Priester
Das deutsche Wort Priester stammt von gr. "presbyteros" - Gemeindeältester. Religionsphänomenologisch und soziologisch steht es jedoch im Bedeutungsfeld von gr. "hiereus" und lat. "sacerdos".
1. Religionsphänomenologische Aspekte
In allen Religionen gibt es Männer und Frauen, die durch besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Vollmachten die Verbindung zwischen dem unsichtbaren, göttlichen Bereich und der Alltagswelt der Menschen wiederherstellen und dadurch seelisch, körperlich und sozial heilend wirken (s. Schamane, Medizinmann; Ritus, Opfer; Magie).
In den Hochkulturen hat sich daraus in der Regel im Umfeld der Tempel ein Priesterstand mit genau geregelten Aufgaben und Vorrechten entwickelt.
2. Judentum
Der jüdische Glaube begann unter nomadischen Bedingungen. Der bild- und tempellose Befreier- und Bundesgott JHWH wurde in strengem Gegensatz zu den goldglänzenden, aber toten Gottheiten Ägyptens und Mesopotamiens aufgefasst.
Nach der Einwanderung im Land Kanaan und dem Bau des Tempels in Jerusalem entwickelte sich auch in Israel ein Priestertum (hebr. "kohen"), dem der Tempelgottesdienst, die Opferriten und die Unterscheidung zwischen rein und unrein oblag. Diese Aufgabe war dem Volksstamm Levi, den Leviten zugeteilt. Ihnen wurden bei der Landnahme spezielle Städte zugewiesen. Die Versorgung war durch den Zehnt sichergestellt.
Die Sehnsucht danach, ein priesterloses "Volk von Priestern" zu sein, blieb jedoch wach und fand Ausdruck bei den großen Propheten.
Seit der Zerstörung des letzten Tempelbaus 70 n. Chr. hat das altisraelitische Priestertum keine Funktion mehr. Die soziologische Priesterrolle lebt aber in den Rabbinern fort.
3. Christentum
a. Das Christentum hat seine Wurzel in der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu. Jesus proklamierte und vergegenwärtigte das Ende aller Schranken zwischen Gott und Mensch dort, wo Menschen die Gottesherrschaft vorbehaltlos "wie Kinder" annehmen (s. Glaube). In dieser endzeitlichen Perspektive waren ein neuer Kultus und ein Priestertum nicht vorgesehen. Allerdings anerkannte Jesus den Jerusalemer Tempel als "Haus des Gebetes" und die Autorität derer, die auf dem "Stuhl des Mose" saßen. Seinen Tod und seine Auferstehung hat er möglicherweise mit dem Abreißen und Wiederaufbauen des Tempels verglichen.
b. Das frühe Christentum gebrauchte die hebräischen und griechischen Wörter für "Priester" ausschließlich in Bezug auf Jesus selbst. Die zerstörte Beziehung zwischen Gott und Mensch galt durch seinen Tod und seine Auferstehung als ein für allemal geheilt. Der Opferkult und die Unterscheidung von rein und unrein waren damit aufgehoben. Die Kirche verstand sich als Gemeinschaft derer, die diese Heilung glaubend annahmen, feierten und bezeugten bis zum (nahen) Tag der Wiederkunft des Herrn.
c. Durch das Anwachsen der Gemeinden und ihre institutionelle Verfestigung, durch den Ausbau der Liturgie und der Lehre, nicht zuletzt durch die antignostische Auseinandersetzung gewannen die besonderen Ämter, die sich schon in neutestamentlicher Zeit herausgebildet hatten, an Gewicht. Im zweiten Jahrhundert wurde die weithin bis heute gültige dreigliedrige Struktur aus Bischöfen, Priestern und Diakonen fest. Da die Bischöfe und in ihrem Auftrag die Priester den liturgischen Feiern vorstanden, wurde ihre Rolle mehr und mehr in Analogie zum alttestamentlichen Priestertum verstanden.
4. Orthodoxe und katholische Theologie
Im Verständnis der orthodoxen und katholischen Kirchen ist der Priester (immer männlichen Geschlechts) durch die Weihe, die ein eigenes Sakrament darstellt, aus dem Volk der Gläubigen ("Laien") ausgesondert und ihm gegenübergestellt. In der Nachfolge der Apostel ist seine Aufgabe die Verkündigung des Evangeliums und die Spendung der Sakramente, insbesondere die Leitung der Eucharistiefeier. Der Priester handelt dabei "in persona Christi". Die katholische Tradition verbindet mit dieser Sicht die priesterliche Zölibatspflicht, die in den Ostkirchen nur für Bischöfe gilt.
Die Mehrzahl der Priester steht einer Pfarrei als Pfarrer vor. Priester können jedoch auch mit anderen Aufgaben betraut sein, z.B. in einem Orden, an kirchlichen Zentren (Wallfahrtsorte, etc.), am Ordinariat, usw.
Theologisch wurde nie vergessen, dass Christus der einzige Priester seines Volkes ist. Besonders seit dem 2. Vatikanischen Konzil wird das Priestertum aller Getauften und Gefirmten deutlicher herausgestellt. Dieses verwirklicht sich nach katholischer Auffassung jedoch nicht in unterschiedsloser Gleichheit, sondern im organischen Zusammenwirken der kirchlichen Stände und Berufungen (s. Hierarchie).
5. Evangelische Theologie
Die evangelische Theologie lehnt ein besonderes Priestertum in der Kirche grundsätzlich ab. Alle Getauften haben gleichen Anteil am Priestertum Christi. Das Wort "Priester" wird in den deutschen evangelischen Kirchen nicht verwendet (unbefangen dagegen z.B. in Skandinavien).
Die öffentliche Evangeliumsverkündigung und die Spendung der Sakramente soll jedoch nur von ordentlich dazu Berufenen ("rite vocati") ausgeübt werden. Die Ordination der Pfarrer/innen bzw. Pastor/innen gilt als Beauftragung und Segenshandlung, nicht als Sakrament.
6. Ökumenische Perspektiven
Der Gegensatz in der Sicht der kirchlichen Ämter und in der Frage ihrer Legitimität ist heute das größte Hindernis der kirchlichen Einheit. Im Verständnis des priesterlichen Dienstes gibt es jedoch auch Konvergenzen, die die alten Einseitigkeiten überwinden.
Siehe auch: Pfarrer, Pastor, Prediger, Bischof, Ältester, Fetialen, Kaplan, Vikar