Rote Kapelle

Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus
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Rote Kapelle bezeichnet verschiedene Gruppen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, die wenig oder gar nichts miteinander zu tun hatten. Dazu gehörten einerseits informelle Gesprächskreise um den Offizier Harro Schulze-Boysen und den Nationalökonomen Arvid Harnack, andererseits das durchorganisierte Spionagenetz von Leopold Trepper.

Der Name "Rote Kapelle" wurde der Gruppe von der deutschen militärischen Abwehr gegeben, die damit Menschen aus dem Widerstand bezeichnete, die (a) mit dem sowjetischen Geheimdienst zusammen arbeiteten ("rot") und (b) ein Funknetz benutzten (Musik-"Kapelle"). Bei der Aufdeckung der Gruppen ging die Abwehr von einer einzigen Organisation mit strenger Hierarchie und genauer Aufgabenverteilung aus. Dieser Blick setzt sich teilweise bis in die heutige Berichterstattung fort, dürfte aber falsch sein.

Die Gruppe um Schulze-Boysen und Harnack

Im Freundes- und Verwandtenkreis um Arvid Harnack und seine Frau Mildred und um den Offizier Harro Schulze-Boysen trafen sich bereits vor 1933 Künstler und Wissenschaftler, die sich um die Einschränkung der Meinungsfreiheit sorgten und wenigstens in privaten Gesprächen die offene Auseinandersetzung suchten.

Die Gruppe war sozial sehr heterogen. Auch Angestellte und Arbeiter wie der junge Kommunist Hans Coppi stießen zu ihr. Weitere Mitglieder waren z.B. Oberstingenieur Becker, Personen des Luftwaffengeneralstabs, Legationsrat Rudolf von Scheliha im Außenministerium und weitere Mitarbeiter in fast allen Ministerien. Auffällig ist die starke Beteiligung von Frauen (Greta Kuckhoff, Mildred Harnack-Fish, Libertas Schulze-Boysen), meist der Ehefrauen der ebenfalls aktiven Männer.

Ihre Haupttätigkeit bestand zunächst im Verteilen von Flugschriften und im Anbringen von Klebezetteln, besonders in Berlin und in der Sammlung von Berichten über Nazigräuel. Außerdem halfen Mitglieder der Gruppen Juden auf vielfältige Weise zu überleben: durch Verstecken, gefälschte Ausweise, Fluchthilfen.

Darüber hinaus wurde auch immer wieder unterschiedliche Vorstellungen über eine Staatsordnung nach dem Ende des Nationalsozialismus diskutiert. Harnack und Schulze-Boysen, die schon während der Weimarer Republik die sowjetische Planwirtschaft als positives Gegenmodell zu der krisengeschüttelten freien Wirtschaft des Westens gesehen hatten, wollten planwirtschaftliche Elemente auch auf Deutschland übertragen und das Land politisch näher an die Sowjetunion binden, ohne dabei die Brücken nach Westeuropa abzubrechen.

Als der Gruppe Planungen für den Überfall auf die Sowjetunion bekannt wurde, informierte sie die sowjetische Botschaft darüber. Als diese nach Kriegsausbruch im Juni 1941 geschlossen wurde, versuchten Mitglieder der Gruppe auf geheimdienstlichen Weg weiterhin Informationen in die Sowjetunion gelangen zu lassen. So kam es zum Kontakt mit dem Spionagering um Leo Trepper.

Die Gruppe um Leopold Trepper

Im Juli 1942 dechiffrierte die deutsche Abwehr den Funkverkehr der Roten Kapelle mit sowjetischen Stellen und konnte danach die ganze Organisation aufrollen.

Von den etwa 150 Mitgliedern wurden zwischen Herbst 1942 und Frühjahr 1943 126 zu Zuchthausstrafen oder zum Tode verurteilt. Der Nazi-Abwehr-Chef Walter Schellenberg schreibt jedoch in seiner - nicht unbedingt wahrheitsgemäßen - Autobiographie, dass die Rote Kapelle nie vollständig zerstört werden konnte. Ihm zufolge wurden Sender (Musiker), deren Motive nicht das Geld gewesen seien, in den Städten Paris, Brüssel, Kopenhagen, Stokholm, Budapest, Wien, Belgrad, Athen, Istanbul, Rom, Barcelona, Brüssel und Marseille zur "Roten Kapelle" gerechnet.

Schwarze Kapelle wurde ein Agentenring um Wilhelm Canaris genannt. Zuständige Gegenspieler auf Leben und Tod beider "Kapellen" waren Reinhard Heydrich, Ernst Kaltenbrunner sowie der Canaris-Nachfolger Walter Schellenberg.

Rezeption

Aufgrund ihres teilweise kommunistischen Hintergrundes wurde die Rote Kapelle in der Bundesrepublik lange Zeit totgeschwiegen oder vereinzelt als reine Spionageorganisation dargestellt. In der DDR bezeichnete man sie als Schulze-Boysen/Harnack-Organisation. Dort wiederum wurde der von nationalkonservativen Kräften mitgetragene Widerstand banalisiert, der später als "20. Juli" bekannt wurde ("Canaris-Kreis", Kreisauer Kreis). Eine ideologiefreie Betrachtung des antifaschistischen Widerstands konnte sich auf beiden Seiten erst im Lauf der 1980er Jahre auf breiterer Basis durchsetzen.

Peter Weiss hat der Roten Kapelle in seinem Roman Die Ästhetik des Widerstands ein literarisches Denkmal gesetzt.

Die DEFA hat die Ereignisse verfilmt in "KLK an PTX Die Rote Kapelle" mit Horst Drinda und Horst Schulze in Hauptrollen.

Der evangelische Theologe Karl Barth hat die Rote Kapelle wegen ihrer Offenheit für Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten, ihrer Bemühungen zum Schutz von Juden und zur rechtzeitigen Aufklärung über Kriegspläne der Nazis zum Vorbild auch des kirchlichen Widerstands erklärt.

Mitglieder der Roten Kapelle

Literatur

  • Kurt Schilde (Hrsg.), Klaus Wiese: Eva-Maria Buch und die »Rote Kapelle«., Overall Verlag, Berlin, 1993, ISBN 3925961097
  • Stefan Roloff (Hrsg.), Mario Vigl: Die »Rote Kapelle«, Ullstein Verlag, 2004, ISBN 3-548-36669-4
  • Jürgen Danyel: Zwischen Nation und Sozialismus: Genese, Selbstverständnis und ordnungspolitische Vorstellungen der Widerstandsgruppe um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen. In: Peter Steinbach/Johannes Tuchel (Hg.) Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Bonn (Bundeszentrale für politische Bildung) 1994 (Buchhandelsausgabe im Akademie-Verlag, Berlin)

Quellen

  • Walter Schellenberg: Walter Schellenberg. Hitlers letzter Geheimdienst-Chef, Copyright 1956 by André Deutsch Ltd., London, für die deutsche Ausgabe: Copyright (c) by Limes Verlag. Taschenbuchausgabe: Verlag Arthur Moewig GmbH, Rastatt, ISBN 3-8118-4363-X, Kommentiert von Gerarld Felming, herausgegeben von Gita Petersen, Einleitung von Gita Petersen, Vorwort von Klaus Harpprecht, apologetische Autobiographie mit z.T. fragwürdigen oder wahrheitswidrigen Passagen