Leo Trotzki

sowjetischer Revolutionär, Politiker und Gründer der Roten Armee (1879–1940)
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Lew Dawidowitsch Trotzki (auch Trotzky, Trocki oder Trocký geschrieben, russisch Лев Давидович Троцкий; * 7. November 1879 in Janowka, Russland, heute Ukraine; † 21. August 1940 in Coyoacan bei Mexiko-Stadt ermordet ) war ein bedeutender ukraino-russischer Revolutionär und Anhänger des Marxismus. Trotzki wird gelegentlich auch mit dem bürgerlichen Namen Leib Dawidowitsch Bronstein (Лев Давидович Бронштейн) bezeichnet. Früher war es im Deutschen zudem üblich, russische Namen einzudeutschen, weswegen auch der Name Leo Trotzki üblich war. Trotzki erreichte höchste Positionen nach der Revolution; er war Volkskommissar (Minister) für Kriegswesen, Volkskommissar des Auswärtigen, für Ernährung, Transport, Verlagswesen und anderer. Trotzki gilt als Gründer der Roten Armee.

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Leo Trotzki

Das Leben vor dem Umsturz

Trotzki wurde als fünftes Kind jüdischer Kolonisten im ukrainischen Janowka (im Kreis Jelisawetgrad, Gebiet von Cherson) geboren, und besuchte in seiner Jugend die Realschule der Kleinstadt Nikolajew.

Aus seiner zu bescheidenem Wohlstand gekommenen Familie ging mit seiner Schwester Olga noch eine weitere revolutionäre Person hervor, die Lew Borissowitsch Kamenew, einen einflussreichen Parteitheoretiker der Bolschewiken und eine der Hauptfiguren des thermidorianischen Triumvirates gegen die sog. Linksopposition der Zwanziger Jahre heiratete.

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Lew (Leib) Dawidowitsch Bronstein alias Leo Trotzki 1887

Die Jahre im provinziellen Janowka erlebte der spätere Volkskommissar weder als unbeschwert noch als bedrückt, und sprach später von einer biederen Kleinbürgerkindheit, farblos in der Schattierung, beschränkt in der Moral, nicht von Kälte und Not, aber auch nicht von Liebe, Überfluss und Freiheit geprägt. Seine Kindheit betrachtete er, wie überhaupt die meisten Dinge seines Erlebens, mit der nüchternen Wissenschaftlichkeit eines Mediziners, die ihm die Privilegien seiner frühesten Jugend, die so im Widerspruch zu der "düsteren Hölle des Hungers, des Zwanges und der Beleidigungen" stand, die im Zarenreich wie anderswo die Kindheit der Mehrheit darstellte.

Nachdem Trotzki auf eigene Faust die deutsch-lutherische Schule in der großen Hafenstadt Odessa gemeistert hatte, und sein Abitur in Nikolajew von ihm mit glänzenden Noten bestanden war, war die Ideenwelt des hitzköpfigen Rebellen 1896 durch den Kampf des Überganges von einer individualistischen, radikaldemokratischen Protesthaltung zu einem der beiden großen Richtungen jener Tage, dem Marxismus und dem intelligenzlerischen Narodnikitum gezeichnet. Im Jahre 1897 war der frische Sozialist schon maßgeblich an der Gründung des sozialdemokratischen Südrussischen Arbeiterbundes beteiligt (die Eltern hatten schon vor Monaten aufgehört, ihren Sohn materiell zu unterstützen), er fungierte in dieser Organisation als Propagandist und Verbindungsmann zwischen den Gruppen in Nikolajew und der großen Hafenstadt Odessa. Ein Jahr später nahm die zaristische Polizei Trotzki im Rahmen von Massenverhaftungen, deren Anlass der Verrat des Tischlers Nesterenko war, fest und ließ ihn in den Gefängnissen von Nikolajew, Cherson und Odessa einsitzen. 1899 wurde er zur Verbannung nach Sibirien verurteilt, wo er seinem Zorn gegen das Petersburger Regime und die Ungerechtigkeit mit intensiven Studien der gesellschaftlichen Wissenschaft, das heißt des dialektischen und historischen Materialismus sowie der marxistischen Weltanschauung ein solides Fundament unter die Füße stellte.

Im Moskauer Überführungsgefängnis Butyrskaja heiratete der Revolutionär die sieben Jahre ältere Alexandra Sokolowskaja, die seine politischen Ansichten teilte und ihn in die Verbannung nach Irkutsk begleitete.

Im Jahre 1902 verließ er wegen seiner revolutionären Arbeit seine Frau und die beiden kleinen Töchter, deren jüngere nur vier Monate alt war und floh aus der Verbannung. Um die Flucht zu bewerkstelligen, legte er sich einen gefälschten Pass auf den Namen Trotzki zu, womit er sich, seinem Hang zur Ironie folgend, nach dem Oberaufseher des Gefängnisses in Odessa benannte.

Wenig später, im Herbst 1902, kam er nach London und schlüpfte in der Wohnung von Wladimir Iljitsch Lenin unter. In diesem Exil übernahm Trotzki die Rolle des leitenden Redakteurs der sozialdemokratischen Zeitung Iskra (Der Funke), eine Tätigkeit, die ihm übrigens den Spitznamen Leninscher Knüppel einbrachte; nach dem Wendepunkt in der Geschichte der russischen Sozialdemokratie 1902 führte er diese Arbeit jedoch nicht mehr fort. Bald schon trat er der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) Georgi Walentinowitsch Plechanows bei und vertrat auf dem in der britischen Hauptstadt durchgeführten II. Parteitag der SDAPR den sog. Sibirischen Bund.

Auf eben diesem zweiten Parteitag der SDAPR kam es zur Spaltung der Partei über die Frage, wer denn alles als Parteimitglied betrachtet werden kann. Opponenten bei dieser Auseinandersetzung waren einerseits Lenin, nach dessen Meinung nur Personen Parteimitglied sein konnten, die sich persönlich engagierten, und andererseits Trotzki, der es für die Parteimitgliedschaft ausreichend hielt, dass eine Person die Partei unterstützte. Bei der folgenden Abstimmung obsiegten die Anhänger Lenins, die in der Folge Bolschewiki (deutsch: die Mehrheit) genannt wurden; ihnen standen die Menschewiki (deutsch: Minderheit) entgegen. Trotzki versuchte einerseits, zwischen den Parteifraktionen zu vermitteln, andererseits schwenkte er stark in die Nähe der Menschewiki ein, und verfasste auch Schriften, in welchen er Lenin Machtgier als Grund seiner Politik unterstellte und ihn einen Diktatorenkandidaten oder auch "Maximilien de Lénine" nannte. Es ist keine Überraschung, wenn man erfährt, dass das Verhältnis der beiden künftigen Revolutionsführer durch diese Polemiken lange Zeit angeschlagen blieb. In späteren Schriften rekurierte und selbstkritisierte Trotzki häufig seine menschewikische Position.

Schon ein Jahr später brach er endgültig mit der menschewistischen Parteinahme, und stellte mit der Theorie der permanenten Revolution die kühne Prophetie auf, dass nicht das vollkommen als zaristisch diskreditierte russische Bürgertum einen Umsturz nach dem Muster der Französischen Revolution durchführen werde, sondern dass die Arbeiterklasse, zwar von proportionalem Fliegengewicht, jedoch von einem zukünftig gewaltigem Einfluss, im Bündnis mit den ärmsten Schichten der Bauernschaft und den Landproletariern die Diktatur des Proletariats, gestützt auf den Bauernkrieg errichten werde, wie es Karl Marx bereits 1848 als Parole für das mittelalterlich dahindümpelnde Deutschland formulierte.

1905 kehrte er nach Russland zurück, wo er der ersten russischen Revolution von 1905 als Mitglied des Petersburger Sowjets der Arbeiterdeputierten diente. Doch die Reaktion machte dieser ersten wahrhaftigen Massenbewegung im Heiligen Russland den Garaus, zerschlug die politischen Bestrebungen und schickte Trotzki, der zum Vorsitzenden des Sowjets aufgestiegen war und der sich für die Dezemberaufstände engagiert hatte, nach einem wenig wirksamen Schauprozess ein zweites Mal in die Verbannung, dieses Mal in das Gouvernement Tobolsk. Er floh bereits auf dem Weg und entkam in das habsburgische Wien.

Auf dem Parteitag von 1907, abermals in London, schloss er sich weder den Bolschewiki noch den Menschewiki an, sondern stand einer zentristischen Fraktion vor, welche einen radikalen Widergänger der alten SDAPR zum Leben erwecken wollte.

Ab 1908 gab er zusammen mit seinem Kameraden Adolf Joffe die Zeitung Prawda (Wahrheit) heraus, welche man nicht mit Lenins Prawda verwechseln sollte, die ab 1912 erschien. In jener Zeit versuchte übrigens vor allem Kamenjew, Trotzki von der Kommunistischen Partei und Lenin zu überzeugen; Trotzki fuhr aber unverdrossen mit seiner Kritik an Lenin fort, der in seinen Augen ein sektiererischer Wirrkopf blieb.

Nach Ausbruch des Erster Weltkriegs reiste Trotzki auf der Flucht in die Schweiz. Auf der dortigen Zimmerwalder Konferenz 1915 gehörte er mit Lenin, dem er stetig annäherte, zu den Unterzeichnern eines Antikriegsprogrammes. Doch war er in Frankreich, wohin er wenig später ging, als Exilant nicht willkommen: die Regierung schob ihn, den gefährlichen Agitator nach Spanien ab, wo er ebenso verhaftet und ausgewiesen wurde. Ab 1916 brachte er seine Zeit mit seiner Frau Natalija Sedowa in den USA, um ein Jahr später von der russischen Februarrevolution zu erfahren, durch welche die bürgerliche Provisorische Regierung unter dem Fürsten Lwow und seinem sozialdemokratischen Kriegsminister Kerenski an die Macht kam.

Auf dem Weg in das neue Russland wurde Trotzki in Halifax verhaftet und in ein Internierungslager gebracht. Allerdings setzte der Petrograder Sowjet die Provisorische Regierung unter Druck, für Trotzki zu intervenieren, und so kam er im Mai 1917 in Petrograd an. Dort schloss Trotzki sich erneut einer zentristischen Arbeiterpartei an, diesmal der Überregionalen Organisation vereinigter Sozialdemokraten, die das Ziel hatte, die Bolschewiki und Menschewiki auszusöhnen. Doch in dieser Form dauerte die Beziehung nicht lange an. Die wechselnden Verhältnisse schleuderten die noch nicht gefestigten Zwischenschichten entweder der Reaktion oder der Revolution in die Arme, und so schloss sich die Überregionale Organisation zusammen mit Trotzki, den im Theoretischen zuletzt allein noch die Frage einer sozialdemokratischen Massenpartei von Lenin unterschieden hatte, den Bolschewiki an.

Oktoberrevolution

Im September 1917 wurde Trotzki abermals Vorsitzender des Petrograder Sowjets. Als am 10. Oktober 1917 das Zentralkomitee der Partei endlich den Entschluss zu einem bewaffneten Aufstand gegen die schwache Kerenski-Regierung fasste, stimmte Trotzki mit der Mehrheit. Unter seiner Federführung wurde am 16. Oktober 1917 das Militärrevolutionäre Komitee des Petrograder Sowjets gegründet. Dieses Komitee setze den Befehl der Provisorischen Regierung, zwei Drittel der Petrograder Stadtgarnison an die Front des Ersten Weltkriegs zu beordern, außer Kraft, eine Aktion, welche der eigentliche Beginn der Revolte war, zu der laut Trotzki der Aufstand des 25. Oktober 1917, also das zentrale Datum der Oktoberrevolution, lediglich zusätzlichen Charakter hatte.

Selbstverständlich war er in der Nacht zum 26. Oktober zusammen mit Lenin im Militärrevolutionären Komitee im Smolny-Institut, wo Boten mit Nachrichten aus den verschiedenen Teilen der Stadt eintrafen, um von den Ereignissen und den Erfolgen der Aufständischen zu informieren. Nach der Übernahme von Bahnhöfen, Post, Telegraphenamt, Ministerien und der Staatsbank sowie dem Sturm auf den Winterpalast erklärte am 26. Oktober um 5 Uhr morgens der am Vortag einberufene II. Gesamtrussische Kongress der Arbeiter- und Sozialdeputierten die Übernahme der Macht durch die Sowjets. Es wurde die erste Arbeiterregierung der Welt, der Rat der Volkskommissare gebildet, sowie gemäß der bolschewistischen Losung Friede, Land und Brot die berühmten Dekrete über den Frieden und über den Grund und Boden verabschiedet.

In dieser neuen Regierung saßen nur Vertreter der Bolschewiki. Indes betrachteten die etablierten Parteien der Duma den Umsturz als militärischen Putsch und verweigerten der selbsternannten neuen Sowjetregierung die Unterstützung. Auf den Straßen bewegte sich die leidende und durch den Krieg hungernde Bevölkerung in Protestmärschen. Am 4. November traten nach erheblichen Differenzen auch einige Mitglieder der Bolschewiki aus dem Zentralkomitee der Partei und dem Rat der Volkskommissare aus. Sie verlangten die Schaffung einer Koalitionsregierung, der Vertreter aller Parteien angehören sollten.

In dieser Auseinandersetzung blieb Trotzki auf der Seite Lenins. Er war der Meinung, dass im Augenblick der Revolution die kommunistische Partei nicht einen Schritt weit zurückweichen dürfte. Diesem Machtkalkül verhalf die spätere Entwicklung zum Erfolg.

Gleich nachdem die Bolschewiki die Macht erlangt hatten, wurde er zum Volkskommissar für äußere Angelegenheiten ernannt. Seine Hauptaufgabe bestand darin, Frieden mit dem Deutschen Reich und dessen Verbündeten zu schließen. Er leitete die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk, die er der schwachen Position des revolutionären Russlands und der offen imperialistische Position der Obersten Heeresleitung in der Frage der Sowjetukraine wegen solange wie möglich hinauszuzögern versuchte. Gegenspieler Trotzkis war auf deutscher Seite General Ludendorff. Trotzki beschreibt in seiner Autobiografie "Mein Leben" die Umstände ausführlich. Das zögerliche Entgegenkommen der neuen Sowjetregierung provozierte am 18. Februar 1918 einen deutschen Einmarsch, welcher mit dem für Sowjetrussland einem Würgegriff gleichkommenden Frieden von Brest-Litowsk am 3. März endete. Trotzki trat daraufhin von seinem Amt als Volkskommissar (Minister) für Auswärtiges zurück.

Die Rote Armee, der Bürgerkrieg

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Trotzki mit Lenin und Soldaten in Petrograd 1921

Kurz darauf, am 14. März 1918, wurde er zum Volkskommissar für das Kriegswesen, sowie am 6. April noch zusätzlich zum Volkskommissar für Marineangelegenheiten ernannt. Die Regierung war von Petersburg nach Moskau umgezogen.

Die Lage der Revolution musste jedem strategisch geschultem Beobachter zu diesem Zeitpunkt als hoffnungslos erscheinen. Das Territorium der Sowjets wurde zeitweise durch die Weißgardisten fast auf das Gebiet der alten Moskauer Fürstentümer reduziert, die Versorgungslage der Städte war schlecht, die Truppen der Roten Garde, deren nur schlecht ausgebildete Arbeitermilizen mit Freischärlermethoden zu kämpfen gezwungen waren, konnten den bestens geschulten und gerüsteten Streitkräften der Konterrevolution nicht standhalten. Zudem hatte die RSFSR mit einer großangelegten Invasion zu kämpfen; die USA, Großbritannien, Österreich-Ungarn, Frankreich, Japan, Italien, Griechenland, Finnland, Polen, Rumänien, Tschechoslowakei, Serbien und die Türkei hatten Truppen in Russland einmarschieren lassen, und ließen des weiteren der Weißen Armee erhebliche finanzielle und materielle Unterstützung zukommen.

Währenddessen waren im Aufbau einer einheitlichen proletarischen Klassenarmee, der Roten Arbeiter- und Bauernarmee (Рабоче-крестьянская красная армия bzw. Rabotsche-Krestjanskaja Krasnaja Armija, РККА bzw. RKKA, der so genannten Roten Armee), der seit dem 11. Februar 1918 andauerte, nur wenig Fortschritte erzielt worden. Trotzki organisierte als erster Kriegskommissar die Umwandlung der bisherigen, zerstreuten Rote Garde in ein straff geführtes Territorialheer unter großen Schwierigkeiten: das Kommandopersonal wurde bisher von den Soldaten gewählt. Dieser demokratische Bottom-Up-Ansatz hinderte die Umwandlung in eine neue zentralistisch geführte Armee. Der vielgliedrigen, fraktionierten zaristischen Armee waren durch Hunger und Krankheit ganze Bataillone durch (Fahnen-)Flucht abhanden gekommen.

Trotzki hat dies sehr gut begriffen. Er schaffte die Demokratisierung der Armee teilweise wieder ab, verstieß das eigenmächtige und konservative Kosakentum aus der Kavallerie und verklammerte die Verteidigung der neuen Regierung mit dem Freiheitskampf unterdrückter Nationalitäten des ehemaligen Zarenreiches, was, nebenbei bemerkt, zu der Klage der Exilrussen führte, die Bolschewiki kämpften mit lettischen Stiefeln und chinesischem Opium. Außerdem heuerte er in Ermangelung eines eigenen qualifizierten Führungsstabes ehemalige zaristische Offiziere als so genannte Militärspezialisten wieder an. Gerade dieser Aspekt führte zu harscher Kritik innerhalb der Partei, besonders Josef Stalin, der in jenen Tagen in Zarízyn stationiert war, beklagte sich über die diktatorischen Maßnahmen des Kriegskommissars. Er und die übrigen Opponenten der herrschenden Militärorganisation fanden aber aufgrund der militärischen Erfolge von Trotzkis Methoden kein Gehör. Trotzki beschreibt die Umstände des Bürgerkrieges in seiner Autobiographie.

Immer wieder wurde Trotzki die Niederschlagung von Bauernaufständen und der ihrem Wesen nach bäuerlichen Kronstädter Rebellion vorgeworfen, auch in den Dreißiger Jahren Stalins, als man Trotzki zum Zielobjekt von Verleumdungskampagnen machte, was seinen eigenen Attacken gegen die Bürokratie, den Tolitarismus und den Nationalismus in der Sowjetunion die erhoffte Schärfe nahm. Trotzki verteidigte sich damit, dass die Aufstände, die sich vor allem gegen die Lebensmittel-Konfiskationen richteten, die neue Sowjetmacht zum Tode verurteilt hätten, wären sie erfolgreich gewesen. In diesem Zusammenhang steht auch die blutige Niederschlagung des Matrosenaufstands in der vor Petersburg liegenden Seefestung Kronstadt. Hierzu bemerkte Trotzki:

Ich weiß nicht [...], ob es unschuldige Opfer (in Kronstadt) gab [...]. Ich kann jetzt, so lange nach dem Ereignis, nicht darangehen zu entscheiden, wer bestraft hätte werden sollen und auf welche Weise. [...] besonders da ich keine Daten zur Hand habe. Ich bin bereit zuzugeben, dass ein Bürgerkrieg keine Schule für menschliches Verhalten ist. Idealisten und Pazifisten haben der Revolution immer Exzesse vorgeworfen. Die Schwierigkeit der Sache liegt darin, dass die Ausschreitungen der eigentlichen Natur der Revolution entspringen, die selbst ein Exzess der Geschichte ist. Mögen jene, die dazu Lust haben (in ihren armseligen journalistischen Artikeln), die Revolution aus diesem Grund verwerfen. Ich verwerfe sie nicht.

Die Brutalität des Volkskommissars im Bürgerkrieg wird auch beim Lesen der geschliffen formulierten Autobiographie "Leo Trotzki: Mein Leben" zwischen den Zeilen deutlich. Diese Brutalität Trotzkis wurde in der Sowjetunion durch die folgende Brutalität Stalins im großen Maße übertroffen.

Bis 1920 gelang es Trotzkis Roter Armee, die Weißen bis in den Osten des riesigen sowjetischen Reiches zurückzudrängen. Im Februar des selben Jahres erlitten die weißen Armeen eine schwere Niederlage in Sibirien; im Mai darauf fiel die Krim, die letzte ihrer Festungen.

An der Macht

Nach dem Sturz der sozialdemokratischen Regierung Kerenski bildet Lenin 1917 die neue Regierung. Trotzki schreibt:

"Wissen Sie", sagt er [ Lenin ] zögernd, "gleich nach den Verfolgungen und der der Illegalität zur Macht...", er sucht nach einem Ausdruck und geht plötzlich in die deutsche Sprache über "Es schwindelt." Er macht eine kreisende Handbewegung um den Kopf. Wir blicken einander an und lächeln kaum. Das Ganze dauert kaum eine bis zwei Minuten. Dann - einfacher Übergang zu den laufenden Geschäften.
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Leo Trotzki
Man muß die Regierung bilden. Wir sind einige Mitglieder des Zentralkomitees. Eine fliegende Sitzung in der Ecke eines Zimmers.
"Wie es nennen?" überlegt Lenin laut. "Nur nicht Minister. Eine widerliche, abgenutzte Bezeichnung."
Man könnte - Kommissare", schlag ich vor, "nur gibt es jetzt zu viele Kommissare. Vielleicht Oberkommissar?.. Nein, >Ober< klingt schlecht. Vielleicht aber >Volkskommissare<?"
"Volkskommissare? Ja, das könnte vielleicht gehen", stimmt Lenin zu. "Und die Regierung in ihrer Gesamtheit?"
"Sowjet, natürlich Sowjet... Sowjet der Volkskommissare, wie?"
"Sowjet der Volkskommissare", wiederholt Lenin, "ausgezeichnet: Riecht furchtbar nach Revolution!..."
Lenin war wenig geneigt, sich mit der Ästhetik der Revolution zu befassen oder ihre >Romantik< auszukosten. Aber je tiefer er die Revolution im Ganzen fühlte, um so präziser stellte er fest, wonach sie >rieche<.
"Und was wird sein", fragt mich Wladimir Iljitsch ganz unvermutet in jenen ersten Tagen, "wenn die Weißgardisten Sie und mich umbringen; könnten dann Swerdlow und Bucharin fertig werden?"
"Vielleicht werden sie uns auch nicht umbringen", antwortete ich lachend.
"Der Teufel kennt sie", sagte Lenin und lachte selbst.
Diese Episode habe ich in meinen Erinnerungen über Lenin im Jahre 1924 zum erstenmal wiedergegeben. Wie ich später erfuhr, fühlte sich das damalige >Trio<, Stalin, Sinowjew und Kamenjew durch diese Mitteilung blutig gekränkt, wagte aber nicht, ihre Richtigkeit zu bestreiten. Eine Tatsache bleibt eine Tatsache: Lenin erwähnte damals nur Swerdlow und Bucharin. Andere Namen kamen ihm nicht in den Sinn.

Leo Trotzki als Volkskommissar für Auswärtiges (Außenminister):

Das das diplomatische Amt betrifft, so nahm es mir, abgesehen von den Brester Verhandlungen, nicht viel Zeit weg. Aber die Sache war doch komplizierter, als ich es vermutet hatte. Gleich bei Beginn mußte ich ganz unerwartet in diplomatische Verhandlungen mit dem ... Eiffelturm treten.
In den Tagen des Aufstandes waren wir nicht dazu gekommen, uns für das ausländische Radio zu interessieren. Jetzt aber, in meiner Eigenschaft als Volkskommissar des Auswärtigen, hatte ich zu verfolgen, wie sich die kapitalistische Welt zum Umsturz verhielt. Es ist unnötig, zu sagen, daß keine Begrüßungen eintrafen. So sehr die Berliner Regierung auch geneigt war, mit den Bolschewiki zu liebäugeln, so sandte sie doch von der Nauener Station eine feindseleige Welle, nachdem von der Station Zarskoje Selo mein Radio vom Siege über die Kerenskitruppen berichtet hatte. Wenn aber Berlin und Wien immerhin zwischen der Feindschaft gegen die Revolution und der Hoffnung auf einen vorteilhaften Frieden schwankten, so sandten alle anderen Länder, nicht nur die kriegführenden, sondern auch die neutralen, in verschiedenen Sprachen die Gefühle und Gedanken der von uns gestürzten herrschenden Klassen des alten Rußland durch den Äther. In diesem Chor tat sich durch seine Raserei der Eiffelturm hervor, der in jenen Tagen auch Russisch zu sprechen begann, damit offenbar direkte Wege zum Herzen des russischen Volkes suchend. Beim Verfolgen des Pariser Senders schien es mir manchmal, als säße auf der Spitze des Turms Clemenceau selbst. Ich hatte ihn als Journalisten genügend gekannt, um wenn nicht seinen Stil, so doch wenigstens seinen Geist wiederzuerkennen. Der Haß überschlug sich in diesen Radiosendungen, die Wut erreichte die höchste Spannung. Es schien manchmal, als wenn der Sender auf dem Eiffelturm - ein Skoprion wäre, der sich mit dem Schwanz selbst in den Kopf stechen wollte.
Zu unserer Verfügung war die Radiostation Zarskoje Selo, und wir hatten keinen Grund, zu schweigen. Während einiger Tage diktierte ich Antworten auf das Geschimpfe von Clemenceau. Meine Kenntnisse der politischen Geschichte Frankreichs reichten hin, um eine nicht zu schmeichelhafte Chrakteristik der wichtigsten handelnden Personen zu geben und an manches Vergessene aus ihrer Biographie, mit Panama beginnend, zu erinnern. Einige Tage lang währte das heftige Duell zwischen den Türmen von Paris und von Zarskoje Selo. Als neutrale Materie gab der Äther gewissenhaft die Argumente beider Parteien weiter. Und was geschah? Ich selbst hatte solche schnellen Resultate nicht erwartet. Paris änderte völlig den Ton: es unterhielt sich in der Folge zwar feindselig, aber höflich. Ich aber habe später wiederholt mit Vergnügen mich dessen erinnert, wie ich meine diplomatische Tätigkeit damit begann, daß ich dem Eiffelturm gute Manieren lehrte. (aus "Leo Trotzki: Mein Leben. Versuch einer Autobiographie", Kapitel "An der Macht")

Opposition und Exil

 
Leo Trotzki in Mexiko 1938

Nach dem Tode Lenins 1924 brach ein offener Machtkampf zwischen Trotzki und Stalin über die Zukunft der Sowjetunion und des Kommunismus aus. Stalin mit seiner bürokratischen Machtinstrumenten wollte einen totalitären Sozialismus im eigenen Land festigen, während Trotzki das Erbe des Marxismus mit dem Imperativ der Weltrevolution und der Arbeitderdemokratie (Proletarier aller Länder, vereinigt euch!) gegen alle von ihm so genannten reaktionären Angriffe durch den Sowjetthermidor zu verteidigen versuchte.

Nachdem Stalin immer mächtiger wurde, verlor Trotzki 1925 sein Amt als Kriegskommissar. In den nächsten zwei Jahren wurde er aus dem Politbüro und der KPdSU entlassen und am 31. Januar 1929 in die Verbannung nach Alma-Ata (in Kasachstan) geschickt. Noch im selben Jahr wies man ihn aus dem Land aus und entzog ihm die Staatsbürgerschaft, worauf er über die Türkei, Frankreich und Norwegen schließlich nach Mexiko gelangte. In seinem Exil agitierte er weiter gegen Stalins Grausamkeiten, deckte nach seinen Möglichkeiten die Verbrechen der GPU, der Gulags und der anderen bürokratischen Perversionen auf und veröffentlichte verschiedene kommunistische Schriften (zum Beispiel Die verratene Revolution, 1936).

 
Leo Trotzki kurz vor seinem Tod 1940 (Mitte)

Noch im gleichen Jahr begann Stalin, die Neue Ökonomische Politik zu revidieren, mit großer Grausamkeit die Kollektivierung der Landwirtschaft durchzusetzen und mit Arbeitsarmeen die Schwerindustrie der Sowjetunion zu errichten. Auch dies wurde von Trotzki und seinen Anhängern, der Untergrundpartei der Linken Opposition einer vernichtenden Kritik unterzogen, zumal Trotzki sich schon für eine umfassende Industrialisierung in einem vernünftigen Tempo und eine freiwillige Kollektivierung der Bauernschaft auf der Basis einer wiederauferstandenen Sowjetdemokratie ausgesprochen hatte. Ob ohne Stalins blutige Industrialisierung im Eilschritt der deutsche Überfall auf die Sowjetunion 1941 hätte erfolgreich zurückgeschlagen werden können, ist fraglich.

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Leo Trotzki nach Mordanschlag

1938 gründete Trotzki die marxistische Organisation Vierte Internationale, um der inzwischen unter Stalins Dominanz stehenden dritten Internationale entgegenzuwirken. Am 24. Mai 1940 überlebte er einen Angriff auf sein Haus, welcher von mehreren, von Stalin gesandten Agenten durchgeführt wurde. Am 20. August griff ihn der Sowjetagent Ramon Mercader del Rio Hernandez mit einem Eispickel an, wobei Trotzki schwer am Kopf verletzt wurde. Einen Tag später starb Leo Trotzki an den Folgen des Mordanschlags.

Siehe auch: Trotzkismus, Linke Opposition

Literatur

  • I. Deutscher: Trotzki (2 Bände: I. Der bewaffnete Prophet 1879-1921; II. Der unbewaffnete Prophet 1921-1929), Stuttgart 1962