Cross-Border-Leasing
Cross-Border-Leasing (im folgenden: CBL) bezeichnet ein Leasing über Staatsgrenzen hinweg, Leasinggeber und Leasingnehmer haben ihren Sitz also in unterschiedlichen Ländern. In der Regel wird CBL durchgeführt, um aufgrund der unterschiedlichen Gesetzgebung in beiden Ländern Steuern zu vermeiden. Meist wird das, in Verträgen mit langen Laufzeiten, geleaste Objekt wieder direkt an den Geber zurück vermietet. Diese Laufzeit beruhen auf den Steuergesetzen einiger US-Bundesstaaten wie Delaware und New York: sie gilt wie eine Eigentumsübertragung. CBL-Modelle wurden im Rahmen der Globalisierung aus den USA in andere Staaten exportiert: Anbieter sind nun neben Deutschland, auch England, Japan und Dänemark.
Durch die unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Länder gibt es nun de facto (nicht de jure) zwei Eigentümer ein und des selben Objektes. Sowohl Mieter als auch Vermieter verbuchen Erträge und bessern damit ihre Bilanzen auf. Möglich wurde dieser Bilanzierungstrick durch Deregulierungsmaßnahmen in den USA während der 1990er Jahre. Es entsteht also aufgrund von Abschreibungen eine Steuerersparnis, die sich eine US-Bank mit der Kommune teilt, die CBL durchführt - die Kommune bekommt maximal 5% des gesamten Transaktionsvolumens, den so genannter "Barwertvorteil" .
Die USA planen derzeit ein Schließen der Gesetzeslücke: Der US-Senat hat bereits im Mai 2004 ein Ende für Cross-Border-Leasing beschlossen, der Beschluss des Repräsentantenhauses folgte im Juni. Derzeit ruhen daher alle CBL-Anträge, unklar ist, ob dabei in bestehende Verträge eingegriffen wird, wenn das Kapital der Investoren gebunden ist, der Gewinn aber aussteht. Es sind genaue Vertragsüberprüfungen und Schadenersatzforderungen zu erwarten. Zahlreiche europäische Kommunen konnten mit dem CBL ihren Haushalt aufbessern. CBL brachte beispielsweise der Stadt Recklinghausen etwa fünf Millionen Dollar ein, der US-Investor erhielt aber dafür eigentumsgleiche Rechte am kommunalen Kanalnetz.
Objekte, Vertragspraxis und Vertragstypen
Für CBL-Verträge eignen sich besonders langlebige städtische Anlagen. Zudem ist gegenwärtig (Stand 2004) ein Mindestwert von 150 Mio. € vorgesehen. Der Vertragstyp war bis 1999 v.a. "sale and lease back", danach ausschließlich der Vertragstyp "lease and service contract". Bei ersterem wurden z.B Straßenbahnen verkauft und zurückgemietet, bei zweiterem wird das öffentliche Eigentum auf 100 jahre verkauft und gleichzeitig für einen kürzeren Zeitraum (24-30 Jahre) zurückgemietet. Oft wird CBL als Verkauf missverstanden. Tatsächlich kommt es nur aus US-steuerrechtlicher Sicht dazu. Ein Verkauf findet aus deutscher Sicht nicht statt.
In der Praxis werden kommunale Klärwerke, Kanalsysteme, Heizkraftwerke, Trinkwassersysteme, Straßenbahnen und U-Bahnen, Schienennetze, Messehallen und Schulen an US-Firmen über eine Laufzeit von bis zu 100 Jahren vermietet und direkt zurückgemietet. Das gilt in den USA als "Investition" und bringt den Firmen Steuervorteile. Der amerikanische Bürger bekommt weniger öffentliche Leistung, da das Steueraufkommen geringer wird. Die rückmietende Kommune (oder die Betreibergesellschaft der Anlage) bekommt einen Anteil ("Barwertvorteil") der Steuerersparnisse aus den USA zurück . Dieses Geld wird in der Regel nicht investiert, sondern dient der Haushaltssanierung.
Die US-Firma wird "Investor" genannt. Das ist irreführend, weil sie nur nach US-Recht investiert. Der Begriff "Investor" wird umgangssprachlich verwendet, es handelt sich um einen Trust, der eigentlich nicht in die Objekte investiert, sondern nur das Steuerrecht in den USA ausnützt. Nach deutschem Recht ist die US-Firma lediglich Mieter und gleichzeitig Vermieter. Neue Investitionen in die Anlage während der Laufzeit tätigt nicht die US-Firma. Im Gegenteil, die Kommune muss dafür sorgen, dass die Anlage ihren vertraglich festgelegten Zweck über einen bestimmten Zeitraum erfüllt. Denn der US-Investor muss seinem Finanzamt jährlich nachweisen, dass die Anlage intakt ist. Daraus ergeben sich im Konfliktfall Schadensersatzforderungen gegen die Kommune. Dies ist aufgrund der langen Vertragslaufzeiten nicht unproblematisch. Rückzahlungen betragen oft ein Mehrfaches der einst gewonnenen "Barwertvorteile".
Der frühere freie Eigentümer hat jetzt zahlreiche langfristige Ansprüche und Forderungen, die durch ein Pfandrecht gesichert werden: nach dem amerikanischen Steuerrecht reicht das "wirtschaftliche Eigentum" aus, bei uns herrscht jedoch das Faustpfandprinzip vor. Es gibt also zwei Eigentümer, woraus sich ein gewisses Verlustrisiko ergibt. Nach deutschen Vertragsauslegungen bleibt die Kommune Eigentümer und nach US-Recht wird der US-Trust zum wirtschaftlichem Eigentümer. In allen Verträgen wird die USA als Gerichtsstand festgelegt. Allerdings wird es nicht für nötig gehalten, die oft mehr als 10.000 Seiten umfassenden Verträge ins Deutsche zu übersetzen.
Laufzeiten und Kosten
Als Nachteil gelten die langen Laufzeiten, welche die Städte zwischen 14 und 100 Jahre zum momentan festgestellten Wertvolumen der Anlagen an die CBL-Verträge binden. Somit dürften die Anlagen nicht verkleinert oder redimensionert werden, sie dürfen also nicht billiger werden. Schon der Eintritt in eine Verhandlung erscheint riskant: So musste nach dem Scheitern von Vorverhandlungen die Stadt Aachen an Banken, Anwaltskanzleien und weitere Berater 19 Millionen Mark bezahlen [1]. In zahlreichen deutschen Städten (z.B. Bergisch Gladbach, Bochum, Köln und Frankfurt am Main) haben sich Bürgerinitiativen zum Thema Cross Border Leasing gebildet.
In den Augen der Befürworter stehen den Risiken massive Steuergeschenke gegenüber, die der US-Steuerzahler an deutsche Kommunen zahlt.
Gerichtsstand USA
Als einen Nachteil sehen Kritiker die Intransparenz bei dem Geschäft mit öffentlichen Gütern, da der US-Investor meist nicht namentlich genannt werden will. Im Konfliktfall ist für beide Vertragspartner nicht deutsches, sondern US-amerikanisches Recht entscheidend, denn die Verträge werden in den USA abgeschlossen, meist in New York, weil das Recht dieses Bundesstaats, die Gültigkeit von Verträgen auch dann garantiert, wenn man im nachhinein darauf kommen würde, dass sie geltendes US-Recht verletzten.
Gerichtsstand ist dann der jeweilige US-Bundesstaat. Eine weitere Rechtsunsicherheit ergibt sich daraus, dass einzelne US-Finanzämter diese Transaktionen dulden, die oberste US-amerikanische Steuerbehörde sich aber klar dagegen ausspricht und in einzelnen Fällen sogar dagegen prozessiert. Es gab jedoch keinen einzigen Fall, in dem gegen die Praxis vorgegangen werden konnte.
Die Gewinne aus dem Cross Border Leasing entstehen nicht aufgrund konkreter Wertschöpfung, sondern durch die Verluste des US-amerikanischen Fiskus und werden von dem dortigen Steuerzahlern finanziert. Deutsche Banken können aufgrund dieser so genannten Auslands"investition" ihre Steuerlast in Deutschland verringern. Sie verdienen auch an den gegebenen Krediten.
Provisionen
Der Teil, der als Provision an die beteiligten Anwaltskanzleien und Vermittler gezahlt wird, ist fast ebenso hoch wie der Betrag, der für die beteiligte Kommune in Europa als Vorteil insgesamt abfällt. Die Gefahr, dass Vergünstigungen auch an Entscheidungsträger der Kommunen gezahlt werden, ist außerordentlich hoch.
Kein Vorteil für den Bürger?
Auch die rechtliche Seite der Border-Leasing-Geschäfte in Deutschland ist mehr als fragwürdig, der Barwertvorteil wird oft nicht versteuert, die Einnahmen fließen nicht in den Gebührenhaushalt ein, die doppelte Abschreibung der Leasing-Objekte hält einer rechtlichen Betrachtung unter Umständen nicht stand. Der Einblick in die Bücher im Rahmen der Informationsfreiheit, sowie in die englischsprachigen Originalvertäge, bleibt hier verwehrt. Die Stadträter erhalten nur sog. "Transaktionsbeschreibungen" der involvierten Anwälte.
Der kommunalpolitische Eingriff wird von Globalisierungskritikern als ausserordentlich hoch und ähnlich wie die GATS-Verträge bewertet. Auch die bayrischen Regierung hat ihren Gemeinden mittlertweile das Verleasen von kommunalen Eigentum in Form von CBL-Verträgen verboten.
Dies wird zur Zeit mittels einer Verwaltungsklage in drei Städten hinterfragt, in Hamburg, Köln und Wuppertal. Informationen zum Widerspruch gegen den Gebührenbescheid der Stadt Wuppertal vor diesem Hintergrund findet man unter: http://www.cross-border-wuppertal.de
USA: Verbot und Staatsanwaltschaft?
Mittlerweile werden sich auch die Behörden in den USA darüber bewusst, dass es sich um Scheingeschäfte handelt, mit denen man Subventionen kassiert. Im Jahr 2004 zeichnet sich eine Änderung ab: Am 17. Juni 2004 erreicht die deutschen Medien die Nachricht, dass das Aus für Cross-Border-Leasing-Deals gekommen ist. Das US-Repräsentantenhaus hat einem Steueränderungsgesetz mit 251 zu 178 Stimmen zugestimmt, das zur Konsequenz hat, dass künftig US-Cross-Border-Leasing-Geschäfte faktisch tot sind. Insbesondere auf Bestreben von Chuck Grassley sind in den USA CBL-Verträge in Form von Scheingeschäften zur Steuervermeidung ab Oktober 2004 verboten. Bestehende Verträge bleiben unberührt.
Die Folgen für die deutschen Kommunen sind noch nicht absehbar. Befürchtet wird, dass die amerikanische Vertragsseite vor dem Hintergrund eventuell weggebrochener Steuervorteile versuchen wird, einen Vertragsverstoß seitens des deutschen Partners zu finden, um die Rückgängigmachung des Vertrags erzwingen zu können. Die Gesamtzahl in Deutschland wird auf 180 Verträge aus den Jahren 1996 bis 2003 geschätzt.
Fallbeispiele
- Aachen ist ein Beispiel einer innerdeutschen CBL-Vertrages, das aufgrund einer neuen Gesetzeslage nöglich wurde. Die Stiftung Moena, die Aldi Süd gehört, kaufte 1997 die Müllverbrennungsanlage (Volumen 325 Millionen Euro) der Stadt Aachen und vermietet sie für 30 Jahre zurück.
- In Bergisch Gladbach sollte das Abwasserwerk einschließlich des gesamten Kanalnetzes einem CBL-Vertrag unterworfen werden. Einer Bürgerinitiative, welche von attac inititiert wurde, schlossen sich neben anderen regonalen Bürgerinitiativen der DGB, BUND auch die oppositionellen Ratsparteien an. Die Bürgerinitiative erzwang nach einem Bürgerbehren einen förmlichen Bürgerentscheid. Die Bürger in Bergisch Gladbach entschieden im September 2003 in einer Urnenwahl mit 96,5 % gegen den CBL-Deal und brachten das Projekt damit zu Fall. Da man in Bergisch Gladbach das gesetzliche Quorum weit übertreffen konnte, gilt dieser Bürgerentscheid nach Gemeindeordnung NRW als Beschluss für die Stadt.
- In Bochum wurde vom rot-grünen Rat ein Vertrag über das Kanalisationsnetz angestrengt. Die Bemühungen einer Initiative, die von attac Bochum und Bochumer Mieterverein unterstützt wurden, führten im Frühjahr 2003 zu 15.000 Unterschriften der Bochumer Bürger. Als der amerikanische Vertragspartner zögerte, wurde von Ottilie Scholz, zu diesem Zeitpunkt Kämmerin der Stadt Bochum, ein anderer Partner gesucht und gefunden, um das Argument des Zeitdruckes aufrechterhalten zu können und einen Bürgerentscheid zu vermeiden. Vertragspartner ist angeblich die First Fidelity International, ein Ableger der "Wachovia Corporation", North Carolina, USA. Das Vertragswerk umfasst angeblich 1.700 Seiten. Das Volumen sind 500 Mio Euro.
- In Dortmund machten die Dortmunder Stadtwerke das erste Geschäft im Dezember 1997, als sie den Stadtbahn-Fuhrpark für 13,4 Mio. Euro abgaben. Die Westfalenhalle brachte acht Mio. Euro. Die immobilen Stadtbahnanlagen (Haltepunkte und Strecken) brachten jeweils gut 30 Mio. Euro für Stadt und Stadtwerke. Insgesamt soll der Erlös 100 Mio. Euro betragen haben.
- In Dresden wurden Straßenbahnwagen und Kläranlage veräussert und zurückgemietet (Volumen 480 Millionen Dollar).
- Schienennetz und Teile der U-Bahnhöfe in Duisburg erbrachten 49 Mio. Dollar (nach anderen Quellen 35,5 Mio. Dollar) Reinerlös..
- Düsseldorf: Abwasseranlagen (Volumen 1 Milliarde Dollar).
- Das Schienennetz der Evag und die Messegebäude in Essen ((Volumen 300 Millionen Dollar) gehören US-Investoren für 90 Mio. Euro. Die Emschergenossenschaft mit Sitz in Essen schloss einen Vertrag über ihre Großkläranlage ab (Volumen 480 Millionen Dollar).
- Für 21 Mio. Euro wurden Mitte 2002 in Gelsenkirchen das Kanalnetz verkauft, Ende 2002 31 Schulen und andere öffentliche Gebäude.
- Die Abfallentsorgungsgesellschaft Ruhrgebiet verkaufte ihren in Herten stehenden Müllofen für 16 Mio. Euro. Die Stadt Herten selbst lehnt CBL ab.
- Mit der First Fidelity International Bank wurde in Köln für 54 Mio. DM ein Vertrag über vier Kläranlagen (Volumen 1.819 Millionen Dollar) über eine Laufzeit von 24 Jahren geschlossen.
- In Kulmbach wurde ein CBL-Geschäft durch ein Bürgerbegehren gestoppt.
- In Münster wurden die Geschäfte durch ein Bürgerbegehren, organisiert von der rot-grünen Opposition, gestoppt.
- Ende 1998 wurden in Nürnberg für 17 Mio. DM 66 U-Bahnen und Straßenbahnen an ein amerikanisches Finanzinstitut verkauft und zurückgemietet.
- In den Haushalt der Stadt Recklinghausen flossen 4,6 Mio Euro durch ein Geschäft über das Kanalnetz. Ein Bürgerbegehren hatte der Rat abgelehnt. Im Ruhrgebiet wurde als Bürgerinitiative die Arbeitsgemeinschaft gegen kommunalen Ausverkauf gegründet. Unter diesem Titel sammeln sich Kritiker gegen die in ihren Augen "riskanten Scheingeschäfte mit Steuertricks".
- In Wuppertal wurde das Abwassernetz (Volumen 300 Millionen Dollar) verkauft. Hier laufen Klagen gegen den Gebührenbescheid, der den Vorteil der Kommune nicht an die Kunden weitergibt.
- In Österreich haben die bisher durchgeführten Cross-Border-Leasing-Transaktionen nach Schätzung der Kommunalkredit bereits ein Volumen von circa zwanzig Milliarden Euro, weitere Verträge für 3,5 Milliarden Euro werden verhandelt. Beispiele dafür sind Straßenbahn, U-Bahn und die Kanalisation in Wien, "rollendes Material" und Verschubbahnhöfe bei den ÖBB. Die Briefzentren Wien-Inzersdorf, Graz, Salzburg und Innsbruck sind Gegenstand eines Leasingvertrages über 119 Millionen Euro.
- In Zürich sind die Straßenbahnen (Volumen 120 Millionen Dollar) Gegenstand eines CBL-Geschäfts.
Literatur
- Werner Rügemer: Cross Border Leasing. Ein Lehrstück zur globalen Enteignung der Städte. Münster 2004, ISBN 3-89691-5681
- Chris Boobyer (Hg.): Leasing and Asset Finance. The Comprehensive Guide for Practitioners London ISBN 1855649853
- Austin Mitchell: The Accountants' Laundromat ISBN 1-902384-01-6
Weblinks
- http://www.bund-nrw.de/021213.htm
- http://www.urbs.de/aktuell/change.htm?anlage72.htm
- http://www.attac-netzwerk.de/dortmund/globdo/cbl/allgemein.php ATTAC-Linksammlung
- http://www.institut-halbach.de/politik/leasing/litera.htm
- http://www.attac.de/leipzig/welthandel/cbleasing.html
- http://www.privatisierungswahn.de/cbl.html
- http://www.cross-border-wuppertal.de
- http://www.kommunale-info.de/infothek/1616.asp
- Birger Scholz, attac - Leih mir mal Berlin! (pdf)