Die Germanische Religion ist von der germanischen Mythologie zu unterscheiden. Während die Mythologie einen intellektuellen Überbau darstellt, geht es bei Germanischen Religion um den Volksglauben und die Praxis im Volke. Hierbei sind auch schamanistische Elemente zu finden, die in die Nordische Mythologie Eingang gefunden haben, wie auch sonst die Mythologie sich vieler Elemente des Volksglaubens bedient hat.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Informationen zu diesem Thema sehr lückenhaft sind, so dass eine große Versuchung besteht, eine lokal überlieferte Tradition über das gesamte Gebiet der Germanen zu verallgemeinern. Für eine solche Annahme muss es schon mehrere unabhängige Überlieferungen geben. Die andere Gefahr besteht darin, die Bewohner des germanischen Gebietes als eine in religiösen Ansichten homogene Gesellschaft zu betrachten. Wie aus dem klassischen Griechenland bekannt, gibt es zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften Menschen, die sehr stark das Übernatürliche in ihren Lebensvollzug einbeziehen, und andere, die von all dem nichts halten, und dazwischen allerlei Mischformen, die zwar den Volksglauben ablehnen, gleichwohl aber “sicherheitshalber” Amulette unter der Türschwelle vergraben und selbstverständlich aus Gründen der gesellschaftlichen Reputation und des Gruppenzwangs an den Kultfesten teilnehmen. Hier werden diejenigen Vorstellungen behandelt, die die an das Übernatürliche Glaubenden in ihrem Leben beachteten.
Geister
Der Glaube an das, was heute unter dem Begriff “Geister” zusammengefasst wird, war weit verbreitet. So war man überzeugt, dass es Mare gab, die ihre Gestalt verändern konnten. Viele Sagen beruhen auf einer Ähnlichkeit zwischen dem Mahr mit einem annähernd menschlichen Körper und den Menschen. In den alten norrønen Texten wird eine Person, die in übernatürlicher Weise in anderer Gestalt umgeht, als “hamleypa” bezeichnet. Ein prägnantes Beispiel wird von Odin berichtet:
„Óðinn skipti hömum; lá þá búkrinn sem sofinn eða dauðr, en hann var þá fugl eða dýr, fiskr eða ormr, ok fór á einni svipstund á fjarlæg lönd, at sínum erendum eða annarra manna.“
„Wollte Odin seine Gestalt wechseln, dann lag sein Körper wie schlafend oder tot da, er selbst aber war ein Vogel oder ein wildes Tier, ein Fisch oder eine Schlange. Er konnte in einem Augenblick in ferne Länder fahren in seinen oder in anderer Angelegenheiten.“
Die Person ließ ihren “hugr” in einen anderen Körper fahren. Der Begriff “hugr” ist umfassender als der christliche Seelenbegriff. Er umfasst alles, was nicht Körper ist, die Gedanken, die Wünsche, den Geist, die Erinnerung.[1] Die menschlichen psychischen Funktioenen werden als Einheit betrachtet. “Hamr”, der erste Wortbestandteil des Wortes hamhleypa, ist die zufällig gewählte Gestalt, in der der “hugr” eingeht. Der Mahr ist ein Unterfall des “hamhleypa”. Ein anderer Fall ist der Werwolf, ein Mensch, der sich von Zeit zu Zeit in einen Wolf verwandelt. So wird Kveld–Ulfr geschildert:
„En dag hvern, er at kveldi leið, þá gerðist hann styggr, svá at fáir menn máttu orðum við hann koma. Var hann kveldsvæfr. Þat var mál manna, at hann væri mjök hamrammr. Hann var kallaðr Kveld-Úlfr.“
„Aber jedesmal, wenn es zum Abend ging, wurde er so unwirsch, dass nur wenige Leute mit ihm ins Gespäch kommen konnten. Beim Dunkelwerden pflegte er schläfrig zu werden. Man erzählte sich, dass er des Nachts häufig in verwandelter Gestalt umging. Die Leute nannten ihn Kveld-Ulf, das heißt Abendwolf.“
Magie
Quellen
Bestimmte Praktiken der Bevölkerung lassen sich aus frühen Gesetzen herleiten, wo sie im einzelnen auf geführt und mit Strafe bedroht werden. Auch findet man Hinweise in frühen Predigten und regionalen Synodenbeschlüssen oder Missionarsviten. Die sehr reichhaltigen Quellen Skandinaviens werden nur sporadisch berücksichtigt, weil sie ihren Platz im Artikel Nordgermanische Religion haben.
Praktiken
Man glaubte, dass bestimmten Personen die Gabe der Wahrsagerei gegeben sei. So heißt es im langobardischen Recht:
„84. I. Si quis timoris dei immemor ad ariolûs aut ad ariolas pro aruspiciis aut qualibuscumque responsis ab ipsis accipiendis ambolauerit, conponat in sagro palatio medietatem pretii sui, sicut adpretiatus fuerit, tamquam si eum aliquis occisissit, et insuper agat penitentiam secundum canonum instituta. Simili modo et qui ad arbore, quam rustici sanctiuum uocant, atque ad fontanas adorauerit, aut sagrilegium[2] uel incantationis fecerit, similiter mediaetatem pretii gui conponat in sagro palatio.“
„Wer Gottesfurcht vergisst und zu Wahrsagern oder Wahrsagerinnen läuft, um sich Vorhersagen oder sonstige Auskünfte zu holen, der zahlt sein halbes Wergeld so, wie er bewertet wird, wenn er erschlagen worden wäre, an den Heiligen Palast. Überdies muss er nach nach dem kanonischen Recht Buße tun. Desgleichen, wer zu einem Baume, den die Bauern als Heiltum bezeichnen, oder zu Quellen betet, sich mit Loszauber oder Zaubersprüchen abgibt, der soll gleichfalls sein halbes Wergeld an den Heiligen Palast entrichten.“
Hier werden auch weitere magische Praktiken erwähnt.
Kultfeste
In Friedenszeiten fand das religiöse Leben seinen Ausdruck in diversen Kultfesten. Der Charakter und die Ausprägung dieser Kultfeste wurde von der Art und Größe der politischen Gemeinschaft bestimmt. Zu dieser Zeit bedeutete politische Gemeinschaft zugleich religiöser Bezirk es gab keine Trennung zwischen Politik und Religion.
Neben den Hauptfesten, existierten noch Landes-/Bundesfeste und zahlreiche häusliche Feste und Kultriten, die nur im Kreise der Sippen abgehalten wurden. Hauptfeste feierten alle Sippen aus den Gleichen Anlass. Landes- und Bundesfeste feierten nur vereinzelte Sippen zusammen. Häusliche Feste und Kultriten fanden nur bei einzelnen Sippen und aus verschiedenen Anlässen statt.
Die Hauptfeste, fanden im Spätherbst bzw. zu Wintersbeginn, zur Mittwinterszeit, also Mitte Januar, im Spätfrühling und zum Beginn der Sommerzeit statt. Hinzu kam noch das Mittsommerfest. Dies Waren Jahreskreisfeste und man opferte für guten Wachstum, eine gute Ernte und Frieden; gelegentlich auch für den Sieg. Geopfert wurden Opfertiere, vornehmlich das Pferd. Anschließend fand ein gemeinsames Kultmahl statt. Die beinhaltete auch das Leeren des sog. „Minnebechers“. In diesem war ein Rauschtrank (meistens Met). Diese Becher waren entweder den Göttern oder Verstorbenen mit heiligen Formeln geweiht. Das Blut der Opfertiere wurde in einem Opferkessel aufgefangen und auf dem Altar und der Kultgemeinde versprengt. Aus Kirchlichen Schriften geht hervor, dass es auch an Tanz und Gesang bei solchen Opferfesten nicht fehlte.
Nur bei den sog. Landes- und Bundesfesten fanden Menschenopfer statt. Aus den verschiedensten Quellen geht hervor, dass nur Sklaven oder Gefangene geopfert wurden. Einzige Ausnahme: wenn ein Stammes bzw. Sippenmitglied wegen einer Untat „unheilig“ gesprochen wurde, also der Sippe verstoßen und rechtlos wurde.
Durch die häusliche Feste und Kultriten wurde beispielsweise die Geburt eines Kindes, dessen Namensgebung und Aufnahme in die Sippe gefeiert. Für diese oder ähnliche Zwecke wurden kleine „Opferhäuser“ gebaut. Die Göttin Nerthus fand in vielen Sippen große Verehrung. Sie galt allgemein als eine Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin. Es gab einen alljährlicher Umzug ihr zu ehren. Dabei fuhr sie auf einem von Kühen gezognen Wagen und verdeckt mit einem Tuch einher. Nach diesem Umzug fand eine Rituelle Waschung der Göttin an einem See statt, bei der die Teilnehmer der Kulthandlung ebenfalls untergetaucht wurden.
Rechtswesen
Das germanische Rechtswesen beruht ursprünglich auf religiöser Grundlage. Es existierten sog. Thinge, Gerichtsversammlungen. Diese wurden an sog. Thingstätten stets bei Tag (daher der Name Tagung) abgehalten. Die Thinge waren geheiligte Orte. Somit wollte sich der göttlichen Hilfe bei der Rechtsprechung gewiss sein.
Auf einem „heiligen Altarring“ wurden unter Anrufung der Götter die Rechtseide abgehalten. Die Anrufung der Götter schien den Germanen wichtig, denn somit ließ sich Eidbruch und Rechtsverletzung verhindern.
Eine Art sakrales Strafrecht gab es nicht. Auch der Meineid war straflos. Denn man ging davon aus, dass die beim Eid angerufenen Götter den Täter selbst strafen würden.
Sicher ist aber, dass der Ankläger auf einen Rechtsbrecher den Zorn der Götter herab rief. Doch war dies lediglich eine Art der Verfluchung, deren ethnische Wichtigkeit man nicht unterschätzen darf.
Vor einem Krieg, oder einer kriegerischen Handlung wurden dort den Göttern Gelübde für den Sieg dargebracht, und nach der Schlacht die Kriegsgefangenen als Votivopfer aufgehängt. Die Siegesfeiern waren mit Ehrungen für den Anführer und Totenfeiern für die Gefallenen verbunden.
Fußnoten
Literatur
- Snorri Sturluson: Heimskringla. In: Snorris Königsbuch Bd. 1–3. Übs. von Felix Nidner. Köln/Düsseldorf 1965.
- Franz Beyerle: Die Gesetze der Langobarden. Weimar 1947.