Altägyptische Religion

Staats- und Gesellschaftsreligion im antiken Ägypten
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Die altägyptische Religion, also die Religion des pharaonischen Ägypten, war eine der großen antiken polytheistischen Religionen des Mittelmeerraums. Sie ist belegt von der Frühzeit der Herausbildung des pharaonischen Staates in der letzten Hälfte des 4. Jahrtausends vor Christus bis in die Zeit der römischen Herrschaft, als sie vom Christentum verdrängt und schließlich von den römischen Kaisern verboten wurde.

Gliederung

Die altägyptische Religion hatte eine starke zeitliche, räumliche und soziale Gliederung.

In den mehr als dreieinhalb Jahrtausenden ihrer Existenz hat sich die Religion stark verändert und weiterentwickelt, aber nie einen so starken Bruch erfahren, dass sie ihre Identität verloren hätte. Als einzige Ausnahme könnte die Amarna-Zeit gesehen werden, die aber nur von kurzer Dauer war.

Trotz der starken Zentralisierung des pharaonischen Staates, gab es im ganzen Land regionale und lokale Kulte. In den Provinzstädten waren Stadtgötter dominant, die für die jeweilige Bevölkerung jeweils als „höchster aller Götter“ angesehen wurden und für die regionale Identität der Bevölkerung wichtig waren. Diese Stadtgötter spielten teilweise auf der Ebene des Gesamtreiches nur eine untergeordnete Rolle. Im Zuge einer Verlegung der königlichen Residenz konnte der örtliche Stadtgott der neuen Residenz landesweite Bedeutung erlangen. So verdankt der thebanische Gott Amun seinen Aufstieg zum Reichsgott der Verlegung der Residenz nach Theben. Eine vergleichbare Bedeutung hatte jedoch Ptah, Lokalgott der alten Residenz Memphis, nicht erlangen können (siehe auch: Memphitische Theologie). Einige Ortschaften erreichten wiederum nur durch die landesweite Bedeutung ihres Stadtgottes eine herausragende Stellung, so Heliopolis als Stadt des Re und Abydos als Stadt des Osiris.

Neben den offiziellen Staatskulten, in denen die Elite des Staates kosmisch wirksame Götter (Amun, Re, Osiris, Isis etc.) verehrte, gab es offensichtlich noch eine Religion des einfachen Volkes, in der spezielle, „kleine“ Götter verehrt wurden, die für die Aufrechterhaltung des Alltagslebens und der persönlichen Gesundheit der Menschen und ihrer Familien zuständig waren. Darstellungen dieser Götter sind meist in Form von Kleinplastiken und Amuletten erhalten. (Siehe auch: Taweret, Bes)

Charakterisierung

Siegfried Morenz charakterisierte die altägyptische Religion als

  • gewachsene Religion (im Gegensatz zu einer gestifteten Religion)
  • Kultreligion (im Gegensatz zu einer Buchreligion) und
  • Nationalreligion (im Gegensatz zu einer Weltreligion).

Tatsächlich gibt es kein Stiftungsdatum der altägyptischen Religion, die vermutlich aus verschiedenen afrikanischen Kulten – ähnlich wie der altägyptische Staat – langsam zusammengewachsen ist. Typisch ist auch die ständige Weiterentwicklung. Es gab in dieser Religion keine geoffenbarten kanonischen Texte, die für alle Zeiten festgeschrieben und unveränderlich waren. Religiöse Texte wie Hymnen, Gebete und Jenseitsführer wurden zu allen Zeiten neu verfasst und ständig weiterentwickelt. Diese Texte wurden oftmals bei Kulthandlungen und Ritualen rezitiert. Der altägyptischen Religion konnte man auch nicht „beitreten“ oder sich persönlich zu ihr bekennen, zumindest nicht im Alten und Mittleren Reich. Die Religion wurde vom König und seinen staatlichen Institutionen aufrechterhalten, die Ägypten als den Kosmos betrachteten und das Ausland als (Übergang zum) Chaos, das zur Sicherung des Lebens und der staatlichen Ordnung von Ägypten ferngehalten werden musste. Aus diesem Grund standen die alten Ägypter Ausländern grundsätzlich ablehnend und misstrauisch gegenüber.

Jan Assmann rechnete 1984 mit drei „Dimensionen der Gottesnähe“, mit deren Hilfe er die Eigentümlichkeiten der altägyptischen Religion im kulturellen Vergleich umriss:

Nach Assmann ist für die altägyptische Religion die weitgehende Abwesenheit verschiedener Dimensionen der religiösen Erfahrung typisch. Dazu gehören:

Die geschichtliche oder politische Dimension der Religion, also das Eingreifen eines Gottes in Belange des menschlichen Zusammenlebens (Politik, Rechtsprechung) sowie die „Persönliche Frömmigkeit“, also die selbstständige Hinwendung des menschlichen Individuums zu einem Gott und die persönliche Heilserwartung an einen Gott, waren der altägyptischen Religion zumindest im Alten und Mittleren Reich fremd. Erst im Neuen Reich ab der 18. Dynastie gab es erste Entwicklungen in diese Richtung, die durch die Reformen des Echnaton (Amarna-Zeit) kurzfristig zurückgedrängt wurden. Nach deren Scheitern entwickelte sich das politische Eingreifen religiöser Institutionen und die „Persönliche Frömmigkeit“ zu einem Merkmal der altägyptischen Religion, besonders in der Ramessidenzeit.

Kult

 
Grundriss des großen Tempels des Amun-Re in Karnak

Kult als staatliche Funktion

Durch den Kult gewann der Gott im alten Ägypten eine lokale Dimension. Er wurde fassbar und diesseitig. Dadurch bekam die Religion auch eine politische Bedeutung, denn durch die Ausübung des Kultes legitimierte sich der Köng als Mittler zu den Göttern. Er sorgte dafür, dass die kosmische Ordnung und die irdische Gerechtigkeit (Maat) eingehalten wurden, denn als irdische Verkörperung des auf Erden herrschenden Gottes Horus („Horus der Lebenden“) konnte er mit den Göttern verkehren. Überregional bedeutende Reichsgötter wurden in Reichstempeln (nicht nur in der jeweiligen Residenz) mit dem Zwecke der Erhaltung der kosmischen Ordnung und des staatlichen Gefüges verehrt. Die Existenz von Stadtgöttern beruhte auf der Vorstellung einer territorialen Herrschaft der Götter.

Prinzipiell war der Kult im alten Ägypten kein Handeln der Menschen an den Göttern oder für die Götter, sondern ein Handeln der Götter untereinander. Aus diesem Grund war der König auch als irdische Manifestation des Gottes Horus der einzige Mensch, der den Kult ausüben konnte.

Kultpraxis

In der Praxis ließ sich der König bei den Kulthandlungen von speziellen Beauftragten, den Priestern, vertreten. Kulthandlungen wurden in der Regel delegiert. Dabei war es aber extrem wichtig, dass die Priester für diese Aufgabe die notwendigen kultischen Reinheitsgebote penibel einhielten.

Die meisten Priester, besonders die untergeordneten Dienstgrade, übten ihren Dienst nicht in Vollzeit aus, sondern waren nur einen Teil des Jahres im Tempel tätig. Ganze Mannschaften („Phylen“) wechselten sich dabei ab und gingen die meiste Zeit des Jahres anderen Tätigkeiten nach. Priester zu sein, war im alten Ägypten begehrt, der Status war mit einer guten Entlohnung (in Naturalien) und erheblichen Privilegien verbunden.

 
Grabstatue des Hemiunu, des höchsten Beamten des Königs Cheops

Götterkulte

Die wichtigsten Kulte waren die Götterkulte in den Göttertempeln, die es im ganzen Lande gab und die ausschließlich im Auftrag des Königs gebaut werden konnten. Dies war im alten Ägypten der Versuch, die Götter auf die Erde, also in die menschliche Welt, zu holen, damit sie im Sinne der Menschen beeinflusst und günstig gestimmt werden konnten. Der Tempel war somit eine irdische Wohnung für den Gott. Zentrum eines Tempels war das Gottesbild, das im Allerheiligsten aufgestellt war, einem Schrein, zu dem nur die höchstrangigen Priester Zutritt hatten. Nach ägyptischer Auffassung wohnte der Gott tatsächlich in diesem Gottesbild ein und konnte so in Interaktion mit der Welt der Menschen treten.

Der Kult in einem Göttertempel orientierte sich am Alltagsleben eines Herrschers in seinem Palast und wurde oft rund um die Uhr inklusive Nachtwachen durchgeführt. Das einfache Volk hatte praktisch keinen Zugang zum Tempel und war von diesem Kult im wesentlichen ausgeschlossen. Zentrum war das Götterbild, meist eine aus sehr wertvollen Materialien gefertigte Statue. Sie stand in einem Schrein, der morgens vom zuständigen Priester geöffnet wurde. Danach wurden verschiedene rituelle Handlungen an der Statue vorgenommen, die den morgendlichen Handlungen eines Menschen nachempfunden waren. So hatte der Gott seine eigenen Tagesablauf. Dazu kamen Jahresereignisse, wie bestimmte Feste, bei denen der Gott auch seinen Tempel verlassen und und zum Beispiel Besuche in anderen Tempeln vornehmen konnte (wie beim „Opet-Fest“ in Karnak/Luxor). Dazu wurde der Schrein mit dem Gottesbild von den Priestern wie in einer Sänfte getragen. Längere Wege legte der Gott - wie bei vornehmen Ägyptern üblich - mit dem Schiff zurück. Dafür standen prunkvoll ausgeführte Gottesbarken zur Verfügung. Diese seltenen Gelegenheiten, dem Gotte nahe zu sein, wurden vom Volke, das in Massen an diesen Veranstaltungen teilnahm, begeistert begrüßt. Derartige Feste waren große Ereignisse im religiösen Leben der Ägypter.

Totenkulte

Daneben gab es die Totenkulte für die verstorbenen Könige, aber im Laufe der Geschichte zunehmend aufwändiger auch den Totenkult für die nichtköniglichen Verstorbenen. Auch hier spielte eine Statue des Verstorbenen, der Opfergaben dargebracht wurden, eine wichtige Rolle. Grabanlagen und Totenkulte wurden vom König gewährt, also an seine Beamten verliehen, wobei die Ausstattung nach Leistung und Bedeutung der jeweiligen Person gestaffelt war. Durchgeführt wurden diese privaten Totenkulte durch die Familien der Verstorbenen unter der Leitung des ältesten Sohnes. (Siehe auch: Bestattungsritus (Altägypten))

Kultstätten

 
Luxor-Tempel von der Seite mit Pylon (links)
 
Erster Pylon des Isis-Tempels von Philae

Der klassische Götterkult wurde im alten Ägypten in einem Göttertempel durchgeführt, für dessen Architektur sich im Laufe der Zeit ein Standard entwickelte. Ein altägyptischer Tempel war von vorn nach hinten gestaffelt, wobei die vorderen Architekturelemente hoch, groß und hell waren und die hinteren immer niedriger, enger und dunkler wurden. Auch war der Zugang zu den Höfen und Räumen immer strenger geregelt, je weiter man in den Tempel vordrang. Das Allerheiligste, also der Raum mit dem Schrein der Götterstatue, durfte nur von ganz wenigen Personen betreten werden.

Die Front eines Tempels bildete der so genannte Pylon, ein Architekturelement, das die Funktionen von Turm, Mauer und Tor in sich vereinte. Im Prinzip war ein Pylon eine Frontmauer mit geböschten Seiten. davor standen Flaggenmasten, teilweise Obelisken oder Kolossalstatuen. Pylone bildeten auch die Fronten der nachfolgenden Räume und Höfe, so dass ein großer Tempel durchaus mehrere, nach hinten kleiner werdende Pylone aufwies. Architekturgeschichtlich war es meist so, dass Herrscher Zusatzbauten bei Tempeln vorne ansetzten und dabei größer und höher als die existierenden Tempelteile bauen mussten.

Die wichtigsten und bekanntesten Tempel Ägyptens - teils wegen ihres vergleichsweise guten Erhaltungszustandes - sind der Karnak-Tempel, der Luxor-Tempel sowie die Tempel von Abu Simbel und Dendera.

Bedeutende Verehrungsstätten altägyptischer Könige sind der Totentempel der Königin Hatschepsut von Deir el-Bahari, der Totentempel von Ramses III. in Medinet Habu und das Ramesseum von Ramses II..

Wichtige Kultstätten der Ptolemäer-Zeit aus den letzten Jahrhunderten von Christi Geburt sind die Tempel von Edfu, Kom Ombo und Esna.

Kosmos

Im Gegensatz zum vom Menschen gebauten Tempel galt der Kosmos als die wahre Wohnung der Götter, wobei viele Götter einen speziellen kosmischen Aspekt verkörperten. Wichtigste kosmische Erscheinungen waren dabei die Sonne, der Himmel und die Erde. Während Sonnen- und Erdgötter immer männlich waren, wurde der Himmel ausschließlich von Göttinnen repräsentiert.

Sonnengötter hatten dabei in der Regel die Funktion eines Herrschers auf Erden, Erdgötter galten in der Regel als Totengötter. Himmelsgöttinnen wurden in der Regel als Muttergottheiten angesehen, die die Sonne am Abend verschluckten und am Morgen wieder gebären konnten.

Mythos

(Siehe den Hauptartikel: Ägyptische Mythologie)

Der Mythos ist die sprachliche Dimension der Gottesnähe im alten Ägypten. In zahlreichen religiösen Texten aller Epochen des pharaonischen Ägypten treffen wir auf mythische Motive, durch die auf Erzählungen Bezug genommen wird, die Handlungen der Götter zum Thema haben.

Typischerweise finden wir in den ältesten Texten nur Bruchstücke dieser Erzählungen, geschlossene Geschichten liegen nur aus späteren Zeiten vor.

Mythische Motive dienen auch in der Magie dazu, durch Beschwörung götterweltlicher Ereignisse diesseitige Vorgänge im Sinne der Menschen zu beeinflussen.

Siehe auch

Literatur

  • Dieter Arnold, Die Tempel Ägyptens. Götterwohnungen, Baudenkmäler, Kultstätten, Zürich:Artemis, 1992, ISBN 3-86047-215-1
  • Jan Assmann, Ägypten: Theologie und Frömmigkeit einer frühen Hochkultur, Stuttgart; Berlin; Köln, Mainz: Kohlhammer, 1984, (Urban-Taschenbücher; Bd. 366) ISBN 3-17-008371-6
  • Hans Bonnet: Lexikon der ägyptischen Religionsgeschichte. Nikol, Hamburg 2005, ISBN 3-937872-08-6 (früherer Titel: "Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte")
  • Adolf Erman, Die Religion der Ägypter. Ihr Werden und Vergehen in vier Jahrtausenden. De Gruyter, Berlin 2001, (1. Auflage 1905) ISBN 3-11-017040-X
  • Erik Hornung, Der Eine und die Vielen. Altägyptische Götterwelt, 6. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Darmstadt 2005, ISBN 3-534-14984-X
  • Hermann Kees, Der Götterglaube im alten Ägypten, Berlin (DDR), 1956
  • Hermann Kees, Totenglauben und Jenseitsvorstellungen der alten Ägypter, Berlin (DDR), 1956