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Nationaler Sozialismus

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Der vieldeutige Begriff „Nationaler Sozialismus“ steht historisch in Europa für ideologische Strömungen und politische Parteien, die seit etwa 1890 Nationalismus und Sozialismus auf verschiedene Weise miteinander verbinden und aussöhnen wollten.

Er wurde im deutschen Sprachraum seit Gründung der NSDAP 1920 zum Synonym für „Nationalsozialismus“. Aufgrund der Ergebnisse der nationalsozialistischen Herrschaft wird der Begriff heute primär mit Rassismus, Imperialismus und Totalitarismus assoziiert und ist deswegen in Deutschland als nicht erneuerbares ideologisches Gemisch weithin diskreditiert.[1]

Nur einige Gruppen des heutigen Neonazismus verwenden den Ausdruck weiterhin für ihre rechtsextremen Konzepte, um mit einer Querfront-Strategie über ihr Lager hinaus auch bei Sozialisten Zustimmung und Anhänger zu finden.

Entwürfe der Kaiserzeit

Um 1890 entstanden in manchen europäischen Staaten Strömungen, die einen „Dritten Weg“ zwischen den weithin beherrschenden, sich gegeneinander definierenden und bekämpfenden Richtungen des Nationalismus auf der einen und des Sozialismus auf der anderen Seite suchten. Als vage Vordenker und Wegbereiter national-sozialistischer Ideen im deutschen Sprachraum gelten Autoren des Kaiserreichs, die eine Gemeinwirtschaft im Rahmen der Nation anstrebten und sich gleichermaßen vom Internationalismus des Marxismus wie der Sozialdemokratie abgrenzten.

Solche Entwürfe entstanden ungefähr mit der „politischen Wende“, die durch die Entlassung Otto von Bismarcks als Reichskanzlers und die Legalisierung der SPD markiert war.

Friedrich Naumann

1896 gründete der evangelische Theologe Friedrich Naumann den Nationalsozialen Verein als politische Partei. Beeinflusst von Max Weber, für den der Machtstaat nach außen die Bedingung für Sozialreformen nach innen war (Freiburger Rede von 1895), unterstützte der Verein die imperialistische Kolonial- und Flottenpolitik der Regierung. Die Eroberung von Kolonien sollte den Wohlstand mehren, dadurch die Nation einen und dem Kaiser eine „gemäßigte Demokratisierung“ ermöglichen.

Der von Naumann auf der Gründungstagung vorgelegte Programmentwurf wurde mit wenigen Änderungen angenommen und 1897 als „Nationalsozialer Katechismus“ veröffentlicht. Nationalsozial nannte sich die Bewegung aus der Überzeugung heraus, „daß das Nationale und das Soziale zusammengehören“. Das Nationale wurde charakterisiert als „Trieb des deutschen Volkes, seinen Einfluß auf der Erdkugel auszudehnen“. Das Soziale sei der „Trieb der arbeitenden Menge, ihren Einfluß innerhalb des Volkes auszudehnen“. Die Ausdehnung des Einflusses dieser Masse im Volke sei unmöglich ohne weitere Entwicklung der deutschen Macht auf dem Weltmarkt. Das Grundbekenntnis des Kreises um Naumann war ein „Nationaler Sozialismus auf christlicher Grundlage“.

1900 schlug Naumann in seinem Buch „Demokratie und Kaisertum“ dem Kaiser die Aufhebung des preußischen Dreiklassenwahlrechts vor, um so die Arbeiter mit dem Kaisertum zu versöhnen. In seiner Studie „Neudeutsche Wirtschaftspolitik“ von 1902 forderte er eine freie Gewerkschaftsbewegung, eine gleichberechtigte Partnerschaft von Arbeitern und Bürgern, betriebliche Mitbestimmungsrechte und einen „Industrieparlamentarismus“.

1903 wurde der bei Wahlen erfolglose Nationalsoziale Verein aufgelöst. Als liberaler Demokrat und Gegner des Antisemitismus wird Naumann nicht zu den Vorläufern des Nationalsozialismus gezählt.

Walther Rathenau

Der Großindustrielle und Schriftsteller Walther Rathenau lässt sich aufgrund der Komplexität und Wandelbarkeit seines Denkens keiner einheitlichen nationalistischen und/oder sozialistischen Position zuordnen.

Ab 1912 veröffentlichte er verschiedene Schriften, die nationale und sozialistische Ansätze enthielten. Als Initiator und Leiter der Kriegsrohstoffabteilung entwarf er während des ersten Weltkriegs einen vom bestehenden Beamtenapparat zentral geplanten „Staatssozialismus“ und hoffte, mit dieser Planwirtschaft die privatkapitalistischen Einzelinteressen zu zähmen und für das Allgemeinwohl einzusetzen.

1916 entfaltete sein Buch „Von kommenden Dingen“ die Idee einer künftigen, vom Volk getragenen Gemeinwirtschaft. Rathenau wollte diese durch einen überall eingreifenden „Volksstaat“ durchsetzen, der das private Profitstreben in die Schranken weisen und für den Ausgleich zwischen den Klassen sorgen sollte. Er sollte das Erbrecht beschränken, Luxus radikal besteuern, Besitz und Einkommen gerecht verteilen, die Volksbildung anheben, Arbeitermitbestimmung ermöglichen, Monopole beseitigen und Spekulationen und Müßiggang verbieten: Im Staat darf und soll nur einer unangemessen reich sein: der Staat. Rathenaus Schrift fand große Zustimmung in der Jugendbewegung und zum Teil auch in der Völkischen Bewegung. Es beeinflusste u.a. Otto Strasser, einen späteren Nationalsozialisten.

1919 erschien das Buch „Der neue Staat“, in dem Rathenau in Wir-Form die Gefühle der Arbeitermassen artikulierte, die nach der Novemberrevolution um den Sozialismus betrogen worden seien: Man habe nur die Spitzenvertreter ausgetauscht, aber in den Fabriken sei alles beim Alten geblieben. Die partielle Mitbestimmung in der Kohleindustrie habe nichts an der Preissteigerung geändert, so dass Sozialisierung nur über die „Fiskalisierung“ (Besteuerung) hinweg täusche. Das aus Verbandslobbyisten und Berufsgruppen zusammengesetzte Parlament spiegele nur deren Gruppeninteressen. Karl Marx habe Recht behalten: Nur die Diktatur des Proletariats konnte es schaffen, sie war der Kern des Sozialismus... Was übrigbleibt, ist eine Bürgerrepublik, mit Herren von sozialistischer Vergangenheit an der Spitze.

Der „Verrat“ am Sozialismus war eine damals verbreitete Parole bei Kommunisten wie Nationalsozialisten. Rathenau saß zu dieser Zeit selbst in einer Sozialisierungskommission des Weimarer Reichstags, wo er sich sowohl mit Unternehmervertretern wie Hugo Stinnes als auch mit Sozialdemokraten und Gewerkschaftern auseinandersetzte.

„Kriegssozialismus“ in der SPD

Seit etwa 1890 war in der SPD die Vorstellung gewachsen, Sozialismus sei nicht durch Entmachtung der nationalen Eliten, sondern Zusammenarbeit mit ihnen und partielle Unterstützung ihrer Politik zu erreichen. Dies reagierte auf Angriffe wie den Gustav Tuchs, der 1887 erklärte, der preußische Militarismus sei „der einzig wahre nationale und zivilisierte Sozialismus ... gegenüber dem vaterlandslosen und barbarischen Sozialismus der Sozialdemokratie“.

Zwar wies Karl Kautzky dies damals zurück; aber Vertreter des Revisionismus fanden in der SPD wachsendes Gehör. So erklärte Eduard Bernstein 1899 in seinem Buch „Die Voraussetzungen des Sozialismus”:

Im weiteren Verlaufe wird das Nationale so gut sozialistisch sein wie das Munizipale. Nennen sich doch schon heute Sozialisten demokratischer Staatswesen gern Nationalisten.

Mit der Zustimmung zum Burgfrieden und zu den Kriegskrediten am 4. August 1914 erhoffte sich die MSPD Akzeptanz bei den Eliten und mehr demokratische Partizipation als Gegenleistung. Konservative Gewerkschafter und Vertreter des rechten Parteiflügels wie Anton Fendrich, Paul Lensch, Johann Plenge und August Winnig sahen nun im preußischen Militarismus mit seiner Disziplin und Organisation ein Vorbild für den künftigen Sozialismus, ja ein Mittel, um diesen nach dem Krieg durchzusetzen. So schrieb Fendrich 1914:

Um in der Zeit der schwersten Prüfung der Nation bestehen zu können, mußte der Sozialismus national, die Regierung der Nation aber auch sozialistisch empfinden und handeln lernen ... Als gewaltige Reformpartei wird die Sozialdemokratie innerhalb des staatlichen Organismus in den nächsten Jahren nationale Arbeiterpolitik treiben.

Winnig setzte im Frühjahr 1915 Proletariat, Volksgemeinschaft und Staat gleich:

Das Schicksal Deutschlands ist auch das Schicksal der deutschen Arbeiterklasse.

Er glaubte, die Verstaatlichung großer Produktionszweige durch die Kriegswirtschaft habe die Sozialisierung des Wirtschaftslebens in greifbare Nähe gerückt. Der Krieg könne nur mit den Arbeitern organisiert werden; die Teilnahme ihrer Organisationen an der Staatsverwaltung habe „jene Elemente eines neuen Deutschtums“ geschaffen, „in denen die Masse heute das Stück deutscher Zukunft sieht, das ihr den Geist und die Kraft zum Durchhalten verleiht.” Der Krieg habe bewiesen, dass dort, „wo die nationale Selbständigkeit und die ökonomischen Lebensinteressen der Nation auf dem Spiele stehen, die nationale Solidarität der internationalen vorausgeht.” Weil der Imperialismus von „zwingenden volkswirtschaftlichen Bedürfnissen getragen“ werde, dürfe die SPD auch Eroberungsziele nicht ablehnen, sondern müsse sie als notwendige Voraussetzung des Sozialismus anerkennen.

Paul Lensch, auf den Winnig und später Oswald Spengler sich beriefen, hatte 1914 die Kriegskredite abgelehnt, wurde aber 1915 Hauptvertreter des Kriegssozialismus in der SPD. Für ihn war mit den staatlichen Kriegsgesellschaften der deutsche Kapitalismus sozialistisch geworden. Die Bewilligung der Kriegskredite habe der SPD-Politik nicht widersprochen, sondern der modernen Wirtschaftsentwicklung hin zu marktbeherrschenden Syndikaten und Kartellen entsprochen. Deren Organisation habe Strukturen des preußischen Militärstaates auf das gesamte deutsche Wirtschaftsleben ausgedehnt. Da die SPD sich in seinem Rahmen ohne Bürgerkrieg organisieren konnte, sei das Zusammenfinden von Staat und Arbeiterorganisation im Krieg vorgezeichnet gewesen. In diesem Prozess sei das Ideal der sozialisierten Gesellschaft entstanden: Ihr Degen aber ist Deutschland. Er hielt den Weltkrieg also für die Ausbreitung dieses Ideals und damit für die eigentliche Weltrevolution:

Das war wiederum ein Zug jener tiefen Ironie, an der die Weltgeschichte so reich ist: Der Sozialismus als Retter des Nationalismus!

Auch er bejahte demgemäß die Eroberungen und hielt Verständigungs- und Abrüstungsforderungen für Illusionen.

Diese Aussagen wurden am 15. April 1915 in der einzigen Ausgabe der von der Spartakusgruppe herausgegebenen Zeitschrift „Die Internationale” scharf kritisiert. Dort schrieb u.a. der preußische SPD-Landtagsabgeordnete Heinrich Ströbel:[2]

Daß die Geister sich scheiden, und der neue Geist des nationalen Sozialismus (man kann auch sagen National-Sozialismus, denn Pastor Naumann hat nie ein anderes Programm vertreten und Lensch hat den ehemaligen Nationalsozialen Rohrbach trefflich vulgarisiert) sich so unverhohlen bekundete, ist hocherfreulich. Denn nach der Rückkehr normaler Zeiten wird sich die Partei in der Tat gründlichst mit den Irrungen und Wirrungen auseinander zu setzen haben.

Willy Huhn, der 1952 ein Buch zu nationalistischen und militaristischen Traditionen innerhalb der Sozialdemokratie veröffentlichte, beschrieb die MSPD aufgrund solcher Belege als „die erste nationalsozialistische Partei“ der Weltgeschichte. Er fand in den Ideen der Kriegssozialisten die „Deutsche Arbeitsfront” des „Dritten Reichs“ vorgezeichnet.[3]

Entwürfe der Weimarer Zeit

Nach 1918 vertraten einige ursprünglich vom Weltkrieg begeisterte Autoren eine antidemokratische Haltung der Konservativen Revolution mit unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen, für die auch nationalistische und sozialistische Motive eine Rolle spielten.

Oswald Spengler

Der Kultur- und Geschichtsphilosoph Oswald Spengler wurde mit seinem vielgelesenen Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes (1918–1922) zu einem Repräsentanten des modernen Kulturpessimismus für das vom Krieg enttäuschte konservativen Bürgertum.

1920 veröffentlichte er die Schrift Preußentum und Sozialismus, in der er sich kritisch mit den vorherschenden gegenwärtigen Geistesrichtungen und Parteien auseinandersetzte und vor allem die Novemberrevolution sowie die aus seiner Sicht spezifisch angelsächsische liberale Demokratie als dem „deutschen Wesen“ fremde Regierungsformen negativ bewertete.

Dagegen favorisierte er eine Verbindung von autoritär aufgefassten „preußischen Tugenden“ wie Ehre, Pflicht, Gehorsam, Dienst und Opferbereitschaft [4] mit den Grundideen eines dem „deutschen Charakter“ entgegenkommenden Sozialismus:

Der deutsche, genauer preußische Instinkt war: Die Macht gehört dem Ganzen. Der einzelne dient ihm. Das Ganze ist souverän. Der König ist nur der erste Diener seines Staates. Jeder erhält seinen Platz. Es wird befohlen und gehorcht. [...] Von innerm Range kann in Deutschland nur der Sozialismus in irgendeiner Fassung sein.[5]

Trotz seines reaktionären Denkens blieb Spengler dem aufstrebenden Nationalsozialismus gegenüber distanziert und wies Angebote zur Mitarbeit in der NSDAP mit Hinweis auf die „primitive Lösung des Antisemitismus“ 1925 und 1930 zurück.[6]

Arthur Moeller van den Bruck

Der Kulturhistoriker und ehemalige OHL-Mitarbeiter Arthur Moeller van den Bruck trat 1916 mit der Schrift „Der Preußische Stil“ hervor. Darin beschrieb er das Preußentum als „Willen zum Staat“, der unbedingt zu verteidigen und auch nach einer eventuellen Niederlage zu erneuern sei. Sozialismus begriff er positiv als Ausdruck einer völkischen Einheitssehnsucht, die Deutsche und Russen gegenüber den liberaldemokratischen Ideen der Westalliierten verbinde.

Seit 1920 mit Spengler befreundet, wurde Moeller van den Bruck Hauptvertreter und Sprachrohr der Konservativen Revolution. In seiner Schrift „Das Recht der jungen Völker“ vertrat er eine Staatstheorie, nach der jede Nation – vor allem Deutsche und Russen – ihren eigenen Weg zu einem nationalen Sozialismus finden müsste. Liberalismus, Kommunismus und Demokratie sah er – ebenso wie Spengler – als fremde, vom Ausland eingeschleuste Ideen, die die unabhängige Entwicklung zu einem „deutschen Sozialismus“ bedrohten.[7]

Nach seinen Vorstellungen sollte künftig nur eine kleine Elite die politische Führungsmacht haben. Parteien, Wahlen und sonstige Machtkontrolle lehnte Moeller als dekadente westliche Einflüsse ab. Nichtdeutsche und Juden sollten nicht vertrieben, aber von einflussreichen Stellungen ausgeschlossen werden.

Mit seiner Forderung nach Annäherung zwischen einem deutschen und einem russischen Sozialismus ohne einheitliches System beeinflusste van den Bruck auch Ernst Niekisch und dessen Nationalbolschewismus. Großen Einfluss auf Jungkonservative und Rechtsradikale gewann sein Werk „Das Dritte Reich“ von 1923. Nationalistischer Antikapitalismus und Antiliberalismus gingen hier eine enge Verbindung ein:

Wo Marxismus endet, dort beginnt Sozialismus: ein deutscher Sozialismus, der berufen ist, in der Geistesgeschichte der Menschheit allen Liberalismus abzulösen.[8]

Obwohl der Autor kein Nationalsozialist war – und sich bereits 1922 von Hitler distanzierte – übernahm die NSDAP nach seinem Tod 1925 den Buchtitel und die Reichsidee für ihre „revolutionäre“ Propaganda. Seine Ideen wirkten bei Autoren wie Heinrich von Gleichen, Edgar Julius Jung oder Eduard Stadtler fort.

Moellendorf, Sombart, Jünger

Ähnlich wie Rathenau gingen auch Wichard von Moellendorff, Werner Sombart und Ernst Jünger vom Vorbild des preußischen Beamtenstaates aus. Der Vorstellung, dass die von Krisen geschüttelte kapitalistische Gesellschaft nach Art einer Maschine funktioniere, entsprach ihr Lösungsansatz, diese Maschine durch technokratische Eliten zu steuern und zu beherrschen. Ein starker Staat sollte privatwirtschaftliche Interessen durch zentrale Planung eindämmen und notfalls unterdrücken.

Demgemäß sahen Sombart und Jünger den Sowjetstaat um 1925 als Vorbild für die deutsche Zukunft, obwohl sie ihren nationalen Sozialismus gegen den Kommunismus abgrenzten. Umgekehrt hatte auch Lenin den preußischen Beamtenapparat als Vorbild für den sowjetischen Staat gepriesen.

Dem entsprach die Zurückweisung individueller Entfaltungsinteressen und Einzelegoismen zugunsten von Gemeinschaftswerten, etwa den „preußischen Tugenden“. Diese Entwürfe beschrieben eher die als Verfall und Chaos gedeuteten Krisensymptome und Strukturmängel der Weimarer Republik und ihrer demokratischen Institutionen, weniger aber einen rational erkennbaren und realistisch gangbaren Weg zur angestrebten Zukunftsgesellschaft. Sie lehnten einhellig drei Grundmerkmale des Marxismus ab: die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln, den Internationalismus und den Klassenkampf. Ihre Kritik blieb insofern mehr auf den Bereich der Kultur als der Ökonomie begrenzt.[9]

Kurt Sontheimer sieht einen fließenden Übergang von einem marxistischen Sozialismus innerhalb der Nation zum Entwurf einer als „deutscher Sozialismus“ ausgegebenen „Volksgemeinschaft“, die im selbstlosen Dienst für den Staat wirke. Der für die antikapitalistische, antibürgerliche und pronationale Haltung zutreffende Doppelbegriff des „nationalen Sozialismus“ habe deshalb nie eine eindeutige Kontur erhalten.[10]

Ernst Niekisch

Der bayerische Volksschullehrer und ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Ernst Niekisch vertrat als Herausgeber des Monatsblattes „Widerstand. Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik“ (1926-1934) einen Nationalbolschewismus als Synthese von extremem antiwestlichen Nationalismus und revolutionärem Sozialismus. Zu den Autoren der Zeitschrift zählten u.a. Ernst Jünger, Friedrich Georg Jünger, Joseph Drexel, Ernst von Salomon, Gustav Sondermann. Die nationalrevolutionären Politikvorstellungen Niekischs beeinflussten sowohl Denker der Konservativen Revolution als auch Nationalsozialisten wie die Brüder Strasser und Ernst Röhm.

Jedoch war Niekisch ein erklärter Gegner Hitlers, vor dessen Machtergreifung er 1932 warnte („Hitler - ein deutsches Verhängnis“). Er sah in dem österreichischen Katholiken, der durch Wahlen zur Macht gelangen wollte, einen Vertreter westlichen Denkens, keinen Nationalrevolutionär.

Niekischs Verhältnis zum Nationalsozialismus ist wegen seiner Widerstandsversuche, für die er 1939 als Hochverräter verurteilt wurde, umstritten. Als Befürworter der Vereinigung von KPD und SPD zur SED erhielt Niekisch in der DDR Staatsämter. Der Politikwissenschaftler Michael Pittwald fand jedoch in seinem „proletarischem Nationalismus“ eine „elitäre, dem Führerprinzip verhaftete Herrschaftsideologie“, durchsetzt mit völkischem, frauenfeindlichen, rassistischem und antisemitischem Gedankengut. Der von Niekisch ab 1926 geführte Widerstandskreis der „Reichskameraden“, die ein Gelöbnis auf ihren Führer ablegen mussten, habe ein deutsch geführtes Mitteleuropa und ein „Endimperium“ angestrebt.

Sein antiwestlicher Nationalismus habe eine Absage an den Feminismus aus den USA (Deutschlands Heil liegt nicht bei Girls, liegt nicht bei emanzipierten Frauen; für Deutschland ist der Feminismus mit all seinen pazifistischen, humanitären, ethisierenden und ökonomisierenden Masken die politische Pest - 1929) und die Eroberung südeuropäischer, römisch-katholisch beeinflusster Länder eingeschlossen (Deutsches Herrenmenschentum kann nicht eher existieren, bevor nicht die romanische Welt niedergeworfen und gedemütigt ist, 1932). 1935 hetzte Niekisch gegen den „ewigen Jude(n), dessen universalistischer nihilistischer Radikalismus noch immer ungebrochen ist“.[11]

Andere

Nationalistische und sozialistische Motive spielten in der Weimarer Republik auch im Wandervogel, bei dem deutschen Jesuiten Gustav Gundlach oder bei dem Gewerkschafter Lothar Erdmann (1888–1939) eine Rolle.

Auch die Linksparteien verzichteten nicht auf nationalistische Töne, um Massen zu mobilisieren und Wähler der Rechten anzuziehen. So verabschiedete z. B. die KPD 1930 eine programmatische Erklärung „zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“ [12] und wandte sich 1932 gegen die im Youngplan festgelegten Reparationszahlungen als „Tributsklaverei des deutschen Volkes“.[13]

Die SPD wiederum stützte die ersten Notverordnungen unter Heinrich Brüning und stimmte am 17. Mai 1933 unter Fraktionsführer Paul Löbe zwar als einzige Partei gegen das Ermächtigungsgesetz, aber zugleich für eine nationalsozialistische Erklärung zur Außenpolitik.

Nationalsozialismus

Vorläufer

Aus der Völkischen Bewegung entstanden im deutschen Sprachraum seit etwa 1880 Gruppen, die einerseits radikal nationalistisch und antisemitisch, andererseits zum Teil „revolutionär“ im Sinne einer künftigen Zusammenführung aller Deutschen gegen die bestehenden Monarchien gerichtet waren.

Die „Deutsche Arbeiterpartei“ des österreichischen Sudetenlandes benutzte den Begriff „Nationaler Sozialismus“ 1904 als erste, um ihr Ziel einer nationalen Einigung und regionalen Autonomie durch Ablösung der Österreich-Ungarischen Monarchie zu beschreiben. Am 5. Mai 1918 benannte sich die Partei dazu in „Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei“ (DNSAP) um. Ihr Programm verfasste der sudetendeutsche Abgeordnete Rudolf Jung unter dem Titel „Nationaler Sozialismus“.

Programm

Im Januar 1919 gründete sich die Deutsche Arbeiterpartei, die sich 1920 in München in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei umbenannte und sich neu als „Bewegung“ zur Sammlung aller radikal antisemitischen und antidemokratischen Kräfte positionierte. Dabei übernahm sie weite Teile von Jungs Programmatik. Ihr 25-Punkte-Programm betonte den aus der völkischen Bewegung bekannten Begriff der Volksgemeinschaft, der sich alles unterzuordnen habe. Diese Idee wurde nach innen sowohl integrierend als auch fremdenfeindlich und ausgrenzend – vor allem gegen Juden –, nach außen expansionistisch und rassistisch als „Kampf der Arier um Lebensraum“ ausformuliert. Ziele wie Mittel waren jedoch in der aus vielen Vorläufern entstandenen Sammlungsbewegung noch weitgehend ungeklärt.

Flügelkämpfe

In den 1920er Jahren stritten die von Gregor Strasser auf der einen, Alfred Rosenberg als „Chefideologen“ der NSDAP auf der anderen Seite vertretenen Parteiflügel der NSDAP öffentlich über das Verhältnis der nationalistischen zur sozialistischen Komponente ihres Programms. Rosenberg grenzte den Nationalsozialismus dabei nochmals scharf von anderen Konzepten ab:

„Das Wort ‚Nationalsozialismus‘ stellt als Hauptwort eine neue Synthese dar, die die Untrennbarkeit zweier Begriffe betont, während die Bezeichnung ‚nationaler Sozialismus‘ in Wirklichkeit nationaler Marxismus bedeutet oder bedeuten könnte.“

Alfred Rosenberg: Nationaler Sozialismus oder Nationalsozialismus, 1923

1926 machte Parteiführer Adolf Hitler seinen Führungsanspruch in der Partei geltend und wies einige antikapitalistische Forderungen Strassers zurück oder deutete sie antisemitisch um. 1930 verließ Otto Strasser deswegen die NSDAP.

1934 entschied Hitler als „Führer und Reichskanzler“ den Flügelkampf autoritativ und endgültig, indem er die noch vorhandenen antikapitalistischen Parteivertreter, allen voran Ernst Röhm und Gregor Strasser, ermorden ließ und die paramilitärische SA, deren Straßenterror ihm zur Machtergreifung verholfen hatte, entmachtete (siehe Röhmputsch). Bereits zuvor hatte das NS-Regime mit Terrormaßnahmen und Verordnungen die Gleichschaltung der Gewerkschaften erzwungen, die KPD und SPD verboten und so die Organisationen der Arbeiterbewegung entmachtet.

Verwendung durch Neonazis

Vor allem der neonazistische Aktivist Michael Kühnen versuchte in der alten Bundesrepublik seit etwa 1976, Konzepte wiederzubeleben, die sich ideologisch an Ernst Röhm und die SA-Organisationsform anlehnten. Er gründete im November 1977 die Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS), die mit nur wenigen Dutzend Mitgliedern – etwa durch öffentliche Holocaustleugnung im Mai 1978 – eine große Medienresonanz erreichte. Kühnen wurde mehrfach wegen Aufstachelung zum Rassenhass, Gewaltverherrlichung und Volksverhetzung zu Haftstrafen verurteilt. Dem Zusammenschluss der ANS mit einer „Wehrsportgruppe“ Nationale Aktivisten folgte das Verbot der Organisation im Dezember 1983. Seitdem gründete Kühnen verschiedene Nachfolgeprojekte mit ähnlicher Zielsetzung wie die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP), die 1995 als Verein verboten wurde.[14]

Heute versuchen vor allem „Nationalrevolutionäre“ wie der Kampfbund Deutscher Sozialisten an Traditionen und Vorstellungen eines Nationalen Sozialismus anzuknüpfen. Dies zielt in der Regel auf eine so genannte Querfront-Strategie, die den Gegensatz zwischen Links und Rechts verwischen und überwinden soll, um so Personen und Gruppen, die sich dem Lager der radikalen Linken zugehörig sehen, anzusprechen und für gemeinsame Aktionsbündnisse zu vereinnahmen.

Dabei wird das Ziel einer sozialen Revolution zur Schaffung eines teilweise am Dritten Reich orientierten Nationalstaats anvisiert, in dem zugleich syndikalistische, rätedemokratische und anarchistiiche Motive und Ideen umgesetzt werden sollen. Dieses diffuse Konzept soll Nationalrevolutionäre mit „progressiven“ oder „linken“ Nationalsozialisten, die sich weniger an Hitler als an den Brüdern Strasser orientieren, sowie mit nationalistischen Sozialisten und Kommunisten vereinen.

Der eine Integration von neonazistischem und marxistischem Gedankengut anstrebende [15], personell kleine [16] Kampfbund Deutscher Sozialisten sieht sowohl das nationalsozialistische Deutschland als auch die DDR, die den Nationalen Sozialismus nur unter anderen Vorzeichen fortgesetzt habe, als gescheiterte Anläufe zu einem Deutschen Sozialismus. Er betrachtet sich in diesem Sinne selbst als dessen Vertreter. Die unregelmäßig erscheinende Zeitschrift Der Fahnenträger bezeichnet sich als Zentralorgan der Nationalen Sozialisten. Ähnliche Bestrebungen existieren in anderen Ländern, wie zum Beispiel in der Nationalbolschewistischen Partei Russlands, welche den KDS als Bruderpartei anerkennt.

Einige „Linksnationalisten“ aus diesem Umfeld verwenden als ihr Symbol eine abgewandelte Version des Antifa-Logos, in dem der Schriftzug „Antifaschistische Aktion“ durch „Nationale Sozialisten – Bundesweite Aktion“ ersetzt wurde.

Siehe auch

Quellen

  1. Wolfgang Wippermann: Nationalsozialismus, in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 2. Auflage 1998, ISBN 3-423-33007-4, S. 600
  2. alle Zitate dieses Abschnitts aus: Willy Huhn, Der Etatismus der Sozialdemokratie. Zur Vorgeschichte des Nazifaschismus, Ca Ira, 2003, ISBN 3924627053
  3. Willy Huhn: Die Ideen von 1914 und die Folgen
  4. Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 198
  5. Oswald Spengler: Preußentum und Sozialismus, S. ??
  6. DHG: Oswald Spengler
  7. Moeller van den Bruck: Das Dritte Reich, S. 173
  8. Moeller van den Bruck: Das Dritte Reich, S. 68
  9. Rezension zu C.H. Werth: Sozialismus und Nation. Die deutsche Ideologiediskussion zwischen 1918 und 1945 (H-Sozkult)
  10. Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 271
  11. alle Zitate bei Dirk Eckert: Grenzgänger der Reaktion. Ernst Niekischs völkischer Sozialismus (Rezension zu Michael Pittwald)
  12. Ernst Thälmann: Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes 1930
  13. Deklaration des Zentralkomitees der KPD: Gegen die Tributsklaverei des deutschen Volkes. Gegen Versailles und Young
  14. Armin Pfahl-Traughber: Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, S. 53
  15. Szeneintern werden die Anhänger dieser Richtung aufgrund ihrer deutlichen Anlehnung an marxistische Theorien eher skeptisch gesehen, so dass deren Einfluss begrenzt ist. auf Verfassungsschutz Jahresbericht 2005 Kapitel III – Rechtsextremismus
  16. Die 50 bis 60 Mitglieder, die zum Teil aus der linken Szene stammen, propagieren den gemeinsamen Kampf von Rechten und Linken gegen das „System“ unter dem diffusen Leitbild eines „nationalen Sozialismus“; auf der Seite der Berliner Zeitung

Literatur

Zeitgeschichtlicher Kontext

  • Rolf-Peter Sieferle: Epochenwechsel – die Deutschen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Propyläen Verlag, März 1999, ISBN 3549051565
  • Armin Pfahl-Traughber: Konservative Revolution und Neue Rechte. Rechtsextremistische Intellektuelle gegen den demokratischen Verfassungsstaat. Leske + Budrich, Opladen, 1998, ISBN 3810018880
  • Jan Peters: Nationaler "Sozialismus" von rechts. Dokumente und Programme der grünbraunen Reaktionäre, ISBN 3882203056

Verchiedene national-sozialistische Entwürfe

  • Joachim Gauger: Nationaler Sozialismus um 1900: Geschichte des Nationalsozialen Vereins. Verlag der Gotthardbriefe, Friedrich-Naumann-Stiftung, Elberfeld 1935
  • Ilse Fischer: Versöhnung von Nation und Sozialismus? Lothar Erdmann (1888–1939): Ein „leidenschaftlicher Individualist“ in der Gewerkschaftsspitze. Archiv für Sozialgeschichte, Beiheft 23, Bonn 2004
  • Otto Strasser: Internationaler Marxismus oder nationaler Sozialismus - Eine grundlegende Diskussion zwischen Dr. Otto Strasser und Bruno Frei, 1930
  • Christoph H. Werth: Sozialismus und Nation – Die deutsche Ideologiediskussion zwischen 1918 und 1945. Westdeutscher Verlag, GWV Fachverlage, Opladen 1996, ISBN 3-89739-216-X

Nationalistische Einflüsse in anderen Parteien

  • Stefan Vogt: Nationaler Sozialismus und Soziale Demokratie. Die sozialdemokratische Junge Rechte 1918–1945. Dietz, Bonn 2006, ISBN 3801241610.

Vorläufer des Nationalsozialismus

  • Wolfgang Altfeld: Die Ideologie des Nationalsozialismus und ihre Vorläufer, in: Karl Dietrich Bracher, Leo Valiani (Hrsg.): Faschismus und Nationalsozialismus. Duncker & Humblot GmbH 1991, ISBN 3428070089
  • Götz Aly: Hitlers Volksstaat – Raub, Rassenkrieg und Nationaler Sozialismus. Fischer Tb., Frankfurt am Main 2006. ISBN 359615863X.
  • Karlheinz Weißmann: Der Nationale Sozialismus – Ideologie und Bewegung 1890–1933. Herbig, 1998. ISBN 3776620560