Aucassin et Nicolette ist ein literarisches Werk der altfranzösischen Literatur, das vermutlich um 1225 von einem unbekannten Autor verfasst wurde.
Diese "chantefable", wie der in pikardischem Dialekt schreibende Autor sein Werk nennt, ist das erste Prosimetron (Mischung aus Prosa- und Versen) der franz. Literatur. Es erzählt in 21 Vers- und 20 Prosapassagen mit Sympathie und feinem Humor die folgende Geschichte:
Aucassin, der Sohn des Grafen von Beaucaire, liebt die schöne Nicolette, eine Sarazenin, die ein gräflicher Beamter einst als Kind auf dem Sklavenmarkt erworben, getauft und bei sich aufgezogen hat. Als Feinde die Grafschaft angreifen, erklärt Aucassin seinem Vater, dass er nur dann in den Kampf zieht, wenn er Nicolette heiraten darf, doch der Graf lehnt diese Mesalliance ab. Auch der Beamte versucht Aucassin die Heirat auszureden und sperrt, als das nichts nützt, Nicolette ein. Sie kann aber fliehen und tröstet durch eine Mauerspalte Aucassin, der inzwischen seinerseits im Kerker sitzt, weil er im Kampf zwar Heldentaten vollbracht, danach jedoch neuen Streit mit dem unbeugsamen Vater gehabt hat. Sie baut sich nun eine Hütte im Wald und sendet ihm, als er endlich frei ist, Lebenszeichen von dort.
Nachdem er sie gefunden hat, gehen sie gemeinsam in ein fremdes Land, werden dort aber bei einem Überfall nordafrikanischer Seeräuber gefangen und getrennt verschleppt. Während Aucassin durch einen Schiffbruch just bei Beaucaire wieder freikommt, den Tod seines Vaters erfährt und neuer Graf wird, gerät Nicolette nach Karthago. Hier stellt sich heraus, dass sie die geraubte Tochter des dortigen Königs ist, der sie sogleich mit einem muslimischen Fürsten verheiraten will. Sie flieht und schlägt sich durch bis Beaucaire, wo sie als Spielmann verkleidet Aucassin ihrer beider Geschichte vorträgt. Als er ergriffen den vermeintlichen Spielmann bittet, ihm die Geliebte zu suchen, steht dem Happy End nichts mehr im Weg.
Das nicht sehr lange Werk zeugt nicht nur von der Kunst, sondern auch von der Belesenheit seines Autors, denn es enthält zahlreiche, teils parodistische Anlehnungen an die Literatur der Zeit, z.B. an die Chanson de geste, die höfische Lyrik, den höfischen Roman, den Tristan-Roman, den neuen Prosa-Ritterroman usw. So hübsch und interessant diese "chantefable" heutigen Literaturhistorikern erscheint, Schule hat sie damals nicht gemacht und auch selbst ist sie nur in einer einzigen Handschrift erhalten geblieben.