Der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag), engl.: Conventional Forces in Europe Treaty (CFE), wurde am 19. November 1990 in Paris von den 22 Regierungschefs der Länder der westlichen Allianz (NATO) und des damaligen Warschauer Paktes (WP) unterzeichnet. Nachdem er zunächst am 17. Juli 1992 vorläufig in Kraft gesetzt wurde, trat er am 9. November 1992 endgültig in Kraft. Die einschneidenden Veränderungen der Weltlage (Auflösung des Warschauer Paktes, Zerfall der Sowjetunion, NATO-Erweiterung) machten Anpassungen des Vertrages erforderlich. Am 19. November 1999 wurde das Übereinkommen über die Anpassung des Vertrags über Konventionelle Streitkräfte in Europa von den Teilnehmerstaaten unterzeichnet. Allerdings wurde dieser sogenannte adaptierte KSE-Vertrag (AKSE) nie von NATO-Staaten und insgesamt erst von 3 Staaten ratifiziert (eigentlich 4, jedoch eine Rücknahme).
Ursprünglicher Vertrag
Das Vertragswerk baute zunächst das große Ungleichgewicht konventioneller Streitkräfte der NATO und des damaligen Warschauer Paktes ab. Der Vertrag setzt Begrenzungen für fünf Waffenkategorien fest: Kampfpanzer, Gepanzerte Kampffahrzeuge, Artillerie mit min. 100-mm Kaliber, Kampfflugzeuge und Angriffshubschrauber.
Geltungsgebiet ist vom Atlantik bis zum Ural (ATTU-Zone). Es gibt 30 Vertragsstaaten: Armenien, Aserbaidschan, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Georgien, Griechenland, Island, Italien, Kanada, Kasachstan, Luxemburg, Moldawien, die Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien, Russland, Slowakei, Spanien, die Tschechische Republik, Türkei, die Ukraine, Ungarn, die Vereinigten Staaten von Amerika, Vereinigtes Königreich und Weißrussland.
Der Vertrag hat umfassende Verifikationsregelungen (u.a. Inspektionen und Informationsaustausche). Die grundlegenden politischen Veränderungen in Europa machten jedoch eine Anpassung an die neuen Strukturen in Europa erforderlich.
Das Übereinkommen über die Anpassung des KSE- Vertrages 1999
Das Übereinkommen vom 19. November 1999, über das in Istanbul verhandelt wurde, ersetzt das im KSE-Vertrag festgelegte, blockbezogene militärische Gleichgewicht. Die Ablösung dieser Ost-West-Balance durch ein europäisches System (sub-)regionaler Stabilität bedeutet:
- Überwindung des (Vertrags-)Gruppenprinzips
- Aufgabe des Regionalprinzips im Anwendungsgebiet
- Festlegung nationaler und territorialer Obergrenzen
- Schaffung von Flexibilitätsmechanismen für militärische Übungen und Krisensituationen
- Öffnung für neue Mitglieder
- Verbesserung/Verdichtung des Informations- und Verifikationsregimes
Erfolglose Vorläufer der Verhandlungen zum KSE-Vertrag waren die MBFR-Verhandlungen von 1973 bis 1989.
2004 ratifizierten die Sowjet-Nachfolger Russland, Weißrussland, Kasachstan und die Ukraine diesen Angepassten KSE-Vertrag. [1] Im Gegensatz dazu setzten die NATO-Staaten den Vertrag bisher nicht um. Der angegebene Grund ist die Nichterfüllung der sogenannten „Istanbul-Commitments“ durch Russland – zeitliche Regelung des Abzugs der russischen Truppen aus Georgien sowie Abzug der russischen Truppen und Material/Munition aus Moldawien-Transnistrien. Dieses ist allerdings juristisch nicht mit dem KSE-Vertrag verbunden. Die Verknüpfung wurde vielmehr im Jahr 2000 in Florenz von der NATO einseitig aus Protest gegen den von Russland geführten Zweiten Tschetschenienkrieg beschlossen. [2] Russland lehnt diese Argumentation der NATO-Staaten ab. Russland hat sich mittlerweile mit Georgien auf einen Stationierungsvertrag und einen Abzugsplan bis 2008 geeinigt und zu großen Teilen umgesetzt. In Moldawien sind rund 500 Soldaten zur Bewachung eines sehr großen Depots stationiert, das man nicht unbeaufsichtigt lassen könne.
Deutschland scheint demnach bereit zu sein, die russischen Truppen in Georgien und Moldawien als Friedenstruppen umzudeklarieren, so dass Russland so seine Verpflichtungen nach NATO-Lesart hinreichend erfüllt hätte. Die USA verlangten allerdings vorab einen Abzug aller Soldaten und sehen keine Notwendigkeit, neue Rüstungskontrollvereinbarungen mit Rußland zu vereinbaren. Für die baltischen Staaten brächte ein Beitritt zum KSE-Vertrag militärische Beschränkungen, da Verstärkungen aus anderen NATO-Staaten möglicherweise limitiert werden müßten. Mit der Infragestellung des KSE-Vertrages insgesamt hat Wladimir Putin die Kardinalfrage gestellt, ob Europa mit oder gegen Russland arbeitet und eine Machtprobe eingeleitet, mit den USA auf Augenhöhe zu verhandeln. [3]
Am 26. April 2007 stellte der russische Präsident Wladimir Putin die Aussetzung des Vertragswerkes durch das russische Parlament zur Debatte. Putin begründete dies mit dem Umstand, dass einige neu hinzugekommene NATO-Staaten, namentlich die Slowakei und die baltischen Staaten, dem Vertrag nicht beigetreten seien. Seinen Worten nach erfülle Russland den KSE-Vertrag bislang nur einseitig. Kurze Zeit später machte Putin dann seine Ankündigung wahr und fror den Vertrag zunächst ein.[4][5] Hintergrund für diesen Konflikt war die geplante Einrichtung eines Raketenabwehrschilds (der USA) in Tschechien und Polen [6]. Die US-Raketenabwehrpläne tangieren Moskaus nukleare Abschreckungsfähigkeit. Rußland fürchtet langfristig die Fähigkeit der Abschreckung zu verlieren. Washington hat mit der geplanten Raketenabwehr und den Radaranlagen, die auch weite russische Gebiete abdecken, ein Versprechen an die Russen nicht eingehalten, daß es "in den neuen Nato-Mitgliedstaaten keine dauerhafte Stationierung strategisch relevanter Waffenpotenziale geben werde." [7]
Beim G8-Gipfel in Heiligendamm Anfang Juni war von Wladimir Putin als Kompromisslösung erst ein gemeinsames Projekt von NATO und Russland in Aserbaidschan vorgeschlagen worden(Radarstation Qəbələ)[8], dann eine gemeinsame Radarstation in Russland [9], doch blieben auch weitere Gespräche in Kennebunkport [10] anläßlich einer exclusiven Einladung der Familie Bush über dieses Thema und Anderem wie zum Kosovo und dem Iran, aus. Daraufhin setzte Russland am 14. Juli 2007 den KSE-Vertrag aus. Zur Begründung wurden „außerordentliche Umstände“ genannt, die zum Schutz der Sicherheit Russlands „sofortige Maßnahmen“ erforderten.[11]
„Wir gehen an diesen Vertrag höchstehrlich heran und beanspruchen nur das, weswegen er geschlossen worden war: die gleiche Sicherheit“, erklärte der russische Außenminister.
Laut dem russischen Außenminister Sergej Lawrow "sei das Prinzip der ausgewogenen Sicherheit mit der Auflösung der Organisation des Warschauer Vertrages bei gleichzeitiger Erhaltung und Erweiterung der NATO unterminiert worden." [12]
Wegen des Streits um die US-Raketenabwehr in Osteuropa hat der russische Präsident Putin am 14. Juli 2007 die Aussetzung des KSE-Vertrags verkündet.[13]
Am 12. Juni 2007 begann in der Wiener Hofburg eine von Russland geforderte Sonderkonferenz zu diesem Vertrag, die nach 4 Tagen ohne Ergebnis endete. [14] Anatli Antonow beabsichtigte eine rasche Ratifizierung des Vertrages durch die NATO und Änderungen aufgrund der neuen geopolitischen Konstellation zu erreichen. Nicht zu dieser Konferenz, so Antonow, gehöre das US-amerikanische Raketenschild. Dies werde auf einer anderen Ebene erörtert werden. [15]
Alexander Konowalow, Leiter des Instituts für strategische Schätzungen und Analysen stellte fest. "Ich denke aber nicht, dass wir mit der gesamten Nato Schritt halten müssten. Man muss begreifen, dass wir infolge der politischen Konfiguration Europas nicht in der Lage sind, mit der gesamten Nato bei der Menge der konventionellen Rüstungen mitzuhalten. Dies wäre in technischer Hinsicht dumm, in wirtschaftlicher Hinsicht verrückt und in politischer Hinsicht unnötig. Immerhin reden wir die ganze Zeit von einer Partnerschaft mit der Allianz." "Der adaptierte KSE-Vertrag bietet die Möglichkeit, es zu kontrollieren, ob sich vor unseren Grenzen eventuell größere Verbände bilden", so der Experte. "Auf diese Weise wird die Beunruhigung hinsichtlich der Sicherheit unserer Westgrenzen beseitigt." [12]
Vertragstext
(unvollständig) Artikel XXI, Punkt 2 des KSE-Vertrages: "Der Verwahrer beruft eine außerordentliche Konferenz der Vertragsstaaten ein, wenn ein Vertragsstaat, der die Auffassung vertritt, daß außergewöhnliche Umstände im Zusammenhang mit diesem Vertrag eingetreten sind, darum ersucht ... Um den anderen Vertragsstaaten die Vorbereitung auf diese Konferenz zu ermöglichen, enthält das Ersuchen die Begründung dafür, warum der Vertragsstaat eine außerordentliche Konferenz für erforderlich hält. Die Konferenz prüft die in dem Ersuchen genannten Umstände und ihre Auswirkungen auf die Wirkungsweise des Vertrags. Die Konferenz beginnt spätestens 15 Tage nach Eingang des Ersuchens und dauert höchstens drei Wochen, sofern sie nichts anderes beschließt." [16]
Rüstungsbeschränkungen
Laut dem Vertrag dürfen von beiden Seiten (NATO und Warschauer Pakt) folgende Stückzahlen an militärischem Gerät nicht überschritten werden:
- 20.000 Kampfpanzer, hierzu zählen die Typen AMX-30, Centurion, Challenger, Chieftain, Leopard 1, Leopard 2, M-1, M-60, M41, M47 und NM-116
- 30.000 Gepanzerte Fahrzeuge, hierzu gehören die Typen AFV 432 Rarden, AMX-10P, BMP-1/BRM-1, BMP-2, M2/M3 Bradley, Marder, NM-135, Warrior und YPR-765 (25 mm)
- 20.000 Artilleriegeschütze
- 6.800 Kampfflugzeuge
- 2.000 Angriffs-Helikopter
Quellen
- ↑ [1]
- ↑ Der Tagesspiegel: Das Wort zur Tat, 14. Juli 2007.
- ↑ [2]
- ↑ Jahresbotschaft: Putin droht mit Aussetzung von KSE-Vertrag, RIA Novosti, 26. April 2007.
- ↑ Putin setzt Rüstungskontroll-Vertrag aus, 26. April 2007.
- ↑ [3]
- ↑ [4]
- ↑ Süddeutsche Zeitung: „Putin schlägt Bush gemeinsame Militärbasis vor“, 7. Juni 2007.
- ↑ [5]
- ↑ [6]
- ↑ tagesschau.de: Putin setzt KSE-Vertrag aus, 14. Juli 2007.
- ↑ [7]
- ↑ Putin setzt KSE-Vertrag aus. Meldung auf Tagesschau.de vom 14. Juli 2007
- ↑ [8],[9]
- ↑ [10]
- ↑ [11]