Die FIM-92 Stinger ist eine infrarotgelenkte Luftabwehrrakete des US-amerikanischen Herstellers Raytheon, die von der Schulter aus abgefeuert wird und zur Selbstverteidigung von Bodentruppen gegen Luftbedrohungen dient.
Geschichte
Die FIM-92 Stinger wurde als eine Ein-Mann-Boden-Luft-Rakete (engl. Man Portable Air Defense System (MANPADS)) entwickelt. Sie war Nachfolger der FIM-43 Redeye, deren Entwicklung 1959 begonnen hatte. Die Stinger hatte 1980 ihren Produktionsbeginn in den USA und wird seitdem in verschiedenen Versionen in einer Reihe von Ländern unter Lizenz gefertigt, so für Deutschland von der SPG (Deutschland, Niederlande, Griechenland, Türkei).
Der ursprüngliche Hersteller General Dynamics verkaufte die Rechte an der Waffe inzwischen an den Raketenspezialisten Raytheon, zuvor Hughes MSC. Die Rakete wird außerdem im M6 Linebacker-Flugabwehrpanzer der U.S. Army verwendet. Der Panzer kann bis zu vier Stück dieses Typs abschussbereit halten. Weitere sechs können im Inneren des Panzers mitgeführt werden.
1984 begann ein auf der Stinger basierendes Entwicklungsprogramm für ein Luft-Luft-Raketensystem. Das Air-to-Air Stinger (ATAS)-Programm bietet eine zielempfindliche, leichte IR-Rakete zum Einsatz aus kurzen Entfernungen gegen tieffliegende Flugzeuge und Hubschrauber. Diese auch als AIM-92 Stinger bezeichnete Variante wird vor allem von den US-amerikanischen Kampfhubschraubern Hughes AH-64 Apache und Bell OH-58 Kiowa eingesetzt.
Nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan lieferte die CIA in den 1980ern über 2000 Stinger via Mittelsmänner in Pakistan an die Mudschahedin, die damit u.a. die sowjetischen Kampfhubschrauber vom Typ Mi-24 Hind bekämpfen und die sonst ungefährdete Luftherrschaft der Sowjets teils brechen konnten.
Nach dem Rückzug der Sowjets aus Afghanistan im Jahre 1989 verblieben zahlreiche der Waffen im Land, und es bestand die Gefahr dass sie in die Hände von Terroristen gelangen und gegen zivile Flugzeuge eingesetzt werden könnten. Die USA investierten deshalb beträchtliche Summen in den Rückkauf der Raketen, trotzdem konnten nicht alle sichergestellt werden.[1]
Einsatz in Deutschland
Die Bundeswehr verfügt seit Ende der 90er Jahre über ca. 4400 Stück dieser Flugabwehrwaffen und setzt sie in 3 Teilstreitkräften ein: In der Heeresflugabwehrtruppe in Fliegerfaust-Trupps bei Panzerflugabwehrgruppen und leichten Flugabwehrbatterien (auch Sprungeinsatz), als Lenkflugkörper auf dem Waffenträger Ozelot (Variante des Wiesel 2). Die Heeresflieger verwenden die Stinger an Bord des Kampfhubschraubers Tiger. Luftwaffe: Eine Fliegerfauststaffel als Teil des Objektschutzregimentes; Marine: Fliegerfaust-Trupps zum Schutz von Booten und Landeinrichtungen. In der deutschen Version wird Stinger ohne das spezielle IFF-Gerät eingesetzt, daher fehlt die klappbare Antenne.
Einsatz in der Schweiz
Im Jahre 1982 wird der Vorschlag, das Lenkwaffensystem Stinger einzuführen, zum ersten Mal näher geprüft. Da sich jedoch die Stinger 'BASIC' noch als verbesserungswürdig zeigt, wird mit der Beschaffung zugewartet. Erst im Jahre 1988/89 kommt dieses Vorhaben wieder auf den Tisch - mit Erfolg für den Stinger. Das Stinger System 'Stinger POST RMP' setzt sich klar gegen die Mistral durch. Im Jahre 1990 wird das sogenannte "Kernteam Stinger" geschaffen und für Versuche nach New Mexico geschickt. In dieser Zeit werden auch die ersten Instruktoren ausgebildet. Da es in der Schweiz Tradition ist, jedes Waffensystem nicht einzukaufen, sondern auf Lizenz zu fertigen, werden die Schweizer Stinger bei RUAG hergestellt und weiterentwickelt. Ab 1992 werden die ersten Rekruten auf dem neuen System ausgebildet - mit einer für die Schweizer Armee fast revolutionären Blockausbildung (Technischer Dienst an der Lenkwaffe, Übermittlung, Flugerkennungsdienst und Zweitausbildung). Jeweils an zwei ganzen Tagen pro Woche wird das System den Rekruten beigebracht. Bis heute wird das Lwf Stinger System nur vom Flab Lehrverband 33 ausgebildet und ebenfalls betrieben.
Technik
Die Stinger ist eine mit einem passiven Zielsuchkopf ausgerüstete Kurzstreckenrakete, deren Detektor im IR/UV-Bereich arbeitet. Sie funktioniert nach dem Fire-and-Forget-Prinzip, d.h., nach dem Abfeuern verfolgt die Rakete ihr Ziel selbstständig - der Schütze muss es nicht wie bei anderen Modellen anvisiert lassen, und nach dem Abschuss besteht keine Verbindung mehr zwischen der Abschussplattform und der Rakete.
Die Bekämpfungsreichweite beträgt 6000 m, wobei vermutet wird, dass die Stinger unter günstigen Bedingungen, wie wenig Lenkbewegungen, bis 10 km erreichen kann. Die Bekämpfungshöhe beträgt 3000 m. Als Antrieb dient ein Feststoff-Raketenmotor, der aber erst gezündet wird, wenn die von einer Gasladung ausgestoßene Rakete einige Meter zurückgelegt hat. Der Splitter-Sprengkopf von 320 g HTA wird ausschließlich durch Aufschlag gezündet, wobei die Rakete eine zieladaptive Endphasenlenkung vollführt, um seitlich auf das Ziel aufzuschlagen (in den meisten Fällen direkt in den Treibstofftank des gegnerischen Flugzeuges). Falls das Ziel verfehlt wird, zerstört sich die Rakete nach 12 Sekunden selbstständig.
Zu den verbesserten Versionen der Stinger gehören Stinger Post und Stinger RMP (Reprogramable), erstere mit IR/UV-Zielsuchkopf zum Ausfiltern (Rosettenabtastung) von Täuschkörpern (Flares) und letztere mit einem umprogrammierbaren Mikroprozessor für spätere Modifikationen von Gegen-Gegen-Maßnahmen. Als 3. Kampfwertsteigerung wurde die Version "Block 1" eingeführt. Es wurde außerdem ein Doppelmodus-Sucher für die Stinger entwickelt, der einen passiven Radarsucher zusätzlich zum IR/UV-Sucher verwendet.
Diese als Air Defence Suppression Missile (ADSM) bezeichnete Version kann sowohl gegen Flugzeuge als auch gegen Radarstellungen eingesetzt werden.
Das russische Pendant zur Stinger ist die SA-16 Gimlet (Igla-1) und die SA-18 Grouse (Igla).
Bekämpfungsablauf
Der beschriebene Ablauf entspricht dem, der in der Schweizer Armee ausgebildet wird (Reg 56.710)
Die Stinger wird mit eingesetzter Batterie/Kühleinheit (BKE) geschultert. Danach wird die IFF-Antenne ausgeklappt, der Schutzdeckel mit Sichtbehinderung entfernt, die Zielvorrichtung hochgeklappt. Anschliessend wird ein IFF-Abfragegerät mittels einer Anschlusskupplung an der Unterseite des Abzugsgriffs angeschlossen. - Meldung an Truppchef "Bereit!"
Nun wird auf das zu bekämpfende Objekt gerichtet und eine IFF-Abfrage ausgeführt. (Drücken eines Knopfes am oberen Ende des Abzugsgriffs). Durch ein akustisches Signal kann das Objekt als feindlich oder eigen erkannt werden. Je nach Art des Feuererlaubnisgrades, erfolgt eine weitere Identifikation des Objektes durch den Truppchef, oder der Bekämpfungsablauf wird direkt weiter ausgeführt.
Die Lenkwaffe wird nun über den Entsicherungs- und Aktivierungshebel "scharf" gemacht. Durch diesen Ablauf wird die BKE im Aufnahmegehäuse angestochen und das Gas (Argongas) strömt in die Suchkopfeinheit und kühlt den Suchkopf hinunter - gleichzeitig wird auch genügend Energie produziert um die Elektronik zu starten. Die BKE reicht für eine Autonomie von 45 Sekunden. Wenn das Objekt nach dieser Zeit noch nicht bekämpft wurde, erfolgt ein BKE-Wechsel. Mittels der Zielvorrichtung wird die Lenkwaffe nun auf das Objekt gerichtet - sobald ein reiner Dauerton über den Lautsprecher (ist im Griffstück integriert) zu hören ist - oder der Wangenvibrator angibt (ebenfalls im Griffstück integriert), ist mittels der Kreisellösetaste (Taste auf der linken Seite des Griffstücks) der Suchkopf auf das Ziel zu fixieren. Solange diese Taste gehalten wird, bleibt der Suchkopf, innerhalb seines Suchkopffensters von 60° auf dem Objekt.
Für den eigentlichen Abschuss muss nun noch die entsprechende Vorhaltemarke gewählt und die nötige Elevation gegeben werden, gleichzeitig muss die Kreisellösetaste und der Abzug betätigt werden. Das Starttriebwerk stösst die Lenkwaffe aus dem Abschussrohr hinaus - das Marschtriebwerk zündet und die Rakete fliegt mit Überschall auf ihr Ziel zu.
Der Schütze entfernt unmittelbar nach dem Abschuss die BKE aus ihrem Gehäuse um eine Überhitzung oder Zerstörung des Griffstücks (wieder verwendbar) zu verhindern. Dabei sollte die BKE vom Körper abgedreht und einige Meter nach hinten geworfen werden. Dies ist nötig, da eine verbrauchte Batterie/Kühleinheit über 200° C heiß wird.
Technische Daten
Typ | Infrarotgelenkte Flugabwehrrakete |
Leistung | |
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Geschwindigkeit (Vmax) | Mach 2,2 |
Maximale Flugdauer | ca. 20 Sekunden |
Bekämpfungsreichweite | 6 km |
Bekämpfungshöhe | 3 km |
Antrieb | Feststoff |
Gewicht | |
Gesamtmasse | 15,8 kg |
Gefechtskopf | 3 kg, davon 310 g HTA-Sprengstoff |
Abmessung | |
Länge | 1,52 m |
Durchmesser | 0,07 m |
Spannweite | 0,091 m |
Einsatz
Zu den Ländern, in denen die FIM-92 Stinger bereitgehalten oder eingesetzt werden, zählen: Bahrain, Dänemark, Deutschland, Griechenland, Israel, Italien, Katar, Niederlande, Saudi-Arabien, Schweiz, Singapur, Taiwan, Tschad, Türkei, USA, Pakistan
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Steve Coll: Ghost Wars. Penguin Books, New York 2005, ISBN 0143034669.