
Ursprüngliches Runenalphabet ("futhark") (eu (?) = ei)

angelsächsisches Runenalphabet

Nordisches Runenalphabet

Punktiertes Runenalphabet
Bilder: Meyers Konversationslexikon, 4. Auflage 1888/89
Runen sind die ältesten Schriftzeichen der Germanen.
Ursprung
Die Runen sind keine eigenständige Erfindung der Germanen, sondern gehen auf die große phönizische Familie von Alphabeten zurück, die im Gebiet des Libanon und Syriens entstanden, und zu der alle heutigen europäischen Schriften sowie das Hebräische, Arabische und die indischen Schriften zählen.
Ein wohl auf die Kimbernwanderung zurückzuführender Helm mit einer germanischen Inschrift in einem norditalienischen Alphabet, der so genannte Helm B von Negau, scheint den Ursprung einiger Runenzeichen aus den norditalienischen Varianten der griechischen Schrift zu belegen. Die Deutung der Inschrift bleibt jedoch umstritten.Eine Entwicklung aus der lateinischen Kapitalschrift etwa um die Zeitwende, wie sie früher angenommen wurde, gilt als nicht mehr haltbar.
Runenalphabete
Das älteste Runenalphabet
Das älteste Runenalphabet (nach den ersten sechs Buchstaben futhark genannt) bestand aus 24 Zeichen, die in drei Abschnitte eingeteilt wurden:
- f u th a r k g w : h n i j eu (?) p z (= weich s) s : t b e m l ng o d
Jede Rune hatte einen Namen, der gleichzeitig eine reale Bedeutung besaß, so hieß die Rune für f Fehu, das heißt Vieh. Diese Runennamen findet sich bei allen germanischen Stämmen bzw. Runenalphabeten; Wulfila übertrug sie sogar auf die gotische Schrift, die keine Runenschrift war. Die ältesten Inschriften datieren aus dem 2. Jahrhundert und stammen aus Jütland. Im 6.-8. Jahrhundert wurden die Runen stark verändert, was zur Entstehung zweier neuer Alphabete führte. Runen wurden meist rechtsläufig (von links nach rechts) geschrieben, aber es gab auch Ausnahmen, besonders im nordgermanischen Raum.
Das angelsächsische Runenalphabet
Die Angelsachsen erweiterten das Futhark aufgrund der reichen Entwicklung des Vokalismus im Altenglischen auf 33 Zeichen (von ihnen sind oben nur die wirklich auch verwendeten abgebildet), es war in dieser Form im 10. Jahrhundert fertiggestellt.
Das altnordische Runenalphabet
Auch in Skandinavien waren die Runen Veränderungen unterzogen: sie wurden im 7. Jahrhundert auf 16 Runen (f u th o r k : h n i a s : t b l m R) reduziert. Diesen Verlust an Zeichen glich man im 10. Jahrhundert mit der Einführung von Punktierungen aus, später gab es auch noch andere Systeme, die sogar für Laute wie Q eine Rune einführten. In Skandinavien wurden aufgrund der späten Christianisierung die Runen erst im 19. Jahrhundert völlig durch die lateinische Schrift verdrängt, während dieser Prozess in den anderen germanischen Gebieten schon im 11. Jahrhundert abgeschlossen war.
Verwendungen der Runen
Runen als magische Zeichen
Die Runen wurden beim Losorakel benötigt. Darüber ist uns im 10. Kapitel der Germania des Tacitus ein Zeugnis erhalten. Man streute mit Runen (notis quibusdam) bezeichnete hölzerne Stäbchen auf ein weißes Tuch. Darauf wurden auf gut Glück drei dieser Stäbchen aufgehoben und gedeutet. Dies wurde nacheinander drei mal durchgeführt. Damit könnte die Unterteilung der Runenalphabete in drei Abschnitte zusammenhängen. Höchst wahrscheinlich geschah diese Deutung, bei der die Runennamen wohl entscheidend waren, in metrischer Form (in alliterierendem Spruch).
Die Verwendung der Runen zum Zauber ist besonders im Norden bezeugt. Es gab Zauberrunen für bestimmte Zwecke, so Siegrunen, Bierrunen, Bergerunen (zur Geburtshilfe), Seerunen (zum Schutz der Schiffe), Rederunen (um klug zu sprechen), Löserunen (bei Gefangenschaft), Runen zum Besprechen (Stumpfmachen) der Schwerter und dergleichen.
Ein überliefertes Götterlied der Lieder-Edda erzählt, wie Odin sich selbst geopfert hat und neun Tage in einem Baum hing, bevor er Kenntnis in der Macht der Runen gewinnt und sich befreien kann. Im weiteren Verlauf des Liedes werden weitere magische Kräfte der Runen beschrieben und schließlich 18 Zaubersprüche genannt. Ein weiterer Text der Edda, Skirnirs Fahrt, enthält die stärkste überlieferte Verfluchung. Dazu ritzt Skirnir, Diener des Gottes Freyr, während er den Fluch spricht, eine Rune. Erstaunlicherweise handelt es sich dabei um einen Fluch zum Zwecke sexueller Nötigung: Skirnir droht dem Opfer, falls sie sich nicht mit Freyr einlasse.
Runen als Schrift
Zu zusammenhängender Schrift sind die Runen von den Germanen des Kontinents nur in geringem Umfang, am ehesten noch von den Alemannen gebraucht worden. Die einzigen dort erhaltenen Runendenkmäler sind Schmuckgegenstände, die durch die Runen den Wert von Amuletten erhielten, und Waffen sowie ein einziger Runenstab. Auch in England war die Verwendung von Runen zu diesem Zweck nicht häufig: Das umfangreichste Denkmal, die Inschrift auf dem Kreuz von Ruthwell, stammt bereits aus christlicher Zeit.
Im skandinavischen Norden, wo die lateinische Schrift erst verhältnismäßig spät bekannt wurde, haben die Runen dagegen sehr ausgedehnte Verwendung gefunden, besonders zu Grabinschriften oder zum Andenken an Familienangehörige auf Runensteinen. Aus der Zeit des älteren Futharks hat das Goldhorn von Gallehus große Berühmtheit erlangt.
Die Inschriften im kürzeren Alphabet beginnen etwa um 800, Beispiele dafür sind die Steine von Helnäs und Flemlöse auf Fünen. Ganz sicher datierbar sind jedoch erst die zweifellos jüngeren Iällingesteine aus dem 10. Jahrhundert. Sie sind besonders zahlreich in Schweden und reichen bis in späte Zeit hinab, auf Gotland bis ins 16. Jahrhundert; einige (z. B. der Karlevistein auf Öland und der Rökstein in Ostgotland) enthalten stabreimende Verse. Der Gebrauch der Runen zu literarischen Zwecken, also in Handschriften, ist selten und nur als eine gelehrte Spielerei zu bezeichnen. Das umfangreichste Denkmal war der so genannte Codex runicus mit dem schonischen Recht aus dem 14. Jahrhundert. Besonders lange wurden Runen auf Kalenderstäben gebraucht.
Da Mythen und Sagas mündlich überliefert wurden, wurden Runen zwar kaum zu literarischen Zwecken benutzt, aber nicht nur die große Verbreitung von Inschriften zeigt, dass jedenfalls in der wohlhabenden Oberschicht wahrscheinlich ein recht großer Teil der Menschen lesen und schreiben konnte. Runen dienten oft auch profanen Zwecken. Dazu zählen Besitzmarken, mit denen Handelswaren und anderes Eigentum gekennzeichnet wurden, geschäftliche Mitteilungen, aber auch Gelegenheitsinschriften als kurze private Botschaften, wie zum Beispiel die Aufforderung "kysmik" (küss mich) die im Oslo des 11. Jahrhunderts auf einen Knochen geritzt wurde. In Byzanz hinterließen mehrere nordische Reisende, möglicherweise Krieger der kaiserlichen Warägergarde, Runengraffitos auf Galerien der Hagia Sophia.
Literatur
- Düwel, Klaus. Runenkunde. 3. vollst. erw. u. neu bearb. Aufl. Stuttgart: Metzler, 2001. ISBN 347613072X
- Klingenberg, Heinz. Runenschrift - Schriftdenken - Runeninschriften. [Mit 78 Textfiguren und 63 Abbildungen auf 32 Kunstdrucktafeln.] Heidelberg: Carl Winter, 1973. ISBN 3533021815