Griechische Kolonisation
Bei den antiken Griechen gab es nach dem Ende der so genannten Dunklen Jahrhunderte mehrere Kolonisationswellen. Die erste wurde wahrscheinlich als eine Spätfolge der Dorischen Zuwanderung, also durch eine demographische Verdrängung ausgelöst. Die Hellenen verbreiteten sich über die Küstenregionen des Mittelmeeres, entlang der Küsten der Mäotis, den Mündungen des Nils, nach Italien, den westlichen Inseln und bis nach Gallien. Überall wurden Pflanzstädte gegründet, die den Handel mit dem Mutterland vermittelten, die Produkte des fremden Landes mit den Erzeugnissen aus heimischer Produktion austauschten und durch erfolgreiche Landwirtschaft bald zu Wohlstand gelangten.
Die Ionische Kolonisation
In der Ionischen Kolonisation wurden - nach antiken Quellen - ab ca. 1050 v. Chr. die Städte an der Westküste Kleinasiens von Ioniern (wieder-)besiedelt. Dass sie stattgefunden hat, gilt als wahrscheinlich, wann genau jedoch und aus welchen Ursachen, ist umstritten. Das früheste Datum ist 1053 v. Chr. für Milet. Dieses wurde - nach Angaben des Archäologen Wolf-Dietrich Niemeier - um 1100 zerstört. Funde protogeometrischer Keramik scheinen eine griechische Präsenz um 1000 v. Chr. zu belegen. Möglicherweise wurde Milet um 1100 v. Chr. von Hethitern verlassen und einige Jahrzehnte später von Ioniern wiederbesiedelt.
Die Große Griechische Kolonisation zwischen ca. 750 und 550 v. Chr.
In ihrem Verlauf verlassen Griechen insbesondere den Peloponnes und gehen nach Nordafrika (Tripolis/Tripolis Libyen, Epta Aderfia/Ceuta), Kleinasien (Byzantion/Byzanz, Trapezus/Trabzon), in die nordpontischen Gebiete (Odessos/Warna, Dioskurias/Sochumi), nach Spanien (Saguntum/Sagunt), Südfrankreich (Massillia/Marseilles, Nikaia/Nizza), Illyrien (heutiges Dalmatien, Montenegro und Albanien) (Aspalatos/Split, Faros/Hvar, Yvis/Insel Vis, Dyrrhachion/Durrës, Budva), Sizilien und Süditalien (Kyme/Cumae, Neapolis/Neapel, Posaidinia/Paestum, Rhegion/Reggio, Kroton/Crotone und Tarent), Vorderer Orient (Tripolis/Tripolis, Libanon). Die Besonderheit dieser Kolonien war, dass Planstädte nach griechischem Muster dauerhaft bewohnt wurden. Die ersten Siedler fühlten sich als Griechen bzw. als Angehörige ihrer Heimatpolis. Es gab Konflikte mit den Einheimischen, die Kolonien waren aber nicht auf Ausbeutung angelegt, sodass auch hier primär Landnahme vorliegt. Die griechischen Kolonisten standen im Wettstreit mit den Phöniziern. Auf Korsika vereitelten die Phönizier zusammen mit den verbündeten Etruskern griechische Kolonisationsversuche, dafür drangen die Griechen an die Rhône-Mündung und nach Spanien vor.
Das früheste Datum, das der griechische Historiker Thukydides nennt, ist 734 v. Chr. In diesem Jahr soll Naxos auf Sizilien durch Chalkidier von Euböa aus gegründet worden sein. Bereits ein Jahr später gründete Korinth die Kolonie Syrakus. In den folgenden Jahrzehnten wurden in Unteritalien und auf Sizilien durch unterschiedliche griechische Poleis weitere Kolonien gegründet. Die archäologische Forschung konnte die Angaben des Thukydides im Großen und Ganzen bestätigen. Zwar ist die griechische Keramik jener Zeit nicht auf das Jahr genau zu datieren und die zeitliche Einordnung ist schwach begründet und strittig; jedoch ist sicher, dass die frühesten griechischen Ansiedlungen in Unteritalien und Sizilien auf jeden Fall noch in der zweiten Hälfte des 8. Jh. entstanden.
Hervorgetan bei der planvollen Kolonisation haben sich Milet (etwa ab dem 7. Jahrhundert v. Chr. Kolonien im Schwarzmeergebiet und Naukratis in Ägypten) sowie kleinere Poleis des griechischen Festlandes. Die milesischen Kolonien am Südrand des Schwarzen Meeres sind bis auf Sinope kaum erforscht. Am Nordufer wurde 1999 Histria am Sinoë-See entdeckt. Die Keramik aus Milet war minoisch, mykenisch oder rhodisch geprägt, sodass man dem milesischem Handwerk keine Eigenart zusprechen kann. In diesem Sinn wird die Keramik als Rhodische Tonware charakterisiert.
Durch Sparta ist nur eine Tochterstadt (Tarent) belegt, und Athen beteiligte sich erst spät an der Kolonisation. Als Grund dafür, dass die beiden "Großen" unter den Polis erst spät aktiv wurden, wird vermutet, dass Athen zuerst die "Binnenkolonisation" in Attika betrieb und Sparta durch kriegerische Mittel (Messenische Kriege) sein Gebiet ausdehnte.
Die Gründe für die "Große Griechische Kolonisation" waren mannigfaltig und müssen differenziert betrachtet werden. Vereinfacht lässt sich sagen, dass folgende Komponenten - in unterschiedlicher Gewichtung - eine Rolle spielten:
- Überbevölkerung in einigen Mutterstädten (in der Forschung strittig!).
- Politische Rivalität, die dazu führte, dass eine der verfeindeten Gruppen auswanderte.
- Sicherung von Handelswegen (spielte vor allem bei den Gründungen Milets eine Rolle).
Vielfach scheinen Orakel, insbesondere das Orakel zu Delphi, eine wichtige Rolle bei der Gründung einer Kolonie gespielt zu haben. Oftmals gaben die Orakelpriester Rat, wann und wo genau eine Kolonie zu gründen sei. Wenngleich die Kolonien von einer Mutterstadt gegründet wurden, stammten in der Regel nicht alle Siedler aus dieser Stadt. Es haben sich meist Menschen aus anderen Städten auf der Suche nach einer neuen Heimat angeschlossen. Die Kolonisation erfolgte im Normalfall per Schiff, auf dem neben den Siedlern auch eine erste Grundausstattung wie Saatgut, Vieh, Gerätschaften oder Waffen zur Verteidigung mitgeführt wurden. Frauen wurden im Normalfall nicht mitgenommen, sie wurden häufig aus der Urbevölkerung genommen. Aus religiösen Gründen und um die Verbindung mit der Mutterstadt zu symbolisieren wurde auch Feuer und Erde aus der Mutterstadt mitgeführt. Mit diesen Utensilien wurde nach der Landnahme zunächst ein Altar errichtet. Oft wurde die erste Siedlung in der Fremde auf einer küstennahen Insel oder auf einer Halbinsel errichtet. Hatten die Kolonisten ihre Stellung gesichert, dehnten sie sich auf das Festland bzw. Hinterland aus. Ein Teil des Landes wurde per Los an die Siedler verteilt, der Rest war Eigentum der neuen Stadt.
In kürzester Zeit übertrafen die meisten Kolonien an Einwohnern und Reichtum ihre Mutterstädte, denn sie waren weniger durch ebenbürtige Nachbarn beschränkt. Dabei blieben sie mit der Heimat in ständiger Verbindung. Wenn sie auch eine politische Oberhoheit der Mutterstadt gewöhnlich nicht anerkannten, hielten sie doch ein Pietätsverhältnis aufrecht. Ihre griechische Nationalität bewahrten sie sich nicht nur, sondern sie breiteten auch ihre Sprache und Bildung bei den Völkerschaften aus, in deren Mitte sie sich ansiedelten.
Die Übervölkerung, die dem griechischen Gemeinwesen hätte gefährlich werden und aufreibende innere Kämpfe hervorrufen können, wurde durch diese Kolonisation nicht nur umgelenkt, sondern zur Steigerung der Macht, zur Förderung des Geisteslebens auch im Mutterland verwertet. Unter sämtlichen Stämmen zeichnen sich bei dieser Tätigkeit die Ionier und unter diesen wieder die Städte Chalkis auf Euböa und Milet aus. Auch bei den unter Führung dorischer und äolischer Geschlechter ausgesandten Ansiedlungen waren in der Regel Ionier beteiligt.
Die bedeutendsten Kolonien Milets waren
am Schwarzen Meer:
an der Propontis:
im Nilland:
- Naukratis, das, von dem für ihm geleistete Hilfe dankbaren Pharao Psammetich hoch begünstigt, eine glänzende Blüte erlangte.
Die euböischen Städte kolonisierten die makedonische Küste, Chalkis gründete hier allein 32 Pflanzstädte. Von den Ionischen Inseln aus, namentlich von Kerkyra, das sich 665 von seiner Mutterstadt Korinth losriss, wurden Ansiedlungen nach der illyrischen Küste und nach Unteritalien entsendet, welche hier schon ältere Handelsniederlassungen der Ionier und Karer aus Kleinasien vorfanden; Kyme, Zankle (Messina), Rhegion, die Ostküste Siziliens mit den Städten Katane, Naxos, Syrakus und Leontinoi verdankten der Vereinigung und dem Wetteifern verschiedener griechischer Staaten ihre Entstehung.
Achäische Geschlechter von der Nordküste des Peloponnes führten ionische Kolonisten nach dem Tarentinischen Meerbusen und gründeten Sybaris und Kroton, lakonische Ansiedler Taras, Rhodier Gela an der Südküste Siziliens und dieses wieder östlicher Akragas, das an Glanz und Pracht bald die Mutterstadt überbot.
Die kühnen Seeleute von Phokäa drangen bis zur Küste Galliens vor, wo Massalia Mittelpunkt ihrer Handelsplätze war, und auch in Spanien nisteten sich Griechen ein und machten den Karthagern die Herrschaft über den dortigen Handel streitig. Von Thera aus wurde Kyrene in Afrika angelegt, welches sich unter der Herrschaft der Battiaden rasch entwickelte und ein mächtiges Reich wurde, das sich gegen Ägypten siegreich behauptete.
Die Kolonisation unter den Nachfolgern von Alexander dem Großen
Ab dem letzten Drittel des 4. Jh. v. Chr. entstand in der Folge der Eroberungen Alexanders des Großen und betraf neue Gebiete in Vorderasien, Nordafrika und reichte im Westen wiederum bis nach Spanien. Diese Kolonien hatten durch ihre stärkere militärische Absicherung den neuzeitlichen Charakter von Kolonien. Sie wurden von einer griechischen Oberschicht beherrscht, es gab wesentlich mehr Spannungen zwischen Besatzern und der einheimischen Mehrheit als in den frühen Siedlungen.