Marktversagen ist ein Begriff aus der Wohlfahrtstheorie, einem Teilbereich der Volkswirtschaftslehre. Unter Marktversagen wird eine Marktsituation verstanden, in der es einem sich selbst überlassenen Markt nicht mehr gelingt, die Ressourcen (u. a. Arbeit, Kapital) effizient zuzuteilen.
Vorüberlegungen
Durch den Preismechanismus kommt es in einem vollkommenen Markt (ein modellhafter Markt u. a. mit homogenen Gütern und ohne Präferenzen der Marktteilnehmer) normalerweise zu einem Marktgleichgewicht (vgl. Abbildung), das eine effiziente Ressourcenallokation (= Verteilung der Ressourcen) herbeiführt.
Eine Situation wird z. B. dann als effizient bezeichnet, wenn sie pareto-optimal ist, d. h. es gibt keine Möglichkeit, die Ressourcen so zu verteilen, dass mindestens einer besser gestellt wird, jedoch nicht gleichzeitig jemand anders schlechter.
Voraussetzung für die Herausbildung eines effizienten Marktgleichgewichts sind:
- Es muss sich bei den betrachteten Märkten um Märkte mit vollständiger Konkurrenz handeln (keine Seite darf über Marktmacht verfügen),
- die Marktergebnisse dürfen nur Käufer und Verkäufer berühren, jedoch keine Dritten.
Darüber hinaus müssen Käufer und Verkäufer über vollkommene Rationalität verfügen, Informationen müssen also kostenlos für beide Seiten verfügbar sein (und es darf keine Informationsasymmetrien geben).
Abweichungen vom vollkommenen Markt in der Realität
In der Realität liegen beide Grundannahmen oftmals jedoch nicht vor, durch die verschiedenen Abweichungen von einem vollkommenen Markt kann es auf verschiedene Weise zu einem Marktversagen kommen.
Marktversagen durch asymmetrische Information
Wenn die potenziellen Vertragspartner in einem Markt nicht über gleiche Informationen verfügen, so kommt es nicht zu einer effizienten Ressourcenallokation. In Extremfällen kommt es zu einem vollständigen Marktzusammenbruch. Das bekannteste Beispiel hierfür ist das Beispiel des Markts für Gebrauchtwagen, das sogenannte Lemons problem, das von Akerlof entwickelt wurde. Es stellt einen Unterfall asymmetrischer Information, die sogenannten hidden characteristics dar:
- Da Käufer von Gebrauchtwagen die Qualität der angebotenen Gebrauchtwagen (wenn überhaupt) nicht kostenlos beurteilen können, würden sie in einem Markt, in dem sowohl gute als auch schlechte ("Lemons") Gebrauchtwagen angeboten werden, zum Beispiel einen Erwartungswert für die Qualität des Autos bilden. (Wenn sie für einen guten Wagen 1.000 zahlen würden und für einen schlechten 200 und im Markt gleichviel gute und schlechte Wagen vorhanden sind, wären sie für einen unbekannte Wagen bereit, 600 zu zahlen). Dieser Preis liegt aber unter dem Reservationspreis (einiger) der Anbieter guter Wagen. Diese Anbeiter sind nicht bereit zu diesem Preis zu verkaufen und werden den Markt verlassen. Damit werden systematisch die Anbieter guter Gebrauchtwagen aus dem Markt gedrängt, so dass am Ende nur noch schlechte Gebrauchtwagen angeboten würden. (Vgl. Akerlof, G. A.: The Market for "Lemons", in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 89 (1970), S. 488-500.)
In diesem Fall bricht der Markt vollständig zusammen. Man kann den Zusammenbruch zwar verhindern, dies verursacht aber Kosten, so dass die optimale Lösung des vollkommenen Marktes nicht erreicht wird. Die Beseitigung oder Abmilderung der Informationsasymmetrie verursacht dabei Kosten (z. B. TÜV-/DEKRA-Siegel für Gebrauchtwagen, umfangreiche Probefahrten). Auch in den anderen Fällen asymmetrischer Information kommt es zu einer Abweichung von der effizienten Lösung bei vollständiger Information, im Rahmen der Principal-Agent-Theorie werden diese Kosten als Agency-Kosten bezeichnet.
Marktversagen bei öffentlichen Gütern
Von Marktversagen spricht man auch, wenn der freie Markt ohne Zutun eines Regulators Güter nicht bereitstellen würde, für die zwar insgesamt eine hinreichend große Zahlungsbereitschaft vorhanden wäre, man sich jedoch individuell der Zahlungspflicht entziehen möchte. Dies trifft vor allem für öffentliche Güter zu. Öffentliche Gütern sind durch (weitgehende) Nichtrivalität im Konsum gekennzeichnet. So ist zum Beispiel die Landessicherheit ein öffentliches Gut - jeder profitiert davon, jedoch würde jeder versuchen, sich den Verteidigungsausgaben zu entziehen und die Finanzierung den anderen zu überlassen. Der Anreiz, Trittbrettfahrer zu sein, ist umso größer, je größer die betroffene Gruppe ist. Ohne Regulierung (in diesem Falle durch den Staat) käme es nicht zur Organisierung der Verteidigung.
Aber auch wenn der Anbieter des öffentlichen Guts die Nutzer von der Nutzung ausschließen kann (Trittbrettfahrer verhindern kann, zum Beispiel einen Park einzäunt), kommt es nicht zu einer effizienten Lösung. Da bei einem puren öffentlichen Gut (keine Verstopfungsproblematik wie bei Straßen) die Grenzkosten der Bereitstellung Null sind, ist der effiziente (markträumende) Gleichgewichtspreis Null. Jeder höhere Preis schließt Nutzer aus, die bereit wären, für die Nutzung des öffentlichen Guts etwas zu bezahlen, aber eben nicht soviel, wie verlangt wird.
Marktversagen bei externen Effekten
Eine, angesichts wachsender Probleme durch zunehmende Umweltverschmutzung wichtig werdendere Ursache, durch die es zu Marktversagen kommen kann sind externe Effekte, also alle Fälle, in denen das Handeln der Marktteilnehmer (negative oder positive) Auswirkungen auf andere hat (beispielsweise also die Abgase des Autofahrens (negativ) oder die Verschönerung eines Gebäudes, die auch die umliegenden Gebäude aufwertet (positiv)). Die Interessen dieser Dritten werden von den am Markt handelnden Parteien nicht berücksichtigt, so dass die Zuteilung der Ressourcen volkswirtschaftlich betrachtet nicht mehr effizient ist: Da die Auswirkungen auf Dritte, die sich nicht wehren können, nicht in das Preiskalkül von Anbieter und Nachfrager einbezogen werden, haben sie keinen Einfluss auf den Preis, auch wenn die Dritten bereit wären, Geld für den Nichtabschluss (negative externe Effekte) oder Abschluss (positive externe Effekte) zu bezahlen.
Allerdings kann durch das Coase-Theorem gezeigt werden, dass es unter engen Voraussetzungen (klare Zuordnung von Eigentums- bzw. Verfügungsrechten, vollständige Rationalität, keine Transaktionskosten) zu Verhandlungen am Markt kommt, die zu einer Internalisierung (= Mitberücksichtigung) der externen Effekte durch die Marktteilnehmer führen.
Marktversagen durch Marktmacht (Monopole)
Daneben existieren in der Realität Monopole, die in der Lage sind, die Marktpreise zu bestimmen. Ein gewinnmaximierender Monopolist bietet nicht mehr zu Grenzkosten an, sondern zu überhöhten Preisen, so dass bestimmte Nachfrager vom Konsum ausgeschlossen werden
Abhilfe
Da vor allem die Annahmen vollständiger Rationalität und fehlender Transaktionskosten (z. B. Anwaltskosten bei der Aushandlung von Verträgen) in der Realität nicht erfüllt sind, gibt es in der Realität viele Fälle, in denen der Markt keine effiziente Ressourcenallokation herbeiführt. Dann ist es insbesondere Aufgabe des Staates, Marktversagen zu erkennen und ggf. regulierend einzugreifen. So kann beispielsweise einerseits der Staat die Bildung von Monopolen verhindern (Bundeskartellamt), oder bei einem natürlichen Monopol den Monopolisten in der Festsetzung seiner Preise kontrollieren oder selbst als Anbieter in Erscheinung treten. Andererseits kann der Staat beispielsweise externe Effekte wie Umweltverschmutzung internalisieren, also in das Marktgeschehen mit einbeziehen, indem er dem Produzenten Steuern auf den Ausstoß von Umweltgiften auferlegt (Pigou-Steuer).
Das Konzept des Marktversagens
Die meisten Ökonomen gehen davon aus, dass der Staat nur bei Marktversagen eingreifen sollte. Weitergehende Eingriffe würden demnach das Marktgeschehen unnötig belasten, da Märkte in ihren selbstregulierenden Prinzipien gestört würden. Jedoch lassen sich weitergehende Eingriffe mit dem Aufbau eines Sozialsystems rechtfertigen.
Das wirtschaftstheoretische Verständnis von Marktversagen und seiner Behebung widerspricht jedoch in manchen Bereichen der Vorstellung der Menschen, da es viele Bereiche nicht thematisiert, die umgangssprachlich als Marktversagen bezeichnet werden. Beispielsweise wäre ein freier Markt nicht in der Lage, der ganzen Bevölkerung eine gute Gesundheitsversorgung zu garantieren, da der ärmere Teil der Bevölkerung nicht in der Lage ist, für diese Versorgung zu bezahlen. Hier liegt aber kein Fall des Marktversagens vor, da die Ressourcenverteilung effizient ist (Die Situation ist pareto-optimal, da niemand besser gestellt werden kann (ein armer Mensch wird versorgt), ohne dass jemand anderes schlechter gestellt wird (ein anderer muss dafür zahlen)).
Insbesondere die von vielen Menschen gewünschte soziale Gerechtigkeit wird von dem hier als Maßstab zu Grunde liegenden Pareto-Prinzip nicht thematisiert. Der bekannte und umstrittene Wirtschaftsethiker Peter Ulrich spricht daher daneben von einem vitalpolitischem Marktversagen, wenn der Markt nicht die von der Bevölkerung erwünschten Resultate produziert. Diesem Konzept fehlt es aber an theoretischer Präzision, da keine eindeutigen Kriterien benennbar sind, die ein Eingreifen erforderlich machen und überdies unklar bleibt, ob Eingriffe hier erfolgreich sein können.
Soweit der Staat eingreift, muss Staatsversagen verhindert werden, insbesondere da der Staat meist nicht über mehr Informationen verfügt, als die Marktteilnehmer. Der Staat kann (und sollte) daher die ihm zur Verfügung stehenden Mittel des Eingreifens sorgfältig auswählen. Ein unter Wirtschaftswissenschaftlern beliebtes Beispiel stellt der Handel mit Emissionsrechten dar. Statt Umweltverschmutzung (negative externe Effekte) komplett zu verbieten, oder mit staatlichen Quoten zu arbeiten, wird eine Lösung angestrebt, die den effizienzsteigernden Marktmechanismus in die Internalisierung der externen Effekte implementiert.
Beispiele für Marktversagen
1998 erschütterte der Skandal um den Hedgefond Long Term Capital Management (LTCM) die Finanzwelt. Angesehene Finanzexperten, zu denen auch die Nobelpreisgewinner Myron Scholes and Robert Merton gehörten, hatten es vollbracht, mit einem Eigenkaptal von weniger als einigen Milliarden Dollar und Krediten von 124 Milliarden Dollar Derivategeschäfte mit Anleihen im Gesamtvolumen von mehr als 1250 Milliarden Dollar anzubahnen und damit riesige Gewinne erzielt, weswegen sehr viele Grossbanken in LTCM investiert hatten. Die komplizierten mathematischen Marktmodelle von LTCM, auf denen der Erfolg beruhte, scheiterten jedoch plötzlich, als eine Finanzkrise in Russland den Markt für russische Anleihen zusammenbrechen liess. Die amerikanische Federal Reserve musste entgegen ihren Statuten die Rettung des Privatunternehmens organisieren, um grössere Probleme abzuwenden. Die Börsen brachen weltweit ein.
Im Zuge der Privatisierung des kalifornischen Energiemarktes im Jahr 2000 führte eine unelegante Marktkonstruktion zur prinzipiellen Möglichkeit, die Marktpreise zu manipulieren, was von einigen Strommaklern wie Enron konsequent ausgenutzt wurde. Der Staat Kalifornien musste Mehrkosten von 43 Milliarden Dollar ausgleichen, es kam zu häufigen Stromausfällen, der Enron-Konzern wurde aufgrund eines Buchführungsskandals zerschlagen und war die grösste Insolvenz in der Geschichte der USA.
Siehe auch
Literatur
- Michael Fritsch, Thomas Wein und Hans-Jürgen Ewers: Marktversagen und Wirtschaftspolitik: mikroökonomische Grundlagen staatlichen Handelns. 5. Auflage. Verlag Vahlen, München 2003. ISBN 3-8006-2943-7
- Akerlof, G. A.: The Market for "Lemons", in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 89 (1970), S. 488-500.
- Ulrich, Peter: Integrative Wirtschaftsethik – Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie, 2., durchgesehene Auflage, Bern, Stuttgart, Wien: Paul Haupt, 1998.