Göttinger Gruppe

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Die insolvente Göttinger Gruppe Vermögens- und Finanzholding GmbH & Co. KGaA ist eine Kapitalanlagegesellschaft auf dem Grauen Kapitalmarkt. Mit dem Insolvenzverfahren steht nun einer der größten Anbieter des so genannten "Grauen" - also des staatlich nicht kontrollierten - Kapitalmarktes vor dem Aus. Mit ihrer Hauptgesellschaft Securenta Göttinger Immobilienanlagen und Vermögensmanagement AG gehört sie zu den größten Unternehmen auf diesem Markt. Gegen die Gruppe wurde mehrfach der Vorwurf der Untreue und des Kapitalbetrugs erhoben. Rückzahlungsansprüche falsch beratener Anleger führten am 16. Juni 2007 zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens.[5]

Göttinger Gruppe Vermögens- und Finanzholding GmbH & Co. KGaA
Rechtsform GmbH & Co. KGaA
Gründung 1986
Sitz Berlin
Mitarbeiterzahl 819 (2000)[1]
Branche Kapitalanlagegesellschaft
Securenta Göttinger Immobilienanlagen und Vermögensmanagement AG
Rechtsform Aktiengesellschaft
Gründung 1986 [2]
Sitz Göttingen/Berlin
Leitung Dr. Jürgen Rinnewitz, Mariana Götz (Vorstand) [3]
Mitarbeiterzahl 37 (2004) [4]
Umsatz 7,296 Mio. Euro (2004) [4]
Branche Kapitalanlagegesellschaft

Geschichte

Der Ursprung des Unternehmens liegt in der Securenta AG, welche 1986[2] von Prof. Dr. Horst S. Werner und Dipl.-Kfm Erwin Zacharias gegründet wurde. 1987 erfolgte der Start des Vertriebskonzepts für das Anlagemodell „atypisch stille Beteiligung“, das später als Persönlicher Sachwert-Plan (PSP) und ab 1994 als Pensions-Spar-Plan verkauft wird. Dipl.-Kfm Erwin Zacharias erfand also vor gut 20 Jahren die „SecuRente“ (früher „Persönlicher-Sachwert-Plan“), ein Steuersparmodell für den kleinen Mann, das sich in den neunziger Jahren zum Verkaufsschlager entwickelte. 1990 erwarb die Gruppe die SFR-Bank, welche zwei Jahre darauf in Securenta Bank AG umfirmierte. 1992 wurden das Unternehmen sowie die dazugehörigen Tochterunternehmen in Göttinger Gruppe umbenannt. In diesem Jahr hatte das Unternehmen nach eigenen Angaben ein Eigenkapital von über 100 Mio. DM sowie einen Umsatz in gleicher Höhe. Ebenfalls 1992 wurde der Nachrichtensprecher Werner Veigel als Repräsentant gewonnen. Ein Jahr darauf stieg das Unternehmen in das Versicherungsgeschäft ein und die Gutingia Lebensversicherung AG wurde gegründet. 1994 erfolgten die Gründungen der Göttinger Beteiligungs-AG und der Göttinger Immobilien Beteiligungs-AG. Zum 31. Dezember 2000 wurde der Vertrieb der Securente eingestellt,[6] wegen Laufzeiten von bis zu 40 Jahren zahlten Anleger in die Verträge weiter ein.[7] Am 31. Oktober 2006 wurde die Gutingia Lebensversicherung AG durch den Fortis-Konzern übernommen. Anfang Juni 2007 verlegte sie ihren Sitz von Göttingen nach Berlin,[5] und bot ihre Göttinger Liegenschaft zum Verkauf an.[8]

Staatsanwaltschaft

Weil das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen ein betrügerisches Schneeballsystem vermutete, forderte Anfang 2000 deren damaliger Präsident Wolfgang Artopoeus vom damaligen Justizminister von Niedersachsen Dr. Wolf Weber ein Ermittlungsverfahren wegen Kapitalanlagebetrugs, Untreue und Betrugs.[9] Das Verfahren wurde 2002 eingestellt.[10][11] Das Betreiben eines „modifizierten Schneeballsystems“ sei nicht strafbar.[11] Im Übrigen habe die Staatsanwaltschaft „regelmäßig“ die Geschäftszahlen geprüft und Zahlungsfähigkeit festgestellt, und deshalb keine Anklage erhoben.[10] Wegen der Insolvenz und neuer Betrugsanzeigen werde jedoch seit Juni 2007 erneut geprüft.[10]

Rückzahlungen

„Die Finanzlage der SECURENTA AG war im Geschäftsjahr 2004 und auch in 2005 angespannt. [...] Vorübergehende Zahlungsstockungen lagen vor.“[4]

2005 erklärte der Bundesgerichtshof, dass die Beratung durch die Göttinger Gruppe über die Risiken der SecuRente unzureichend war, womit eine Rückforderung der eingezahlten Gelder durch die Anleger teilweise möglich wurde.[12] Dies brachte das Unternehmen in den folgenden Jahren in erhebliche Zahlungsschwierigkeiten.

Im Oktober 2006 berichtete Finanztest von Zahlungsschwierigkeiten der Securenta: Wegen Pfändungen über 4,6 Millionen Euro kündigte die Volksbank das Geschäftskonto, Zahlungen wurden erst kurz vor Abgabe der eidesstattlichen Versicherung geleistet.[13] Nachdem der Gerichtsvollzieher die Rückzahlungsansprüche von Anlegern mehrmals nicht vollstrecken konnte, erließt das Amtsgericht Göttingen in 170 bis 200 Fällen Haftbefehl gegen „eine Hand voll Verantwortlicher“, um die Zahlung oder Angaben über die Vermögensverhältnisse (eidesstattliche Versicherung) zu erzwingen.[14][15]

Insolvenzverfahren

Das Insolvenzverfahren der Securenta AG hat am 14. Juni 2007 das Amtsgericht Göttingen eröffnet.[5][3] Antragsteller war ein Bonner Anleger, dem das Unternehmen die 2006 in einem Vergleich zugesagten 17.000 Euro nicht gezahlt hatte.[16] Da er sein Geld erhielt, obwohl bereits ein vorläufiger Insolvenzverwalter für die Securenta AG eingesetzt worden war, ermittelt die Braunschweiger Staatsanwaltschaft.[9]

Wegen der Verlegung des Unternehmenssitzes von Göttingen nach Berlin und Insolvenzantrag des Unternehmens in Berlin halten sich für das Insolvenzverfahren sowohl das Amtsgericht Göttingen als auch das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg für zuständig.[5][3][17] Für die Göttinger Gruppe wurde nur in Berlin Insolvenz beantragt.[18]

Verbraucherzentralen [19][20] und das Deutsche Institut für Anlegerschutz[21] rufen Anleger dazu auf, Zahlungen einzustellen, und warnen vor davor, Interessengemeinschaften kostenpflichtig zu beauftragen. „Die ARGE Securenta AG hat fast sämtliche Securenta-Geschädigten im Mandantenauftrag schriftlich zu einer Informationsveranstaltung nach Bremen eingeladen. Die Anschriften waren im Handelsregister Göttingen öffentlich zugänglich (BDSG).“[22]

Die zu verantwortenden Verluste der Anleger gehen nach Medienberichten[23] in die Milliarden. Etwa 1,5 Milliarden Euro wurden von den Anlegern bei verschiedenen Gesellschaften der Gruppe eingezahlt; das gesamte Zeichnungsvolumen dürfte jedoch 10 Milliarden Euro übersteigen.

Quellen

  1. welt.de; Ein Mann im Kampf gegen das schlechte Image, 8. August 2000
  2. a b archive.org 8. November 2001: Jahresabschluss und Lagebericht der Securenta AG 1999, S. 22
  3. a b c Amtsgericht Göttingen Insolvenzbekanntmachungen Securenta
  4. a b c d archive.org Geschäftsbericht 2004
  5. a b c d handelsblatt.com 16. Juni 2007 Insolvenzverfahren gegen Securenta eröffnet
  6. archive.org 8. November 2001: Jahresabschluss und Lagebericht der Securenta AG 1999, S. 20
  7. sueddeutsche.de 8. Juni 2007 Katastrophe für mehr als 100.000 Sparer
  8. n-tv.de; 170 Haftbefehle gegen Manager Göttinger Gruppe in Not, 1. Juni 2007.
  9. a b Göttinger Tageblatt, 16. Juni 2007, S. 14
  10. a b c daserste.de ARD, [plusminus, 5. Juni 2007: Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Braunschweig
  11. a b ra-hahn-mcl.de 21. Januar 2003 Staatsanwaltschaft Braunschweig stellt Ermittlungen gegen Göttinger Gruppe ein.
  12. Aktenzeichen: II ZR 124/03, 140/03, 149/03, 180/03 und 310/03, hier nach manager-magazin.de, 21.03.2005, finanztip.de, Göttinger Gruppe und Anlegerschutz
  13. stiftung-warentest.de 25. August 2006 Göttinger Gruppe offenbar in Schwierigkeiten]
  14. hna.de Hessische/Niedersächsische Allgemeine, 14. Juni 2007 Göttinger Gruppe ist pleite
  15. stiftung-warentest.de 4. Juni 2007 Haftbefehle gegen Manager
  16. handelsblatt.com 8. Juni 2007 Die Göttinger Gruppe gibt auf
  17. Amtsgericht Berlin-Charlottenburg Insolvenzbekanntmachungen Securenta
  18. Amtsgericht Berlin-Charlottenburg Insolvenzbekanntmachungen Göttinger Gruppe
  19. verbraucherzentrale-berlin.de 8. Juni 2007 Göttinger Gruppe nun endgültig am Ende
  20. vzsa.info Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt 18. Juni 2007
  21. dias-ev.de Deutsches Institut für Anlegerschutz e.V., 8. Juni 2007 Insolvenzverfahren gegen Göttinger Gruppe eingeleitet
  22. anwalt-a.de Rechtsanwälte Robert, Kempas, Segelken: ARGE Securenta
  23. Die Welt v. 08.06.2007