Günter Schabowski

deutscher Politiker (SED), MdV (1929-2015)
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Günter Schabowski (* 4. Januar 1929 in Anklam, Vorpommern) war SED-Funktionär in der DDR.

Günter Schabowski 2007

Leben

DDR

Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs wurde Schabowski mit seinem „Hunger nach Erklärungen“ fündig bei den Kommunisten. 1946 trat er in den FDGB ein, 1950 in die FDJ und seit 1952 war er Mitglied der SED. Seit 1947 arbeitete er als Redakteur der Gewerkschaftszeitung Tribüne, deren stellvertretender Chefredakteur er von 1953 bis 1967 war. In dieser Zeit schloss er auch ein Journalismus-Fernstudium an der Karl-Marx-Universität in Leipzig ab. Als Zeichen seines politischen Aufstiegs folgte die Ausbildung an der Parteihochschule der KPdSU in Moskau in den Jahren 1967 und 1968. Im Anschluss an diese Zeit arbeitete Schabowski beim SED-Zentralorgan Neues Deutschland, zu dessen Chefredakteur er im Jahre 1978 bestimmt wurde. Mit dieser für die Parteipropaganda wichtigen Position war auch ein weiterer politischer Aufstieg verbunden, der ihn 1981 zunächst ins Zentralkomitee der SED und 1984 schließlich als Mitglied des Politbüros ins Zentrum der Macht führte. Ein Jahr später wurde er nach dem Sturz von Konrad Naumann auch Erster Sekretär der Bezirksleitung der SED von Ost-Berlin.

Mit den beginnenden Protesten in der DDR stellte sich Schabowski auf die Seite der Reformer innerhalb der SED und war maßgeblich an der Entmachtung von Erich Honecker beteiligt. Als einziger hoher SED-Funktionär stellte sich Schabowski am 4. November 1989 auf der größten Protestdemonstration in der Geschichte der DDR den Hunderttausenden aufgebrachten Demonstranten am Berliner Alexanderplatz. Seinen Platz in der Geschichtsschreibung sicherte er sich jedoch durch einen vermeintlichen Fehler: Am Abend des 9. Novembers 1989 verlas Schabowski auf einer Pressekonferenz, die live im DDR-Fernsehen übertragen wurde, die Nachricht über eine neue Reiseregelung, die von je zwei hohen Offizieren des Innenministeriums und der Staatssicherheit formuliert worden war:

Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. […] Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD erfolgen.

Auf die Frage eines Journalisten, ab wann die neue Regelung gelte, antwortete Schabowski: „Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich.“

Die Regelung sollte eigentlich erst am folgenden Tag um 4 Uhr früh veröffentlicht werden. Doch einmal live den Medien der ganzen Welt verkündet, führten diese Sätze bereits am selben Abend zur Maueröffnung, da sie Tausende Berliner veranlassten, zu den Grenzübergangsstellen zu ziehen und massiv deren Öffnung zu verlangen. Am Ost-Berliner Grenzübergang Bornholmer Straße kamen dieser Forderung die dort ihren Dienst verrichtenden Offiziere der Passkontrolleinheit (PKE, Staatssicherheit, Abteilung VI) und der Grenztruppen der DDR zuerst nach und lösten damit eine Kettenreaktion an allen Grenzübergängen in und um Berlin aus. Kurz nach Mitternacht kam es dann auch zu weiteren Öffnungen an der innerdeutschen Grenze zur Bundesrepublik.

Wiedervereinigtes Deutschland

Als am 3. Dezember 1989 das ZK und das Politbüro der SED geschlossen zurücktraten, leitete dies auch das Ende von Schabowski als Kommunisten ein. Seinen Ausschluss aus der SED-PDS am 21. Januar 1990 empfand er als tiefe persönliche Enttäuschung, doch bildete das Ereignis den Beginn eines Selbstreflexionsprozesses, der für ein ehemaliges Politbüromitglied einmalig sein sollte. Seine Kritik an den Machtstrukturen in der DDR, auch seine Selbstkritik, machten ihn zu einem Außenseiter unter den ehemaligen Genossen. Auch beruflich fing er ganz unten an. Von 1992 bis 1999 arbeitete er als Redakteur bei den „Heimat-Nachrichten“ in Rotenburg an der Fulda (Hessen), einer lokalen Wochenzeitung, die er gemeinsam mit dem westdeutschem Journalisten und Verleger Gerald H. Wenk gründete. Seit 1993 lief ein Verfahren gegen ihn wegen „Fälschung der Ergebnisse der DDR-Kommunalwahlen“, das aber 1997 eingestellt wurde.

In dem umfangreichsten Prozess der Nachkriegsgeschichte, dem so genannten Politbüroprozess wurde Schabowski zusammen mit anderen wegen vielfachen Totschlags vor dem Landgericht Berlin angeklagt und für den Tod von DDR-Flüchtlingen verantwortlich gemacht. Durch einen Zufall war der Vorsitzende Richter derselbe, der schon über Erich Honecker zu urteilen hatte. In einem spektakulären Auftakt wurde der Richter von Schabowski durch einen von seinem Verteidiger vorgebrachten Antrag erfolgreich als befangen abgelehnt und der Prozess platzte. Nach einer langen Verhandlung unter dem Vorsitz eines anderen Richters verurteilte das Berliner Landgericht im August 1997 Schabowski zusammen mit Egon Krenz und Günther Kleiber wegen Totschlags zu der sehr milden Strafe in Höhe von drei Jahren und machte ihn damit für den Schießbefehl an der Mauer mitverantwortlich. Zwar ging er gegen die rechtliche Würdigung des Urteils beim Bundesgerichtshof in Revision, doch erkannte er im Gegensatz zu Egon Krenz und allen anderen Angeklagten seine moralische Schuld an den Todesschüssen an. Am 8. November 1999 wurde das Urteil schließlich rechtskräftig. Schabowski akzeptierte das Urteil sofort - im Gegensatz zu Egon Krenz, der vergeblich versuchte, durch den Europäischen Gerichtshof eine Aufhebung des gegen ihn ergangenen Urteils in Höhe von sechs Jahren und sechs Monaten zu erreichen. Im Dezember trat er die Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt Hakenfelde in Berlin-Spandau an, wurde jedoch schon im September 2000 von Berlins Regierendem Bürgermeister Eberhard Diepgen begnadigt und nach einem knappen Jahr Haft im offenen Vollzug am 2. Dezember entlassen. Sein Verteidiger war der Strafverteidiger und Wirtschaftsanwalt Ferdinand von Schirach, einer der Enkel von Baldur von Schirach.

Schabowski ist einer der ganz wenigen ehemaligen SED-Führer, die sich öffentlich und schon im so genannten Politbüroprozess zu seiner Mitverantwortung an den negativen Zügen der DDR bekannten und an deren Aufarbeitung mitwirkten. Dem Kommunismus hat er abgeschworen. 2001 fungierte er gemeinsam mit der Ex-DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley als Berater des damaligen CDU-Kandidaten für das Amt des Berliner Regierenden Bürgermeisters, Frank Steffel (CDU).

Zitate

  • „Am meisten bedrückt mich, dass ich ein verantwortlicher Vertreter eines Systems war, unter dem Menschen gelitten haben, dass Repressionen gegen einzelne Menschen gerichtet waren, die wegen ihrer oppositionellen Haltung verfolgt wurden. Ihre Einstellung war die richtige. Meine Einstellung war die falsche. Wir waren nicht demokratiefähig, sondern haben versucht, mangels besserer Argumente uns der anderen Meinung mittels direkter Gewalt zu entledigen.“
  • „Da stand ich dort am 9. November in der Nähe des Grenzübergangs, und ein Mitarbeiter des MfS informierte mich darüber, dass es bei der Öffnung der Grenze keine besonderen Vorkommnisse gegeben hatte. Erst Wochen später wurde ich mir über die Absurdität bewusst, dass ein Mann von der StaSi kein besonderes Vorkommnis am Öffnen der Mauer finden kann.“
  • Ostalgie ist nicht mein Ding. Manchem erscheint die DDR in rückblickender Verklärung als ein Hort sozialer Sicherheit. Tatsächlich ist die DDR nicht zuletzt daran zugrunde gegangen, dass sie infolge wirtschaftlicher Ineffizienz ihre sozialen Verheißungen nicht finanzieren konnte. in Mitteldeutsche Zeitung 6. November 2005

Schriften

  • Der Absturz. Berlin: Rowohlt, 1991.
  • Das Politbüro. Ende eines Mythos. Eine Befragung. Hrsg. von Frank Sieren und Ludwig Koehne. Rowohlt: Reinbek, 1991.
  • Der geröntgte Marx, in: Aufklärung und Kritik, Sonderheft 10/2005: Was bleibt vom Marxismus? S. 71-76. (Online-Fassung)