Regina Jonas

erste Rabbinerin Deutschlands
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 4. August 2007 um 11:18 Uhr durch 88.72.17.174 (Diskussion) (Im Beruf). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Regina Jonas (* 3. August 1902 in Berlin; † 12. Dezember 1944 im KZ Auschwitz-Birkenau) war die erste in Deutschland praktizierende Rabbinerin und damit zugleich die erste Rabbinerin weltweit.

Gedenktafel für Regina Jonas. Ausschnitt

Ihr Leben

Jugend und Ausbildung

Der berufliche Aufstieg von Regina Jonas in eine Position, die bis dahin ausschließlich jüdischen Männern vorbehalten war, sorgte im deutschen Judentum der 1930er Jahre für intensive öffentliche und interne Auseinandersetzungen, die aber kaum verwertbare Spuren für die Biografie der Hauptperson hinterlassen haben. Es existieren wenige Texte von ihrer Hand, kein Tagebuch, kaum Berichte von Zeitzeugen. Ein sehr fragmentarischer Nachlass wurde der Forschung erst nach der deutschen Wiedervereinigung zugänglich gemacht. Bis 1991 war die Rabbinerin Regina Jonas fast vergessen.

Als Tochter des Kaufmanns Wolf Jonas und seiner Frau Sara, geb. Hess wurde sie am 3. August 1902 im Berliner Scheunenviertel geboren, in einem damals stark jüdisch geprägten Wohngebiet im heutigen Bezirk Mitte. Zusammen mit ihrem Bruder Abraham wuchs sie in materiell eher bescheidenen Verhältnissen auf, in einem Elternhaus, das als „streng religiös“ geschildert wird. Der Vater starb schon 1913. Regina Jonas absolvierte das öffentliche Oberlyzeum in Berlin-Weißensee und erhielt 1924 die Lehrbefähigung für höhere Mädchenschulen.

Anschließend begann sie ein Studium an der liberalen „Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“ in Berlin. Sie war nicht die einzige Frau an der Hochschule, aber die einzige mit dem erklärten Ziel, die Ordination zur Rabbinerin zu erreichen – ein seinerzeit noch beispielloses Vorhaben. Ihr Studium finanzierte sie dadurch, dass sie an verschiedenen Lyzeen Unterricht gab. Nach 12 Semestern bestand sie am 22. Juli 1930 ihre mündliche Schlussprüfung. Einer der Prüfer war Dr. Leo Baeck, damals ein maßgeblicher Repräsentant des deutschen Judentums, ein anderer ihr Professor für Talmudische Wissenschaft, Eduard Baneth, bei dem Regina Jonas zuvor ihre schriftliche Arbeit eingereicht hatte. Die Schrift trug den zugleich provozierenden wie programmatischen Titel: „Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?“. Baneth bewertete die Arbeit mit „Gut“, hatte also wohl auch die Absicht, seiner Schülerin das Diplom als Rabbinerin zu erteilen; nach seinem plötzlichen Tod im August 1930 unterblieb dieser Schritt jedoch, Jonas´ Abschlusszeugnis vom 12. Dezember 1930 weist sie lediglich als akademisch geprüfte Religionslehrerin aus.

Im Beruf

Sie hielt eine Reihe von Übungspredigten - woraufhin Leo Baeck ihr ausdrücklich bescheinigte, eine „denkende und gewandte Predigerin“ zu sein – und gab Religionsunterricht an öffentlichen Schulen und an Schulen der jüdischen Gemeinde. Für verschiedene jüdische Institutionen hielt sie Vorträge zu religiösen und historischen Themen, auch über Fragen zur Bedeutung der Frauen im Judentum. Ihren eigentlichen Berufswunsch verlor sie nicht aus den Augen. Der Offenbacher Rabbiner Dr. Max Dienemann, Geschäftsführer des Liberalen Rabbiner Verbandes, erklärte sich schließlich 1935 bereit, Regina Jonas im Auftrag des Verbandes mündlich zu prüfen und nach bestandener Prüfung zu ordinieren, obwohl unter den deutschen Juden entschiedene Vorbehalte gegen einen solchen Schritt bestanden. Im Diplom vom 27. Dezember 1935 bestätigte er, dass sie „fähig ist, Fragen der Halacha [des jüdischen Religionsgesetzes] zu beantworten und dass sie dazu geeignet ist, das rabbinische Amt zu bekleiden“. Leo Baeck beglückwünschte sie als „Liebes Fräulein Kollegin!“.

Die Jüdische Gemeinde in Berlin beschäftigte sie auch danach nur als Religionslehrerin, allerdings durfte sie zusätzlich die „rabbinisch-seelsorgerische Betreuung“ in jüdischen und städtischen sozialen Einrichtungen übernehmen. In den Akten der Gemeinde finden sich Gesuche von Gemeindemitgliedern, die Rabbinerin auch in der Neuen Synagoge predigen zu lassen – sie wurden nicht berücksichtigt. Im Trausaal vor dem eigentlichen Synagogenraum konnte Regina Jonas religiöse Feste für Jugendliche und Erwachsene leiten, trug dabei auch Talar und Barett; die Kanzeln der Berliner Synagogen blieben ihr aber weiterhin verwehrt. Sie wurde auch niemals mit religionsgesetzlichen Handlungen wie Trauungen oder Scheidungen beauftragt. Nach 1938 stieg die Zahl der jüdischen Gemeinden, die ohne religiöse Betreuung waren, weil ihre Rabbiner durch das nationalsozialistische Regime zur Ausreise gezwungen oder deportiert worden waren. Im Auftrag der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ reiste Regina Jonas zu derartigen Gemeinden im preußischen Landesverband, um zu predigen und Seelsorge zu leisten. Die Rabbinerin selbst hatte offenbar nie an Auswanderung gedacht, vermutlich auch mit Rücksicht auf ihre Mutter.

1942 wurde sie zur Zwangsarbeit in einer Kartonagenfabrik in Berlin-Lichtenberg verpflichtet, am 6. November 1942 dann zusammen mit ihrer Mutter nach Theresienstadt deportiert. Der Wiener Arzt und Analytiker Viktor Frankl, ebenfalls jüdischer Häftling, hatte hier ein „Referat für psychische Hygiene“ eingerichtet. Es sollte Neuankömmlingen, die meist völlig unvorbereitet im Ghetto eintrafen, über den Schock der ersten Eindrücke hinweghelfen und so ihre Überlebenschancen verbessern. Regina Jonas beteiligte sich an dieser Arbeit und hielt in Theresienstadt außerdem Vorträge und Predigten. 44 Vortragstitel von ihr wurden gefunden. [1] Am 12. Oktober 1944 wurde sie in das KZ Auschwitz-Birkenau verbracht und dort am 12. Dezember ermordet.

Ihre Überzeugungen

Regina Jonas sah sich als gleichberechtigt neben ihren männlichen Kollegen: „Ich kam zu meinem Beruf aus dem religiösen Gefühl, dass G'tt keinen Menschen unterdrückt, dass also der Mann nicht die Frau beherrscht...“ [Die Schreibweise des Begriffes „Gott“ entspricht dem ursprünglichen Text. Nach jüdischem Brauch wird das Wort nicht vokalisiert].

Regina Jonas war jedoch keine Feministin, auch keine Anhängerin des Reformjudentums. Vielmehr war sie dem traditionellen Judentum von früher Jugend an leidenschaftlich verbunden. Ihren Berufswunsch verfolgte sie so hartnäckig, weil sie sich von Gott dazu berufen fühlte und weil sie in den traditionellen jüdischen Gesetzen keinen Widerspruch dazu finden konnte. So unternahm sie in ihrer Abschlussarbeit an der Hochschule als Erste den Versuch, das weibliche Rabbinat nicht mit liberalen Argumenten, sondern aus der Tradition des Judentums heraus zu begründen. Die Frage des Titels: „Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?“ beantwortete sie mit der Schlussfolgerung, dass dem „außer Vorurteil und Ungewohntsein fast nichts“ entgegenstehe.

Sie war also überzeugt „...vom Gedanken der letzten und restlosen geistigen, seelischen, sittlichen Gleichberechtigung beider Geschlechter...“, vertrat dabei aber die Ansicht, dass Männer und Frauen zwar Gleichwertiges, aber dennoch Unterschiedliches leisten könnten und sollten, entsprechend ihren geschlechtsspezifischen Stärken. Über ihren eigenen Beruf schrieb sie: „Gar manche Dinge, die der Mann auf der Kanzel und sonst bei der Jugend nicht sagen kann, kann sie [die Rabbinerin] sagen. Die Welt besteht nun einmal durch G´tt aus zwei Geschlechtern und kann nicht auf die Dauer nur von einem Geschlecht gefördert werden“. Jedoch sollten nach ihrer Meinung nur unverheiratete Frauen als Rabbinerin tätig sein – dieser Beruf und die besonderen Anforderungen von Ehe und Mutterschaft seien nicht miteinander vereinbar. Sie befürwortete das jüdische Prinzip der Keuschheit als erzieherisches Ideal und sprach sich dafür aus, die Trennung der Geschlechter in den Synagogen beizubehalten.

In den 1930er Jahren hatte sich unter deutschen Juden die schmerzhafte Erkenntnis durchgesetzt, dass ihre Bemühungen um Emanzipation und Integration gescheitert waren. Zugleich waren ihnen ihre religiösen Wurzeln und die traditionellen kulturellen Werte oft fremd geworden. In dieser schwierigen, im nationalsozialistischen Staat bald auch lebensbedrohenden Situation war Regina Jonas bemüht, einen Prozess der Neu- und Rückbesinnung zu unterstützen.

Würdigungen

 
Gedenktafel für Regina Jonas, Berlin, Krausnickstraße 6
  • Seit Juni 2001 erinnert eine Gedenktafel an dem Haus Krausnickstraße 6 in Berlin-Mitte an Regina Jonas. In dem Haus, das zuvor an dieser Stelle stand, wohnte sie bis zu ihrer Deportation nach Theresienstadt.[2]
  • In Offenbach (Hessen) wurde am 13. August 2002 ein Weg im Büsingpark nach Regina Jonas benannt. Der Regina-Jonas-Weg verläuft parallel zur Kaiserstraße und kreuzt den Max-Dienemann-Weg. [3]

Literatur

  • Regina Jonas: Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden? Eine Streitschrift/ Hg., kommentiert, eingel. von Elisa Klapheck, Teetz: Hentrich und Hentrich 2000, ISBN 3933471176
  • Elisa Klapheck; Regina Jonas. Die weltweit erste Rabbinerin, Teetz: ebd., 2003, ISBN 3933471486 (Auszüge aus der Einleitung in frz. Sprache: siehe Weblinks, Tenoua Nr. 120/2006 online)
  • Elena Makarova, Sergei Makarov & Victor Kuperman: University Over The Abyss. The story behind 520 lecturers and 2,430 lectures in KZ Theresienstadt 1942-1944. Saur, München 2000. ISBN 3-598-07690-8

Einzelnachweise

  1. Rezension des Buches von Elena Makarova, Sergei Makarov, Victor Kuperman University over the Abyss. The story behind 489 lecturers and 2 309 lectures in KZ Theresienstadt 1942-1944, München, Saur, 2000. Deborah Vietor-Engländer, 4. März 2002
  2. http://www.berlin-judentum.de/denkmal/regina-jonas.htm
  3. http://www.dienemann-formstecher.de/conPresse17.html

Vorlage:PND

Siehe auch

Psychohygiene, liberales Judentum, orthodoxes Judentum