Methodenstreit der Weimarer Staatsrechtslehre

Debatte in der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik mit dem Rechtspositivismus Hans Kelsens
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 1. August 2007 um 22:56 Uhr durch C.Löser (Diskussion | Beiträge) (typos). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Der Methodenstreit der Weimarer Staatsrechtslehre ist ein vor allem in den 1920er Jahren und insbesondere unter Staatsrechtlern der Weimarer Republik ausgetragener Methodenstreit.

Ausgangsage

Aus der seinerzeit überschwänglichen Begeisterung nicht nur der Rechtswissenschaften für die im Vordringen befindlichen exakten Naturwissenschaften hatte sich im deutschen Sprachraum bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in der Staatsrechtslehre der Rechtspositivismus durchgesetzt: Das positivierte, also gesetzte Recht wurde von den Juristen wie eine naturwissenschaftliche Tatsache behandelt; alles formell rechtmäßig zustandegekommene Recht hatte unabhängig von seinem materiellen Gehalt Gültigkeit.

Der Methodenstreit

Diesen klassischen Rechtspositivismus hatten die österreichischen Staatsrechtslehrer der Wiener Schule, allen voran Hans Kelsen, bis in die 1920er Jahre sogar noch zuspitzend zur Reinen Rechtslehre weiterentwickelt – als Hauptwerk der Reinen Rechtslehre gilt Kelsens 1934 veröffentlichtes Werk Reine Rechtslehre, in der er die Stück für Stück in früheren Schriften entwickelte Lehre systematisch ausführte.

In den 1920er Jahren begann jedoch die Kritik am Rechtspositivismus zu wachsen; neben Staatsrechtlern wie Heinrich Triepel oder Erich Kaufmann waren es vor allem die Protagonisten Carl Schmitt, Rudolf Smend und Hermann Heller, die sich – jeder auf seine Weise – vom Rechtspositivismus abwandten.

Carl Schmitt

Schmitt, als dessen Hauptwerk die Verfassungslehre von 1928 gilt, setzte an die Stelle des staatsrechtlichen Positivismus die Dezision des (Entscheidungs-)Machthabenden als den Geltungsgrund allen Rechts wie überhaupt aller Ordnung. Dieser Dezisionsimus wird besonders deutlich in seinem Werk Der Begriff des Politischen und ist prägend für Schmitts gesamtes damaliges Werk; erst später rückte er das "konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" in den Mittelpunkt.

Schmitts Stil wird zumeist als okkasional polarisierend bezeichnet. Dazu im Gegensatz steht die Lehre Smends.

Rudolf Smend

Smend entwickelte seine Integrationslehre, die ganz im Gegensatz zu Schmitts Operieren mit trennscharfen Begriffskategorien als integrativ, konsensual und undogmatisch beschrieben werden kann. Als Hauptwerk gilt Smends Verfassung und Verfassungsrecht, dass ebenfalls 1928 und ebenfalls im Verlag Duncker & Humblot, jedoch kurz nach Schmitts Verfassungslehre erschien.

Hermann Heller

Heller selbst entwarf kein neues System, sondern ging eklektisch und synkretisch vor. Auch erlag er einem Herzleiden, bevor er sein Hauptwerk Staatslehre ganz fertigstellen konnte. Es erschien posthum 1934.

Nachwirkung

In der Bundesrepublik Deutschland verlor der Rechtspositivismus und damit der Methodenstreit grundsätzlich an Aktualität. Zwar gab es anfangs noch die beiden Lager der Schmitt-Schule (ihr zuzurechnen sind etwa Ernst Rudolf Huber, Werner Weber, Ernst Forsthoff, Roman Schnur und Ernst-Wolfgang Böckenförde) und Smend-Schule (Gerhard Leibholz, Ulrich Scheuner, Konrad Hesse, Horst Ehmke, Peter Häberle), doch verlor auch diese Lagerbildung in den 1970er Jahren ihre Grundsätzlichkeit.

In etwa diese Zeit fällt auch der Beginn der Rezeption Hellers Staatslehre in der Rechtswissenschaft, nachdem das Werk Hellers, der selbst keine Schule begründet hat, in der Politikwissenschaft bereits seit längerem rezipiert wurde.

In Österreich ist die Popularität Kelsens und seiner Reinen Rechtslehre nach wie vor ungebrochen.

Quellen und Literatur

  • Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II: Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800–1914, C. H. Beck, München 1992, S. 276 ff.
  • Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914–1945, C. H. Beck, München 1999, S. 153 ff.
  • Michael Stolleis: Der Methodenstreit der Weimarer Staatsrechtslehre – ein abgeschlossenes Kapitel der Wissenschaftsgeschichte?, Steiner, Stuttgart 2001.
  • Gerhard Robbers: Die Staatslehre der Weimarer Republik. Eine Einführung, in: Jura 1993, S. 69 bis 73.
  • Frieder Günther: Denken vom Staat her. Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949–1970, München 2004.