Reineke Fuchs

fiktive Figur
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Reineke Fuchs ist die Hauptfigur eines gleichnamigen Tierepos in Versen, dessen europäische Tradition bis ins Mittelalter zurückreicht. Eine 1498 in Lübeck gedruckte niederdeutsche Fassung wurde seit dem 16. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum zum Bestseller; die seit dem 18. Jahrhundert erfolgten neuhochdeutschen Prosafassungen erhielten die Geschichte nahezu unverändert bis auf den heutigen Tag; das Werk und sein Titelheld inspirierten Schriftsteller und Illustratoren. Erzählt wird, wie sich der Übeltäter Reineke, der Fuchs, durch geniale Lügengeschichten und ausgesuchte Bosheiten aus allen prekären Lagen rettet und sich am Ende gegen seine Widersacher als Sieger durchsetzt.

Wilhelm von Kaulbach: Reineke Fuchs als Sieger. Illustration, erschienen 1846

Reinekes Historie: Inhalt und Aufbau

Der Löwe Nobel, König der Tiere, hat zu Pfingsten zum Hoftag geladen. Die Anwesenden, groß und klein, allen voran jedoch Isegrimm, der Wolf, beschweren sich über die Untaten des nicht anwesenden Fuchses Reineke und fordern seine Bestrafung. Braun, der Bär, und Hintz, der Kater, werden nacheinander losgeschickt, Reineke aus seiner Burg an den Hof zu holen; nacheinander scheitern beide, durch Reineke jeweils gezielt in Lebensgefahr gebracht und, schwer malträtiert, kaum dem Tode entronnen. Der König setzt nimmt die Schmach persönlich und setzt Reinekes Erscheinen vor Gericht durch. Das Urteil lautet auf Tod. Unter dem Galgen, den Kopf bereits in der Schlinge, gelingt Reineke die Erfindung einer Historie von Macht und Gold, die den König neugierig und gierig macht. (Fortsetzung folgt)

Der innere Aufbau der Erzählung besteht in einer Steigerung der jeweiligen prekären Lagen des Fuchses und seiner Widersacher, dem ein äußerer Aufbau in der Zusammenfassung einzelner Episoden (Kapitel) in Büchern Rechnung trägt. Das sich türmende Lügengebäude des Fuchses hat eine Verdichtung seiner Heucheleien, Bosheiten und Gewaltaten zur Folge, woraus der Zweikampf am Ende, ähnlich wie der sogenannte Showdown klassischer Filmgenres, konsequent entwickelt ist.

 
Aus dem Roman de Renart. Handschrift des 14. Jahrhunderts. BNF Ms fr.12584f. 18v, 19r

Stoffgeschichte

Der schlaue Fuchs hat seine Entsprechungen in den Sagen Asiens, Russlands und Altamerikas; die Ursprünge Reinekes vermutet man indes in den Tiermythen des Vorderen Orients; die antiken Fabeln von Äsop behandeln das Verhältnis von schlauem Fuchs und dem dummem, gefräßigen Wolf. Im europäischen Mittelalter sind Tiererzählungen durchgehend nachzuweisen; seit dem 12. Jahrhundert bildete sich auch das Tierepos heraus. Als erste literarische Fassung in epischer Länge gilt die Ecbasis captivi, eine um 1040 entstandene Satire in lateinischer Sprache aus St. Evre bei Toul, in der von einem Gerichtstag des Löwen mit Klagen gegen den Fuchs erzählt wird.[1]

Der europäische Reinardus des Mittelalters

Von Nivardus aus Gent stammt ein 1148 vollendetes Tierepos in lateinischer Sprache überliefert, in dem der Wolf Ysengrimus (mlat.: Eisenhelm) die Hauptrolle spielt und sich stetig mit seinem Gegner Reinardus, dem Fuchs auseinandersetzen muss. Das Epos ist eine Satire auf den Mönchsstand; Ysengrimus ist darin der Mönch, sein Widersacher Reinardus der Laie. Das Epos, von dem auch eine gekürzte Fassung aus dem 14. Jahrhundert, der Ysengrimus abbreviatus, überliefert ist, wurde im 15. Jahrhundert vergessen; seine Anspielung und Polemik wurde nicht mehr verstanden.

Zwischen 1175 und 1250 entstand im nördlichen Frankreich durch Aneinanderreihung verschiedener Tiererzählungen der in der Volksprache verfasste Roman de Renart von Pierre de Saint-Cloud über einen schlauen Fuchs, der über einen starken Löwen triumphiert.[2] Der Name Renart wurde durch diesen roman so bekannt, dass statt der altfranzösischen Bezeichnung für Fuchs, "Goupil", heute im Französischen der Fuchs "Renard" heißt und die alte Bezeichnung in Vergessenheit geraten ist.

Heinrich der Glîchezære (der Gleißner) aus dem Elsaß dichtete Ende des 12. Jahrhunderts den Reinhart Fuchs, eine Satire auf die Staufer; er baute dabei auf der altfranzösischen Vorlage auf, wandelte ihren zyklisch-episodischen Charakter jedoch zu einer linearen, sich steigernden Handlung um. Im 13. Jahrhundert verfasste ein Flame namens Willem eine mittelniederländische Version des Epos, Van den vos Reynaerde, die um 1370 eine Bearbeitung erfuhr und der die ersten Prosaumarbeitungen in niederländischer Sprache folgten. Die beiden Versdichtungen werden als Reynaerd I und Reynaerd II bezeichnet.[3] Von den Niederlanden aus hielt Reynaerd auch als Raynard Einzug in England; 1481 wurde die Historye of reynart the foxe von William Caxton in einer englischen Fassung gedruckt.

 
Illustration aus der von Hans van Ghetelen 1498 gedruckten Ausgabe des Reynke de Vos

Der Lübecker Druck von 1498

1487 hatte ein Hinrek von Alkmar eine niederdeutsche Verserzählung, basierend auf dem niederländischen Reynaerde, von Reinharts Historie verfasst, die als Vorlage angesehen wird für Reynke de vos, gedruckt in mittelniederdeutscher Sprache bei Hans van Ghetelen in Lübeck im Jahre 1498. Dieser Druck ist nur in einer einzigen Inkunabel vollständig erhalten, die sich in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel befindet.

 
Reyneke Vosz. Titel der Ausgabe von 1592

Von der Inkunabel zum Volksbuch

Die Auflagen des 16. und 17. Jahrhunderts

Die Fassung der in Wolfenbüttel erhaltenen Inkunabel vom Reynke de vos wurde im 16. Jahrhundert in mehreren Auflagen ununterbrochen nachgedruckt, so dass sich ihr Inhalt unverändert bis ins 18. Jahrhundert als Volksbuch tradierte.

Die Kommentare

Seit 1498 waren der Historie vom Fuchs Reineke Kommentare beigefügt. Während die Verserzählung bis auf wenige sprachliche Angleichungen unverändert nachgedruckt wurde, erfuhren die Kommentare Variationen, die dem jeweiligen geistigen und gesellschaftlichen Geist Rechnung trugen.

Die Illustrationen

Die Inkunabel von 1498 enthielt bereits zahlreiche Holzschnitte. Für die Nachdrucke wurde eine neue Serie entworfen, die in allen Auflagen des 16. Jahrhunderts erschienen. Die kleinformatigen Ausgaben des 17. Jahrhunderts erhielten Stiche, die auch von verschiedenen Verlegern übernommen wurden.

Rezeption

Gottsched und Goethe

 
Johann Christoph Gottsched um 1750
 
J. Chr. Gottsched: Reineke der Fuchs, Prosafassung 1752. Titelblatt
 
Johann Wolfgang von Goethe:Reineke Fuchs. Einband der Cotta'schen Ausgabe von 1846

Johann Wolfgang von Goethe verwendete die 1752 von Gottsched herausgegebene gleichnamige Prosafassung für seine Fabel vom Reineke Fuchs. Gottsched hatte seiner Ausgabe nicht nur die völlig neuen Kommentare eines Professor Baumann angefügt, sondern auch die alte niederdeutsche Versdichtung. Wahrscheinlich konnte sich Goethe auch auf die Historie van reynaert de vos (Delft 1485, Nachauflage 1783) stützen.

Der Reineke-Zyklus Wilhelm von Kaulbachs

Wilhelm von Kaulbach und später A. Paul Weber illustrierten die Ausgabe des Reineke Fuchs von Johann Wolfgang von Goethe (1846 erschienen) umfangreich.

Editionen

1834 veröffentlichte Jacob Grimm, der sich zu dieser Zeit mit dem mittelalterlichen Tierepos auseinandersetzte, eine Edition von "Reinhart Fuchs" zusammen mit anderen mittelhochdeutschen Tierfabeln.

Adaptionen

1872 adaptierte der luxemburgische Autor Michel Rodange die Fabel in Goethes Version als Renert oder de Fuuss am Frack an a Maansgréiss. Er übertrug sie auf die aktuellen Verhältnisse in seinem Land und benutzte dabei regionale Dialekte.

Forschung

Die neuere Forschung konnte nachweisen, dass die Geschichte der Handschriften seit dem Auftritt des Reinardus, die zu einer der erfolgreichsten Editionsgeschichten in der Literatur führte, keine lineare ist, sondern eine der gegenseitigen Inspiration.

Ausgaben (u.a.)

  • De Warheyt my gantz fremde ys/ De Truwe gar seltzen/ dat ys gewiß. Reynke Vosz de olde/ nyge gedrücket / mit sidlikem vorstande vnd schonen figuren/ erlüchtet vñ vorbetert. Jn der lauelyken Stadt Rozstock/ by Ludowich Dyetz gedrucket. 1539
  • Reineke Fuchs: das niederdeutsche Epos "Reynke de vos" von 1498. Übertragung und Nachwort von Karl Langosch. Stuttgart: Reclam, 1967, Nachdruck 1994 ISBN 3-15-008768-6
  • Von Reinicken Fuchs. Heidelberg, 1981. Faksimile der Ausgabe Frankfurt 1544 (mit einer Einführung von Hubertus Menke)

Literatur (u.a.)

  • Helmut de Boor/Richard Newald: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hamburg, 1953. Zweiter Band, S. 398 - 400.
  • Amand Berteloot / Loek Geeraedts (Hrsg.): Reynke de Vos - Lübeck 1498. Zur Geschichte und Rezeption eines deutsch-niederländischen Bestsellers. Münster: Lit 1998 (Niederlande-Studien, Kleinere Schriften 5) ISBN 3-8258-3891-9
  • Hubertus Menke / Ulrich Weber (Hrsg.): Die unheilige Weltbibel: der Lübecker Reynke de Vos (1498 - 1998). Ausstellung der Abteilung für Niederdeutsche Sprache und Literatur der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel in Zusammenarbeit mit der Bibliothek der Hansestadt Lübeck und der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Kiel: Abt. für Niederdt. Sprache und Literatur der Christian-Albrechts-Universität 1998
Commons: Reineke Fuchs – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Ecbasis cuiusdam captivi per tropologiam. Die Flucht eines Gefangenen (Tropologisch). Text und Übersetzung. Mit Einleitung und Erläuterungen herausgegeben von Winfried Trillitzsch, historisch erklärt von Siegfried Hoyer. Leipzig 1964. Eine Kurzinformation über das Werk steht hier; der Text ist online als Ausgabe der Bibliotheca Augustiana verfügbar.
  2. Eine Einführung (Audioversion, frz.) in das Werk und Scans einiger Seiten des Manuskripts der Bibliothèque National de France (BNF), Paris, lassen sich hier abrufen unter dem Link roman de renart. Eine Transkription findet sich hier.
  3. Transkriptionen der Texte finden sich hier (Reynaerd I) und hier (Reynaerd II