Benutzer:Karsten11/Mehrheitsprinzip

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Das Mehrheitsprinzip ist eine Methode, mit deren Hilfe mehrere Individuen zu einer gemeinsamen Entscheidung gelangen können.

Begriffserklärung

Das Mehrheitsprinzip besagt allgemein gesprochen, dass bei Meinungsverschiedenheiten innerhalb einer Gruppe nach dem Willen der Mehrheit verfahren werden soll. Dabei drücken die Einzelnen ihren Willen durch die Abgabe ihrer Stimme für eine der zur Entscheidung anstehenden Alternativen aus

Stehen nur 2 Alternativen zur Auswahl, so lässt sich der Wille der Mehrheit problemlos ermitteln. Diejenige Alternative, die mehr Stimmen erhält hat als die andere, wird von einer Mehrheit gewollt. Falls Stimmengleichheit besteht, bedarf es allerdings einer zusätzlichen Entscheidung.

Wenn mehr als 2 Alternativen zur Auswahl stehen, ist es jedoch schwieriger zu bestimmen, welche Alternative von der Mehrheit gewollt wird.

Ein Beispiel

Eine Gruppe von 5 Individuen A, B, C, D und E muss sich zwischen den 4 Alternativen w, x, y und z entscheiden. Die Frage ist, welche der Alternativen dem Willen der Mehrheit entspricht.

Was die Einzelnen wollen, wird hier jeweils durch eine entsprechende Rangfolge der Alternativen wiedergeben.

In der folgenden Tabelle sind die angenommenen Präferenzen der Mitglieder A, B, C, D und E in Bezug auf die Alternativen w, x, y und z eingetragen:

--A-- --B-- --C-- --D-- --E--
1. Rang: --y-- --y-- --x-- --z-- --w--
2. Rang: --z-- --x-- --z-- --x-- --x--
3. Rang: --w-- --z-- --y-- --y-- --y--
4. Rang: --x-- --w-- --w-- --w-- --z--


Die Frage ist: Welche der Alternativen wird von der Mehrheit gewollt?

Angenommen, die Individuen stimmen „aufrichtig“ ab, d. h. jeder gibt seine Stimme der von ihm favorisierten Alternative. Dann stimmen A und B für y, C stimmt für x, D für z und E für w.

In diesem Fall gibt es für keine der Alternativen eine (absolute) Mehrheit (englisch 'majority'). Es gibt allerdings eine relative Mehrheit (englisch 'plurality') von y gegenüber den andern Alternativen: y hat von allen Alternativen die meisten Stimmen erhalten, also mehr Stimmen als irgendeine andere Alternative.

Das Abstimmungsverfahren, bei dem derjenige Vorschlag siegt, der die meisten Stimmen erhält, wird als Regel der relativen Mehrheit bezeichnet (englisch "plurality voting").

Bei Anwendung dieser Regel gilt die Alternative y als kollektiv gewählt. Aber ist y das, was die Mehrheit will? Fest steht nur, dass y von A und B gewollt wird. 2 Individuen stellen jedoch bei einer Gesamtzahl von 5 Individuen noch keine Mehrheit dar.

Wenn man die Präferenzordnungen in der Tabelle genauer betrachtet, stellt man fest, dass es eine Alternative x gibt, die von einer Mehrheit (C, D und E) gegenüber y vorgezogen wird. Bei einer Abstimmung zwischen x und y bekäme x folglich eine Mehrheit der Stimmen. Somit kann die Alternative y nicht das sein, was die Mehrheit will.

Man kann versuchen, das Problem dadurch zu beseitigen, dass man die Regel der absoluten Mehrheit (englisch majority voting) anwendet. Sie besagt, dass diejenige Alternative als kollektiv gewählt gilt, die mehr als die Hälfte der Stimmen erhält.

Angenommen, mit den Stimmen von A, C und D würde die Alternative z gewählt. Ist z nun das, was die Mehrheit will? Offenbar nicht, denn aus den Präferenzordnungen der Individuen ist zu ersehen, dass für eine Mehrheit (B, C und E) die Alternative x besser ist als z. Bei einer Abstimmung zwischen x und z bekäme x eine Mehrheit der Stimmen. Somit kann auch die Alternative z nicht das sein, was die Mehrheit will.

Wie man sieht, sind die Ergebnisse der beiden Verfahren vom Abstimmungsverhalten der Individuen abhängig und als solche wenig aussagekräftig.

Der französische Gelehrte Condorcet hat deshalb vorgeschlagen, zur Ermittlung derjenigen Alternative, die die Mehrheit will, paarweise Abstimmungen zwischen den einzelnen Alternativen durchzuführen und festzustellen, wie oft sie dabei siegen oder verlieren. Eine Alternative, die gegen alle andern Alternativen siegt, also niemals weniger Stimmen hat als die andere, gilt als von der Mehrheit gewollt.

Man bezeichnet eine solche Alternative auch als Mehrheitsalternative (oder nach ihrem Entdecker als Condorcet Sieger).

Das Mehrheitsprinzip bei Zulassung von Wahlkoalitionen

Die Mehrheitsalternative trägt diesen Namen zu Recht, wie die folgenden Überlegungen zeigen.

Bei den vorangegangenen Ausführungen wurde angenommen, dass die Individuen immer für die von ihnen jeweils favorisierte Alternative stimmen, dass sie also aufrichtig abstimmen. Dies ist allerdings kaum zu kontrollieren und noch weniger zu erzwingen.

Stattdessen liegt es für jeden Einzelnen nahe, strategisch abzustimmen und durch Absprache mit anderen zu versuchen, das jeweils vorteilhafteste aller möglichen Resultate durchzusetzen.

Wenn man also annimmt, dass sich die Einzelnen über die Präferenzordnungen der andern informieren können und dass Wahlbündnissen nichts im Wege steht, so zeigt sich die herausragende Bedeutung der Mehrheitsalternative. Spieltheoretisch gesprochen stellt die Mehrheitsalternative den einzigen stabilen Gleichgewichtspunkt in dem kooperativen Spiel "Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip" dar.

Anhand des obigen Beispiels lässt sich zeigen, dass die Resultate w, y und z nicht stabil sind, da es in jedem Fall eine Mehrheit von Individuen gibt, die ein für jeden Einzelnen dieser Mehrheit vorteilhafteres Ergebnis in Gestalt der Mehrheitsalternative x durchsetzen könnten.

Nur das Ergebnis x, das die Mehrheitsalternative darstellt, ist stabil.

Wenn jedes Individuum so abstimmt, dass das für ihn bestmögliche Ergebnis erzielt wird, so setzt sich eine vorhandene Mehrheitsalternative in allen Verfahren durch, bei denen dem Willen der Einzelnen gleiches Gewicht zukommt.

Damit kann man die Frage, was die Mehrheit will, dahingehend beantworten, dass die Mehrheit die Mehrheitsalternative will. Alle gleichgewichtigen Wahlverfahren, bei denen sich eine vorhandene Mehrheitsalternative durchsetzen kann, stehen insofern im Einklang mit dem Mehrheitsprinzip.

Dies erklärt, warum die vielen ausgetüftelten Wahlverfahren praktisch nur eine geringe Rolle spielen und die einfache Abstimmung nach der Regel der relativen Mehrheit so häufig angewendet wird.

Es gibt allerdings theoretisch auch die Möglichkeit, dass die Paarvergleiche zyklisch verlaufen, z. B. x > y (x erhält mehr Stimmen als y), y > z und z > x. Damit ist der Kreis geschlossen. In diesem Fall gibt es keine Mehrheitsalternative und man kann keinen Mehrheitswillen ausmachen. In der Praxis stellt dies Wahlparadox jedoch kein Problem dar, weil gewöhnlich immer dann, wenn es zu keinem Ergebnis kommt, der bestehende Status quo weiter gilt.

Maßnahmen für die Durchsetzung der Mehrheitsalternative

Falls Vereinbarungen über Wahlbündnisse erschwert sind (z.B. weil die Abstimmung als eine Kundgebung der eigenen Überzeugung verstanden wird oder weil manche Wähler grundsätzlich keine Koalitionen mit bestimmten anderen eingehen wollen), so kann die Durchsetzung der Mehrheitsalternative durch spezielle Wahlverfahren und/oder begleitende Maßnahmen gefördert werden, wie z. B.:

  • paarweise Abstimmungen zischen allen relevanten Alternativen durchführen,
  • eine absolute Mehrheit der Stimmen verlangen,
  • mehrere Wahlgänge vorsehen, von denen nur der letzte gilt,
  • zwischendurch unverbindliche Meinungsbilder erstellen,
  • regelmäßig politische Meinungsumfragen veröffentlichen,
  • Möglichkeiten für Beratungen schaffen,
  • genügend Zeit geben, um die Informationslage zu verbessern,
  • Möglichkeiten für die Aushandlung von Wahlbündnissen schaffen.

Mehrheitsprinzip und Machtverhältnisse

Da die Individuen beim Mehrheitsprinzip mit gleichem Stimmgewicht versehen sind und geheim abstimmen, können die Machtverhältnisse direkt keine Rolle spielen.

Trotzdem garantiert die Anwendung des Mehrheitsprinzips nicht die Neutralisierung ungleicher Machtverhältnisse. Ein Beispiel soll dies erläutern.

Angenommen, eine Gruppe von 5 Freunden will gemeinsam eine Städtereise machen. Ein Gruppenmitglied, nennen wir es Andi, besitzt einen Kleinbus, der für die Reise in Frage käme. Bei der Frage des Reiseziels gehen die Meinungen auseinander, 3 Gruppenmitglieder wollen lieber nach Budapest, Andi und ein weiteres Gruppenmitglied wollen lieber nach Prag.

Die Mehrheitsverhältnisse scheinen klar zu sein, aber nun gibt Andi zu erkennen, dass er für eine Reise nach Budapest seinen Kleinbus nicht zur Verfügung stellen würde. Mit einem Leihwagen würde die Reise aber entschieden teurer für alle. Unter diesen Bedingungen fahren die 3 Gruppenmitglieder, die eigentlich nach Budapest wollten, lieber mit Andis Kleinbus nach Prag, als mit einem Leihwagen teuer nach Budapest zu fahren. Deshalb stimmen auch sie bei einer vollkommen freien und geheimen Abstimmung für Prag.

Es handelt sich hier nicht um eine unzulässige Nötigung, denn es ist Andis gutes Recht, seinen Kleinbus nicht zur Verfügung zu stellen. Dies Beispiel zeigt, dass die Anwendung des Mehrheitsprinzips unterschiedliche Machtverhältnisse in einem Kollektiv nicht neutralisieren kann.

Das Mehrheitsprinzip bei Jury-Entscheidungen

Im Vorangegangenen wurde das Mehrheitsprinzip als eine Methode dargestellt, um die Präferenzen der Mitglieder einer Gruppe zu einer gemeinsamen kollektiven Präferenz zusammenzufassen. Die Einzelnen konnten so abstimmen, wie es ihrem Eigeninteresse entsprach. Bei miteinander harmonisierenden Interessen konnten sie auch Wahlbündnisse (Koalitionen) bilden, um für ihre Interessen eine Mehrheit zu erreichen.

Man kann das Mehrheitsprinzip jedoch auch als eine Methode anwenden, um aus den unterschiedlichen Meinungen der Mitglieder einer Gruppe die wahrscheinlich richtige herauszufinden. In dieser Funktion findet das Mehrheitsprinzip z. B. Anwendung bei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.

Diejenige Meinung, die von einer Mehrheit der Gruppe befürwortet wird, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit immer dann die richtige, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass sich die einzelnen Mitglieder irren, kleiner als 50% ist.

Nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung kann man die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich mehrere Mitglieder eines Kollektivs unabhängig voneinander gleichzeitig irren, durch die Multiplikation der Irrtumswahrscheinlichkeiten für jedes einzelne Mitglied ermitteln. Wenn die Irrtumwahrscheinlichkeit der einzelnen Mitglieder z. B. bei 40 % liegt, so liegt die Wahrscheinlichkeit, dass sich 5 Mitglieder gleichzeitig irren, bei nur 1 %, denn 0,4 x 0,4 x 0,4 x 0,4 x 0,4 ergibt 0,01024.

Die Frage ist, wie man politische Wahlen, z. B. die Bundestagswahlen, interpretieren soll.

Drücken die Einzelnen mit ihrer Stimmabgabe ihr Eigeninteresse aus? Wählen sie also diejenige Partei, die ihrem jeweiligen Eigeninteresse am ehesten entspricht? Dann würde das Mehrheitsprinzip als Methode zur Zusammenfassung der individuellen Interessen zu einem Gesamtinteresse verwendet.

Oder drücken die Wähler mit ihrer Stimmabgabe ihre Ansicht von der besten Politik für das Gemeinwesen aus? Dann würde das Mehrheitsprinzip als Methode der Auswahl der wahrscheinlich besten Politik für das Gemeinwesen verwendet.

Diese Frage ist unter den Theoretikern der Demokratie umstritten.

Beurteilung des Mehrheitsprinzips

  • Für die Anwendung des Mehrheitsprinzips müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. So muss geklärt sein, für wen die Beschlüsse verbindlich sind und wer abstimmen darf. Zum andern muss geklärt sein, wie die zur Abstimmung gestellten Alternativen eingebracht werden und welche Anforderungen an die Alternativen gestellt werden. Ohne Informations- und Meinungsfreiheit sind Abstimmungen wertlos. Es bedarf also immer einer normativen Grundlage in Form einer allgemein anerkannten Verfassung oder Geschäftsordnung, um das Mehrheitsprinzip anzuwenden.
  • Jede Entscheidungsfindung durch Abstimmung erfordert einen großen Aufwand, denn alle Individuen müssen über die Alternativen und ihre Folgen informiert sein, damit die Abstimmung sinnvoll ist. Bei Wahlabsprachen müssen alle zusätzlich über die Interessen der anderen informiert sein, um gezielt Abstimmungskoalitionen eingehen zu können. Die Kontrolle der Abstimmung und die Auswertung der abgegebenen Stimmen erfordert ebenfalls Zeit. Aus diesem Grund eignet sich das Mehrheitsprinzip bei größeren Kollektiven nur für relativ wichtige und langfristig wirkende Entscheidungen (Wahl von Repräsentanten, Gesetzgebung, Regierungsbildung).

Möglichkeiten zur Senkung des Aufwandes sind:

  1. die Zusammenfassung der Individuen in Wahlkreisen, die jeweils einen Vertreter in die gesetzgebende Versammlung entsenden (Wahl von Abgeordneten als Repräsentanten auf Zeit),
  2. die Einsetzung einer geschäftsführenden Regierung für laufende Entscheidungen,
  3. die Dezentralisierung von Entscheidungen (Selbstverwaltung von Ländern und Gemeinden, individuelles und kollektives Eigentum),
  4. die Zusammenfassung von Einzelentscheidungen zu umfangreichen Programmen bzw. „Paketen“, über die als ganze abgestimmt wird (Parteibildung, zusammenhängende Gesetzgebung).
  • Mehrheitsentscheidungen sind normativ problematisch, wenn schwach betroffene Mehrheiten elementar betroffene Minderheiten überstimmen.

Dies gilt umso mehr, je knapper die Mehrheit ausfällt. Ein drastisches Beispiel: Es wird mehrheitlich eine Alternative beschlossen, die für 51 % der Individuen jeweils 5 € Gewinn bedeutet und die zugleich für 49% der Individuen 5.000 € Verlust bedeutet.

Dies Problem wird in der Praxis dadurch abgemildert, dass sich Minderheiten zu Koalitionen zusammenschließen können, um ihre jeweiligen elementaren Interessen mehrheitlich durchzusetzen. Allerdings funktioniert dies Verfahren nicht, wenn das Kollektiv in zwei homogene Unterkollektive (z. B. zwei ethnische Gruppen mit unterschiedlicher Religion, Sprache, Wirtschaftskraft etc.) gespalten ist, so dass Koalitionen über die Grenzen dieser Unterkollektive hinweg kaum möglich sind.

  • Mehrheitsentscheidungen sind normativ problematisch, wenn sie für Personen verbindlich sind, die nicht abstimmungsberechtigt sind (z. B. Ausländer als Einwohner in einem demokratischen Staat).
  • Mehrheitsentscheidungen sind problematisch, wenn von diesen Entscheidungen Menschen betroffen sind, die selber nicht abstimmungsberechtigt sind (z. B. ein demokratischer Staat greift einen schwächeren Nachbarstaat an).
  • Abstimmungen können im „Patt“ enden, wenn zwei oder mehr Alternativen gleich viele Stimmen erhalten. Dies Problem besteht vor allem bei kleinen Gruppen, bei denen die Anzahl der Abstimmenden eine gerade Zahl bildet (z. B. 4, 6 oder 8). In Fall eines Patts wegen Stimmengleichheit bleibt es beim Status quo.

Siehe auch

Literatur

  • Duncan Black: The Theory of Committees and Elections. Cambridge University Press, London und New York 1958
  • Werner Heun: Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie. Grundlagen, Struktur, Begrenzungen. Duncker & Humblot, Berlin 1983, ISBN 3-428-05348-6