Johann Heinrich Vogeler (* 12. Dezember 1872 in Bremen; † 14. Juni 1942 im Kolchos Budjonny bei Karaganda, Kasachstan) war ein deutscher Maler, Grafiker, Architekt, Pädagoge, Politiker und Schriftsteller.

Jugend und Werdegang, das Frühwerk bis zum Ersten Weltkrieg
Vogeler wuchs als zweites von sieben Kindern des Eisenwarengroßhändlers Carl Eduard Vogeler und seiner Frau Marie Louise, geb. Förster, in Bremen auf. Das erste und das dritte Kind starben früh, so dass Heinrich als Ältester das väterliche Geschäft übernehmen sollte. Die ungeliebte Schule schloss er mit der mittleren Reife ab und sollte mit der Lehre in einem Bremer Handelshaus beginnen. Vogeler konnte jedoch seinen Vater überzeugen, ihm ein Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf zu gestatten, das seinen künstlerischen Neigungen entsprach. Nach dem Studium (1890 – 1895), unterbrochen durch Reisen nach Holland, Brügge, Genua, Rapallo und Paris, schloss er sich den Malern Fritz Mackensen, Hans am Ende, und Otto Modersohn in der Künstlerkolonie Worpswede an. Bekannt sind vor allem seine Arbeiten aus seiner Jugendstil-Zeit, unter anderem seine Buchillustrationen. Seine frühe Malerei ist präraffaelitisch und steht in der Tradition der englischen Malergruppe um Dante Gabriel Rossetti und Edward Burne-Jones. Auch sein Haus, das er Barkenhoff (nds. für „Birkenhof“) nannte, ursprünglich eine Bauernkate, gestaltete er nach Prinzipien des Jugendstils und verwandelte es in ein Künstlerdomizil mit selbst entworfenenen Möbeln, Geschirr und Tapeten. Worpswede wurde zeitweise der wichtigste Künstler-Treffpunkt. Zu den bereits genannten kamen hinzu: der Dichter Rainer Maria Rilke, dessen Hausspruch Licht sei sein Los/ ist der Herr nur das Herz und die Hand/ des Bau's mit den Linden im Land/ wird auch sein Haus/ schattig und groß das Portal des Barkenhoff schmückt, seine Frau, die Bildhauerin Clara Rilke-Westhoff, Carl Hauptmann, Paula Modersohn-Becker, Hans am Ende, Fritz Overbeck, Carl Vinnen und seine spätere Ehefrau Martha Schröder, die er 1901 heiratete.
Im Jahr 1905 wurde sein bekanntes großformatiges Gemälde Das Konzert (auch genannt Der Sommerabend) fertig gestellt, das ein Konzert auf der Terrasse des Barkenhoffs zeigt und als zentrale Person seine Frau Martha darstellt.
In den Jahren 1904 bis 1905 bekam er vom Bremer Senat nach der Empfehlung des Kunsthallenleiters Gustav Pauli den Auftrag zur Ausgestaltung der Güldenkammer im Bremer Rathaus, die vollkommen im Jugendstil ausgestattet wurde und ihn auch im kunstgewerblichen Bereich bekannt machte. Es enstanden auch Bestecke, Gläser und Möbel, die im „Kunst und Gewerbehaus Worpswede“, begründet von seinem jüngeren Bruder Franz Vogeler, vertrieben wurden und die ihm mehr Erfolg brachten als seine Malerei.
Wegen eines Augenleidens unternahm Vogeler 1906 zur Erholung eine Seereise nach Ceylon; die britische Kolonialherrschaft dort schockierte ihn. Während einer Reise nach Lodz im Jahr 1907 lernte er das soziale Engagement einer Fabrikantenfrau kennen, die sich für Arbeiterfamilien einsetzte. Diese Erlebnisse und die Lektüre der Werke Maxim Gorkis weckten Vogelers Bereitschaft, sich für die Belange der Arbeiterklasse einzusetzen.
1907 vergrößerte er den Barkenhoff und entwarf den Bahnhof von Worpswede. Im gleichen Jahr war Vogeler Mitbegründer des Deutschen Werkbundes. Ein Jahr später gründete er mit seinem Bruder Franz die Worpsweder Werkstätten in Tarmstedt, ein Tischlerbetrieb zur Herstellung von preiswerten Serienmöbeln, die auch für weniger Begüterte erschwinglich sein sollten. Als Stadtplaner setzte er sich für bezahlbaren Wohnungsbau ein. So reiste er 1909 mit einer Studiengruppe der „Deutschen Gartenstadt-Gesellschaft“ nach England und besichtigte eine vorbildliche Arbeitersiedung in Liverpool, „Port Sunlight“, lernte dort aber in Glasgow auch Elendsviertel kennen. Die Realisierung des Entwurfs eines Arbeiterdorfes für die Mitarbeiter seiner Werkstatt scheiterte jedoch aus finanziellen Gründen. Er fand keine Geldgeber, und man gab ihm den Rat, doch lieber wieder schöne Bilder zu malen.
1910 erhielt er auf der Brüsseler Weltausstellung Auszeichnungen für seine innenarchitektonischen Arbeiten, jedoch fand seine Jugendstilgrafik keine Anhänger mehr. Seine Ehe geriet in eine Krise, da seine Frau seine politischen Ansichten nicht teilen konnte. 1912 entwarf er für seinen Freund Emil Löhnberg das Haus im Stryck in Willingen, Sauerland, das er mit natürlichem Baumaterial ausstattete und in dem er sich oft als Gast aufhalten sollte. Im Herbst verließ er den Barkenhoff und richtete sich in Berlin ein kleines Atelier ein, in dem er Exlibris und Werbegrafiken, zum Beispiel für die Firma Bahlsen, entwarf.
Kriegsfreiwilliger und soziale Utopien
Im Zusammenhang mit den Ereignissen des Ersten Weltkrieges änderte Vogeler, der sich 1914 zunächst freiwillig an die Front gemeldet hatte, 1917 aber den Krieg ablehnte, seinen ornamentalen Stil drastisch und entwickelte einen expressionistischen Malstil, der sich beispielsweise in den Ölbildern Die Kranke und Das Leiden im Krieg zeigt.
Im Barkenhoff trafen sich in den letzten Kriegsmonaten politisch interessierte Kriegsgefangene, die bei Großbauern Zwangsarbeit leisten mussten, deutsche Revolutionäre und Linksintellektuelle. Sie diskutierten die gesellschaftlichen Veränderungen in Russland und die Möglichkeiten eines Umsturzes in Deutschland. Vogeler vertrat einen auf urchristlichen Werten beruhenden Sozialismus und idealisierte nach Pierre Joseph Proudhon sich selbst verwaltende Gemeinden, deren Mitglieder besitzlos und friedlich miteinander lebten. Im Januar 1918 schrieb er seinen Friedensappell an den deutschen Kaiser: Das Märchen vom lieben Gott. Er wurde daher während eines Fronturlaubes wegen defätistischer Umtriebe für 63 Tage in einer Irrenanstalt in Bremen inhaftiert und kehrte im April auf den Barkenhoff zurück. Während der Novemberrevolution 1918/1919 engagierte er sich als Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates in Osterholz.
Arbeitsschule Barkenhoff, KPD-Mitglied
1919 zog Martha Vogeler mit den drei Töchtern Marieluise (gen. Mieke, spätere Lebensgefährtin des Schriftstellers Gustav Regler), Bettina und Martha in das Haus im Schluh, während Heinrich Vogeler im Barkenhoff eine Arbeitsschule und Kommune gründete und sich kurz nach deren Gründung zum ersten Mal der KPD anschloss, die er allerdings schon Anfang 1920 verließ; er trat der KAPD bei und arbeitete an der Aktion von Franz Pfemfert mit. Auch rief er den Bund für proletarische Kultur mit ins Leben; in dieser Zeit arbeitete er u. a. mit Franz Jung, Erwin Piscator, Arthur Holitscher und anderen sich im Umfeld linkskommunistischer und syndikalistischer Gruppen bewegender Literaten und Künstler eng zusammen.
Erste Reise in die Sowjetunion, Komplexbilder
Zwischen 1920 und 1926 schmückte er die Diele des Barkenhoff mit Wandbildern, thematisch der Arbeiterbewegung verbunden, zeitweise gemeinsam mit seiner Tochter Mieke. 1923 trat er seine erste Reise in die Sowjetunion an, zusammen mit Sonja Marchlewska, die Tochter des polnischen Kommunisten Julian Marchlewski (Begründer der Internationalen Roten Hilfe), die er bereits 1918 in Worpswede kennengelernt hatte. Er blieb bis zum September 1924 als gering bezahlter Universitätsangestellter in Moskau und entwickelte dort seinen neuen Stil der Komplexbilder, dessen erste Ausführung in der Radierung Die Früchte des Zorns zu sehen sind. Der kristallartige Aufbau dieser Bilder weist oft ein bildübergreifendes Symbol wie Hammer und Sichel oder einen Stern auf. Mit dieser Technik schuf er auch das Gemälde Die Geburt des neuen Menschen, zu dem ihn die Geburt des Sohnes Jan am 9. Oktober 1923 in Moskau anregte.
Im Herbst 1924 verließ er Moskau wieder in Richtung Berlin, nachdem er ein Angebot des Bremer Kaffeehändlers und Kunstmäzens Ludwig Roselius ausgeschlagen hatte, ihm in Bremen ein Atelier einzurichten.
Kinderheim Barkenhoff 1923 – 1932
Die Arbeitsschule geriet in eine finanzielle Krise, da ihr öffentliche Mittel verwehrt wurde. Ab 1923 wurde der Barkenhoff auf Vorschlag von Julian Marchlewski als Kinderheim der neu gegründeteten Roten Hilfe Deutschlands genutzt und erhielt finanzielle Unterstützung. Vogeler trat 1924 der KPD wieder bei, aus der er 1929 wegen „Rechtsabweichung“ – er hatte sich mit aus der Partei ausgeschlossenen Freunden wie Eduard Fuchs und Jakob Schloer solidarisiert – ausgeschlossen wurde.
Von Ende Juni bis September 1925 reiste er im Auftrag der Roten Hilfe erneut in die Sowjetunion, nach Karelien, um dort den Aufbau propagandistisch zu dokumentieren. Eine weitere Reise nach Moskau folgte im November, um den Kongress der Roten Hilfe vorzubereiten.
Nachdem sich Martha Schröder von ihm getrennt hatte, heiratete er nach der Scheidung 1926 seine Lebensgefährtin Sonja Marchlewska. Gegen eine Kampagne, seine Wandbilder im Barkenhoff zu entfernen und das Kinderheim zu schließen, konnte er sich durchsetzen, und der erfolglose „Bildersturm“ machte seine Wandbilder international bekannt. So besuchte der mexikanische Maler Diego Rivera, bekannt durch seine „Murales“, Wandbilder mit sozialpolitischen Themen, den Barkenhoff. Sie wurden 1938 jedoch von den Nationalsozialisten zerstört. Ab Oktober 1927 bis zum Jahr 1930 arbeitete er im Berliner Architektenbüro „Die Kugel“, wo er Reklameplakate, zum Beispiel für „Kaiser's Kaffee“, gestaltete.
Emigration in die Sowjetunion, Deportation und Tod
Vogeler letzte Reise in die Sowjetunion im Jahr 1931 war endgültig; er nahm dort den Vorschlag an, in einem Komitee für die Standardisierung des Bauwesens mizuarbeiten. Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde ihm 1933 der Rückweg nach Deutschland abgeschnitten. Da er dem Vorwurf, seine Kunst sei noch zu bürgerlich, entgehen wollte, gab er den von ihm entwickelten Komplexbildstil auf und passte sich der vom Staat vorgegebenen Ausdrucksform des Sozialistischen Realismus an. Zusätzlich intensivierte er seine antifaschistische Arbeit, indem er Flugblätter und Rundfunkansprachen gegen Nazi-Deutschland verfasste. Im März 1941 erfolgte die Scheidung der Ehe mit Sonja. In Moskau wurde eine Ausstellung zu seinem 50. Arbeitsjubiläum gezeigt. Als im gleichen Jahr die deutsche Wehrmacht in die Sowjetunion einmarschierte, wurde er im September von Moskau nach Kasachstan evakuiert, wo er auf einer Baustelle arbeiten musste, bis ihn seine Kräfte verließen. Seine Rente erreichte ihn nicht mehr, und er musste bei anderen Evakuierten um Essen bitten. Sein Freund, der Schriftsteller Erich Weinert, den Vogeler mehrmals porträtiert hatte, überwies Geld für den Unterhalt, das Vogeler jedoch nie erhalten hatte. Am 14. Juni 1942 starb er im Krankenhaus des Kolchos „Budjonny“, vermutlich aufgrund von Hunger und körperlicher Schwäche.
Erich Weinert veröffentlichte Heinrich Vogelers Autobiografie, die dieser in Moskau begonnen und in Kasachstan fortgesetzt hatte, zehn Jahre nach dessen Tod - im Jahr 1952 gab er Vogelers Erinnerungen heraus.
Verwandte Themen
Literatur
- Heinrich Vogeler: Erinnerungen. Hrsg. von Erich Weinert. Rütten & Loening, Berlin 1952
- Karl-Robert Schütze: Heinrich Vogeler, Worpswede : Leben und architektonisches Werk. 1. Aufl., Frölich & Kaufmann, Berlin 1980. (zugl. Dissertation; TU Berlin)
- Hans-Herman Rief: Heinrich Vogeler. Das graphische Werk. Neuausg., Worpsweder Verlag, Worpswede 1983, ISBN 3-922516-34-3.
- Bernd Stenzig: Heinrich Vogeler. Eine Bibliographie der Schriften. Worpsweder Verlag, Lilienthal 1994, Schriftenreihe der Barkenhoff-Stiftung Nr. 28, ISBN 3-89299-177-4.
- Siegfried Bresler: Heinrich Vogeler. Rowohlt, Reinbek 1996. ISBN 3-499-50540-1
- Herbert Eichhorn / Rena Noltenius: Heinrich Vogeler. Von Worpswede nach Moskau. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen 12. Juli bis 21. September 1997. Kultur- und Sportamt der Stadt, Bietigheim-Bissingen 1997, ISBN 3-927877-28-X.
- Peter Elze: Heinrich Vogeler. Buchgrafik. Das Werkverzeichis 1895–1935. Worpsweder Verlag, Lilienthal 1997, ISBN 3-922516-74-2.
- Theo Neteler: Der Buchkünstler Heinrich Vogeler : mit einer Bibliographie. Antinous-Ed. Matthias Loidl, Ascona und Unterreit 1998, ISBN 3-930552-00-0.
- Rena Noltenius: Heinrich Vogeler : 1872–1942; die Gemälde – ein Werkkatalog. VDG, Weimar 2000, ISBN 3-89739-020-5. (teilw. zugl. Dissertation; Uni Tübingen)
Quellen
- Heinrich-Vogeler-Ausstellung im Gut Barkenhoff, Künstlersiedlung Worpswede, Bremen; Siegfried Bresler: Heinrich Vogeler, Reinbek 1996
Weblinks
- Unterschiedlichkeit der Werke von Heinrich Vogeler nach dem Stilwechsel
- Heinrich Vogeler Gesellschaft
- Gemälde Der Sommerabend auf dem Barkenhoff
Personendaten | |
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NAME | Vogeler, Heinrich |
ALTERNATIVNAMEN | Heinrich Vogeler-Worpswede |
KURZBESCHREIBUNG | Künstler |
GEBURTSDATUM | 12. Dezember 1872 |
GEBURTSORT | Bremen |
STERBEDATUM | 14. Juni 1942 |
STERBEORT | Karaganda, Kasachstan |