Kirchturm

Geschoss mit Schallöffnungen, in dem sich der Glockenstuhl befindet
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Ein Kirchturm ist der zu einem Kirchengebäude gehörende Turm.

Kirchturm der Peterskirche in Heidelberg
Campanile von Sant'Apollinare Nuovo
Brechin (Schotttland):
runde Türme aus dem 10. Jh., eckiger aus dem 13./14. Jh.
Stiftskirche Gandersheim: Westwerk
einfacher Kirchturm
St. Sernin (Toulouse): Kreuzbasilika mit Vierungsturm
Bamberger Dom,
vier gleich hohe Türme
Marienkirche in Lübeck mit Westtürmen und Dachreiter
Hinte (Ostfriesland): romanischer Glocken-„Turm“
Konstanzer Münster 1819
Konstanzer Münster heute

Funktionen

Im traditionellen Verständnis hat ein Kirchturm mehrere Funktionen:

  • Glockenturm, in früheren Zeiten nicht nur zur Ankündigung des Gottesdienstes
  • Wachturm, bis ins 19. Jahrhundert Arbeitsplatz des Türmers, der nach militärischer Bedrohung und Bränden Ausschau hielt
  • Repräsentation
  • Wehr- und Fluchtturm
  • In Meeresnähe als Seezeichen
  • Seit Erfindung mechanischer Uhrwerke als Uhrturm
  • In jüngerer Zeit als Aussichtsturm

Position und Dimension

Die häufigste Position ist die am dem (Haupt-) Altar gegenüberliegenden Ende des Kirchenschiffs. Traditionell ist das das Westende, aber seit dem 18. Jahrhundert haben städtebauliche Überlegungen Vorrang vor der im Mittelalter üblichen Ost-West-Orientierung der Kirchen. Es gibt aber auch Kirchen mit einem seitlich angebauten Turm, mit freistehendem Turm oder mit zwei oder vier etwa gleichhohen Türmen. Bei manchen romanischen Kreuzbasiliken ist der Vierungsturm höher als der oder die Glockentürme. In Vierungstürmen reicht auch der Innenraum des Hauptschiffs über den über Firsthöhe hinaus und erhält Licht durch Fenster des Turms. Ebenfalls in der Romanik baute man statt eines Turmes gern ein breitgestrecktes wehrhaftes Westwerk.

Daneben gibt es Kleinformen, bestehend aus ein oder zwei Bögen zur Glockenaufhängung oben auf einem Giebel (besonders in Südeuropa, aber auch weiter nördlich, z.B. Germigny-des-Prés). Ein kleiner Türme mitten auf dem Dachfirst des Kirchenschiffes wird Dachreiter genannt. Er kann sich über der Vierung befinden, ohne dadurch ein klassischer Vierungstrum zu sein. Manche Mönchsorden wie die Zisterzienser bauten als Ausdruck christlicher Demut nur einen Dachreiter – auch bei Kirchen stolzen Ausmaßes.

Freistehende Kirchtürme, in Italien (Campanile) zumeist schlank und hoch, können stattdessen auch eher Haus denn Turm sein, wie in Ostfriesland, wo sie oft niedriger als das Kirchenschiff sind. Oder es gibt nur einen unscheinbaren Glockenstuhl, wie die Glockenstapel in Nordfriesland.

Funktionen

Geläut

Traditionell trugen Kirchtürme mehrere Glocken. Kleine Glocken mit hohem Klang waren die Sturmglocke und die Totenglocke. Die großen Glocken sind im Klang harmonisch aufeinander abgestimmt. Große Glocken können eine erhebliche Belastung für das Mauerwerk darstellen. Daher gibt es verschiedene Arten der Glockenaufhängung. Bei der verbreitetsten lässt man die Glocke an der Achse hin und her pendeln und der Klöppel schwingt gegenüber der Glocke. So entsteht der typische Bim-Bam-Klang. In manchen Kirchtürmen des Mittelmeerraums sind die Glocken elastisch aufgehängt, aber nur die Klöppel pendeln hin und her. So entsteht ein Bim-Bim-KLang. In manchen spanischen Kirchtürmen rotieren die Glocken um eine Achse in Höhe ihres Schwerpunktes. Der entstehende Klang ist – im Sinne wissenschaftlicher Akustik – weniger harmonisch.

Türmer

In mittelalterlichen Städten gab es in mindestens einem der höchsten Kirchtürme eine Türmerwohnung. Erst im späten 19. Jahrhundert wurde das Amt des Türmers allgemein abgeschafft.

Zeitanzeige

Viele Kirchtürme sind mit einer Turmuhr ausgestattet, wobei meist auf mehreren Seiten des Turms ein Zifferblatt vorhanden ist. Die Turmuhr diente früher den Bewohnern des Dorfes als "Zeitnormal" zum Einstellen ihrer Uhren und - zusammen mit dem Glockenschlag - als Zeitansage bei der Arbeit auf den umliegenden Feldern. Wurden früher die Turmuhren mit Gewichten in Gang gehalten, so sind sie heute in der Regel elektrifiziert. Ausgetauschte Uhrwerke oder Zifferblätter findet man in Museen oder Rathäusern ausgestellt.

Einige Kirchtürme besitzen auf einer Turmseite mehrere Zifferblätter. Bei modernen Kirchtürmen wird häufig auf eine Turmuhr verzichtet. Über die Verwendung von Digitaluhren als Kirchturmuhren liegen keine Informationen vor. Bei modernen Kirchtürmen wird häufig auf eine Turmuhr verzichtet.

Geodäsie

Für Geodäten sind die Kirchtürme ideale Festpunkte, die eindeutig zuzuordnen und leicht verfügbar sind. Seitlich des Eingangs befindet sich oft ein Turmbolzen, der als stabiler Nivellementpunkt dienen kann.

Aussichtspunkt

Zahlreiche Kirchtürme besitzen eine Aussichtsplattform. Allerdings sind diese im Regelfall - im Unterschied zu den Aussichtsplattformen auf Wasser- und Fernsehtürmen nur über ein Treppenhaus zugänglich, weil der Einbau eines Aufzugs meist nicht möglich ist.

Moderne Funktionen

Manche Kirchtürme werden für den Mobilfunk genutzt. Allerdings müssen hierbei die Antennen wegen Denkmalschutzauflagen meist unter dem Dach angebracht werden. Eine weitergehende Nutzung von Kirchtürmen für funktechnische Zwecke dürfte nur in Ausnahmefällen stattfinden.

Vereinzelt wurden und werden Kirchtürme zeitweise oder dauernd auch für Werbezwecke genutzt. Dieser Umstand wird rege diskutiert, durch die Möglichkeit der Einnahmenerzielung in den Pfarrgemeinden aber überwiegend akzeptiert.

 
Werbung am Turm des Wiener Stephansdoms (während der Restaurierung 2006)

Details

Dächer

 
Kirche mit „thüringischer Haube“

Frühe Kirchtürme, beispielsweise die der byzantinischen Kirchen von Ravenna hatten nicht sehr steile Pyramiden- oder Kegeldächer. Auch Sattel- und Walmdächer gab es, die sich in ihren Proportionen wenig von Hausdächern unterschieden.

In Spätromanik und Gotil baute man gerne hohe spitze Kirchturmdächer. Neben Kupferdächern auf hölzernem Dachstuhl (Lübeck) wurden auch gemauerte durchbrochene Spitzen aus Maßwerk errichtet (Freiburger Münster). Vor allem in Frankreich und England verzichtete man in der Gotik vielerorts auf eine Turmspitze und ließ das reich verzierte hohe Gemäuer mit einer Plattform enden.

In der Renaissance und im Barock kamen modifizierte Kuppeln mit aufgesetzter Laterne als Kirchturmdach in Mode, so genannte Welsche Hauben. Besonders im deutschsprachigen Alpengebiet kam der Zwiebelturm auf. Eine andere regionaltypische Form ist die thüringische Haube“.

Als im 19. Jahrhundert immer mehr große Büro- und Mietshäuser gebaut wurden, besann man sich wieder auf die hohe gotische Turmspitze, um städtebauliche Akzente zu schaffen. Dank Blitzableiter waren sie nicht mehr so feuergefährlich. Viele im Mittelalter unvollendet gebliebene Kirchtürme wurden nun erstmalig mit hohen Kupferdächern ausgestattet.

Turmknopf

In der Kugel von Kirchturmspitzen (dem "Turmknopf") werden traditionell Zeitkapseln hinterlegt, um zeittypische Dinge (etwa Münzen und Geldscheine oder Zeitungen des Tages) an die nächsten Generationen weiterzugeben.

Andere Glockentürme

Wiewohl der Kirchturm geradezu sprichwörtlich ist und Haus-mit-Turm zur Chiffre von Kirche geworden (Verkehrsschilder mit Gottesdienstzeiten), gibt es in manchen Gegenden zahlreiche andere Gebäude mit hohem Gockenturm. In Flandern haben viele Rathäuser einen Belfried. Auch in der Toskana gibt es Rathäuser mit hohem Turm, beispielsweise in Siena.

Entwicklung

Hochragende Steintürme und -säulen lassen sich in den ältesten Kulturen finden. Sie symbolisieren überwiegend die männliche Fruchtbarkeit, wie es indische Lingams oder germanische Bautasteine belegen.

Im alten Orient gab es die mesopotamischen Zikkurate. Sie lieferten über die Legende vom Turmbau zu Babel christlichen und islamischen Baumeistern die Idee des himmelhohen Turms. Eine Verbindung voller Widersprüche: Während die Zikkurate Tempelbauten darstellten, schildert das alte Testament den Turmbau nicht als Gottesverehrung, sondern als menschliches Aufbegehren gegen Gott.

In der griechisch-römischen Antike spielten Türme so gut wie keine Rolle. Ein Turm war – wenn überhaupt - ein reiner Zweckbau, er diente höchstens als Uhrturm (Sonnenuhr; Turmuhren gab es noch nicht) wie der Turm der Winde in Athen, der lediglich 12 m Höhe erreichte. Auf pompejanischen Fresken finden sich hin und wieder Abbildungen größerer Villen mit kleineren Türmen, aber der Turm war kein Charakteristikum bedeutender Bauten. Der Leuchtturm von Pharos ist als einziges Beispiel eines hohen Turms überliefert.

Das Phänomen des Kirchturms lässt sich aus dem theologischen Konzept und der Symbolik des Christentums nicht erklären. Eine sakrale Nutzung erfolgte allenfalls im Erdgeschoss der Türme, als Kapelle oder Teil des Kirchenschiffs. Allenfalls der vor allem bei romanischen Basiliken häufige Vierungsturm fügt sich in die Symbolik, als weiterer Kreuzesbalken senkrecht zu Hauptschiff und Querschiff. Der Vierungsturm war nicht selten höher als die Glockentürme, wie bei Saint Sernin in Toulouse. Ab dem 12. Jahrhundert dominierten dann die Westtürme oder, in Deutschland und Skandinavien auch bei großen Kirchen, der eine Westturm. In der ersten Zeit ungehinderten Kirchenbaus seit der Zeit Konstantins hatten Türme keine überragende Bedeutung. Jahrhundertelang blieb die 55 Meter hohe Kuppel der Hagia Sophia in Konstantinopel das höchste christliche Bauwerk. Die Aachener Pfalzkapelle war bei viel kleinerem Grundriss nur 28 m hoch. Seit dem 6. Jahrhundert entstanden bekamen Kirchen in Italien freistehende Glockentürme (Campanile), beispielsweise in Sant'Apollinare Nuovo in Ravenna.

Seit dem 7. Jahrhundert entstanden unter dem neu geschaffenen Islam Moscheen mit Minarett. Erst im 11. Jahrhundert wurden Kirchtürme zum dominierenden Element von Kirchenbauten der Westkirche und damit zu abendländischen Stadtsilhouetten.

Oft wurden die Türme der gotischen Kirchen zuletzt gebaut, da ihnen keine besondere Bedeutung für die Liturgie zugemessen wurde. Nicht selten stellte man im 16. Jahrhundert ihren Bau ein und nahm ihn erst im 19. Jahrhundert im Zuge des Historismus mehr oder weniger werkgetreu wieder auf. Modernere Ingenieurleistungen vermochten zu verhindern, was im Mittelalter gang und gäbe war, den Einsturz halbfertiger Türme.

Streitpunkt: Gotischen Kirchtürme mit flachem Abschluss

 
Notre Dame de Paris:
Türme unvollendet oder
flacher Abschluss geplant?
 
Coutances, Kathedrale, romanische Türme im 13. Jh. gotisch umgestaltet
 
Straßburger Münster, nach mehreren aufeinander folgenden Plänen gebaut

Es wird häufig die Frage aufgeworfen - angesichts vieler scheinbar unvollendeter und 'abgeschnitten' wirkender Fassadentürme (etwa bei Notre Dame in Paris) -, ob es bei den zahlreichen großen gotischen Kathedralen grundsätzlich zur Planung dieser großen Türme gekommen ist, die selten schon in „gotischer“ Zeit vollendet wurden, oft – teilweise in veränderter Form - später.

"Die Bauarbeiten an einer Kathedrale begannen normalerweise mit dem Chor und schritten über das Mittelschiff fort zur Fassade, die nur selten vollendet wurde, ehe das Geld ausging. Der Kathedralenbau war nämlich finanziell ein Mammutunternehmen und soll nach Angaben von einigen Historikern die wirtschaftliche Stabilität Frankreichs ernstlich beeinträchtigt haben." (Honour, Hugh / John Fleming: Weltgeschichte der Kunst [1982]. München 5. Auflage 1999, S. 310)

Die wissenschaftliche Forschung ist allerdings insofern in einer gewissen Schwierigkeit, weil wir - meistens - keine zeitgenössischen Dokumente besitzen, die uns Aufschluß über die originäre Planung geben. Bei einigen, wie bei Kathedrale von Laon), liegen Pläne von hohen Türmen mit Spitzen vor.

Die mittelalterlichen Bauvorhaben der Gotik sind nicht mit heutigen Planungen zu verwechseln. Die damaligen Baumeister ließen sich - auch hier muss man wieder einschränkend sagen: 'höchstwahrscheinlich' - durchaus auf Ideen ein, von denen nicht klar war, ob und wie sie gelingen konnten. Ein Paradebeispiel dazu ist die - diesmal gesicherte - Planung der Zweiturmfassade des Kölner Doms aus dem 14. Jh. (der berühmte "Kölner Fassadenplan" von 1310/20), die erst im 19. Jh. gelungen ist.

Die gotische Architektur hat generell die Tendenz zur maximalen Ausnutzung der damaligen technischen Möglichkeiten - und zu ihrer Überschreitung. Nicht umsonst ist es häufig zu Einstürzen gekommen - der bekannteste in Beauvais 1284 bei dem Versuch, die Gewölbehöhe auf 48 Meter zu steigern. Es liegt hier nahe anzunehmen, dass Leute, die so etwas planen, auch vor Türmen mit über hundert Metern Höhe nicht zurückschrecken.

Diese Ansicht teilte auch der führende französische Denkmalpfleger des 19. Jahrhunderts, Viollet-le-Duc. Er konzipierte in einer Zeichnung das "Idealbild einer Kathedrale" mit diversen spitzen Türmen (abgebildet in: Binding, Günther: Was ist Gotik? Eine Analyse der gotischen Kirchen in Frankreich, England und Deutschland 1140 – 1350. Darmstadt / Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000, S. 132 und in: Schäfke, Werner: Frankreichs gotische Kathedralen. Köln 1994. (DuMont Kunst-Reiseführer), S. 27). Im selben Buch von Schäfke ist auf Seite 100 die Zeichnung von Villard de Honnecourt zu den geplanten Türmen von Laon zu sehen. Die rechts daneben auf Seite 101 stehende "Idealansicht von Norden" von Laon zeigt die Türme zwar höher als die später gebauten, aber ohne spitze Türme. Die linke originale Zeichnung dagegen deutet diese spitzen Türme aber an.

Erwähnen sollte man in diesem Zusammenhang auch, dass eine der bedeutendsten gotischen Kathedralen - Chartres - einen 105 m hohen Südturm besitzt aus der Zeit 1145-1160, also noch vor der Gotik. Es ist schwer vorstellbar, dass gotischen Baumeister haninter zurückbleiben mochten.

Bei einigen kleineren Kirchen ist die Zweiturmfassade in der spitzen Form vollendet worden (etwa bei der Coutances, deren Türme allerdings aus dme 12. Jahrhundert stammten, Châlons-sur-Marne etc.). Das spricht dafür, dass bei den großen, überregional bekannten Bauten hohe spitze Türme zumindest erwogen worden waren. (s. auch den um 1250 errichteten Südturm von Senlis, der sich seinerseits an Laon orientiert).

Bei vielen Fassaden ohne spitze Türme ist an der ungleichen Behandlung der beiden unteren Turmteile deutlich zu erkennen, dass sie in dieser Form auf keinen Fall als endgültig angesehen wurden (Bourges, Amiens).

Andererseits: dass sich bei der hohen Zahl heute anders aussehender Fassadentürme und angesichts der dürftigen Quellenlage keine allgemein verbindliche Aussage zu diesem Thema aufstellen lässt, ist verständlich. Argumante für die Theorie ursprünglichgeplanter Turmspitzen sind das Straßnurger Münster mit einem Hohen spitzen und einem flach abgeschlossenen Turm und der bereits erwähnte Kölner Fassadenplan (zu sehen u. a. in Borger/Gaertner: Der Dom zu Köln. Köln 1980, S. 40). Der Kölner Dom geht eindeutig auf französische Vorbilder zurück, die damals - was die Türme angeht - noch im Bau waren. Wo sollen denn die Kölner das Vorbild dieser Türme hergenommen haben, wenn nicht von französischen Plänen?!

Das gleiche gilt für die deutschen Übernahmen der Laoner Fassadentürme. Sowohl der Bamberger Dom (1230/40) als auch der Naumburger Dom (1250/60 ) haben spitze Türme. Und ausgerechnet das sollte das Vorbild Laon nicht gehabt haben - zumindest in der Planung? Es gibt eine naheliegende Antwort: Coutances, Châlons-sur-Marne, Bamberg, Naumburg – alle vier Kathedralen wurden im romanischen Stil vollendet oder fast vollendet, bevor sie gotisch umgestaltet wurden.

Für die Theorie des geplant flachen Abschlusses spricht, dass gerade bei den drei wohl bedeutendsten gotischen Bauten Frankreichs (Notre Dame de Paris, Notre Dame d'Amiens, Notre Dame de Reims) insgesamt nicht ein einziger spitzer Turm fertiggestellt wurde, und darüber hinaus auch alle drei bei genau derselben Baustufe beendet wurden, während in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert keine einzige große Kirche mehr mit diesen charakteristischen Doppelturmstümpfen anzutreffen ist.

Gleichermaßen ambivalente und erhellende Indizien liefert die Baugeschichte des Straßburger Münsters. Zunächst wurde es mit flachen Turmabschlüssen geplant und gebaut. Der erste Entwurf für eine Spitzturmfassade datiert von 1275, also dem Jahr nach Vollendung des Langhauses. 1399 bis 1419 wurde die Fassade um ein Geschoss erhöht. Anschließend wurde der Nordturm – etwas modifiziert – ausgeführt und 1499 vollendet. Der Verzicht auf den Südturm verkörpert keinen planwidrigen Baustop, sondern einen ebenfalls planmäßigen Abschluss.

Literatur

Allgemein:

  • Pevsner, Nikolaus: Europäische Architektur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Darmstadt / Wissenschaftliche Buchgesellschaft 8. Auflage 1997.
  • Worringer, Wilhelm: Abstraktion und Einfühlung [1907]. München [1976] 14. Auflage 1987.
  • Worringer, Wilhelm: Formprobleme der Gotik. München 1911.

Gotische Turmabschlüsse:

  • Binding, Günther: Baubetrieb im Mittelalter. Darmstadt / Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1993, S. 191 ff.
  • Binding, Günther: Was ist Gotik? Eine Analyse der gotischen Kirchen in Frankreich, England und Deutschland 1140 – 1350. Darmstadt / Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000, S. 237 ff.
  • Schäfke, Werner: Frankreichs gotische Kathedralen. Köln 1994. (DuMont Kunst-Reiseführer), S. 27 und 101
  • Wim: Die großen Kathedralen. Köln 1969, S. 72: Johan Hültz von Köln: Entwurf der Turmspitze des Straßburger Münsters von 1419
  • Borger/Gaertner: Der Dom zu Köln. Köln 1980

Siehe auch

Gotteshaus, Liste der höchsten Kirchtürme der Welt, Turm (Bauwerk), Wehrkirche, Aussichtsturm, Funkturm, Fernsehturm

Commons: Kirchtürme – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien