Das Seeing ist ein Begriff aus der Astronomie, der die Unschärfe durch atmosphärische Störungen bei der Beobachtung des Nachthimmels bezeichnet. Es wird normalerweise in Bogensekunden angegeben und wird meist als die Halbwertsbreite der Abbildung eines Sterns gemessen. Um das komplette Seeing zu messen, muss das Bild mindestens mehrere Sekunden integriert werden. Typische Werte für das europäische Festland liegen bei 2 bis 5 Bogensekunden, an Standorten mit besonders gutem Seeing wie in Chile oder anderen bevorzugten Standorten für Großteleskope ist der Mittelwert besser als 1 Bogensekunde, im Extremfall kann es auf weniger als 0,2 Bogensekunden sinken. Der Cerro Paranal verfügt mit einem Seeing von 0.18 Bogensekunden über den besten jemals gemessenen Wert.

Um eine vom Seeing unabhängige, möglichst beugungsbegrenzte Abbildung zu erreichen, gibt es mehrere technische Ausgleichsmaßnahmen wie die Speckle-Interferometrie oder die adaptive Optik. Diese Techniken führt im Infrarotbereich zu sehr guten Ergebnissen. Für Beobachtungen unterhalb 2µm, im sichtbaren und kurzwelligen Spektralbereich, sind dagegen Weltraumteleskope noch unumgänglich.
Entstehung
Das Seeing entsteht durch Turbulenzen in Luftschichten, die das Licht von außerhalb der Atmosphäre unregelmäßig ablenken. Bei der Beobachtung mit dem bloßen Auge ist der Effekt als „Blinken“ der Sterne zu erkennen (Szintillation), auf Bildern mit längerer Belichtungszeit führt er dazu, dass der Lichtstrahl einer punktförmigen Quelle über einen größeren Bereich „verschmiert“; das Bild wird unscharf. Der Ablenkungseffekt ist um so größer und schneller veränderlich, je kürzer die beobachtete Wellenlänge ist. Eine extreme Form dieses Turbulenzeffekts ist das Flimmern der Luft über heißem Asphalt.
Das Seeing hat mehrere Ursachen. Der Jet-Stream in der Hochatmosphäre ist weitgehend laminar und trägt kaum zum Seeing bei. Die Übergangsschicht zu tieferliegenden Luftschichten ist jedoch oft turbulent und eine der Hauptursachen für das Seeing. In geringerer Höhe erhöhen weitere eventuelle Übergangsschichten das Seeing. In Bodennähe sind Winde oft turbulent, weil sie zuvor über unebenem Boden waren. Die Wetterlage beeinflusst das Seeing ebenso, im Rücken einer Kaltfront ist die Luft zwar sehr rein, aber eben auch stark turbulent. Zusätzlich trägt die Thermik des Bodens zum Seeing bei, also um wie viel wärmer der nächtliche Boden ist als die umgebende Luft.
Diese Faktoren lassen sich nicht aktiv beeinflussen, aber durch eine geeignete Wahl des Teleskopstandorts minimieren. So sind etwas über Chile der Jet-Stream und der darunterliegende Wind oft nahezu parallel, was die Turbulenz mindert. Außerdem kommt der Wind von See, wodurch die Turbulenz in Bodennähe ebenfalls geringer ist. Daher ist es ein bevorzugter Standort für moderne Teleskope. Das thermische Bodenseeing wird außerdem durch Vegetation, besonders Wälder, verschlechtert.
Weiter gibt es noch künstliche Beiträge zum Seeing durch die Thermik des Teleskops selbst und der Teleskopkuppel. Diese lassen sich durch eine aktive Kühlung während des Tages auf die erwartete Nachtemperatur und eine geschickte Bauweise verhindern. Generell sind alle Hitzequellen innerhalb der Kuppel eine Quelle von schlechtem Seeing. Dies gilt auch für den Beobachter, weswegen das Teleskop zunehmend von getrennten Kontrollräumen aus gesteuert wird. Um eine möglichst laminare Strömung direkt am Teleskop zu erreichen, werden Forschungsteleskope heute nicht mehr mit Tubus gebaut, sondern mit einer versteifenden Gitterkonstruktion, welche die Luft passieren lässt. Ferner lassen sich heutige Teleskopkuppeln deutlich weiter öffnen als frühere Konstruktionen.
Struktur der Störung
r0 und t0
Das Seeing eines Teleskopstandortes kann durch die Parameter r0 und t0 beschrieben werden. Bei Teleskopen mit einem Durchmesser kleiner als 2r0, ist die Auflösung einer Langzeitaufnahme reziprok zum Teleskopdurchmesser. Teleskope mit einem größeren Durchmesser als r0 haben hingegen eine durch r0 beschränkte Auflösung. r0 beträgt für sichtbares Licht bei guten Sichtbedingungen 10–20 cm und typischerweise 5 cm auf Meereshöhe.
r0 wird oft als Fried Parameter, nach David L. Fried bezeichnet; er steht mit o. g. Winkel α der Auflösung in der Beziehung
- ,
wobei λ die Wellenlänge bezeichnet.
Die Zeiteinheit t0 ergibt sich aus r0 geteilt durch die mittlere Windgeschwindigkeit. Sie liegt für sichtbaren Licht in dem Bereich weniger Millisekunden. Ist die Beobachtungszeit kleiner als t0 sind die atmosphärischen Störungen sozusagen eingefroren, liegt sie deutlich darüber, ergibt sich ein über die Störungen gemitteltes Bild.
Kolmogorov-Turbulenzen
Das Kolmogorov Modell, welches die Störung der Wellenfront durch die Atmosphäre beschreibt, wurde von TaTarski 1961 entwickelt und basiert teilweise auf der Studie von Turbulenzen des russischen Mathematikers Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow. Dieses Modell wird durch eine Vielzahl von Messungen gestützt und wird häufig auch zur Simulation astronomischer Bilder genutzt.
Das Modell geht davon aus, dass die Störung der Wellenfront durch Änderungen der Brechzahl der Atmosphäre hervorgerufen wird. Die Änderung der Brechzahl wirkt sich direkt in einer Phasenänderung aus, welche durch . Die Phasenänderung in Tatarskis Modell wird meist gaussverteilt angenommen, mit der folgenden zweiten Ordnung:
- ,
wobei die durch die Atmosphäre hervorgerufenen Unterschiede der Wellenfront bei einem Abstand in der Blendenebene sind. bezeichnet den Durchschnitt des Ensembles.
Die Strukturfunktion von Tatarski beschränkt sich auf einen Parameter :
ist ein Maß für die Stärke der Turbulenzen bzw. der Phasenänderung. Fried (1965) und Noll (1976) fanden heraus, dass ebenfalls dem Durchmesser entspricht, für den die Varianz der Phase über die Öffnung gemittelt 1 erreicht:
Diese Gleichung stellt die übliche Definition für dar.
Zerlegung in Zernike-Polynome
Die Struktur lässt sich durch Zernike-Polynome beschreiben (S. [1]). Die folgende Tabelle gibt die mittleren quadratischen Amplituden der Kolmogorov Turbulenzen Δj und der verbleibenden Störung nach Eliminierung der ersten j Terme:
n | m | Gleichung | Beschreibung | |||
---|---|---|---|---|---|---|
Z1 | 0 | 0 | 1,030 S | |||
Z2 | 1 | 1 | Schieflage | 0,582 S | 0,448 S | |
Z3 | 1 | 1 | Schieflage | 0,134 S | 0,448 S | |
Z4 | 2 | 1 | Defokus | 0,111 S | 0,023 S | |
Z5 | 2 | 2 | Astigmatismus | 0,0880 S | 0,023 S | |
Z6 | 2 | 2 | Astigmatismus | 0,0648 S | 0,023 S | |
Z7 | 3 | 1 | Koma | 0,0587 S | 0,0062 5 | |
Z8 | 3 | 1 | Koma | 0,0525 S | 0,0062 S | |
Z9 | 3 | 3 | 0,0463 S | 0,0062 S | ||
Z10 | 3 | 3 | 0,0401 S | 0,0062 S | ||
Z11 | 4 | 0 | Sphärische Aberration | 0,0377 S | 0,0024 S |
Mit Abkürzung , bezeichnet den Abstand vom Mittelpunkt und den Azimuthwinkel.
Skalen
Es gibt verschiedene Skalen zur Bewertung des Seeing. Sie unterschieden sich im Aufwand, den Seeing-Wert zu bestimmen und ob sie instrumentenabhängig sind oder nicht.
Da an unterschiedlichen Orten verschiedene atmosphärische Störfaktoren erzeugt werden, ist eine lokalspezifische Angabe einer Seeing-Skala hilfreich, wenn es um die Wahl des Beobachtungsortes geht. Außerdem gehört solch eine Aussage über die Luftunruhe der Atmosphäre zu jedem Beobachtungsbericht eines astronomischen Objektes. Diese ist dann auch nützlich bei der Auswahl eines Objektes bei einem bestimmten Seeing.
Die Beurteilung des Seeing in einer Seeing-Skala erfolgt in erster Linie mit optischen Hilfsmitteln. Da die Beurteilung des Seeing jedoch stark von deren Optik abhängig ist, gehören auch Angaben über das verwendete Instrument (Instrumenttyp und Vergrößerung) zu jedem Beobachtungsbericht.
Pickering-Skala
Die Pickering-Skala nach William Henry Pickering gibt Auskunft über den Grad der Luftunruhe im Vergleich zu einem „perfekten“ Bild ohne hohe atmosphärische Störungen. Deshalb erfolgt die Angabe des Seeing auch in der Form 1/10 (für das schlechteste), 2/10 usw. Pickering benutzte bei der Erstellung seiner Skala einen 5-Zoll-Refraktor.
Die Klassifizierung erfolgt in zehn Kategorien:
- 1) Sehr schlecht: Der Stern ist zweimal so groß wie der Durchmesser des dritten Beugungsringes. Der Stern erscheint 13″ im Durchmesser.
- 2) Sehr schlecht: Der Stern ist gelegentlich größer als der Durchmesser des dritten Beugungsringes.
- 3) Schlecht bis sehr schlecht: Der Stern ist etwa so groß wie der Durchmesser des dritten Beugungsringes (6,7″) und in der Mitte heller.
- 4) Schlecht: Das zentrale Sternscheibchen ist oft zu sehen. Teile der Beugungsringe (Bögen) sind manchmal zu sehen.
- 5) Günstig: Das zentrale Sternscheibchen ist immer zu sehen. Bögen der Beugungsringe sind oft sichtbar.
- 6) Günstig bis gut: Das zentrale Sternscheibchen ist immer zu sehen. Kurze Bögen der Beugungsringe sind immer sichtbar.
- 7) Gut: Das zentrale Sternscheibchen ist manchmal scharf begrenzt. Die Beugungsringe sind als lange Bögen oder vollständige Kreise zu sehen.
- 8) Gut bis hervorragend: Das zentrale Sternscheibchen ist immer scharf begrenzt. Die Beugungsringe sind als vollständige Kreise oder lange Bögen zu sehen, aber in Bewegung.
- 9) Hervorragend: Der innere Beugungsring ist ruhig. Die äußeren Ringe sind gelegentlich in Ruhe.
- 10) Hervorragend/perfekt: Das ganze Beugungsbild ist vollständig ruhig.
9 und 10 kommen in Mitteleuropa nicht vor.
Antoniadi-Skala
Die Antoniadi-Skala nach Eugène Michel Antoniadi ermöglicht eine grobe Einordnung des Seeing.
Die Bewertung erfolgt in fünf Gruppen:
- I Perfektes Bild ohne die geringste Bildunruhe
- II Leichte Wallungen, aber Phasen der Ruhe, die wenigstens einige Sekunden lang ist
- III Mittelmäßige Luftruhe. Auffälliges Bildzittern
- IV Schlechtes Seeing, ständig störendes Wabern
- V Sehr schlechtes Seeing, welches kaum das Anfertigen einer Groben Skizze zulässt
Überschreiten der Seeing Barriere
Das Seeing begrenzt bei konventionellen Teleskopen die Auflösung auf ca. 1 Bogensekunde. Das entspricht der theoretischen Auflösungsgrenze eines 25cm-Teleskops bei einer Wellenlänge von 1µm. Der erste Schritt, diese Barriere zu durchbrechen, war die Speckle-Interferometrie, welche die Beobachtung heller Objekte mit hoher Auflösung erlaubt. Hierfür werden eine Vielzahl von Aufnahmen des selben Objekts jeweils mit einer Belichtungszeit kleiner t0 angefertigt. Durch eine mathematische Bildanalyse wird die Phasenabweichung (Bispektrum) gemittelt, so dass sich die temporären Abweichungen aufheben. Vereinfachte Methoden, wie das das „Image Stacking“, welche die beiden Zernike Moden der Schieflage durch eine einfache Bildverschiebung beseitigen, erlauben bereits eine Verbesserung um den Faktor 8; besser ist noch das „Lucky Imaging“, welches nur die Bilder verwendet, bei denen die Phasenstörungen gerade gering sind. Die prinzipielle Begrenzung des Verfahrens liegt in den notwendigen kurzen Belichtungszeiten. Das beobachtete Objekt muss ausreichend viel Licht liefern, um ein rauscharmes Bild zu liefern, welches für die Nachbearbeitung geeignet ist. Diese Grenze ist insbesondere durch die Entwicklung von hochempfindlichen Electron Multiplying CCD Bildsensoren deutlich nach unten verschoben worden.
Anfang der 1990 wurden viele große Teleskope mit einer adaptiven Optik ausgestattet, die die Phasenstörung ausgleicht. Je größere der Teleskopspiegel und je kürzer die Wellenlänge der Beobachtung ist, um so mehr Freiheitsgerade muss das System haben, um eine vollständige Korrektur zu erreichen. Auch hier muss ein lichtstarkes Objekt zumindest in der Nähe des untersuchten Objekts sein, um genügend Information zur Einstellung der Optik zu liefern. Durch die Verwendung eines Laserleitsterns kann diese Grenze überwunden werden.
Von der NASA wurde 1993 das Hubble-Weltraumteleskop installiert, welches von dem Seeing nicht betroffen ist, da es außerhalb der Atmosphäre arbeitet. Bedingt durch seinen Spiegeldurchmesser von 2,4 m liegt aber sein Auflösungsvermögen unter dem von heutigen Teleskopen. Der geplante Nachfolger, das James Webb Space Telescope soll einen Primärspiegel mit einem Durchmesser von 6,5 m erhalten.
Siehe auch
Literatur
- Fried, David L. (1965): Statistics of a Geometric Representation of Wavefront Distortion. J Opt Soc Am 55, 1427-1435
- Noll, R.J. (1976): Zernike polynomials and atmospheric turbulence. J Opt Soc Am 66, 207-211
Weblinks
zu Seeing-Skalen: