Wikipedia:WikiProjekt Jazz/Basisartikel

Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 2. August 2007 um 08:54 Uhr durch Engelbaet (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Louis Armstrong – Einer der bekanntesten und beliebtesten Jazz-Musiker

Jazz ist eine ungefähr um 1900 in den USA entstandene, überwiegend von Afro-Amerikanern hervorgebrachte Musikrichtung, die in vielfältiger Weise weiter entwickelt wurde - häufig im Crossover mit anderen Musiktraditionen und Genres. Mittlerweile werden auch Musikformen zum Jazz gezählt, die oft nur lose oder kaum noch mit der afro-amerikanischen Tradition verbunden sind.

Der Jazz wird im Hinblick auf seine künstlerische Bedeutung häufig als amerikanisches Pendant zur „klassischen“ europäischen Musik verstanden. Darüber hinaus hat er nahezu allen anderen Sparten der Musik, von Pop bis Folk, neue Möglichkeiten eröffnet.


Kennzeichen des Jazz

Der Jazz baut auf einem überwiegend europäischen Tonsystem auf und verwendet europäische Melodik und Harmonik, musikalische Formen (z. B. Songform) und rhythmische Grundstrukturen (z.B. Marschrhythmus) aus Europa sowie europäische Instrumente (Blasinstrumente, Klavier, Gitarre, Kontrabass, große und kleine Trommel, Becken). Die aus Europa stammende Musikkultur wird im Jazz jedoch auf eigene Weise genutzt. Zentral ist eine besondere, auf Bewegungsgefühl bezogene Rhythmik (Swing, Groove), intensive, spontane Interaktion (u.a. Call and Response) und eine am vokalen Ausdruck orientierte Tonbildung. Diese Elemente lassen sich alle auf das Musikempfinden afrikanischer Musikkulturen zurückführen.[1]

Auch die neueren Strömungen des Jazz weisen einzelne musikalische und ästhetische Charakteristika auf, die sie als Jazz erkennbar werden lassen[2]. Zu diesen Kennzeichen gehören neben den blue notes:

  • Improvisation,
  • Jazz-Rhythmik mit (zumindest tendenziell) polyrhytmischem Charakter,
  • eine spezielle Art der Tonbildung (z.B. Schleiftöne, Multiphonics) und Instrumentenbehandlung,
  • stilistische Individualität einzelner Musiker und
  • ein Traditionsbezug auf vorhergegangene Stile der Jazzgeschichte.

Zentrale Jazzstile

Im Zuge der Verbreitung des Jazz entstand zunächst die Jazz-Kritik und dann die Jazzforschung. Sie versteht den Jazz nicht nur als eine mitreißende Unterhaltungsmusik, sondern auch als ernstzunehmende kulturelle Leistung. So trug sie entscheidend zur Wertschätzung und zum Verständnis eines größeren Publikums für diese Musik bei. Damit bereitete sie den Boden dafür, dass der ab den 1940er Jahren hervorgebrachten Entwicklung, die wie der Modern Jazz jenseits der Popular-Musik liegen, auch eine weltweite Hörerschaft fanden. Allerdings widersprach die Jazz-Kritik mit ihren Kategorisierungen und Deutungen häufig dem andersartigen und überwiegend von afro-amerikanischer Kultur geprägten Zugang der Musiker.

Die Jazz-Kritik entwarf eine Reihe von Jazz-Stilen und deutete ihre Abfolge so, dass die Jazz-Geschichte zumindest bis in die 1960er Jahre als annähernd „folgerichtige“ Entwicklung erschien: New Orleans Jazz/Dixieland Jazz; Chicago Jazz; Swing; Bebop; Cool Jazz/West Coast Jazz; Hard Bop; Free Jazz; Fusion/Rock Jazz. Ungefähr ab 1970 wuchs die Vielfalt der unterschiedlichen Stilrichtungen erheblich an und mit ihnen auch widersprüchliche Auffassungen davon, auf was es im Jazz ankommt, welche Entwicklungen richtungsweisend sind und welche neu hinzugekommenen Musiker als bedeutend anzusehen sind. Es gelang für die Zeit ab den 1970er Jahren daher keine allgemein anerkannte Darstellung einer stilistischen Entwicklung mehr. So werden heute mehrere, zum Teil unterschiedliche Bezeichnungen für Stile, Strömungen und Musikerkreise verwendet. Auch die Stile der Vergangenheit werden aus neueren Blickwinkeln mitunter mit zusätzlichen Stil-Bezeichnungen angereichert („Latin Jazz“, „Modal Jazz“) und abweichend bewertet. Von Musikern, aber auch von Jazz-Kritikern und –Forschern selbst werden all diese Kategorisierungen grundsätzlich in Frage gestellt. Sie sind allerdings zur allgemeinen Orientierung gebräuchlich geblieben.

New Orleans Jazz (ab 1900)

 
Eine traditionelle Jazz-Band 2005 in New Orleans

New Orleans Jazz entwickelte sich Anfang des 20. Jahrhunderts in New Orleans (Louisiana) und verbreitete sich in den 1910er Jahren durch New Orleans Bands nach Chicago, Illinois und New York. Dixieland wird häufig als der erste wirkliche Jazz-Stil gesehen. Es war auch die erste Musik, die unter dem Begriff "Jazz" zitiert wurde. Vor 1917 wurde das Wort Jazz oft "Jass" buchstabiert. Ein bekannter späterer Vertreter des New Orleans Jazz war Louis Armstrong, der allerdings darüber hinaus in vielen Bereichen des Jazz wirkte. Der historische Vorgänger waren die Musik der Marching Bands, Hymnen, Negro Spirituals und Blues, aber auch der Ragtime. In den 1950er Jahren erlebte der New Orleans Jazz eine Renaissance (New Orleans Revival). Stilmerkmale: Kollektivimprovisation, Breaks, Trompete Hauptstimme (wird von anderen Stimmen umspielt).

Dixieland Jazz (ab 1910)

Durch die damalige Rassentrennung waren Bands nach Hautfarben getrennt. In New Orleans gab es von Anfang an sowohl afroamerikanische als auch weiße Bands. Sie lieferten einander oft musikalische Duelle in den Straßen. Es bildete sich schließlich eine weiße Spielart des New Orleans Jazz heraus; der Dixieland Jazz. Bei dieser Richtung traten die ursprüngliche Tonbildung, Schleiftöne, expressives Vibrato und der Gesamtausdruck zurück. Die Melodien waren glatter, die Harmonien reiner und die Technik versierter. Dixieland Jazz ist allerdings nicht scharf vom New Orleans Jazz abzugrenzen. Im Verlauf der Zeit spielten Musiker unabhängig von ihrer Hautfarbe beide Richtungen. Heute gibt es drei Hauptströmungen des Dixieland Jazz: Den Chicago Style, West Coast Revival und New Orleans Traditional.

Chicago Jazz (ab 1920)

In Chicago fand der New-Orleans-Jazz und der Dixieland-Jazz der Profis aus dem Süden viele Nachahmer. Dazu zählten insbesondere Junge Amateure, meist Schüler und Studenten. Es gelang ihnen nicht, die komplexen Konstruktionen gleichwertig nachzubilden. Daher wurde ein neuer Stil entwickelt; der Chicago Jazz. Die Melodien überkreuzen sich hier nicht mehr, sondern liegen parallel zueinander. Die einzelnen Soli haben hier größere Bedeutung. Erstmalig tritt hier das Saxophon als wichtiges Instrument auf. Der bedeutendste Vertreter dieser Stilrichtung war Bix Beiderbecke.

Swing (ab 1926)

Der Swing war die populärste Stilrichtung der Jazzgeschichte. Sie entstand Mitte bis Ende der 1920er Jahre und hatte zwischen 1935 und 1945 ihre Boomzeit. Mit dem Swing ist auch die Entstehung der Bigband verbunden. Kansas City Jazz und Western Swing sind zunächst regionale Unterstile des Swing, die aber ab Mitte der 1930er auch überregionale und teilweise internationale Bedeutung erlangten.

In Europa entwickelte sich seit den 1930ern der Gypsy Jazz. Der bekannteste Vertreter dieser Richtung ist der Gitarrist Django Reinhardt, der diesen Stil entscheidend mitgestaltete. Im Gypsie Jazz finden sich Einschläge europäischer Musiktraditionen. Gitarren und Geigen gehören zur Grundbesetzung.

Bebop (ab 1943)

 
Dizzy Gillespie – Ein Wegbereiter des Bebop

Bebop löste ab 1943 Stück für Stück den Swing als Hauptstilrichtung des Jazz ab. Er bildete den Ursprung des Modern Jazz. Besonderheiten sind größere rhythmische Freiheiten für Schlagzeug und Bass, sehr schnelle Tempi und komplexe Harmonieschemata. Komponisten des Bebop griffen oft auf bestehende musikalische Themen und Harmonieabfolgen zurück und veränderten dabei das harmonische Schema. Alternativ wurden auch neue Themen geschrieben, die der Ausdrucksweise des Bebop gerechter wurden als die Originalthemen (ein Beispiel dafür ist der Titel How high the Moon von Ornithology). Ein weiteres Merkmal des Bebop sind formgebundene Improvisationen über einen längeren Zeitraum.

Latin Jazz (ab 1947)

Latin Jazz ist eine Spielart des Modern Jazz, die sich vor allem durch die Übernahme von Rhythmen und teilweise auch Kompositionen aus dem Repertoire der lateinamerikanischen Musik auszeichnet. Im engeren Sinne handelt es sich vorwiegend um einen Crossover zwischen Elementen des Jazz und verschiedenen Stilen aus der Karibik, wobei wiederum der Musik Kubas eine Schlüsselstellung eingeräumt wird. Im weiteren Sinne schließt der Begriff auch Einflüsse aus der brasilianischen Popularmusik mit ein. Der Pionier des Latin Jazz war Dizzie Gillespie. Er führte 1947 in der New Yorker Carnegie Hall zusammen mit kubanischen Kongospielern die "Afro-Cuban Drums Suite" auf.

Cool Jazz (ab 1948)

Cool Jazz wurde Ende der 1940er in New York, USA von progressiven Jazzmusikern aus dem Bebop heraus entwickelt. Der Terminus "cool" bezieht sich auf eine eher introvertierte Grundhaltung des Musizierens. Der Cool Jazz mit Pionieren wie Lennie Tristano oder Miles Davis ist eher konzertant orientiert und bevorzugt langsamere Tempi und weitgeschwungene Melodiebögen. Der West Coast Jazz ist eine in Kalifornien entstandene melodische Variante dieses Stils, die deutlicher Unterhaltungsbedürfnisse befriedigen möchte.

Hard Bop (ab 1955)

Der Hard Bop (auch Hardbop) ist eine Weiterentwicklung des Bebop, die Elemente aus der neueren afro-amerikanischen Unterhaltungsmusik aufnahm, was eine insgesamt 'härtere', rhythmisch ausgeprägtere Spielweise als die bisherige mit sich brachte. Soul Jazz ist die funkige Variante, die in den frühen 60er Jahren entstand und die im Acid Jazz zu neuer Popularität gelangte.

Free Jazz (ab Ende der 50er Jahre)

Free Jazz ist einerseits ein historischer Begriff für freies ungebundenes Improvisationsspiel im Jazz seit den 60er Jahren. Andererseits ist es ein bis heute ausstrahlendes Paradigma, das die Möglichkeit zur freien Entfaltung immer neuer Formen im Jazz bereithält. Eine stilistische Analyse ist daher nur bedingt möglich. Die folgenden Merkmale sind typisch, aber nicht jedes für alle Stücke dieses Genres zutreffend: Aufhebung festgefügter musikalischer Form- und Strukturregeln, Atonalität manchmal auch Zwölftonmusik, offene Rhythmik, Einflüsse aus allen Musikrichtungen (besonders Weltmusik), Gleichberechtigung von Klang und Geräusch, sowie ein permanenter Wechsel zwischen Solo- und Begleitstimmen (wodurch die Musiker kommunizieren und ihre Stücke entwickeln). Das Jazz-Merkmal des "Leadsheets" (kompositorischer Rahmen) existiert im Free Jazz nur noch bedingt. Vereinfacht ausgedrückt spielt jeder Musiker das, was er und die anderen wollen (Interaktion). Im zeitgenössischen Avantgarde Jazz - einer Free Jazz Variante - greift man wieder auf ein durchgängiges Metrum zurück.

Jazz Fusion (ab Ende der 60er Jahre)

Jazz Fusion ist ein Genre, das Jazz mit anderen Stilrichtungen kombiniert, speziell mit Rock, Funk, R&B, Elektronischer Musik und Weltmusik. Typischerweise mischen Jazz-Musiker hier Jazztechniken unter Einsatz elektrisch verstärkter Instrumente, wie der E-Gitarre, dem E-Piano und dem Synthesizer mit rhythmischen Strukturen afromerikanischer Popmusik, sowohl von Soul als auch von Rhythm and Blues, aber auch Rockmusik. Jazzfunk ist eine Spielart der Jazz Fusion.


Zeitgenössische Entwicklungen

World Jazz, World Music bzw. Ethno Jazz

Anders als frühere Begegnungen von Jazzmusikern mit Musikern anderer Musikkulturen, bei denen exotische Themen mit Mitteln der Jazz-Stilistik behandelt wurden, entstanden ab den 1970er Jahren Verbindungen von Jazz mit „nicht-westlicher“ Musik, in denen der Jazz-Charakter zugunsten eines gleichberechtigten Austauschs und des Bemühens um tatsächliche Fusion zurückgestellt wurde (z.B. in den Gruppen Shakti oder Codona). Für diese Versuche einer musikalischen Synthese wurden die Bezeichnungen „World Jazz“, „World Music“, aber auch „Ethno-Jazz“ gebräuchlich. Der Begriff „World Music“ wird aber auch in darüber hinausgehender Weise verstanden, im Sinne einer allen Musikkulturen zugrundeliegenden Gemeinsamkeit, einer weltumspannenden musikalischen Sprache und sogar im Sinne einer Abbildung universaler (spiritueller) Welt-Prozesse in Musik.

Neotraditionalismus

Anhänger des „Neotraditionalismus“ lehnen die Entwicklungen des Free Jazz und der Jazz Fusion als dem Wesen des Jazz widersprechend ab und sehen die Elemente Blues und swing als unentbehrliche Bestandteile von Jazz an. Der sogenannte „Neo Bop“ - eine aktuelle Form der aus dem Bebop und Hardbop abgeleiteten Jazz-Tradition (Bop-Continuum) – bildet einen wesentlichen Teil des Neotraditionalismus, der aber weit darüber hinausreicht: einerseits durch einen Rückbezug auf ältere Stile (Louis Armstrong dient als wichtiger Bezugspunkt), andererseits durch einen starken Einfluss des sogenannten modalen Jazz (das Vorbild der Miles-Davis-Quintette und des „klassischen“ John-Coltrane-Quartetts sind allgegenwärtig). Im Vordergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit dieser Bewegung steht der Trompeter Wynton Marsalis.

Neoklassizismus

Den Ausdruck „Neoklassizismus“ hat der Jazz-Kritiker Joachim E. Berendt zur Bezeichnung einer Stilrichtung verwendet, die aus dem Free Jazz hervorgegangen ist und dessen Ausdrucksmöglichkeiten im Sinne der Jazz-Tradition „stimmig“ macht. Diese Richtung teilt mit dem Neotraditionalismus („Klassizismus“ im Sinne Berendts) die Wertschätzung für die afro-amerikanische Jazz-Tradition, bringt in ihr Traditions-Verständnis jedoch die Erfahrungen und Ausdrucksmittel des Free Jazz mit ein. So erscheinen etwa im Spiel des Tenor-Saxofonisten David Murray die Schrei-ähnlichen Überblas-Effekte des Free Jazz mehr als moderne Formen uralter Blues-Shouts als dass sie in einem avantgardistischen Sinne zu verstehen wären.

Downtown

„Downtown“ ist eine Bezeichnung für eine fast ausschließlich euro-amerikanische Szene, die in Downtown-Manhatten beheimatet ist und eine spezifische Stilrichtung entwickelt hat. Sie führte in den 1980er Jahren zunächst den Free Jazz in extrem avantgardistische Bereiche („Noise Music“ (Verwendung von Geräuschen anstelle von Tönen) mit Verbindungen zur „Neuen Musik“ und zu avantgardistischer Rock-Musik. Daraus entwickelte sie ein extrem eklektizistisches Musikverständnis, das als symptomatisch für die enorme Vielfalt der Stile und Auffassungen der zeitgenössischen Jazz-Szene angesehen wird: die unterschiedlichsten Musikarten (Zeichentrickfilm-Musik, Avantgarde-Jazz, Hardcore-Rock usw.) werden gleichberechtigt verwendet – oft collagenartig und in schnell wechselnder Abfolge. Als zentrale Persönlichkeit dieser Szene gilt der Alt-Saxofonist John Zorn.

Imaginäre Folklore

(kommt noch)

M-Base

Die Musik der herausragenden Vertreter des M-Base-Musiker-Kreises ist hoch komplex strukturiert und virtuos, bezieht zahlreiche Elemente der Jazz-Tradition mit ein, stellt aber den Gegenwartsbezug in den Vordergrund und ist in der aktuellen afro-amerikanischen Groove-Musik verankert.

Nu Jazz

Nu Jazz (gelegentlich auch als Electro Jazz bezeichnet) ist eine Richtung der elektronischen Musik der späten 1990er- und der 2000er-Jahre. Auch der Nu Jazz ist nur bedingt als originärer Jazzstil zu bezeichnen, da die Basis dieser Musik meist elektronische Musik ist, die mit Jazz-Elementen verbunden wird. Wie auch Electronica oder Downtempo ist Nu Jazz nicht genau definiert, sondern wird vielseitig eingesetzt und für viele verschiedene musikalische Variationen verwendet. Als Nu Jazz wird beispielsweise sowohl Drum ’n’ Bass oder House mit Jazz-Anklängen, als auch der so genannte Broken Beat bezeichnet.

In den letzten Jahren wurde vornehmlich durch Sängerinnen wie Silje Nergaard, Rebekka Bakken, Katie Melua, Sidsel Endresen, Viktoria Tolstoy und Solveig Slettahjell die Popmusik mit Mitteln der Jazzmusik neu definiert.

Musikalische Form

Im Vergleich mit der „Architektur der großen Form“ in der europäischen Konzertmusik mit dem zunehmend groß angelegten komplexen Aufbaus ihrer Kompositionen wirkt der Jazz (ähnlich wie auch afrikanische und indische Musikformen) zumeist einfach. Der großen Bedeutung der Improvisation und des Groove im Jazz entsprechend ist die musikalische Gestaltung sehr in den Verlauf der Zeit eingebettet, mit grundsätzlich offenem Ende. Jazz ist demnach weitgehend seriell (hintereinander verlaufend) organisiert und tendiert daher zu modularen, kleineren Gestaltungseinheiten. Dem Musikwissenschaftler Vijay Iyer zufolge liegt das Augenmerk "statt auf der groß angelegten hierarchischen Form" vermehrt "auf den fein-körnigen rhythmischen Details und der Hierarchie rhythmischer Überlagerungen. Die größeren musikalischen Formen ergeben sich daher emergent aus der improvisierten Gestaltung dieser kleinen musikalischen Bestandteile.“ [3]

Nur zum Teil wurde formal eine größere Nähe zur Konzertmusik der europäischen Tradition gesucht. Hier ist zunächst Duke Ellington mit Kompositionen wie dem Diminuendo And Crescendo In Blue oder der Suite Black, Brown and Beige zu nennen. Der Progressive Jazz eines Stan Kenton und vor allem der Third Stream eines Gunther Schuller, Charles Mingus oder John Lewis[4] haben diesen Weg weiterverfolgt. Häufiger jedoch wurde in der Vergangenheit die ästhetische Haltung aus der Konzertmusik Europas auf weniger komplexe Musikstücke in die Song-Charakteristik und die in ihnen gespielten Improvisation übertragen, beispielsweise bei Dave Brubeck oder bei Jutta Hipp.

In einigen Strömungen des Jazz werden den Improvisationen Eigenkompositionen zugrunde gelegt, in anderen wird häufig auf bewährte Standards und bekannte Songs anderer Musikgenres zurückgegriffen.

Jazzstandards

Ein Jazzstandard ist eine Melodie mit festgelegter Harmoniefolge, die häufig als Thema und Material einer Jazzimprovisation dient. In der Regel wird das Thema zu Beginn und zum Schluss des Stücks vorgestellt; dazwischen erfolgen Improvisationen (fast immer in solistischer Abfolge). Standards stammen seit etwa 1930 aus Schlagern, Chansons, Musicals, Filmmusik und Eigenkompositionen von Jazzmusikern. Sie gehören zum Grundrepertoire eines traditioneller orientierten Jazzmusikers. In den 1950er Jahren verwendeten Bebop-Musiker solche bereits bekannten Songs und schrieben neue Melodien über deren Akkordfolgen oder behielten die Melodie, veränderten aber die Akkordfolgen (Harmonien) dieser Songs. Auf diese Weise entstanden neue Standards, deren neuentwickelte Themen mit dem Fachbegriff bebop head bezeichnet werden.

Viele Jazzmusiker spielen diese Melodien und improvisieren darüber bzw. über die durch Melodien gebildete Akkordfolge. Die musikalischen Übereinkünfte dafür variieren von Stil zu Stil. Einige Jazzgruppen greifen bei Auftritten auch auf eine Auswahl der im Jazz allgemein anerkannten Jazzstandards zurück, auf die sich verschiedene Musiker oft rasch gemeinsam verständigen können. Diese Standarisierung bildet die Basis für eine allgemeine Verständigung. Damit können sie ohne Probe ein Konzert geben, selbst wenn sie sich vorher noch nie getroffen haben. Auch bei den spontanen Jazzmusikertreffen, den "Sessions", spielen Standards eine verbindende Rolle.

Ausbildung und Förderung

Ab Anfang der 1960er Jahre, in Europa ab etwa 1970 verzeichnete die Ausbildung im Bereich des Jazz starken Aufschwung. Ausser an eigenständigen akademischen Ausbildungsrichtungen im „Mutterland“ des Jazz wie dem Berklee College of Music, dem New England Conservatory of Music oder der Juilliard School konnte nun auch an der Kunstuniversität Graz Jazz studiert werden. In der Schweiz bietet die Swiss Jazz School Ausbildungsmöglichkeiten, während es in Deutschland seit den 1980er Jahren üblich ist, dass sich an den Hochschulen für Musik eigene Studiengänge für Jazz und Popularmusik befinden. In den letzten Jahren sind in den meisten Ländern Wettbewerbe wie Jugend jazzt und vor allem Jazzpreise entstanden, mit denen entweder vielversprechende Nachwuchsmusiker entsprechend anerkannt und gefördert oder verdiente Musiker ausgezeichnet werden.
Die jungen Jazz-Musiker sind heute allgemein auf sehr gutem technischen Stand. Die meisten dieser Nachwuchskünstler fixieren sich aber vorwiegend auf das Imitieren allseits anerkannter Jazzformen. Einige wenige hingegen setzen souverän ihre eigenen Vorstellungen in neue Formen musikalischer Gestaltung um.

Etymologie

Die Herkunft des Ausdrucks Jazz ist ungeklärt. 1909 tauchte der Begriff in dem Song „Uncle Josh in Society“ auf: „One lady asked me if I danced the jazz ...“, wahrscheinlich eine Art von Ragtime-Tanz meinend. 1913 ist der Begriff belegt als Bezeichnung einer Art von Musik, möglicherweise als Bezeichnung für die Musik zu jenem Ragtime-Tanz. Möglicherweise ist er abgeleitet aus einem Wort „jass“ aus dem kreolischen Patois, „jass“, für „tatkräftige Aktivität“, im speziellen Sexualverkehr. Dazu eine Quelle: „If the truth were known about the origin of the word 'Jazz' it would never be mentioned in polite society.“ [„Étude“, Sept. 1924]. (Auf Deutsch: "Wäre die Wahrheit über die Herkunft des Wortes 'Jazz' bekannt, würde es keinesfalls in der feinen Gesellschaft erwähnt werden.")

Ab spätestens 1915 gibt es Bands aus New Orleans, die das Wort Jass oder Jazz im Band-Namen tragen und/oder damit ihre Musik bezeichnen.

Möglich ist auch eine Ableitung des Wortes Jass oder Jazz aus der Verwendung des Begriffes jasm (französisches Wörterbuch von 1860) für Energie, Dynamik und Vitalität, als passender Ersatzbegriff für afrikanische Tanznamen wie etwa Mandingo jasi oder Temne yas), jedenfalls gilt ein anderes Slangwort (jism) auch daher abgeleitet. Jasi ist nicht nur der Name eines Tanzes, sondern steht auch für „in Erregung versetzen“.

Das englische Verb „to jazz“ für „to speed or liven up“, schneller werden oder beleben, in Schwung bringen, ist ab 1917 belegt.

Siehe auch

Liste von Jazzmusikern (alphabetisch geordnet) | Liste von Jazzmusikern nach Epoche und Instrument | Liste von Jazzsängern | Jazzmusiker in Deutschland | Liste von Jazzkomponisten | Stilrichtungen der Musik |

Literatur

  • Joachim-Ernst Berendt, Günther Huesmann (Bearb.): Das Jazzbuch. 7. Auflage. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3100038029
  • Ken Burns, Geoffrey C. Ward: Jazz – eine Musik und ihre Geschichte. Econ, München 2001, ISBN 3430116090. (Nach einer Dokumentarfilm-Reihe von Ken Burns mit Beiträgen von Wynton Marsalis)
  • Geoff Dyer: But Beautiful: Ein Buch über Jazz. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2003, ISBN 359615314X
  • John Fordham: Das grosse Buch vom Jazz : Geschichte, Instrumente, Musiker, Aufnahmen. Christian, München 1998, ISBN 3884723952
  • Lloyd Peterson: Music and the Creative Spirit: Innovators in Jazz, Improvisation and the Avant-Garde. Scarcrow, Oxford 2006, ISBN 0-8108-5284-5
  • Dita von Szadkowski: Grenzüberschreitungen: Jazz und sein musikalisches Umfeld der 80er Jahre. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main ISBN 3-596-22977-4
  • Ekkehard Jost: Sozialgeschichte des Jazz. 2. Auflage. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-86150-472-3
  • Dirk Sutro: Jazz für Dummies. MITP-Verlag, Bonn 1999, ISBN 3-8266-2836-5
  • Studs Terkel: Giganten des Jazz. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-86150-723-4
  • Klaus Wolbert (Hrsg.): That's Jazz: der Sound des 20. Jahrhunderts; eine Musik-, Personen-, Kultur-, Sozial- und Mediengeschichte des Jazz von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bochinsky, Frankfurt am Main 1990, ISBN 3923639872
  • Peter Niklas Wilson (Hrsg.): Jazz-Klassiker. Reclam, Stuttgart 2005, ISBN 978-3-15-030030-5

Lexika

Diskographien

  • Manfred Scheffner (Hrsg): Bielefelder Katalog Jazz. Vereinigte Motor Verlage, 2005, ISBN 3-89113-137-2

Einzelnachweise

  1. Vgl. John Miller Chernoff, Rhytmen der Gemeinschaft. München 1994 (engl. 1979)ISBN 3-923804-39-3; Gerhard Kubik, Afrikanische Elemente im Jazz - europäische Elemente in der populären Musik Afrikas. Leipzig 1988. ISBN 3-379-00356-5, S. 322ff.
  2. http://www.darmstadt.de/kultur/musik/jazz/history/Jazzhistory-1.htm
  3. V. Iyer, Microstructures of Feel, Macrostructures of Sound: Embodied Cognition in West African and African-American Musics. Diss.: Berkeley 1998
  4. Peter W. Schatt, "Jazz" in der Kunstmusik : Studien zur Funktion afro-amerikanischer Musik in Kompositionen des 20. Jahrhunderts. Kassel 1995. ISBN 3-7649-2476-4
Wikibooks: Jazzgitarre – Lern- und Lehrmaterialien
Wikiquote: Jazz – Zitate
Wiktionary: Jazz – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Vorlage:Link FA