Gewerkschaft
Eine Gewerkschaft ist ein Interessenverband der Arbeitnehmer.
Überblick
Gewerkschaften sind aus der europäischen Arbeiterbewegung hervorgegangen und setzen sich seit ihrem Bestehen für bessere Arbeitsbedingungen, mehr Mitbestimmung, Arbeitszeitverkürzungen, teilweise auch für weitergehende Gesellschaftsveränderung ein. Sie schließen als Verhandlungspartner von Arbeitgeberverbänden u.a. überbetriebliche Tarifverträge ab und führen dazu Lohnkämpfe, gegebenenfalls auch mit Hilfe von Streiks.
Interessen
Gewerkschaften versuchen, in Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder, einen möglichst großen Teil der Unternehmensgewinne als Gehalt und Verbesserung der Arbeitsbedingungen an die Belegschaft zu verteilen. Dagegen vertritt die Unternehmensführung die Interessen der Unternehmensinhaber bzw. Aktionäre, die einen möglichst großen Teil der Gewinne (etwa als Dividenden) ausgeschüttet haben wollen, und zwar sofort oder über Investitionen später, wenn sie sich rentiert haben.
Für die sinnvolle Aufteilung der Unternehmensgewinne gibt es keine mathematische Formel - es ist eine Machtfrage.
Gewerkschaften sollen selbstverständlich das Wohl des Betriebes im Auge haben, der etwa ohne genug Geld für Investitionen wirtschaftlich ins Hintertreffen gerät. Sie waren wegen dieser engen Verknüpfung mit den Unternehmensinteressen nie so radikal wie die Arbeiterparteien, die umso mehr gesamtwirtschaftliche Interessen im Auge haben. Manchen erscheinen die Gewerkschaften heute jedoch als radikal, was allerdings im historischen Zusammenhang nicht stimmt.
Gewerkschaftsvertreter sind in den Aufsichtsräten an der Kontrolle der Betriebsleitung beteiligt. Kritiker behaupten, Gewerkschaften würden der Volkswirtschaft schaden, weil sie ausschließlich die Interessen ihrer Mitglieder im Auge haben und nicht die Folgen ihrer Forderungen für die Gesamtwirtschaft, ähnlich wie übrigens viele weitere Interessengruppen, beispielsweise Unternehmensverbände.
Heute wird Gewerkschaften oft vorgeworfen, dass sie zwar die Interessen der Arbeitnehmer, nicht aber die der Arbeitslosen vertreten würden, und Maßnahmen, die angeblich zur Schaffung neuer Arbeitsplätze führten, hintertreiben würden.
Da Gewerkschaften häufig auf spezielle Sektoren begrenzt sind, kämpfen sie auch dann für den Erhalt ihres Sektors, wenn dieser ökonomisch nicht mehr wettbewerbsfähig ist.
Ökonomische Grundlage
Gewerkschaften weisen oft darauf hin, dass ihre Lohnforderungen für eine Umverteilung mindestens des Produktivitäts-Fortschritts sorgen und so insbesondere die Massenkaufkraft erhalten bleibt. Dieser Effekt wird häufig auch für die lange Frist in Anspruch genommen. Trotz einer zunehmenden Globalisierung behielten Gewerkschaften ihre auf nachfrageorientierten Wachstumsmodellen gestützte Positionen bei.
Insbesondere neoklassisch orientierte Ökonomen fordern ein flexibles Arbeitszeitmodell; Gewerkschaften stehen jedoch häufig für andere Regelungen ein. Kritiker werfen Gewerkschaften vor, dadurch den heimischen Standort zu schwächen. Für die Ökonomen der Gewerkschaften – traditionell eher Anhänger des Keynesianismus – geht die Krise auf dem Arbeitsmarkt v.a. auf die Produktivitätszuwächse zurück, die gesellschaftlich ungleich verteilt sind und der Markt deshalb nicht das erhöhte Produktionspotential aufnehmen kann (Binnennachfrage). Die Gewerkschaften behaupten, nicht die Lohnkosten seien zu hoch, sondern die Löhne seien zu niedrig.
Gegner dieser Auffassung sagen, dass gerade für Unternehmen, die dazu in der Lage sind, flexibel den Standort in Niedriglohnländer zu verlagern, hohe Stundenlöhne jedoch abschreckend seien. Andererseits können sich auch die Verhältnisse in Niedriglohnländern schnell ändern. In China steigen die Löhne derzeit um bis zu 10% pro Jahr. Chinesen verlagern Produktionen nach Vietnam und Myanmar.
Behauptet wird auch, dass in Osteuropa in den letzten Jahren zahlreiche neue Werke von Autobauern entstanden und in Deutschland Arbeitsplätze verloren gegangen seien. In Ländern mit hoher Produktivität und niedrigeren Lohnkosten als in Deutschland, etwa Schweden, blieben Arbeitsplätze hingegen erhalten. Gerade in der Industrie seien von Arbeitsplatzabbau auch zuliefernde Unternehmen und damit weitere Stellen betroffen. Tatsächlich haben sich aber die durchschnittlichen Lohnstückkosten in Schweden in den letzten zehn Jahren um das Vierfache mehr erhöht als in Deutschland. Auch ist die Zahl der in der deutschen Automobilbranche Beschäftigten in Deutschland sogar gestiegen.
In globalisiertem Kontext aufgeführte keynesianische Argumente zu Nachfragestärkung würden nach den Kritikern angeblich damit überlagert, da ohne Arbeit auch keine Nachfrage möglich ist und weil sich Investitionen ungehinderter im globalen Markt bewegen können als Menschen.
Zur Kaufkrafttheorie der Löhne gibt es unterschiedliche Ansichten. Während der Kaufkrafttheorie kritisch gegenüberstehende Ökonomen meinen, dass diese Theorie die Verhältnisse zu sehr vereinfache, meinen die Befürworter dieser Theorie, dass die Gewinntheorie die Verhältnisse zu sehr vereinfache.
Durch die Senkung von Konfliktkosten tragen die Gewerkschaften in Deutschland zu einer stabilen Grundlage der Wirtschaft bei. Im Vergleich zu anderen industriell entwickelten Rechtsstaaten wird in Deutschland nur selten gestreikt. Als nach dem Prinzip ser Gewaltenteilung wirkende Gegenkraft ermöglichen sie es den Arbeitgebern, sich klar auf ihre Standpunkte zu konzentrieren. Dem stehen auch Konsenskosten entgegen. In Rechtsstaaten sind diese vorwiegend finanzieller Natur. Sie unterscheiden sich somit von den menschlichen Kosten, die durch erzwungenen Konsens in autoritären Staaten entstehen.
Ziele
In den letzten Jahren nahm der Druck auf die Gewerkschaften zu. Staaten in Mittel- und Osteuropa sowie in Asien gelang es, ein hohes Bildungs-, Produktivitäts- und Infrastrukturniveau aufzubauen. In Staaten wie China erfolgt der Druck auf Gewerkschaften durch Kriminalisierung der Gründer unabhängiger Gewerkschaften. Weiterhin existiert als Kennzeichen für fehlende Rechtsstaatlichkeit ein Widerspruch zwischen gesetzlichen Regelungen und der Einklagbarkeit von Rechten.
Die Folge der Konkurrenz aus Gebieten mit geringerer Rechtsstaatlichkeit und der Unterdrückung von Gewerkschaften war zum Teil die Abwanderung von Arbeitsplätzen aus Westeuropa. Trotz der hohen Arbeitslosigkeit und der (umstrittenen) These, Deutschland sei international nicht mehr wettbewerbsfähig, halten die Gewerkschaften an Lohnforderungen fest, die zumindest die Inflation ausgleichen, aber auch teilweise höher sind als das wirtschaftliche Wachstum, wenn in einer Branche besonders hohe Produktivitätszuwächse zu verzeichnen sind.
Trotz des wachsenden Konfliktpotentials hat Deutschland im internationalen Vergleich die wenigsten Streiktage. Streiks sind für Gewerkschaften mit hohen Kosten verbunden und für Arbeitgeber neben kurzfristigen Produktionsausfällen langfristig ein Standortnachteil. So ist es im Sinne beider Parteien, Streiks zu vermeiden. Die meisten Gewerkschaften halten Strategien von Lohnsenkung, um gegen Maschinen zu konkurrieren oder um arbeitsintensive Produktionen zu halten, langfristig für verfehlt, auch wenn sie in Einzelfällen entsprechenden Abmachungen zustimmen. Eine wirtschaftstheoretische Grundlage für solche Lohnsenkungen hierfür gibt es jedoch nicht.
Gewerkschaften zielen bei ihren Aktivitäten auf die Schaffung neuer Massennachfrage, die die Binnenkonjunktur anregen soll. Die Abkoppelung Deutschlands von der anziehenden Weltkonjunktur wird zum Teil auf die schwache Binnennachfrage zurückgeführt. Einige Wirtschaftsexperten kritisieren jedoch, dass dabei der doppelte Nachfrageeffekt von den Gewerkschaften keine Berücksichtigung findet. Nachfrage entstehe auch dann, wenn man es Unternehmen erleichtert, Investitionen zu tätigen. (Jedoch ist die Wirkung der Investition der eines vorweggenommenen zukünftigen Konsums gleich, denn investiert wird nur dort, wo später auch Verkauf, also Konsum erwartet wird. So stimmt die These zwar, aber nur kurzfristig. Denn langfristig ist der Konsum der Zukunft durch die Kredite für die Investitionen in der Vergangenheit bereits gebunden. Somit kann man langfristig sich auf die Betrachtung des Konsums zurückziehen und berechtigterweise den Effekt der doppelten Nachfrage ignorieren.) Allerdings haben die letzten Jahre gezeigt, dass beispielsweise Großunternehmen verstärkt nicht mehr im Inland, sondern auf den Kapitalmärkten oder in Fusionen mit ausländischen Unternehmen investieren. Auch Exportrekorde der deutschen Wirtschaft (die der These mangelnder internationaler Wettbewerbsfähigkeit widersprechen) können die Binnennachfrage nicht ausreichend stützen. Bedeutender ist beim doppelten Nachfrageeffekt jedoch die Nachfrage im Inland. Diese ist naturgemäß hoch, wenn es heimischen Unternehmen gut geht. Denn nicht nur private Haushalte, sondern insbesondere auch heimische Unternehmen konsumieren im Inland, etwa über Zulieferungen. Hohe Löhne oder hohe Abgaben jedoch wirkten diesem Konsum entgegen und verlagerten ihn ins Ausland. Dieser These wird aber mit dem Argument widersprochen, die hohen Löhne an ortsansässige Mitarbeiter würden diesen erst ermöglichen, auch in der Region ihr erarbeitetes Geld auszugeben, sodass sich bei Lohnerhöhungen allenfalls eine Substition von Zahlungen an regionale Zulieferer zu Zahlungen an regionale Mitarbeiter ergebe. Ähnlich sehe es mit Staatsabgaben aus, die auch vom jeweiligen Staat zur Bezahlung seiner Ausgaben in bevorzugt seinem Staatsgebiet verwendet würden.
Schwächung
Wie andere gesellschaftliche Großorganisationen leiden die Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten an erheblichen Mitgliederschwund. Häufig genannte Gründe sind u.a. die gesellschaftlichen Tendenzen zur Individualisierung, die kleiner werdenden Betriebsstrukturen, dass sich die Anzahl der Arbeitsplätzen in der Industrie verringern zu Gunsten der des Dienstleistungsbereichs, eine Kritik an der Führung der Gewerkschaften verbunden mit zu geringen Erfolgen bei den erwarteten Lohnerhöhungen und die gegen die Gewerkschaften gerichteten Kampagnen.
Deutschland
Gegenwartssituation
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ist die größte Dachorganisation von Einzelgewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland. Ihm gehören die acht Mitgliedsgewerkschaften IG Metall, IG Bergbau, Chemie, Energie, Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, IG Bauen-Agrar-Umwelt, Gewerkschaft Transnet, Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Gewerkschaft der Polizei (GdP) an. Sie decken alle Branchen und Wirtschaftsbereiche ab. Der DGB vereinte 2001 rund 84 % aller deutschen Gewerkschaftsmitglieder. Er hatte 2005 rund 6,8 Mio. Mitglieder.
Als weitere Gewerkschaften, die nicht zum DGB gehören gibt es:
- dbb beamtenbund und tarifunion im Bereich des öffentlichen Dienstes mit über 1,25 Millionen Mitgliedern, mir dem Schwerpunkt der Beamtenvertretung. Diese Gewerkschaft konkurriert in diesem Bereich mit den DGB-Gewerkschaften ver.di, GEW und GdP.
- Christlicher Gewerkschaftsbund (CGB) mit 18 kleinen Einzelgewerkschaften und Tarifgemeinschaften
- sowie kleinere Gewerkschaften vornehmlich in den Bereichen von Gesundheit und Pflege, im öffentlicher Dienste, der Fluglinien und Flughäfen und mit Brachen übergreifenden Anliegen.
Die Liste von Gewerkschaften in Deutschland gibt dazu einen umfassenden Aufschluss.
Bei Betriebsratswahlen konnten die DGB-Gewerkschaften dreiviertel aller Betriebsratsangehörigen für sich gewinnen. Der Gewerkschaftsgegner Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB) errang mehr als 10% der Stimmen.
Gewerkschaften lassen sich in Berufs- und Fachverbände, Industrieverbände und Betriebsverbände unterteilen. In Berufsverbänden sind Arbeitnehmer nach Berufsgruppen zusammengeschlossen (z.B. Techniker + Schreiner), unabhängig davon, in welchem Wirtschaftszweig sie beschäftigt sind. Berufsverbände nehmen häufig nur eingeschränkte gewerkschaftliche Funktionen wahr. Sie schließen im Regelfall keine Tarifverträge ab.
Geschichte
1848 gründeten die Berliner Tabakarbeiter die Association der Zigarrenarbeiter Deutschlands, die schnell in 40 weiteren deutschen Städten eher kurzlebige Nachahmer fanden. Der Allgemeine Deutsche Cigarrenarbeiter-Verein, gegründet 1865 in Leipzig (Mitgründer und Präsidenten Friedrich Wilhelm Fritzsche) war die erste zentral organisierte Gewerkschaft in Deutschland. Sie wurde zum Vorbild vieler neu gegründeter Gewerkschaften und ist eine Vorläuferorganisationen der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.
Nachdem 1869 bzw. 1871 durch die Gewerbeordnung die Gewerbe- und Koalitionsfreiheit einführt wurde, entwickelten sich Gewerkschaften als Vertragspartner von Unternehmerverbänden. Die Arbeiterschaft musste um ihr Existenzminimum ringen, während die Unternehmer feudalistische Privilegien besaßen. Die Gewerkschaften waren zunächst daran interessiert die Lage ihrer Mitglieder zu verbessern. Sie führten Arbeitskämpfe, Streiks und Kaufboykotts gegen die Unternehmer durch. Es war gang und gebe, Gewerkschaften zeitweise zu verbieten oder gesetzlich zu behindern.
Die deutschen Gewerkschaften orientierten sich an den parteipolitischen Linien sowie nach Berufen bzw. Berufsgruppen und nicht nach dem Prinzip "ein Betrieb = eine Gewerkschaft". Der ADGB und der AfA-Bund als größte Gewerkschaftsorganisationen standen der SPD, die Christlichen Gewerkschaften der christlichen Zentrumspartei, die Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO) der kommunistischen KPD, die Hirsch-Duncker'schen Gewerkvereine der liberalen DDP und der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband (DHV) der deutsch-nationalen Volkspartei DNVP bzw. in der Endphase der Weimarer Republik sogar der NSDAP nahe. Die syndikalistische "Freie Arbeiter-Union Deutschlands" (FAUD) lehnte Parteipolitik ganz ab.
1920 wehrte noch der größte Teil der Gewerkschaftsbewegung mit einem gemeinsamen Generalstreik den Kapp-Putsch ab. 1933 dagegen zögerten die Gewerkschaften mit Maßnahmen gegen die aufziehende Hitler-Diktatur. Nach der Machtergreifung der Nazis wurden viele Gewerkschaftsführer in Konzentrationslager gesperrt und ihre Gewerkschaftshäuser von der SA besetzt. Auch ein Aufruf der Gewerkschaften, den von den Nazis am 1. Mai 1933 veranstalteten "Tag der Nationalen Arbeit" zu unterstützen, half nichts. Am Tag danach verbot man die Gewerkschaften und ihr Vermögen wurde auf die Nazi-Massenorganisation Deutsche Arbeitsfront (DAF) übertragen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte der Wiederaufbau der Gewerkschaften. Der erste DGB-Vorsitzenden Hans Böckler verfolgte das Konzept, alle Arbeitnehmer in einer parteipolitisch nicht gebundenen Einheitsgewerkschaft zu vereinigen, die unter einen starken Dachverband zusammengefasst werden sollten. Es gab jedoch Widerstand, vor allem von der IG Metall. Der DGB wurde 1949 gegründet. Trotz aller Einheitsaufrufe bildeten sich aber auch der berufständisch orientierte Beamtenbundund als Abspaltung später die DAG. CDU/CSU-Kreise und wirtschaftsnahe Kirchenkreise gründeten zudem um 1950 denChristlichen Gewerkschaftsbund (CGB), der jedoch keine größere Mitgliederzahlen erreichen konnte. Die deutschen Gewerkschaften DGB, DAG und Beamtenbund entwickelten sich zu starken Partnern bei denTarifverhandlungen und sie nahmen Einfluß bei der Gesetzgebung im Arbeits- und Sozialbereich.
In der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wurde nach dem Krieg der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) als parteiübergreifende Einheitsgewerkschaft gegründet. Nach Gründung der SED 1947 wurden aber umgehend Säuberungen vorgenommen. Christlich-soziale und weiterhin eigenständig sozialdemokratische Gewerkschaftsfunktionäre wurden abgesetzt und mussten in den Westen fliehen. In Westberlin gründete sich als Abspaltung die Unabhängige Gewerkschaftsorganisation (UGO), der spätere Landesbezirk des DGB.
Nach dem gescheiterten Aufstand in der DDR am 17. Juni 1953 wurden weitere unabhängigere Gewerkschaftler als "Kapitulanten" oder "Westagenten" diffamiert und ihrer Ämter enthoben, so auch der Vorsitzende der IG Bau-Holz Franz Jahn und fast alle seine Vorstandskollegen. Der FDGB wurde damit endgültig zu einer parteigesteuerten DDR-Massenorganisation. Auch 1989 stand der FDGD nicht an der Spitze der Demokratiebewegung, er wurde einfach überrollt und "abgewickelt". Erzwungenen Neuwahlen brachten dort zwar neue Kräfte nach vorne, der FDGB aber wurde von ihnen als nicht mehr reformierbar angesehen und Anfang 1990 aufgelöst. Trotz der Kontaktaufnahme der DDR-Branchengewerkschaften zu den entsprechenden Gewerkschaften in der Bundesrepublik entschieden sich aber die DGB-Gewerkschaften, im Einverständnis mit vielen Gewerkschaftsmitgliedern aus der DDR, für den Aufbau neuer örtlicher bzw. regionaler DGB- und Gewerkschaftsstrukturen.
Die Gewerkschaften bekame zunächst mehrere Millionen neuer Mitglieder, von denen aber nach dem Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie viele wieder ausschieden. In den 90er Jahren hat sich die Anzahl der 16 DGB-Gewerkschaften durch Fusionen auf 8 Branchengewerkschaften reduziert (siehe oben und Liste von Gewerkschaften in Deutschland). Auch dieDAG wurde in der neuen Gewerkschaft Ver.di wieder Teil des DGBs.
Da sich diverse spezialisierte Branchen schlecht vertreten fühlten, gründeten sie eigene gewerkschaftliche Vertretungen. Beispiele dafür sind die Vereinigung Cockpit (VC), die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) sowie der Marburger Bund. Diese kleineren Gewerkschaften weisen teilweise einen überdurchschnittlichen Organisationsgrad von bis zu 80% auf.
In den 90er Jahren hatten die Gewerkschaften hohe Mitgliederverlusten. In den DGB-Gewerkschaften gab es 2005 rund 6,8 Mio. Mitglieder; das sind 25 % der Arbeitnehmer.
Rechtsstatus
Gewerkschaften stehen als sozialpolitische Koalitionen unter dem besonderen Schutz der grundgesetzlich (Artikel 9 Abs. 3 GG) gewährleisteten Unabdingbarkeit des Rechtes auf die Bildung von Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, darum sind Abreden zur Einschränkung oder Behinderung dieses Rechtes nichtig und rechtswidrig.
Manche Gewerkschaften (z.B.ver.di) organisieren sich als eingetragener Verein und sind deshalb juristische Personen des Privatrechts. Sofern sie keine eingetragenen Vereine sind, werden sie - analog wie Parteien - dennoch als "rechtsfähige" Personenvereinigung behandelt.
Der Status der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM) war umstritten . Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 28. März 2006 der CGM letztinstanzlich die Tariffähigkeit bestätigt.
Flexibilität durch gleichverteilte Durchsetzungskraft
Eine im internationalen Vergleich recht einmalige Aufgabe stellt der deutsche Gesetzgeber den Gewerkschaften bei Verhandlungen: Die Asymmetrie bei Verhandlungen zwischen einem Arbeitnehmer und einem Arbeitgeber führt zu einer Einschränkung beider Seiten durch ein mit starkem Schutz für den einzelnen Arbeitnehmer ausgestattetes Arbeitsrecht. Hat sich der Arbeitnehmer jedoch in einer ausreichend starken Arbeitnehmervereinigung organisiert, kann diese in Tarifverträgen gesetzliche Beschränkungen des Verhandlungsspielraumes überwinden, die ansonsten unabdingbar wären. Nach der Rechtsprechung bedeutet „ausreichend stark“, dass die Arbeitnehmervereinigung Kampfmaßnahmen durchführen kann und zeigt, dass sie die ihr rechtlich erlaubten Maßnahmen im vollem Umfang zu nutzen bereit ist. Inwieweit auf einzelne Betriebe beschränkte Arbeitnehmervereinigungen ausreichend Durchsetzungsvermögen haben, ist in Einzelfall zu klären.
Tatsächlich kann diese Konstruktion des deutschen Rechts dazu führen, dass Arbeitnehmer auf Schutz verzichten, der ihnen individualrechtlich zustünde. Daraus resultiert eine im internationalen Vergleich der Rechtsstaaten besonders hohe Flexibilität bei der Anwendung des Arbeitsrechts ohne staatliche Intervention. Nur in nicht rechtsstaatlich organisierten Ländern (z.B China) und in Ländern mit religiös eingeschränkter beruflicher Selbstbestimmung (z.B Indien) kann eine noch höhere Flexibilität für Arbeitgeber erreicht werden, wenn Schutzgesetze fehlen, theoretisch bestehender Schutz praktisch nicht einklagbar ist und freie Gewerkschaften verboten sind. Diese nicht auf Gewaltenteilung, sondern auf autoritärer Gewalt beruhende Flexibilität findet auch in Deutschland noch immer Befürworter. Sie ziehen solche Globalisierungsbedingungen als Legitimierung für ihre Forderung nach einer Schwächung der Gewerkschaften und den Verzicht der Arbeitnehmer auf ihre Besitzstände heran.
Die Möglichkeit zum Verzicht auf individualrechtlich unabdingbaren Schutz begründet auch die Tatsache, dass Tarifverträge prinzipiell nur für gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer gelten. Nicht organisierten Arbeitnehmern dürfen sie nicht aufgezwungen werden. In der Praxis jedoch werden Tarifverträge von Arbeitgebern auch auf nicht organisierte Arbeitnehmer angewandt, wenn diese dadurch überwiegend Vorteile haben. Diese Arbeitnehmer nutzen dann die Verhandlungsarbeit der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, ohne sich mit Mitgliedsbeiträgen daran beteiligt zu haben.
Finanzierung
Gewerkschaften finanzieren sich ausschließlich über Mitgliedsbeiträge. Meist beträgt der Beitrag 1 % des Bruttoverdienstes, daher der frühere Slogan: "Ein Pfennig von jeder Mark - dieser Beitrag macht uns stark".
Die Aufsichtsratstantiemen, die gewerkschaftliche Mitglieder der im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften in Aufsichtsräten erhalten, sollen, bis auf eine Aufwandserstattung, der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gespendet werden. Die korrekte Abführung diese Aufsichtsrats-Bezüge wird einmal jährlich veröffentlicht. Nicht korrekt abgeführte Aufsichtsratsbezüge werden öffentlich gerügt.
Schweiz
In der Schweiz ist heute gut jeder vierte Beschäftigte in einer Gewerkschaft oder einem gewerkschaftsähnlichen Verband organisiert. Im westeuropäischen Vergleich ist dies eher wenig.
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB ist die größte Arbeitnehmerorganisation der Schweiz. In ihm sind 16 Einzelgewerkschaften zusammengeschlossen, die insgesamt rund 380'000 Mitglieder vertreten. Die Schweizer Gewerkschaften waren von Anfang an um die Schaffung eigener Selbsthilfe- und Sozialeinrichtungen bemüht: Zunächst Arbeitslosen- und Krankenkassen, Alters- und Unterstützungskassen, später Schulungs- und Ferien- und Sozialeinrichtungen. Von jeher gewährten die Gewerkschaften ihren Mitgliedern auch Rechtsschutz.
Mit dem Zusammenschluss der Gewerkschaften GBI, SMUV, VHTL, unia und actions zur Unia ist im Herbst 2004 die größte Gewerkschaft der Schweiz mit rund 200'000 Mitgliedern und fast 100 Sekretariaten entstanden. Die Anstellungsbedingungen von gegen einer Million Menschen sind in Gesamtarbeitsverträgen geregelt, die von der Unia ausgehandelt werden.
2002 wurde in Bern unter dem Namen Travail.Suisse eine neue Dachorganisation der Arbeitnehmenden gegründet. Urheber dieser Gründung waren die Verbände und Gewerkschaften, die vorher dem Christlichnationalen Gewerkschaftsbund der Schweiz (CNG) und der Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände (VSA) angeschlossen waren. Diese Verbände vertreten rund 170'000 Mitglieder.
Belgien
In Belgien gibt es verschiedene Gewerkschaftsrichtungen, unter anderem Freie Gewerkschaften. Der mitgliederstärkste Gewerkschaftsbund in Belgien die Confédération des syndicats chrétiens (CSC) ist christlich-sozial orientiert. Die Confédération Générale des Syndicats Libéraux de Belgique (CGSLB) ist ein unabhängiger Gewerkschaftsbund. In Belgien existiert außerdem ein sozial-liberal orientierter Gewerkschaftsbund, nämlich die Fédération générale du travail de belgique (FGTB), der zweitgrößte Gewerkschaftsbund insgesamt. Belgien hat mit ca. 80 % der Beschäftigten einen der höchsten gewerkschaftlichen Organisationsgrade in Europa.
Spanien
In Spanien gibt es verschiedene Gewerkschaftsbünde. Zu den größten gehören,,Comisiones Obreras", Confederación General del Trabajo und,,Union Sindical Obrera". Regionale Organisationen sind die Confederación Intersindical Galego in Galicien, die baskische demokratische ELA-STV und die baskische nationalistische Langile Abertzalen Batzordeak. Des Weiteren ist die anarcho-syndikalistische Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo (CNT) eine einflussreiche Gewerkschaft, v. a. im katalanischen Raum um Barcelona.
USA
Die US-Gewerkschaften entstanden nicht wie die europäischen Gewerkschaften aus klassenkämpferischen Motiven, sondern waren überwiegend eine Schutzgemeinschaft gegenüber den Einwanderern und den Nichtorganisierten. Die US-Gewerkschaften des späten 19. Jahrhundert verstanden sich als Gegenentwurf zu den Unternehmenskartellen gewissermaßen als "Lohnkartelle", die im kapitalistischen System die Rolle des Anbieters von Arbeitskraft einnahmen und diese im Interesse ihrer Mitglieder möglichst teuer verkaufen wollten. In der Anfangszeit wurden US-Arbeitgeber oft erpresst und mit Gewalt gezwungen, nur Gewerkschaftsmitglieder einzustellen. Umgekehrt war die Mitgliedschaft in einer US-Gewerkschaft üblicherweise an hohe Eintrittsgebühren oder Abgabe eines Großteils des Lohnes sowie Aufnahmeprüfungen gebunden.
Die erste US-Gewerkschaft wurde am 20. August 1866 in Baltimore gegründet. Es war die National Labor Union. Ihr wichtigstes Ziel war die Einführung des Acht-Stunden-Tags.
1886 schlossen sich viele Einzelgewerkschaften zum Dachverband AFL zusammen, der rund die Hälfte der amerikanischen Arbeiter vertrat. Nach außen setzte der Verband auf die Abriegelung vor allem gegenüber der wegen der Fließbandproduktion wachsenden Schicht der ungelernten Arbeiter. 1938 spalteten sich zehn Gewerkschaften von der AFL ab und gründeten den neuen Dachverband CIO, der sich gezielt Ungelernten öffnete. Beide Verbände standen sich in den folgenden Jahrzehnten verfeindet gegenüber. Nach dem Zweiten Weltkrieg gerieten die Gewerkschaften unter Druck durch die republikanische Mehrheit im US-Parlament und den Präsidenten Eisenhower. Deshalb schlossen sich beide Verbände 1955 zusammen. Seitdem nimmt die Mitgliederschaft kontinuierlich ab. 1955 waren 34 Prozent der Arbeiter in den USA in dem neuen Dachverband organisiert. 2005 waren es nur noch 12 Prozent.
Seit dem späten 20. Jahrhundert wandeln sich die US-Gewerkschaften programmatisch immer mehr zu einer ganzheitlichen Vertretung aller Arbeitnehmer. Ihr Einfluss ist in den 1980er Jahren, wie seit Ende der 1990er Jahre der der Gewerkschaften in Deutschland, stetig zurückgegangen.
Siehe auch
Quellen
Literatur
- Dirk Baecker (Hrsg.): Gewerkschaften, ISBN 3936096147
- Paul Blyton, Peter Turnbull: The Dynamics of Employee Relations. Management, Work and Organisations, 2004, ISBN 033394836X; Entwicklung und Zukunft der Gewerkschaften
- Valérie Boillat, Bernard Degen, Elisabeth Joris, Stefan Keller, Albert Tanner, Rolf Zimmermann (Hrsg.): Vom Wert der Arbeit. Schweizer Gewerkschaften – Geschichte und Geschichten. Rotpunktverlag, Zürich 2006
- Gary N. Chaison: Unions in America, 2005, ISBN 0761930345
- Frank Deppe, Georg Fülberth und Jürgen Harrer (Hrsg.): Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1978.
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- Tony Dundon, Derek Rollinson: Employment Relations in Non-Union Firms, 2004, ISBN 0415312469/
- Linda Ewing: Ethical practise in a Lobor Union, in: John W. Budd: The Ethics of Human Resources and Industrial Relations, 2005, ISBN 0913447900
- FU Berlin: Gewerkschaftshandbuch [1], 1997
- Jochen Gollbach: Europäisierung der Gewerkschaften, 2005, ISBN 389965126X
- Juri Hälker: Betriebsräte in Rollenkonflikten. Betriebspolitisches Denken zwischen Co-Management und Gegenmacht., 2004, Rainer Hampp Verlag, ISBN 3-87988-800-0, OnlineText im Internet.
- Hälker, Juri/Vellay, Claudius (Hrsg.): Union Renewal. Gewerkschaften in Erneuerung. Texte aus der internationalen Gewerkschaftsforschung. Edition der Hans-Böckler-Stiftung 2006, ISBN 3865930581, Onlinetext im Internet
- Geraldine Healy (Hrsg.), Edmund Heery (Hrsg.): The Future of Worker Representation (Future of Work), 2004, ISBN 1403917590
- Walther Müller-Jentsch: Soziologie der Industriellen Beziehungen. Eine Einführung, 1997, Frankfurt/Main:Campus
- Oskar Negt: Wozu noch Gewerkschaften? Eine Streitschrift. Göttingen, 2005.
- Philip Yale Nicholson: Die Geschichte der Arbeiterbewegung in den USA, 2006, vorwaerts buch, ISBN 3-86602-980-2
- Schroeder, Wolfgang / Weßels, Bernhard (Hrsg.): Die Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch. Opladen, 2003. ISBN 3-531-13587-2
- Harald Weiss: US-Gewerkschaften verlieren an Einfluss in: VDI-Nachrichten vom 17. Juni 2005, Seite 4, u. a. über die Geschichte der US-Gewerkschaften.
- Rob Sewell: In the Cause of Labour: A History of the British Trade Unions, 1792 - 2003, Well Red Publications (November 2003), ISBN-10: 1900007142, ISBN-13: 978-1900007146
Weblinks
- Industrialisierung / Anfänge der Gewerkschaftsbewegung Volltexte in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn
- Internationale Gewerkschaftsbewegung Volltexte in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn
- Europäische Gewerkschaftsbewegung Volltexte in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn
- Gewerkschaften in Mittel- und Osteuropa Volltexte in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn
- Gewerkschaften in der Dritten Welt Volltexte in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn