Hinterländer Platt

oberhessischer Dialekt, der im Hessischen Hinterland gesprochen wird
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Das Hinterländer Platt ist ein oberhessischer Dialekt, der im Hessischen Hinterland gesprochen wird. Er gehört zu den westmitteldeutschen Sprachgruppen. Das Hinterland ist sprachlich ein typisches Mischgebiet. Es bildet eine Brücke zwischen dem mittelhessischen wie rheinfränkischen Süden und dem niederhessischen / niederdeutschen Norden. Mit Platt wird in den mitteldeutschen Regionen die/der gesprochene Mundart/Dialekt bezeichnet. Es ist kein norddeutsches Plattdeutsch und mit diesem nicht zu verwechseln.


Beschreibung

Das Hinterländer Platt in seinen unterschiedlichen Lautgestalten und differenzierten Formen zählt sprachgeschichtlich in Mittelhessen (siehe Mittelhessische Dialekte) zu den "altertümlichen" Mundarten, deren Strukturen aus dem Althochdeutschen ableitbar sind und deren aktuelle Lautsysteme mit dem Mittelhochdeutschen korrespondieren. In diesem sprachlichen Mischgebiet, das ehemalige gesamte Hinterland umfassend, gehörte nur das ganz im Norden liegende Bromskirchen klar zum Waldecker Raum.

Das Hinterland war jahrhundertelang (bis 1866) von seinem Stammland Hessen-Darmstadt politisch und wirtschaftlich nahezu abgeschieden. Nur ein ganz schmaler Gebietsstreifen zwischen den Gemarkungen von Kinzenbach und Vetzberg, durch den die einzige zollfreie direkte Straßenverbindung führte, verband es mit seiner Provinzhauptstadt Gießen, bzw. mit dem landgräflichen Sitz in Darmstadt. Von daher der Name Hinterland.

Durch generationenlanges Ineinanderheiraten in den kleinräumigen Talschaften, Gerichtsbezirken und Kirchspielen entwickelte sich dabei auch für nahezu jedes dieser Gebiete auch ein eigener Typus. Dadurch blieben dort neben der eigentümlichen, altertümlichen Tracht, in vier Sonderformen, bis weit in das vorige Jahrhundert hinein auch sprachliche Eigenheiten länger als anderswo erhalten. Ein Einheimischer konnte jeden Sprechenden nach seinem Dialekt auch seinem Heimatort zuweisen. Es gab und gibt erstaunlich starke Mundartscheiden, auch von Ort zu Ort, in den kleinräumigen Sprachlandschaften. Ihre Grenzen decken sich im wesentlichen mit den einstigen politischen Gliederungen in Ämter und Gerichtsbezirke, sowie mit denen der Kirchspiele.

Der beste Kenner des Hinterländer Dialektes, der hessische Sprachforscher an der Universität Marburg, Prof. Dr. Hans Friebertshäuser, ein bekennender Dialektsprecher, der aus Weidenhausen (Gladenbach) im Hinterland stammt, hat folgende Sprachscheiden beschrieben:

  • zwischen Berghofen und Laisa
  • zwischen Hatzfeld und Weifenbach
  • zwischen Wolzhausen-Quotshausen und Wolfgruben-Dautphe-Silberg
  • zwischen Quotshausen und Niedereisenhausen
  • zwischen Niederhörlen-Oberhörlen und Niedereisenhausen-Gönnern
  • zwischen Oberhörlen und Simmersbach
  • zwischen Elmshausen und Damshausen
  • zwischen Weidenhausen-Günterod und Oberweidbach

Innerhalb dieser Hauptlinien existieren kleinere Sprachlandschaften um:

  • Bromskirchen, Dodenau, Battenfeld mit seinen Kirchspielorten, Battenberg mit Holzhausen, sowie
  • Dautphe mit Unterabteilungen in Eifa-Dexbach-Engelbach und Biedenkopf.
  • Das Perfgebiet zeigt eine deutliche Trennung des Breidenbacher Kirchspiels von Eisenhausen-Gönnern-Lixfeld, wobei Simmersbach sich von diesem Gebiet abhebt, jedoch Bottenhorn einbezieht.
  • Das Salzböde-Gebiet ist aufgeteilt zwischen den beiden ehemaligen Kirchspielen Hartenrod und Gladenbach, was auch der Aufteilung in Obergericht und Untergericht des früheren des Amtes Blankenstein entspricht. Diese Grenze gliedert zwei Bezirke mit gleich starkem sprachlichen Selbstbewusstsein voneinander ab. Bottenhorn nimmt hier eine Sonderstellung ein, da sich die dort gesprochen Mundart stark von der in der übrigen Ortschaften des Obergerichtes abhebt.
  • Das obere Aar-Tal gehört zu einem größeren südlichen Gebiet, in das Einflussgebiet der mittleren Lahn (ehem. Grafschaft Solms).
  • Gegen Westen, gegen Nassau und gegen die benachbarte Wittgensteiner Mundart besteht eine feste und deutliche Mundartscheide.

Selbst innerhalb der kleinräumigen Sprachlandschaften gibt es bei der Aussprache einzelner Worte von Ort zu Ort oft deutliche Unterschiede. Das Vielerlei im Wechsel der Vokale, im Gebrauch oder Wegfall der Konsonanten z. B. bei Vor- und Nachsilben machen fast jeden Ort zu einer kleinen Sprachinsel. Trotz dieser sprachlichen Differenzierungen sind die Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Varietäten dennoch größer als die Unterschiede.

Mit Erstaunen stellen Besucher, auch in der in der Vergangenheit, immer wieder fest, dass ihnen auf Fragen anstatt im Dialekt, wie sie erwarten, oft in perfektem Hochdeutsch geantwortet wird und wurde, insbesondere von Männern. Das ist heute selbstverständlich. Der Grund hierfür war, dass eine große Anzahl der männlichen Bewohner ihr Brot außerhalb als Wander- bzw. Saisonarbeiter verdienen mussten. So gingen viele seit etwa Anfang des 19. Jahrhunderts als Wanderhändler mit Strumpf-und Strickwaren über die Wetterau bis nach Worms, Heidelberg und Speyer oder ins „Bergische Land“ bis Jülich. Ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhundert gingen sie als Bauhandwerker (Maurer und Zimmerleute) bevorzugt ins Siegerland oder ins Ruhrgebiet bis zum Zweiten Weltkrieg. Oft kamen sie nur ein- bis zweimal im Monat nach Hause. Nach 1949 fanden die Maurer ihre Arbeit (z. B. mit der Fa. Müller aus Gönnern) im Raum Kaiserslautern und Frankfurt. Dabei waren sie die Woche über auswärts. Den Heimatdialekt mussten sie während dieser Zeit ablegen.

Auch mussten nach 1866 viele junge Hinterländer ihren 3-jährigen Militärdienst in preußischen Kasernen, besonders in Berlin ableisten. Hinzu kam, dass im Gegensatz zu den Volksschulen etwa in Sachsen, Bayern, Pfalz, Württemberg oder Baden, in Preußen, zu dem das Hinterland nach 1866 gehörte (Elementarschulreform 1867), auf eine korrekte hochdeutsche Sprache in den Schulen geachtet wurde. Man lernte Hochdeutsch wie eine Fremdsprache. Manche Eltern, die ihren Kindern etwas vermeintlich Gutes antun wollten, indem sie mit ihnen von klein auf nur Hochdeutsch sprachen, haben ihnen damit einen Bärendienst erwiesen, sie lernten schlechtes Hochdeutsch und beherrschten ihren Heimatdialekt nicht mehr.

Durch die heutigen Mittelpunktschulen gehen die ortsspezifischen Ausprägungen der Dialekte weitgehend verloren. Man spricht dort außerhalb der Schule untereinander eine neue dialektgefärbte „Klein-Regionalsprache.“

Besonderheiten

Ganz deutlich bevorzugt das sprachliche Betonungsmuster den Trochäus, also die Betonung auf der ersten Silbe. Das unverschobene ‚p‘ (statt ‚pf‘ pond = Pfund) verbindet den Dialekt mit dem Norden. Stimmlos ist das ‚s‘; das ‚r‘ wird als Zungen-r gesprochen. Bei der Beugung und der Nennform des Tätigkeitswortes und der Beugung des Eigenschaftswortes fällt das ‚n‘ weg (rufe statt rufen, die alte Leut statt die alten Leute). Dies und die Aussprache des ‚g‘ wie ‚j‘ oder ‚ch‘ (Berg-Berge > Berch- Berje) sind auch in das Hinterländer-Hochdeutsch übernommen worden. Zu den weitern Eigenheiten gehört der Wandel der harten, stimmlosen Laute ‚k‘-‚p‘-‚t‘ zu weichen ‚g‘-‚b‘-‚d‘ (backen > bagge, passen > basse, Tür > Dear), swie das Verschleifen des ‚r‘ zu ‚a‘ vor allem in der Endung (Männer > Menna) und der Wechsel von ‚i‘ zu ‚e‘ (Ihr, wir, Milch zu ea, mea, Melche), vor allem nördlich einer Linie Bottenhorn/Holzhausen, südlich davon wird das ‚r‘ noch ausgesprochen. Konsonanten fallen auch im Wortinneren weg, so z.B. das ‚n‘ vor ‚d‘ (Enn > Ende).

Besonders auffällig sind die s.g. gestürzten Diphthonge: Die mittelhochdeutschen fallenden Zwielaute ie, üe, und uo erscheinen als steigende Zwielaute äi, oi und ou.

Sprachbeispiele: lieb - läib, müde - moid, moi, moire, Bruder - Brourer, Bröurer.

Typisch ist auch, dass man anstatt „zu mir hin“ sagt „baij maich baij“ oder „Komm zu mir“, „Komm baij maich“. „Baij“ bedeutet sowohl „bei“, als auch „zu“, „hin“. Wie im rheinischen Dialekt sagt man auch anstatt „zu“, „werre“ > wider. Beispiel: „Sagte der zu mir...“ heißt „Säd der werre maich...“

Eine weitere Besonderheit ist auch die dreigeschlechtige Verwendung des Zahlwortes „Zwei“. Vielen Zugewanderten blieb und bleibt die Anwendungsregel ein Buch mit 7 Siegeln. Die Regel ist einfach und richtet sich nach dem Geschlecht des Substantivs. Dabei steht „zwie“ für männlich, „zwu“ für weiblich und „zwä“ für sächlich.

Beispiele:

  • Zwie Menner >Männer, zwu Fräe >Frauen, zwä Kenn >Kinder
  • Zwie Korrer >Kater, zwu Katze >Katzen, zwä Kätzercher >Kätzchen
  • Zwie Äbbel >Äpfel, zwu Weschde >Würste, zwä Ajer >Eier
  • Zwie Goil >Pferde, zwu Koih >Kühe, zwä Huinger >Hühner

Ferner besteht die Angewohnheit Zeitworten (Verben) die Vorsilbe „ge-“ voranzustellen. Zum Beispiel heißen die Sätze: „Ich kann nicht laufen.“ dann „Aich kaa nidd geläfe.“ oder „Kannst du nicht schweigen?“ > „Kaasd de nidd geschwaije?“ oder „Kannst Du das mal machen“ > „Kaasd Du doas mol gemache.“ bzw. „Das kann ich Dir aber sagen.“ > „Doas kaa aich D'r owwer gesah.“

Sprachbeispiele

  • Stein - Stoa, Stäi, Stee
  • Garten - Goade, Gode, Geade
  • Leben - Lääewe, Liiewe, Lewe
  • Füße - Fois, Fäis
  • heiß - haaß, hääß
  • Fleisch - Flaasch, Flääsch

Textbeispiel

Aus dem Gansbachtal (Gönnern)

"Wann´s raant, gieh ma heem/ Wann´s nit raant, bleiwe ma häi/ Raants nit un ma hu ke Lost, gie ma aach heem/ Raants, breache ma suwisu nit ze bleiwe/ Gieh ma da heem un wesse nit, woas ma da mache sinn/ Kinte ma jo aach gleisch häibleiwe/ Feräasgesast es raant nit" [1]

Hinterländer Lebensweisheiten

Aus der Umgebung des oberen Salzbödetales.

  • Jeder Mann hodd doas Raichd saijer Frää Werrerwäde ze gäwwe, 's bat em nur naud.
  • Geod gefroisteggt spierschde de ganze Doog, geod geschlocht d's ganze Juhr en geod geheurod d's ganze Läwe.
  • Däij Mensche saij orch verschiede. Der eh esd gern Handkeees, der annere gidd gern en die Kerch.
  • Es girre vo alle Sodde, nur kee däij naud esse en dronge.
  • Bat's naud, da schodd's naud.
  • Wann's all es, häld's off.
  • En Norr maichd hone'd.
  • Wichdich es, woas henne rauskimmd.
  • Henne stäche die Bie.
  • Hinnerher es immer alles ze speed.
  • Med de gruße Honn pisse gieh, owwer 's Bee nidd hugbränge.
  • 'S Maul spezze geld naud, gepeffe wärre miss!
  • Wersch kaa mächd's, wersch nidd kaa schwätzd drewwer.
  • Die meesde Loi schwätze vo dem, woasse nidd hu.
  • Jedes Dongk hodd sain Platz.
  • Die beste Oart aut ze erlediche es, ohzefange.
  • Eh Frää ka en ihrer Schetz mieh aus em Haus traa, waij de Mann met zwä Goilsgespanne erenn brengt.
  • Jedes Debbche find saij Daiggelche.

Quellen

  1. Kurt Werner Sänger, "schwortswaise raabooche", Jonas Verlag, Marburg (ISBN 3-922561-53-5)

Literatur

  • Elsa Blöcher: Das Hinterland, Ein Heimatbuch, Verlag Max Stephani, Biedenkopf 1981
  • Günter Debus: Geschichten aus unserem Dorf, Gönnern/Aachen 1996, ISBN 3-00-001109-9
  • Hans Friebertshäuser: Sprache und Geschichte des norwestlichen Althessen, in: Deutsche Dialektgeographie (DDG), Band 46, hrsg. von B. Martin, Marburg 1961
  • Hans Friebertshäuser: Kleines hessisches Wörterbuch, Verlag C.H.Beck, München 1990, ISBN 3-406-34192-6
  • Hans Friebertshäuser: Das hessische Dialektbuch, Verlag C.H. Beck, München 1987, ISBN 3-406-32317-0
  • Hans Friebertshäuser: Land und Stadt im Wandel - Mundart und bäuerliche Arbeitswelt im Landkreis Marburg Biedenkopf, Marburg 1991, Verlag: Sparkasse Marburg-Biedenkopf.
  • Hans Friebertshäuser: "Mundart und Volksleben im Altkreis Biedenkopf", Entwicklungen im 20. Jahrhundert, Hrsg: Volksbank und Raiffeisenbank Biedenkopf-Gladenbach, Marburg 1998
  • Regina Klein: In der Zwischenzeit, Psychosozialverlag, Gießen 2003, ISBN 3-89806-194-9
  • Bernd Strauch: Dialekt in Mittelhessen. Oberhessisches Taschenwörterbuch. Eigenverlag, Gießen, 2005, ISBN 3-935-58402-4

Webseite des Vereins „Dialekt im Hinterland“