Utopische Literatur ist die Bezeichnung für eine Gattung von literarischen Werken, die sich mit einer idealen Gesellschaft befasst, deren Realisierung für die Zukunft als denkbar möglich vorgestellt wird.
Utopia
Der Name Utopia (ou=kein bzw. eu=gut und topos=Ort -> "Nichtort" bzw. "guter Ort".) bezeichnet einen (erwünschten) Ort, den es in der Realität nicht gibt. Ein Roman gleichen Namens von Thomas Morus aus dem Jahre 1516 handelt von einer idealen Gesellschaftsordnung, die als eine gedachte, mögliche Gegenwelt zur gegenwärtigen, als Mängel behaftet empfundenen Wirklichkeit konzipiert worden ist.
Idealer Staat
Gedanklicher Ausgangspunkt dieser Art von Literatur ist die philosophische Konzeption eines idealen Staates (Politeia) durch den griechischen Philosophen Platon als ein theoretisches Denkmodell, das beansprucht, allein aus logisch rationalen Prinzipien abgeleitet, das ideale Zusammenwirken der gesellschaftlichen Kräfte zum Wohle des Gemeinwesens zu konstruieren. Ebenso wichtig sind Platons spekulative Beschreibungen des sagenhaften Atlantis in den Dialogen von Timaios und Kritias. Platon rühmt in Atlantis einen hoch entwickelten, idealen Staat, der angeblich im 10. Jahrtausend vor Christus existierte.
Grundkonzeption
Die Grundkonzeption der Utopie von einem idealen Staat beruht auf der Abstraktion von den historisch gewachsenen, gegenwärtigen Machtverhältnissen, deren Resultate als willkürlich und strukturell Gewalt behaftet verstanden werden und denen für die Zukunft kein langfristiger Bestand zuerkannt werden kann - zumindest kein wünschenswerter. Der Macht der Realität wird also der Geist entgegengestellt, dessen Vernunft und dessen Fantasie sich über die unvollkommene Bedingtheit des Gegenwärtigen erheben. Die beste aller denkbaren Welten findet danach jenseits des Hier und Jetzt statt, wobei es unwichtig ist, ob diese ideale Gegenwelt in einem vergangenen mythischen Zeitalter ( das goldene Zeitalter), an einem fernen märchenhaften Ort (Utopia) oder in einer fantastischen Zukunft (das tausendjährige Reich) bzw. Parallelwelt (Cyberspace) angesiedelt wird.
Entwicklung
Während im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert die positive Wahrnehmung der technischen Entwicklung zur Leitidee der utopischen Literatur wurde, gaben die Ernüchterungen des krisenhaften Kapitalismus, das Scheitern der totalitären Staatsmodelle des Faschismus und des Kommunismus, sowie die Materialschlachten der Weltkriege den neuen Stoff für negative Utopien (Dystopie). Das scheinbare Abdanken der menschlichen Vernunft im Verlauf der technischen Revolutionen lässt wenig Raum für die soziale Utopie, übrig bleiben wahnhaft, spukhaft, irreale Fantasiegebilde jenseits aller Utopie (postmoderne Fantasy-Literatur).
Rückblickend kann man sagen, dass sich gerade in den utopischen Gedankengebäuden eines zukunftsorientierten Intellektualismus eher die Zeitbezogenheit und die standesabhängigen Beschränkungen der Autorenwirklichkeit widerspiegeln, als etwa deren überzeitliche Dauerhaftigkeit und Allgemeingültigkeit. Abgebildet wird das Spezifische, der Geist der jeweiligen Epoche, in dem sich das Allgemeinmenschliche konkretisiert. Nicht der große Fernblick, nicht die hellsichtigen Prognosen haben Bestand, es sind die augenblicksbezogenen Wünsche und Ängste, die die utopischen Vorstellungen vorantreiben.
Utopia, Sonnenstaat, Neu-Atlantis
Die als klassisch zu bezeichnenden berühmten Vorläufer der modernen utopischen Literatur sind neben Thomas Morus Utopia (1516), Tommaso Campanella Der Sonnenstaat (1623) und Francis Bacon Neu-Atlantis (1626).
Abgrenzung
Zu unterscheiden sind eine eher theoretisch konzeptionelle utopische Literatur, die letztlich in ein Modell des utopischen Sozialismus mündet und die romanhafte utopische Literatur, die im Sciencefiction endet.
Beispiele (Utopien)
Werkliste:
- The City of the Sun (1623) von Tommaso Campanella
- The New Atlantis (1627) von Francis Bacon
- Oceana (1656) von James Harrington
- In "Gullivers Reisen" (Gulliver's Travels (1726)) von Jonathan Swift, der Abschnitt über die rationale Gesellschaft der Houyhnhm.
- In Aline und Valcour (1795) von Marquis de Sade (Die Südseeinsel Tamoe: der Entwurf eines utopischen Staats mit möglichst wenigen Strafgesetzen)
- Voyage en Icarie (1840) von Etienne Cabet
- Erewhon (1872) von Samuel Butler
- Looking Backward (1888) von Edward Bellamy (deutsch: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000)
- Freiland (1890) von Theodor Hertzka
- News from Nowhere (1891) von William Morris
- A Modern Utopia (1905) von H. G. Wells, auch andere seiner Romane
- Wir (1921) Jewgeni Iwanowitsch Samjatin
- Brave New World (1932) von Aldous Huxley, ist aber eher eine Satire bzw. Dystopie
- Walden Two (1948) von B. F. Skinner
- 1984_(Roman) (1948) von George Orwell (Dystopie und Vorahnung des Überwachungsstaats in Großbritannien)
- Fahrenheit 451 (1953) von Ray Bradbury (Dystopie)
- Atlas Shrugged (1957) von Ayn Rand
- Planet der Habenichtse (The Dispossessed (1974)), von Ursula K. Le Guin, wird manchmal als eine moderne Form der Utopie bezeichnet. Der Roman entwirft allerdings keine 'beste' Gesellschaft, sondern stellt Konzepte vor und diskutiert sie.
- Ecotopia (1975) von Ernest Callenbach
- bolo' bolo (1981) von p.m.
- viele Erzählungen in Future Primitive - The New Ecotopias (1994), herausgegeben von Kim Stanley Robinson
- Hedonistic imperative, (1996), ein Manifest von David Pearce, in dem dargelegt wird, wie Gentechnik und Nanotechnologie allem Leid ein Ende bereiten.
- Kein Ort. Nirgends, Christa Wolf (Absage an den Geist der Utopie)
Siehe auch: Zukunftsliteratur, Entwicklung der Sciencefiction, Utopie