen Orient.
Die Völker des Kaukasusraumes waren entschiedene Gegner des ihnen aufoktroyierten Sowjetsystems. Die Sowjetmacht hatte die 1918 erst errungene Selbständigkeit der Republiken der Nordkaukasier, der Azerbajdzaner, Georgier und Armenier 1920/21 wieder beseitigt und die Gebiete annektiert. Gegen die Unterdrückung aller Freiheitsbestrebungen, die Kollektivierung, wirtschaftliche Ausbeutung und brutale Glaubensverfolgung hatte es seitdem immer wieder Widerstand gegeben. Dies ermöglichte den deutschen Truppen, eine erfolgreiche, bevölkerungsfreundliche Besatzungspolitik zu führen, da aufgrund dieser Situation der Wille zur Kooperation bei der einheimischen Bevölkerung vorhanden war. Die politische Zusammenarbeit mit der Bevölkerung wurde auch dadurch erleichtert, dass dem deutschen Oberkommando im Kaukasus, im Unterschied zu anderen besetzten Gebieten der Sowjetunion, ein relativer Freiraum gelassen wurde, woraus sich die Möglichkeit eines freundschaftlichen Verhältnisses zur Bevölkerung des Kaukasus ergab. Eine Selbstverwaltung bzw. eine gemilderte Militärverwaltung wurde eingerichtet. Hinter dieser Politik standen nicht nur einzelne Persönlichkeiten, sondern das Oberkommando des Heeres – auch ein Argument gegen eine pauschale Bewertung der Wehrmacht –, wobei hier namentlich der spätere Hitler-Attentäter Graf v. Stauffenbeg zu erwähnen ist.
Eine weitere Möglichkeit der Zusammenarbeit stellten die aus entlassenen Kriegsgefangenen der Orientvölker gebildeten nationalen Legionen dar, in denen 170.000 bis 250.000 Angehörige der Orientvölker der Sowjetunion der Wehrmacht angehörten, um auf deutscher Seite am „Kampf gegen den Bolschewismus“ teilnahmen – ein Ausdruck dafür, welch doch geringe Verankerung der Bolschewismus als Weltanschauung unter den Minderheiten der Sowjetunion gefunden hatte. Die Arbeit Hoffmanns steht in Fortsetzung der zum Zeitpunkt ihres Erscheinens bereits vorliegenden Veröffentlichungen des Autors über die Zusammenarbeit der Deutschen und Kalmyken und über die Aufstellung der Ostlegionen aus Angehörigen der sowjetischen Orientvölker. Sie beleuchtet die Freiheitsbestrebungen der nichtrussischen Minderheiten, auch wenn den Russen in der gegen Stalin gerichteten Befreiungsbewegung die führende Rolle zukam. Angesichts der aktuellen Nationalitätenkonflikte, welche zum Zusammenbruch des Sowjetreiches mit beigetragen haben, trägt die Abhandlung dazu bei, deren historische Dimension aufzuzeigen. Die Arbeiten Hoffmanns sind für das Selbstverständnis und Identitätsbewußtsein dieser Völker gerade auch heute noch von entscheidender Bedeutung, wie das nachweisliche Interesse junger Historiker von dort zeigt.
1984 kam es zu einem Prozess vor dem Landgericht Freiburg, in dem Wilhelm Deist, der leitende wissenschaftliche Direktor des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Freiburg, Hoffmann auf Widerruf und Unterlassung verklagte, weil dieser am 7. September 1983 in einem Schreiben an den Amtschef des MGFA, Deist bezichtigt hatte, ihn aus ideologischen Gründen zur Unterdrückung der historischen Wahrheit zu veranlassen. Deist wertete dies als ehrverletzend. Das Landgericht wies die Klage ab, da es die Aussagen Hoffmanns durch die freie Meinungsäußerung gedeckt sah und Hoffmann in Wahrnehmung seiner Interessen gehandelt habe.
Kritik
Hoffmann wurde teilweise von anderen Historikern für seine Forschungsergebnisse kritisiert.[1][2][3] Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine auf Sachargumenten beruhende Kritik. Inhaltliche Fehler des nahezu ausschließlich auf Aktenmaterial beruhenden Buches konnten nicht nachgewiesen werden. Das Buch "Stalins Vernichtungskrieg" hat vielmehr in der Fachwelt im In- und Ausland positive Aufnahme gefunden. Professor Dr. Richard C. Raack, California State University, Harvard, schreibt in der amerikanischen Zeitschrift WORD AFFAIRS 1996 in einem den Forschungsstand beschreibenden Beitrag: "In fact the discussion is international...the genie of truth is now out of the bottle." In Rußland trug ein dem Buch "Stalins Vernichtungskrieg" vorausgehender Aufsatz Hoffmanns in der Zeitschrift der Russischen Akademie der Wissenschaften "OTECESTVENNAJA ISTORIJA" dazu bei, das Geschichtsbild zu objektivieren. So schreibt am 10.04.1006 Markus Wehner in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG: "Die Publikation eines Aufsatzes des deutschen Historikers Joachim Hoffmann, der Suworows These seit Jahren unterstützt,trug zur Wende bei. Seither bestimmen die Vertreter einer neuen kritischen Historikergeneration die Debatte." Die BERLINER MORGENPOST schrieb am 30.10.1995 zum Erscheinen des Buches: "Stalin hat seinen Krieg gegen das Deutsche Reich als Vernichtungs- und Eroberungskrieg konzipiert. Hierfür liefert Hoffmann aus deutschen und sowjetischen Archiven erdrückende Fakten". Und die F.A.Z. schrieb am 10.10.1995: "Hoffmanns neuestes Buch referiert...den bisherigen Ertrag der wissenschaftlichen Kontroverse, aus der er siegreich hervorgegangen ist. Das präsentierte Material seines Buches ist hinreichend überzeugend."
Kurz nach seinem Ausscheiden aus dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt 1995 wurde Hoffmann als Gutachter im Rahmen eines Prozesses vor dem Amtsgericht Tübingen gegen den rechtsextremistischen Grabert-Verlag bestellt, in dessen Verlauf er dem Buch Grundlagen der Zeitgeschichte, das von dem als Holocaust-Leugner verurteilten Germar Rudolf unter dem Namen Ernst Gauss herausgegeben wurde, wissenschaftliche Qualitäten zubilligte. Um die Rolle des Sachverständigen in diesem Prozess hatte er sich nicht gedrängt. Gegenstand des Gutachtens war im übrigen keine inhaltliche, historische Frage. Es ging allein darum, ob das inkriminierte Werk methodisch Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben könne. Zu dem ihm fachfremden Inhalt äußerte sich Hoffmann nicht. Das Buch wurde dennoch auf Beschluss des Gerichts eingezogen und Wigbert Grabert zu einer Geldstrafe in Höhe von 30.000 D-Mark verurteilt.[4] Hoffmanns Gutachten wurde 1997 in der von Rudolf herausgegebenen Zeitschrift Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung ohne Wissen des Autors, der auch eine Zustimmung hierzu verweigert hätte, veröffentlicht.[5] Im gleichen Jahr erschien in dem ebenfalls geschichtsrevisionistischen Journal of Historical Review, in dem zahlreiche Holocaust-Leugner veröffentlichen, ein Artikel Hoffmanns mit dem Titel: Wartime bombings of neutral Switzerland[6].
Mit seinen Ausführungen in seinem 1995 erstmals erschienen Buch Stalins Vernichtungskrieg, 1941-1945 über das „Auschwitzproblem“, in denen er einerseits die Gesamtzahl der Ermordeten des Holocaust als „Propagandazahlen des Stalinismus“ in Frage stellte[7] und andererseits die Zahl der „dokumentarisch verbürgten“ Todesopfer[8] im KZ Auschwitz mit 74.000 sehr niedrig angab, stieß Hoffmann nicht nur in der wissenschaftlichen Literatur auf Ablehnung.[9] Dieser Umstand beschäftigte aufgrund Hoffmanns langjähriger Tätigkeit für das Militärgeschichtliche Forschungsamt 1996 auch den (für Fragen der Geschichtswissenschaft nicht zuständigen) Deutschen Bundestag.[10]
Auszeichnungen
Hoffmann wurde 1991 mit der „Dr. Walter-Eckhardt-Ehrengabe für Zeitgeschichtsforschung“ des als rechtsextrem geltenden[11] Institut für Zeitgeschichtsforschung in Ingolstadt ausgezeichnet und erhielt 1992 den Kulturpreis „General Andrej Andrejewitsch Wlassow“.[12]
Veröffentlichungen (Auswahl)
- Die Ostlegionen 1941 - 1943. Turkotartaren, Kaukasier, Wolgafinnen im deutschen Heer. Rombach, Freiburg i. Breisgau 1976, ISBN 3-7930-0178-4
- Deutsche und Kalmyken 1942 - 1945. Rombach, Freiburg i. Breisgau 1977, ISBN 3-7930-0173-3
- Der Angriff auf die Sowjetunion, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. mit Jürgen Förster; Horst Boog, 1987
- Kaukasien 1942/43. Das deutsche Heer und die Orientvölker der Sowjetunion. Rombach, Freiburg i. Breisgau 1991, ISBN 3-7930-0194-6
- Die Angriffsvorbereitungen der Sowjetunion 1941 . In: Zwei Wege nach Moskau. Vom Hitler-Stalin-Pakt bis zum "Unternehmen Barbarossa" . Piper, München und Zürich 1991, ISBN 3-492-11346-X
- Stalins Vernichtungskrieg 1941-1945. Herbig Verlag, München 2000, ISBN 3-7766-2079-X
- Die Tragödie der 'Russischen Befreiungsarmee' 1944/45. Wlassow gegen Stalin. Herbig Verlag, 2003 ISBN 3776623306.
Übersetzungen: Stalins Vernichtungskrieg:
- Stalin`s War of Extermination 1941-1945, Capshaw (Alabama)2001, ISBN 0-9679856-8-4.
- La Guerre d`Estermination de Staline 1941-1945, Akribeia 2003, ISBN 2-913612-10-5.
Die Geschichte der Wlassow-Armee:
- in russischer Übersetzung, erschienen als Band 8 in der von Alexander Solschenizyn herausgegebenen Reihe INRI, Paris 1990, vergriffen, ISBN 2-85065-175-3.
- in estnischer Übersetzung, erschienen im Verlag "Olion", Tallin, 2004, ISBN 9985-66-363-2.
Anmerkungen
- ↑ Michael G. Hillinger in The American Historical Review, Volume 81, Issue 5 (Dec., 1976), S. 1155 Review of Hoffmann: Die Ostlegionen, 1941-1943. Turkotataren, Kaukasier und Wolgafinnen im deutschen Heer.
- ↑ R.J. Overy in The English Historical Review, Volume 102, Issue 404 (Jul., 1987), S. 759 Review of Hoffmann: Die Geschichte der Wlassow-Armee.
- ↑ G.C. Field in The American Historical Review, Volume 80, Issue 4 (Oct., 1975), S. 964-5 Review of Hoffmann: Deutsche und Kalmyken, 1942 bis 1945.
- ↑ Amtsgericht Tübingen Az. 4 Gs 173/95
- ↑ Joachim Hoffmann: Grundlagen zur Zeitgeschichte: Gutachterliche Stellungnahme. In: Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung Jg. 1 (1997) Nr. 3, S. 205-207.
- ↑ Joachim Hoffmann: Wartime bombings of neutral Switzerland. In: Journal of Historical Review Vol. 16 Nr. 3, p. 16.
- ↑ Joachim Hoffmann: Stalins Vernichtungskrieg, 1941-1945. Planung, Ausführung und Dokumentation. Herbig, München 2000. 6. Auflage, ISBN 3-7766-2079-X, S. 181
- ↑ Joachim Hoffmann: Stalins Vernichtungskrieg, 1941-1945. Planung, Ausführung und Dokumentation. Herbig, München 2000. 6. Auflage, ISBN 3-7766-2079-X, S. 182, 327
- ↑ Deutscher Bundestag: Drucksache 13/5773 vom 11.10.1996 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Volker Beck (Köln), Winfried Nachtwei und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zur Präventivkriegsthese
- ↑ Deutscher Bundestag: Drucksache 13/5559 vom 13.09.1996 Kleine Anfrage der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Volker Beck (Köln), Winfried Nachtwei und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zur Präventivkriegsthese
- ↑ Bernd Wagner, Handbuch Rechtsextremismus, Reinbeck bei Hamburg 1994, Seite 164 - dort als Zeitgeschichtliche Forschungsstelle Ingolstadt
- ↑ Junge Freiheit Nr. 9, 22. Februar 2002.
Nr. 5 ist keine geeignete und zulässige Quelle. Es handelt sich bei dem Gerichtsgutachten um einen ausschließlich für die Zwecke des Verfahrens erstellten Text, der sich ohnehin nicht mit historischen Fragen beschäftigt.
Die Veröffentlichung in den Vierteljahresheften für freie Geschichtsforschung efolgte ohne Wissen des Autors!
s. stattdessen:
Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 2000, K.G. Saur Verlag
Weblinks
Personendaten | |
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NAME | Hoffmann, Joachim |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Historiker und Publizist |
GEBURTSDATUM | 1. Dezember 1930 |
GEBURTSORT | Königsberg in Preußen |
STERBEDATUM | 8. Februar 2002 |
STERBEORT | Freiburg im Breisgau |