Storytelling (Methode)
Storytelling (zu deutsch etwa "Geschichten-Erzählen") ist eine Erzählmethode, mit der Wissen versteckt manchmal auch explizit weitergegeben wird. Die Zuhörer werden in die erzählte Geschichte eingebunden, damit sie den Gehalt der Geschichte leichter verstehen. Anders als bei der puren Kunst zu fabulieren, ist das Storytelling an den Zweck gebunden, die Zuhörenden zu einer erwünschten Schlussfolgerung oder (Kauf-)Handlung zu führen.
Grundlegendes über die Methode des Storytellings
Ein freier mündlicher Vortrag einer Geschichte gewinnt die Aufmerksamkeit und Konzentration anderer Menschen leichter als eine nüchterne Ansprache. Die ZuhörerInnen versuchen, den Handlungsablauf, die Pointe, die Lösung des Konflikts zu verfolgen und zu verstehen. Dieses Mittel lässt sich im Fremdsprachen-Unterricht einsetzen, aber auch in Verkaufs- oder Personalgesprächen in Unternehmen. Auch wenn die ZuhörerInnen nicht jede Einzelheit konkret verstehen, werden sie dennoch den Kern der Geschichte begreifen. Zum erzählen gehören neben der Sprache auch andere persönliche Ausdrucksmittel: Gestik, Mimik, Stimme, Das Grundmuster der Geschichte - die Fabel - muss aus der Lebenswelt der ZuhörerInnen stammen, also der Welt der SchülerInnen, der Kundschaft oder des Betriebs. Aus dem Alltag ist insbesondere die Vermittlung religiöser Inhalte bekannt (Morgenandacht christlicher Prediger, die vermeintlich erlebte Geschichten berichten) Es gibt folgende Funktionen von Geschichten: Vermittlung von Sachinformationen, Problembewältigung, Anregung von Denkprozessen, Rollenerwartungen definieren, Verhaltenssänderung, Repertoire an Verhaltensweisen erweitern, Unterhaltung, Vermittlung von Normen und Werten, Aktivierung des Anschauungsvermögens, Motivation zum Handeln, Hoffnung stiften/Sinn geben.
Storytelling in der Psychotherapie
Storytelling ist eine alte Technik in der östlichen Philosophie und Lebensschule. Heute wird sie als "Narrative Therapie" auch im Westen wieder entdeckt. Der therapeutische Dialog zwischen Therapeut und Klient wird dabei als gemeinsamer Erzählvorgang betrachtet. Geschichten sind Basiserfahrungen. Geschichten bestimmen, wie sich Menschen verhalten, wie sie fühlen und wie sie Sinn aus neuen Erfahrungen konstruieren. Geschichten organisieren die Informationen über das Leben einer Person. Geschichten formen die Perspektiven, die Menschen über ihr Leben, ihre Vergangenheit und Zukunft haben. Siehe auch Erzähltheorie.
"Erzählen" geschieht dabei auf drei Ebenen:
- Der Klient erzählt seine Geschichte und wie er seine Lebensaufgaben löst.
- Der Therapeut erzählt "Geschichten", die Lösungsideen beinhalten.
- Die Therapie selbst, die Beziehung zwischen Therapeut und Klient, gestaltet ihre eigene Geschichte.
Gemeinsam entwickeln und schaffen sie in diesem Dialog neue, alternative Erzählungen, die den Handlungsspielraum des Klienten erweitern und ihm somit helfen können, seine Probleme zu lösen.
Auch im NLP wird die Methode des "Geschichten-Erzählens" erfolgreich genutzt. Dabei haben die Geschichten immer mehrere Sinn-Ebenen, die jede für sich eine eigene Wirkung entfalten. Ähnlich wie beim Märchen versteht das Unbewusste den Sinn auf einer verschlüsselten hintergründlichen Ebene.
Storytelling in der Schule
In deutschen Schulen wird die Methode des Storytellings meist nur im Fremdsprachenunterricht genutzt. Der Trend geht dahin, Storytelling auch in anderen Fächern und fächerübergreifend einzusetzen. Gründe, warum Storytelling im (Fremdsprachen-) Unterricht sinnvoll ist, sind folgende:
- Kinder lieben Geschichten und haben Spaß beim Zuhören. Das schafft optimale Voraussetzungen, um Lerninhalte zu vermitteln und die Kinder zu motivieren.
- Geschichten fördern die Kreativität und Vorstellungskraft der Kinder. Sie lernen, sich zu konzentrieren, aufmerksam zu sein. Zudem wird ihr Hörverstehen geschult, da sie erfahren, dass sie durch genaues zuhören sowie Mit-, Vorausdenken und Vermuten den Geschichten folgen können. Im Gegensatz zu anderen Unterrichtsmethoden wird auch die emotionale Intelligenz angesprochen: Geschichten lösen Emotionen und Gefühle aus, die dazu führen, dass Fakten leichter behalten werden.
- Aussprache, Sprachrhythmus und Intonation werden durch das Vorlesen vermittelt. Die Schüler erleben das „Gefühl“ der (fremden) Sprache.
- Selbst wenn nicht alle Vokabeln bekannt sind, kann durch Mit- und Vorausdenken die Geschichte verstanden werden. Durch ein solches Erfolgserlebnis werden Schüler /-Innen motiviert auch in Zukunft weiter an der Verbesserung ihrer Sprachkenntnisse zu arbeiten. Bilder oder die eingesetzte Mimik und Gestik der Lehrperson erleichtern zusätzlich das Verständnis.
- Geschichten bieten die Möglichkeit, in realen Situationen neuen Wortschatz oder Satzstrukturen einzuführen, da sie in einem einprägsamen und familiären Kontext wiedergegeben werden. Das eher unbeliebte Auswendiglernen kann so vermieden werden. Insbesondere durch die Verwendung von Wiederholungen in den Geschichten fällt es Kindern leichter, Schlüsselvokabeln und Satzstrukturen zu lernen.
- Kinder lernen auf kindgerechte Art Problemlösestrategien für ihren Alltag. Indem sie sich mit Personen identifizieren und in die Handlung hineinversetzen, entsteht eine Verbindung von Fiktion/ Vorstellung und kindlicher Lebensumwelt.
- Geschichten spiegeln fremde Kulturen wider. So können Kinder Informationen und Anschauungen über andere Länder sammeln und verschiedene Kulturen miteinander vergleichen. Durch dieses sprachliche und emotionale Eintauchen in die Erlebniswelt der Geschichte wird ein Beitrag zur Weltoffenheit der Kinder geleistet.
- Beim Storytelling herrscht meist eine besondere und entspannte Unterrichtsatmosphäre: Das Erzählen von Geschichten ist ein soziales Erlebnis, das oft mit körperlicher Nähe (Stuhlkreis, Leseecke) und mit Anlässen zu gemeinsamen Reaktionen wie Lachen, Betroffenheit, Begeisterung und Erwartungen einhergeht. Der Zusammenhalt in der Klasse wird gestärkt und erleichtert den Unterricht.
- Die Kinder fühlen sich in der Vorlese-Atmosphäre sicher und haben die Möglichkeit, sich nach individuellem Vermögen in die Geschichte einzubringen. Da kein Zwang besteht Sprache sofort zu reproduzieren, wird der individuellen „silent period“ in angemessener Form Rechnung getragen. Trotzdem wird ein rezeptiver Wortschatz aufgebaut, der später leicht in aktiven Wortschatz umgewandelt werden kann.
- Storytelling in der Schule kann die Kinder dazu motivieren, auch in ihrer Freizeit zu lesen. Sie erkennen, dass Lesen kein Zwang ist, sondern Freude bereiten kann und Bücher eine Alternative zu elektronischen Medien sind.
Storytelling in Unternehmen
In Unternehmen werden strategische Geschichten dazu eingesetzt, um das Verhalten von Mitarbeitern zu steuern, oder den Kunden neue Produkte zu verkaufen. Mitarbeiterzählungen werden genutzt, um Auskunft über die Unternehmenskultur zu erhalten und um kostspielige Prozessschwächen aufzudecken.
Eine der bekanntesten Storytelling-Methoden in diesem Zusammenhang ist der Mitte der 90er Jahre am MIT, USA entwickelte „Learning-Histories-Ansatz“. Mit dieser Methode wird (Erfahrungs-)Wissen von Mitarbeitern über bestimmte Ereignisse im Unternehmen (wie z. B. eine Reorganisation, eine Fusion, ein Pilotprojekt) aus unterschiedlichsten Perspektiven der Beteiligten mittels Interviews erfasst, ausgewertet und in Form einer gemeinsamen Erfahrungsgeschichte aufbereitet. Ziel ist, die gemachten Erfahrungen, Tipps und Tricks zu dokumentieren und damit für das gesamte Unternehmen übertragbar und nutzbar zu machen (Thier, 2005, Erlach & Thier, 2004, Kleiner & Roth, 1998).
Siehe auch
Literatur (alphabetisch)
- ADAM, G.: Erzählen. In: Adam, Gottfried; Lachmann, Rainer (Hg.), Methodisches Kompendium für den Religionsunterricht, 4. Auflage. Göttingen 2002. S. 137-16.
- BALDERMANN, I.: Erzählen als Unterrichtsform. In: ders., Einführung in die bibliche Didaktik, Darmstadt 1996, S. 91-117
- BLEYHL, PROF. DR. W.: Fremdsprachen in der Grundschule- Grundlagen und Praxisbeispiele Schroedel Verlag, 2000
- DENNING, S.: The Leader's Guide to Storytelling. Jossey-Bass, San Francisco 2005
- EGAN, K.: Teaching as storytelling - An alternative approach to teaching and the curriculum. Cornwall, 1988
- ELLIS, G. /BREWSTER, J.:Tell it again! – The new storytelling handbook for primary teachers Penguin English, London 2002
- ERLACH, C / THIER, K. . Mit Geschichten implizites Wissen in Organisationen heben. In: Wyssusek, B. (Hrsg.), Wissensmanagement komplex: Perspektiven und soziale Praxis. Berlin: Schmidt. S. 207 – 226, 2004
- FAUST, T.: Storytelling - Mit Geschichten Abstraktes zum Leben erwecken. In: Bentele, Piwinger, Schönborn (Hrsg.), Handbuch Kommunikationsmanagement. Köln, 2006
- FRENZEL, K./Müller, Michael, sottong, Hermann: Storytelling. Das Harun-al-Raschid-Prinzip. München, Wien 2004.
- GARDNER, P. / GRUEGEON, E.: The Art of Storytelling for teachers and pupils- Using stories to develop literacy in primary classrooms. Penguin English, London, 2000
- Konrad Peter Grossmann: Der Fluss des Erzählens. Narrative Formen der Therapie, 2003, ISBN 9783896701398
- KLEINER, A. & ROTH, G. Wie sich Erfahrungen in der Firma besser nutzen lassen. Harvard Business Manager, 5: 9-15, 1998
- KLIPPEL, F.: Englisch in der Grundschule. Cornelsen Scriptor, 2000
- NEIDHART, W.: Vom Erzählen biblischer Geschichten. In : Neidhart, Walter; Eggenberger, Hans (Hg.), Erzählbuch zur Bibel, 6. Auflage, Zürich 1990, S. 13-112.
- NIEMANN, H.: Mit Bilderbüchern Englisch lernen, Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung GmbH, 2002
- SCHMID-SCHÖNBEIN, G.: Anglistik Amerikanistik studium kompakt - Didaktik: Grundschulenglisch. Cornelsen Verlag, Berlin 2001
- THIER, K.: Storytelling. Eine narrative Managementmenthode. Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2006
- WRIGHT, A.:Storytelling with children. Oxford University Press, Oxford 1995