Pontius Pilatus war römischer Präfekt (Statthalter) von Judäa zur Zeit des Kaisers Tiberius, 26 bis 36 n. Chr. und ist vor allem durch die Passionsgeschichte im Neuen Testament bekannt geworden, nach der er Jesus Christus zum Tod am Kreuz verurteilte.
Name
Der Vorname (praenomen, vgl. römische Namen) des Pontius Pilatus ist nicht überliefert. Sein Familienname (nomen gentile) deutet darauf hin, dass er aus der römischen Familie der Pontier stammt, deren Mitglieder in der römischen Geschichte des Öfteren eine besondere Rolle spielten, so stammte beispielsweise einer der Mörder Cäsars aus dieser Familie. Der dritte Namensteil (cognomen) wird unterschiedlich gedeutet. Es wird angenommen, dass sich Pilatus vom lateinischen Wort pilum (Speer) herleitet, so dass der Name "Speerträger" bedeuten würde, oder von der Kopfbedeckung pilea, so dass Pilatus ein "Hutträger" wäre. Schließlich gibt es auch noch die Herleitung vom Adjektiv pilatus (enthaart), womit man den Prokurator zum "Glatzkopf" machen würde.
Bedeutung
Pontius Pilatus gewinnt seine Bedeutung vor allem durch die Erzählungen des Neuen Testaments der Bibel, nach denen er Jesus zum Tod durch das Kreuz verurteilte und die Hinrichtung durchführen ließ. Außer in der Passionsgeschichte wird Pilatus im Neuen Testament nur noch einmal im Lukasevangelium (Luk 13:1-2) erwähnt, wo über die Ermordung galiläischer Pilger auf seinen Befehl berichtet wird. Der Prozess des Jesus von Nazareth fiel in den Aufgabenbereich des römischen Statthalters, sofern die Anklage auf Hochverrat und Anstiftung zum Aufruhr lautete. Die Darstellung des Prozesses Jesu in den Evangelien verfolgt jedoch auch (wahrscheinlich sogar vor allem) religiöse Interessen und ist daher aus der Sicht vieler Wissenschaftler als historische Quelle nur mit Einschränkungen geeignet.
Entsprechend wird Pilatus in christlicher, jüdischer und aus neutral wissenschaftlicher Sicht unterschiedlich bewertet. Im Neuen Testament bleibt er zwar formal für die Kreuzigung Jesu verantwortlich, jedoch wird unverkennbar auch seine Unschuld betont (siehe etwa Mk 15,1-14; Mt 27,19). Hierfür steht vor allem das Motiv des Matthäusevangeliums, er habe seine "Hände in Unschuld gewaschen" (Mt 27,24). Gleichzeitig wird dem Volk und den jüdischen Autoritäten die Hauptverantwortung für den Tod Jesu gegeben (Joh 18,33-35), die seinen Tod (crucifige) und die Freilassung des Barabbas fordern. In späteren christlichen Legenden (siehe unten) um Pilatus ist seine Schuld am Todesurteil allerdings unbestritten, wird er dort doch meist direkt als "Gottesmörder" bezeichnet.
Der Name "Pontius Pilatus" wird auch im christlichen apostolischen Glaubensbekenntnis genannt. Die Zeile lautet in der deutschen Übersetzung: "[...] geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus [...]" (... sub Pontio Pilato passus). Trotz dieser Hervorhebung im Glaubensbekenntnis ist die Beurteilung des Pilatus und seines Urteilsspruches unter den verschiedenen christlichen Kirchen sehr unterschiedlich. In den ersten Jahrhunderten nach Christus gilt Pilatus als Heiliger und schon Tertullian schreibt im 2. Jahrhundert, er sei von seiner Überzeugung her ein Christ gewesen (iam pro sua consciencia Christianus). Noch heute wird er in der orthodoxen und koptischen Kirche als Heiliger und Märtyrer verehrt (Namenstag 25. Juni, koptisch, bzw. 27. Oktober, orthodox), wogegen er in der christlich-abendländischen Kirche etwa seit der Zeit von Kaiser Konstantin häufig als deicida (Gottesmörder) bezeichnet wird und bald zum Beispiel eines bösen Menschen schlechthin wird, so dass ihn Abraham a Sancta Clara im 17. Jahrhundert als "Erzschelm" bezeichnen kann.
Diese Zwiespältigkeit resultiert daher, dass das Pilatus-Urteil nicht einfach zu bewerten ist: Ist es ungerecht, weil es zum Kreuzestod des Messias geführt hat oder erfüllte dieses Urteil den Heilsplan Gottes, womit Pilatus das Werkzeug Gottes wäre? In diesem Zusammenhang ist auch die in der Bibel beschriebene versuchte Einflussname der Frau des Pilatus zu sehen. Obwohl diese im Neuen Testament keinen Namen hat, bürgerte sich bald für sie der Name Claudia Procula (manchmal auch: Procla) ein. Gelegentlich wird vermutet, sie sei identisch mit einer Claudia, die im 2. Timotheus-Brief (2 Tim 14:21) erwähnt wird. Ihr Eintreten für Jesus gilt den einen als Zeichen dafür, dass sie eine heimliche Christin war und deshalb Jesus retten wollte, den anderen als der Versuch des Teufels, die Erlösung zu verhindern.
Noch im 17. Jahrhundert wurde in theologischen Kreisen intensiv über die Verantwortung des Pilatus diskutiert. Als der protestantische Theologe Johann Steller aus Jena in einem Buch Pilatus defensus die These vertreten hatte, Pilatus habe unter juristischen Gesichtspunkten korrekt gehandelt, strengten seine Kollegen einen förmlichen kirchenrechtlichen Prozess um Pilatus an, in dem der Philosoph Jakob Thomasius als Ankläger und Steller als Verteidiger auftraten.
Geschichte
Da Pilatus mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Familie der Pontier stammte, ist auch anzunehmen, dass er entweder in Rom oder im Stammland der Pontier in den Abruzzen östlich von Rom geboren wurde, wo der Stamm der Samniten zuhause war. In dem kleinen Ort Bisenti in der Provinz Teramo zeigt man noch heute ein antikes Haus, das als Geburtshaus (Casa natale di Ponzio Pilato) angesehen wird. Das Geburtsjahr ist unbekannt. Dem Ritterstand angehörig (equites) tritt er in das Blickfeld der Geschichte, als er im Jahre 26 auf Veranlassung eines Vertrauten des Tiberius, Lucius Aelius Seianus, zum Präfekten der römischen Provinz Judäa ernannt wurde. Pilatus war der fünfte Präfekt der Provinz und folgte dem Valerius Gratus nach.
Ein römischer Präfekt wurde normalerweise durch den Kaiser bestimmt. Während der Regierungszeit des Tiberius, faktisch ab dem Jahre 21, besaß der Kommandant der Prätorianergarde, Seianus, bei Tiberius so großen Einfluss, dass er auch bei der Ernennung der Präfekten mitreden konnte. Interessanterweise fällt die Ernennung des Pontius Pilatus genau in den Zeitraum des Rückzug des Tiberius nach Capri. Vermutungen, Pilatus wäre durch den judenfeindlichen Seianus gezielt eingesetzt worden, um gegen die aufständischen Juden mit Gewalt vorzugehen, sind nicht belegbar. Oft ungeschicktes Verhalten des Pilatus während seiner Amtszeit wird von mehreren Historikern als Beleg für seine anti-jüdische Haltung angesehen. Es sind daher vor allem auch jüdische Quellen (vor allem Flavius Josephus), von denen die harte Amtsführung des Pilatus betont wird. Unabhängig von dieser Diskussion ist es zumindest erstaunlich, dass Pilatus die Provinz Judäa immerhin zehn Jahre lang verwalten konnte, was für ein großes Durchsetzungsvermögen in einer der unruhigsten Provinzen des Reiches spricht.
Nachdem er mit brutaler Gewalt den Zug von Leuten aus Samaria auf den heiligen Berg Garizim unterbunden hatte, wurde er durch den Legaten Syriens, Vitellius, im Jahre 36 abberufen, um sich vor Tiberius zu rechtfertigen. Zu den Vorwürfen, die man ihm machte, gehörte u.a. auch, dass er sich am Tempelschatz bereichert habe und dass er sich auf Kosten der Staatskasse eine Wasserleitung in sein Haus habe legen lassen. Obwohl es relativ häufig (vor allem in den Legenden um Pilatus) behauptet wird, gibt es keinerlei Hinweise dafür, dass er sich jemals vor Tiberius für das Urteil über Jesus rechtfertigen musste. Als Pilatus nach seiner Abberufung in Rom eintrifft, ist Tiberius bereits tot, so dass unbekannt ist, ob es zu einem Verfahren um ihn kam und was weiter mit ihm geschah. Der Hinweis des christlichen Chronisten Eusebius von Caesarea, Pilatus habe im Jahr 39 unter Caligula erzwungenen Selbstmord begangen, ist historisch unsicher ebenso wie die Legenden (siehe unten) um seine Verbannung nach Vienne in Südfrankreich. Es gibt zudem sehr unterschiedliche Angaben zum Jahr seines Todes, die aber eher einen Legendenhintergrund haben als dass sie historische Fakten sind.
Historische Zeugnisse
Seit 1961 ist ein zeitgenössisches Zeugnis für die Statthalterschaft des Pilatus bekannt. Es handelt sich um einen Stein, der in der ehemaligen Residenzstadt des Pilatus Caesarea von italienischen Archäologen gefunden wurde. link Lediglich 31 Buchstaben sind fragmentarisch darauf zu erkennen, sie bestätigen aber die historische Existenz des Pilatus. Nach Meinung der meisten Wissenschaftler hieß der vollständige Text: Dis augustis Tiberieum Pontius Pilatus Praefectus Iudae fecit et dedicavit (Pontius Pilatus, Präfekt von Judäa, erbaute und weihte das Tiberieum den seligen Göttern). Der Fund belegt somit auch, dass die korrekte Bezeichnung für das von Pilatus ausgeübte Amt Präfekt war und nicht, wie bei den Statthaltern von Judäa ab der Mitte des 1. Jahrhunderts üblich, Prokurator, eine Bezeichnung, die beispielsweise der römische Geschichtsschreiber Tacitus verwendet, als er über den Prozess Jesu berichtet . Das Zitat aus den Annales des Tacitus ist wohl der bekannteste nicht-biblische Beleg für den historischen Pilatus: "... Christus Tiberio imperante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio affectus erat" (Christus wurde unter der Herrschaft des Tiberius durch den Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet). Darüber hinaus finden sich einigermaßen gesicherte historische Aussagen über Pilatus vor allem bei Flavius Josephus in seinen Werken De bello Judaico und in den Antiquitates. Auch Philo von Alexandria berichtet über ihn.
Legende
Da sehr wenig über den historischen Pilatus bekannt ist, nahm sich sehr bald Sage und Legende dieser höchst umstrittenen Person an. Zunächst entstanden ab dem Ende des ersten Jahrhunderts die verschiedensten Heiligenlegenden, nach denen sich Pilatus zum Christentum bekehrt habe und wie sein Vorbild Christus am Kreuz gestorben sei. Ab etwa dem 4. Jahrhundert tauchen dann in den Apokryphen Einzelgeschichten um den Prokurator auf, die bekanntesten Epistola Pilati, die Acta Pilati oder Mors Pilati. Die apokryphen Pilatustexte beschäftigen sich im Wesentlichen damit, wie Gott den Mörder seines Sohnes bestraft, so dass diese Texte manchmal auch die Überschrift Vindicta salvatoris (Die Rache des Erlösers) tragen. Im Mittelalter sind es besonders Passionspiele, die sich mit Pilatus auseinandersetzen.
In ganz Europa finden sich Spuren dieser Legendengestalt, am bekanntesten die südfranzösische Stadt Vienne, wo Pilatus Selbstmord begangen haben soll, und der Pilatusberg bei Luzern in der Schweiz, wo er im Gipfelsee seine letzte Ruhestätte gefunden haben soll. Weitere Pilatuslegenden oder -sagen findet man in Spanien, Italien, Österreich oder Schottland. Auch Deutschland spielt in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Denn hier soll er geboren sein und zwar in der Stadt Forchheim in Franken, wo über Jahrhunderte hinweg sogar eine angebliche Hose des Pilatus als Beweisstück gezeigt wurde und es noch heute einen Pilatushof gibt. Im 19. Jahrhundert wird dann auch der kleine Ort Hausen vor den Toren Forchheims als Geburtsort genannt, wo zwei Häuser im Ortskern als Geburtshäuser angesehen werden und ein Flurstück den Namen "Pilodes" trägt.
Nach der deutschen Geburtslegende ist Pilatus der uneheliche Sohn eines Königs Tyrus von Mainz, den dieser bei einem Jagdausflug in die Gegend von Bamberg mit Pila, der Tochter eines Müllers mit Namen Atus zeugte, weswegen ihn seine Mutter dann Pilatus nannte. Niedergeschrieben ist diese Geschichte erstmals in einer mittelalterlichen Handschrift aus dem 12. Jahrhundert, die heute in der Staatsbibliothek München aufbewahrt wird.
Redewendung
Auch die Redewendung "von Pontius zu Pilatus" (seltener "von Pontius nach Pilatus") geht auf Pilatus zurück. Man beschreibt damit eine ziellose Reise ("ich reiste von Pontius zu Pilatus"), da Pontius und Pilatus natürlich ein und dieselbe Person ist. Ebenso bezeichnet man damit auch das (meist durch eine Anordnung) nutzlose Hin- und Herlaufen zwischen zwei Orten, so dass man am Schluss wieder am ursprünglichen Ort landet ("sie schickten mich von Pontius zu Pilatus"). Zurückzuführen ist diese Redewendung darauf, dass Pilatus Jesus zu König Herodes geschickt hat. Dieser sollte über Jesus richten, was er aber nicht tat und ihn daher zur Aburteilung wieder zurück schickte. Deshalb existiert auch die gleichbedeutende Redewendung "von Pilatus zu Herodes".
Literatur
- Raul Niemann (Hg.): Von Pontius zu Pilatus. Pilatus im Kreuzverhör. Kreuz, Stuttgart 1996. ISBN 3783113008
- Alexander Demandt: Hände in Unschuld : Pontius Pilatus in der Geschichte. Böhlau, Köln 1999. ISBN 3-412-01799-X
- Gerhard Batz: Das Pilatus-Puzzle. Bestandsaufnahme und Hintergründe einer europäischen Sage in Franken. Palm & Enke, Erlangen 2003. ISBN 3-7896-0675-8 Leseprobe
- Anne Bernet: Ich, Pontius Pilatus - Memoiren eines Unschuldigen (Roman); Knaur, München 2001. ISBN 3426619199