Richard Müller (Gewerkschafter)
Richard Müller (* 1880 in Weira; † 1943) spielte als einer der Köpfe der Revolutionären Obleute vor allem im Vorfeld und Verlauf der Novemberrevolution als Verfechter einer Räterepublik eine wichtige Rolle.
Leben und Wirken
Richard Müller war seit 1914 Leiter der Dreherbranche im freigewerkschaftlichen Deutschen Metallarbeiterverband und einer der führenden Köpfe des auf dem linken Flügel der Gewerkschaften angesiedelten Metallarbeiterverbandes in Berlin. Müller hatte seit Beginn des Krieges die sozialdemokratische Kriegspolitik bekämpft. Aus dieser Haltung heraus wurde er zum Mitbegründer der Revolutionären Obleute, eines Widerstandsnetzwerkes von Metallarbeitern, ursprünglich hervorgegangen aus den Vertrauensleuten der Dreherbranche. Im Juni 1916 organisierten die Obleute einen eintägigen Generalstreik aus Protest gegen die Verhaftung Karl Liebknechts, an der sich etwa 55.000 Arbeiter beteiligten. Dieser Streik ging als erster politischer Massenstreik Deutschlands in die Geschichte ein.
Kurz vor einem geplanten 2. Massenstreik im April 1917 wurde Richard Müller verhaftet und zum Militär eingezogen. Von vielen seiner Genossen wurde eine Denunziation der Gewerkschaftsführung vermutet, was die Wut unter den Arbeitern noch steigerte. Am Aprilstreik (auch "Brotstreik" genannt) beteiligten sich etwa 300.000 Arbeiter, und protestierten gegen die unzureichende Lebensmittelversorgung, aber auch gegen die Inhaftierung Müllers. Nach einem Entgegenkommen der Behörden wurde der Streik bereits am zweiten Tag eingestellt. Dieser Frühzeitige Abbruch des Streiks auf Betreiben des SPD-Gewerkschaftsführer Adolf Cohen führte dazu, dass Müller erst nach drei Monaten das Militär verlassen konnte.[1]
Im Januarstreik 1918 übernahm Müller den Vorsitz des in Berlin gegründeten Aktionsausschusses, dem auch Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann, Otto Braun und andere angehörten. Hier setzte er sich gegen den Willen der linken Mehrheit für eine Beteiligung der SPD an der Streikleitung ein, um die Streikfront möglichst breit zu halten.
Als sich unter Friedrich Ebert im Zuge der Novemberrevolution am 9. und 10. November 1918 nach dem Sturz der Monarchie der Rat der Volksbeauftragten als neue, aus Vertretern der SPD und USPD paritätisch besetzte provisorische Reichsregierung bildete, lehnte Müller, der wie auch Karl Liebknecht noch der USPD angehörte, eine Regierungsbeteiligung ab. Eine gewählte Nationalversammlung, so Müller, würde es nur „über [seine] Leiche“ geben. Dieser Ausspruch begründete seinen zeitgnössischen Spitznamen „Leichenmüller“.[2]
Stattdessen wurde Müller am 10. November zum Vorsitzenden der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin gewählt. Außerdem gehörte er neben anderen MSPD und USPD-Mitgliedern wie Hermann Müller, Georg Ledebour oder Emil Barth dem aus insgesamt 28 Personen bestehenden Vollzugsrat an. Als Vorsitzender des Vollzugsrates war er einer der Hauptkontrahenten des Rates der Volksbeauftragten. Im Vorfeld des Reichsrätekongresses hatte ihn die USPD als einer der Vorsitzenden vorgeschlagen worden, auch wenn er kein Mandat für den Kongress besaß. Letztlich hat Carl Severing von der MSPD mit Argumenten aus der parlamentarischen Praxis verhindert, dass Müller auf dem Kongres Mitglied des Vorstandes wurde. Dahinter steckte aber auch das Ziel, den Einfluss dieses politischen Gegners möglichst zu begrenzen.
Müller war sich mit der Mehrheit des linksrevolutionären Spartakusbundes zwar über das Ziel einer sozialistischen Räterepublik einig. Aber er lehnte für die revolutionären Obleute solange einen Anschluss an die KPD ab, ehe diese nicht ihre Putschistentaktik aufgegeben hätten.[3]
Als Vertreter des linken Flügels im Deutschen Metallarbeiterverbandes gehörte Müller zu den entschiedenen Kritikern einer Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern in der so genannten Zentralarbeitsgemeinschaft. Eine Resolution Müllers vom 2. März 1919 warf der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands Verrat vor. Im Juni 1919 sprach Müller neben Theodor Leipart auf dem Kongress der freien Gewerkschaften über die zukünftigen Aufgaben der Arbeiterräte. Er entfaltete dabei ein über die Betriebsebene hinausgehendes rätedemokratisches Konzept. Ohne die Gewerkschaften zu erwähnen, entwickelte Müller das Modell einer regional und fachlich durchgegliederten Räteorganisation, an deren Spitze ein Zentralrat und ein Reichswirtschaftsrat stehen sollten. Diese Konzept wurde jedoch von der Mehrheit des Kongresses mit 407 zu 192 Stimmen abgelehnt, stattdessen setzte sich in der Folge des Betriebsratskonzept durch.[4]. Im November 1919 wurde Müller nachdem sich im DMV der linke Flügel durchgesetzt hatte, Chefredakteur von dessen Wochenblatt Metallarbeiter-Zeitung, nach einem Zerwürfnis mit dem DMV-Vorsitzenden Robert Dißmann musste er diese Position aber schon im Juni 1920 aufgeben.
Ein Jahr später scheiterte Müller mit seinem Antrag, die Betriebsräte zu selbstständigen politischen Kampforganisationen zu machen. Stattdessen erklärte der Kongress die Gewerkschaften zu Trägern der Betriebsräte. Müller versuchte in der Folge wenig erfolgreich, die der USPD nahestehenden Betriebsräte in einer Reichsstelle der Betriebsräte zu sammeln, um mit ihr der gewerkschaftlichen Betriebsrätezentrale des ADGB und des AfA-Bundes Konkurrenz zu machen.[5]
Auf dem außerordentlichen Parteitag der USPD in Halle zwischen dem 12. und 17. Oktober 1920 gehörte Müller zu denjenigen um Ernst Däumig, die eine Aufnahme der Partei in die kommunistische Internationale und letztlich den Zusammenschluss mit der KPD zur VKPD befürworteten. Die Mehrheit der Delegierten stimmte diesem Kurs zu. Die Gegner des Beschlusses jedoch verließen den Saal, womit die Partei gespalten war.
Richard Müller war von Oktober bis Dezember im Zentralkommitee der USPD-Linken aktiv, seit Dezember war er Leiter der Reichsgewerkschaftszentrale der KPD. Im Jahr 1921 zählte Müller zu den parteiinternen Kritikern der Märzaktion um die VKPD-Vorsitzenden Levi und Däumig und entwickelte darüber hinaus eine kritische Haltung zur Politik der Roten Gewerkschafts-Internationale. Anfang 1922 verließ Müller die KPD, war in den Folgejahren publizistisch tätig und zog sich ab 1924/25 aus dem politischen Leben zurück.
In verschiedenen Schriften hat er zunächst seine politischen Ideen einer Räterepublik niedergelegt und später insbesondere nach dem Ende seiner aktiven politischen Laufbahn aus seiner Sicht über die Novemberrevolution und die folgende Zeit berichtet.
Einzelnachweise
- ↑ Richard Müller, Vom Kaiserreich zur Republik, Wien 1924, S. 116f
- ↑ Eduard Bernstein, Die deutsche Revolution von 1918/19 (Rezension im Archiv für Sozialgeschichte von Heinrich-August Winkler)
- ↑ Protokoll des Gründungsparteitags der KPD (Dritter Tag 1. Januar 1919
- ↑ Michael Schneider: Höhen, Krisen und Tiefen. Die Gewerkschaften in der Weimarer Republik. In: Ulrich Borsdorf (Hrsg.): Geschichte der deutschen Gewerkschaften. Von den Anfängen bis 1945. Köln, 1987, S.297
- ↑ Schneider, S.304
Werke
- Was die Arbeiterräte wollen und sollen!. Mit einem Vorwort von Ernst Däumig. Berlin, Verlag „Der Arbeiter-Rat“, (1919)
- Vom Kaiserreich zur Republik. Wien : Malik, 1924-1925, 2 Bände (Wissenschaft und Gesellschaft, Band 3/4). - Laut Biographischem Staatshandbuch von Wilhelm Kosch ist seine Verfasserschaft umstritten (BSH II, 889).
- Band 1: Ein Beitrag zur Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung während des Weltkrieges.
- Band 2: Die Novemberrevolution. Wien (Malik-Verlag) 1924 Einbandgestaltung von John Heartfield. Mit einigen Abbildungen.
- Der Bürgerkrieg in Deutschland. Geburtswehen der Republik. Berlin, Phöbus-Verlag, 1925
- Die letztgenannten drei Werke wurden nachgedruckt: Berlin: Olle & Wolter 1979 (Kritische Bibliothek der Arbeiterbewegung, Texte Nr. 3, 4 und 5)
Literatur
- Stefan Berkholz: Carl von Ossietzky, 227 Tage im Gefängnis: Briefe, Dokumente, Texte. Luchterhand Literaturverlag 1988
- Wolfram Wette: Gustav Noske: Eine politische Biographie. Droste Verlag, 1987
- Franz Osterroth / Dieter Schuster: Chronik der deutschen Sozialdemokratie. Bd.2: Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des zweiten Weltkrieges. Bonn, Berlin, 1975. S.7f.
Weblinks
- Richard Müller: Das Rätesystem in Deutschland
- Richard Müller: „Vom Kaiserreich zur Republik, Band I“
- Social-démocrate indépendant allemand
- Ross: Politisches Verhalten der Delegierten auf den Reichsrätekongressen
Personendaten | |
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NAME | Müller, Richard |
ALTERNATIVNAMEN | Leichenmüller (Spitzname) |
KURZBESCHREIBUNG | sozialistischer Politiker und Gewerkschafter, wichtige Persönlichkeit der Novemberrevolution |
GEBURTSDATUM | 1880 |
GEBURTSORT | Weira |
STERBEDATUM | 1943 |