Waldsterben bezeichnet das Auftreten von großflächigen Schädigungen des Waldbaumbestands durch sauren Regen, Ozon, Schwermetallen etc. welches im extremstem Fall zu einem Absterben des Waldes führt.

Einleitung
In Deutschland befand man 1983 gut ein Drittel des Waldes für krank. Im Jahre 2002 sind nach dem offiziellen Waldschadensbericht nur noch rund 35% aller Waldbäume als völlig gesund zu bezeichnen, im Jahre 2003 sind es noch 31%. 2004 waren nur 28 Prozent der Bäume Deutschlands ohne sichtbaren Schäden, während knapp ein Drittel schwere Schäden hatte. Das in den 80er Jahren befürchtete, sich durch die damalige Entwicklung abzeichnende, großflächige Absterben von Wäldern ist – auch in den damaligen Hauptschadgebieten – nach Investitionen von über 196 Millionen Euro in die Waldsanierung aber ausgeblieben. Die Emissionen an Schwefeldioxid und Stickoxiden wurden in der „alten“ Bundesrepublik seit 1980 durch umfangreiche Maßnahmen zur Luftreinhaltung, die man als Reaktion auf das „Waldsterben“ vornahm, erheblich vermindert (s. externen Graphen). Auch der Zusammenbruch einiger Planwirtschaften um 1990 hat zu einer weiteren, weitaus erheblicheren Verminderung der Schadstoffeinträge beigetragen.
Symptome
Typische Symptome an betroffenen Bäumen sind so genannte Angsttriebe, bei Nadelbäumen auch das Vergilben der Nadeln und das Lamettasyndrom. Bei zu starkem Vitalitätsverlust kommt es zum Absterben des Baumes.
Wissenschaftlich meistdiskutierte Ursachen
Durch die anthropogen bedingte Versauerung der Böden durch den sauren Regen kommt es zu Schädigungen der Feinwurzeln der Bäume und der mit den Bäumen in Symbiose lebenden Mykorrhiza, die für die Aufnahme von Mineralstoffen entscheidend sind. Die Versorgung des Baumes mit Wasser und Mineralstoffen wird beeinträchtigt.
Ein Folgeproblem der Versauerung ist die Freisetzung von Ionen von Schwermetallen und Aluminium, die stark toxisch wirken.
Zur verminderten Aufnahmemöglichkeit von Mineralstoffen wie Calcium, Kalium und Magnesium tritt deren verminderte Verfügbarkeit durch verstärkte Auswaschung.
Schädigungen der Stomata der Blätter durch Säure und Ozon nehmen den Bäumen die Möglichkeit, ihre Verdunstung zu regulieren. Die Störungen bei der Aufnahme von Wasser werden also durch Störungen bei der Wasserdampfabgabe kompliziert.
Das Waldsterben – nur ein Medienklischee?
Es wird verschiedentlich die Vermutung geäußert, es handele sich beim „Waldsterben“ um ein typisch deutsches Phänomen. Ausländische Medien haben den Begriff immer für übertrieben gehalten. Wenn die Franzosen von „Le waldsterben“ sprechen, spielen sie damit auf die nationalistisch gefärbte, romantische Waldverliebtheit der Deutschen und ihre Neigung zu dramatischen Übertreibungen an. Verwunderlich ist jedenfalls, dass es in Frankreich und Großbritannien oder beim Baumbestand des New Yorker Central Park, der jahrelang stärksten Auto-, Kraftwerk- und Industrieabgasen ausgesetzt war, kein Waldsterben zu geben scheint. Wohl aber kennt man größere flächenhafte Baumschäden im Harz, im Bayrischen Wald, im Erzgebirge und in den im Osten an Deutschland grenzenden Ländern.
Tatsache ist, dass die beschriebenen Schäden vermehrt in solchen Gegenden zu beobachten sind, in denen die Schadstoffbelastung, z.B. durch direkte, überhohe Schwefeldioxid-Immissionen, extrem hoch ist, so dass die Blätter und Nadeln der Bäume direkt geschädigt werden. Solche direkten Belastungen sind aber eher selten. In anderen Fällen ist es verwunderlich, dass die beobachteten Schäden in so genannten Reinluftgebieten auftraten, die überhaupt nicht umweltbelastet waren. Andererseits ist zu beobachten, dass die gemessenen Schäden insbesondere nach starken Witterungseinflüssen wie dem Harten Winter 1978/1979 oder dem trockenem Sommer 2003 ihre Spitzenwerte erreichten und in der Vergangenheit in den Folgejahren wieder abnahmen.
Interessant ist auch, dass aus dramaturgischen Gründen in Fernsehberichten der 80er Jahre – mangels anderer signifikanter Stellen – immer wieder nur einige wenige, stark zerstörte Waldgebiete im Harz oder Erzgebirge gezeigt wurden, die mit ihren abgestorbenen Bäumen stellvertretend für das angeblich großflächige Waldsterben in ganz Deutschland standen. Derart gravierende Schäden wurden aber nirgendwo sonst beobachtet.
Der Journalist Rudi Holzberger kommt daher in seiner Dissertation Das sogenannte Waldsterben (Konstanz, 1995) zu dem Schluss, dass es sich bei dem Phänomen nur um ein Medien-Klischee handelt, das stereotyp verbreitet wird und ein Walduntergangsszenario heraufbeschwört. Die Kritik entzündet sich hierbei vor allem an dem umstrittenen Messverfahren als Grundlage des Waldzustandsberichtes, das auf einer quantitativen Erfassung von Laub- und Nadelverlust basiert.
Es hat offenbar schon lange vor der Industrialisierung und dem damit verbundenen vermehrten Schadstoffausstoß vergleichbare Waldschäden gegeben, die als Rauchschäden bezeichnet wurden. Diese waren aber lokal begrenzt und eindeutig dem Verursacher zuzuordnen. Ihnen wurde in späteren Jahrhunderten durch die Entwicklung hoher Schornsteine begegnet. Dies wird etwa durch einen Blick auf gemalte Landschaftsbilder aus früheren Jahrhunderten deutlich, auf denen dieselben Schäden an Baumwipfeln zu sehen sind, für die man heute den sauren Regen, das Ozon oder Schwermetalle verantwortlich macht. Nur teilweise lässt sich dafür die bereits im Mittelalter begonnene Verhüttung sulfidreicher Erze verantwortlich machen.
Laut einem Artikel in Nature heile der Großteil der im Waldzustandsbericht als geschädigt gezählten Bäume von selbst. Der Bericht sei deshalb irreführend. Es gäbe keinen Grund von einem Waldsterben zu sprechen. Dem steht entgegen, dass die Zahl der schwer geschädigten Bäume nicht abnimmt.
Positive Wirkungen von Schadstoffen auf Bäume
Im Gegensatz zu dem Klischee mit den „üblichen Verdächtigen“ haben gründlichere und sorgfältigere wissenschaftliche Untersuchungen in jüngerer Zeit gezeigt, dass unter bestimmten Bedingungen für die angeblich nur schädigenden Luftinhaltsstoffe durchaus auch Nutzwirkungen erkennbar sind. Dies gilt insbesondere für die mineralischen Kohlenaschen und deren chemische Bestandteile. Ob Schwefel- oder Stickstoffverbindungen schaden oder nutzen, hängt also von den jeweiligen Umständen ab. Ob Calcium, Magnesium, Selen, Molybdän, Zink, Fluor und Iod im Überschuss und reichlich vorhanden oder im Mangel sind und fehlen, ist ganz entscheidend dafür, ob der Wald gut gedeiht oder nicht.
Alternative Ursachen
Wenn aber weniger der saure Regen, die Schwermetallbelastung oder das Ozon für die Baumschäden verantwortlich sind, was dann? Man neigt heute immer mehr zu der Annahme, dass das so genannte Waldsterben weniger auf vom Menschen verursachte Umweltgifte zurückzuführen ist, als vielmehr auf den Einfluss von natürlichen Schädlingen, etwa den Befall durch Pilze, durch die Raupen des Schwammspinners und vor allem durch Borkenkäfer.
Bei diesen Schadorganismen kommt es, bedingt durch für sie günstige Witterungsbedingungen – etwa besonders heiße und trockene Sommer – zu bestimmten Zeiten zu Massenvermehrungen, die derart gravierend sein können, dass von den Schädlingen heimgesuchte Waldgebiete stark geschädigt werden.
Besonders Fichten-Monokulturen sind davon stark betroffen, so dass man z.B. am Westhang des Lusen im Nationalpark Bayerischer Wald dazu übergegangen ist, die bestehenden und daher anfälligen Reinbestände behutsam in Richtung Bergmischwald zu erneuern.
In Zeiten, in denen die Schädlinge witterungsbedingt das Nachsehen haben, erholt sich der Wald meistens recht schnell. Leider begünstigt die Witterung der letzten Jahre auch Gradationen in Gebieten, wo sie bisher unbekannt waren. Die heutige potentielle natürliche Vegetation (hpnV) entfernt sich auch in den wenigen noch vorhandenen, nicht direkt vom Menschen beeinflussten Gebieten zunehmend von dem bisher gewohnten Baumbestand.
Auffallend ist, daß Bundesländer mit durchweg jüngerem Baumbestand wie z.B. Niedersachsen durch die Trockenheit 2003 deutlich weniger gelitten haben als solche mit älterem Baumbestand wie z.B. Bayern oder Baden-Württemberg. Leider teilt der Waldzustandsbericht hier nur grob zwei Altersklassen ein: bis 60 Jahre und über 60 Jahre.
Beim sog. Holzvorrat, also der Menge an 'erntereifem' oder sogar 'überreifem' Holz steht Deutschland in Europa deutlich an der Spitze, der Holzvorrat steigt beständig an. Unsere Wälder werden im Schnitt also immer älter, immer anfälliger und damit tendenziell immer kränker.
Gut zu beobachten ist der Einfluß dieses Alterungseffektes, wenn man den zeitlichen Verlauf der Schäden junger Bestände mit dem Verlauf aller Bestände vergleicht. Obwohl die jüngeren Bestände je nach Baumart innerhalb der letzten 10 ... 15 Jahre durchweg gesünder geworden sind, folgen die Gesamtschäden diesem Verlauf nicht - sie nehmen sogar eher zu.
Auch weitere Effekte können indirekt mit der Überalterung zusammenwirken. Beispielsweise hat die Waldwirtschaft ja lange Zeit auf profitabele, schnellwachsende Hölzer gesetzt. Ob der Standort für die jeweilige Baumart auch langfristig immer optimal gewählt war, darf bezweifelt werden - es spielte ja auch keine Rolle, da die Bäume meist jung und (noch) gesund eingeschlagen wurden. Jetzt, mit alternden Beständen könnten sich solche Standortnachteile zunehmend nachteilig bemerkbar machen.
Weiterhin nimmt in einer überalterten Baumgemeinschaft das Infektions- und Schädlingsrisiko natürlich auch für junge, gesündere Bäume zu. Es ist durchaus möglich, daß die Schadenshäufigkeiten auch für die jungen Bestände heute deutlich geringer wären, wenn der Wald insgesamt verjüngt worden wäre.
Literatur
- Holzberger, Rudi: Das sogenannte Waldsterben. Zur Karriere eines Klischees. Das Thema Wald im journalistischen Diskurs. Bergatreute 1995.
- Kunze, Stefan: Praxis Waldschutz. Strategien gegen das Waldsterben. Hannover 1995.
- Kurz, Claudia: Kausalanalyse und Bioindikation der neuartigen Waldschäden anhand des Polyamin- sowie Phenolstatus am Beispiel von Picea abies (Fichte), Abies alba (Weißtanne) und Quercus Petraea (Eiche): okulare Bonitur versus Bioindikation? Diss. Mainz 1999.
- Lichtenthaler, Hartmut K.: Das Waldsterben aus botanischer Sicht. Karlsruhe 1984.
- Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Abschlußdokumentation zum Forschungsschwerpunkt „Luftverunreinigungen und Waldschäden“ des Landes Nordrhein-Westfalen. Ziele, Ergebnisse, Schlußfolgerungen [eine Bilanz neunjähriger Waldschadensforschung im Land Nordrhein-Westfalen]. Düsseldorf 1993.
- Nießlein, Erwin (Hrsg.): Was wir über das Waldsterben wissen. Köln 1985.
- Nöthig, Zeno: Das Waldsterben. Literaturauswertung zum Stand der Kenntnisse und zu den Erklärungshypothesen. Aachen 1986.
- Schütt, Peter: So stirbt der Wald. Schadbilder und Krankheitsverlauf. 5., durchges. Aufl. München 1986.
- Wentzel, Karl F.: Was bleibt vom Waldsterben? Bilanz und Denkanstöße zur Neubewertung der derzeitigen Reaktion der Wälder auf Luftschadstoffe. Hamburg 2001.
Siehe auch
Umweltschutz, Umweltschutzorganisation, Baum des Jahres, Pufferbereich (Bodenkunde), Riesengebirge