Rheinwiesenlager hieß eine Gruppe von etwa zwanzig US-amerikanischen Lagern für weit über eine Million deutsche Kriegsgefangene im Rheinland in der Zeit vom Frühjahr bis Spätsommer 1945.

Die Einrichtung der Lager
Nach dem Scheitern der Ardennenoffensive waren 250.000 deutsche Soldaten und nach der Zerschlagung des Ruhrkessels weitere 325.000 in Kriegsgefangenschaft geraten, nach der Kapitulation waren 3,4 Millionen in US-amerikanischem Gewahrsam. Ursprüngliche hatten Amerikaner und Briten geplant, die Kriegsgefangenen bis zum Zeitpunkt der deutschen Kapitulation nach England zu bringen, wo sie versorgt werden konnten. Als sie nun derartige Massen von Gefangenen machten, schien es einfacher, die Gefangenen in Deutschland zu belassen. Etwa zwanzig Lager wurden längs des Rheins errichtet, auf der linken Flußseite, um den Fluchtweg zurück ins Reich zu erschweren.
Die ersten Lager wurden im April 1945 angelegt, die letzten im Juni 1945. Die Lager wurden nach einem einheitlichen Schema eingerichtet. Am Rande eines Dorfes, das in der Regel einen Bahnanschluss hatte, wurde eine offene Ackerfläche abgegrenzt, die mittels Masten und Stacheldraht in 10 bis 20 Camps für jeweils 5.000 bis 10.000 Mann unterteilt wurde. Durchführende Wege wurden zu Lagerstraßen, angrenzende Gebäude für Verwaltung, Küchen und Krankenreviere genutzt. Die Kriegsgefangenen hatten ihre Feldausrüstung abgeben müssen, sodass ihnen nicht anderes übrig blieb, als sich Erdlöcher zu graben, in die sie sich nachts legen konnten.
Die Kriegsgefangenen
Die interne Verwaltung der Lager wurde von den Amerikanern den deutschen Gefangenen überlassen. Lagerleiter, Lagerpolizei, Ärzte, Köche, Arbeitskommandos, etc. waren von Deutschen besetzte Posten. Nach wenigen Wochen wurden diejenigen aus den Lagern entlassen, die politisch unverdächtig waren: Hitlerjungen und Frauen. Danach wurden bestimmte Berufsgruppen entlassen, die für den Wiederaufbau wichtig waren: landwirtschaftliche Arbeiter, LKW-Fahrer, Bergleute. Ende Juni 1945 wurden einige Lager bereits wieder aufgelöst: Remagen, Böhl-Iggelheim und Büderich. Diese erste Entlassungswelle wurde aber wieder gestoppt. Die SHAEF bot Frankreich, das an die USA mit der Forderung herangetreten war, 1,75 Millionen Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter zu erhalten, die Übernahme der Rheinwiesenlager an. Bis zum 10. Juli 1945 wurden die Lager an die Franzosen übergeben, die Briten hatten die Lager in ihrer Zone bereits bis zum 12. Juni übernommen. Die Kriegsgefangenen wurden nach Frankreich transferiert, soweit sie nicht als arbeitsuntauglich an Ort und Stelle entlassen wurden. Bis ca. Ende September 1945 waren sowohl die britischen als auch die französischen Lager aufgelöst. Lediglich das Lager Bretzenheim bei Bad Kreuznach diente noch bis 1948 für die aus Frankreich heimkehrenden Kriegsgefangenen als Durchgangslager.
Lagerbedingungen und Todesfälle
Die Ernährung und die hygienischen Verhältnisse in diesen Lagern, eingezäunte verschlammte Wiesen unter freiem Himmel, auf denen die Gefangenen mangels Baracken in offenen Erdlöchern lebten, waren schlecht bis katastrophal. Reguläre Soldaten waren durch den Kriegsdienst meist abgehärtet und kamen mit den Bedingungen leichter zurecht. Viele Gefangenen waren aber Jugendliche, Angehörige des Volkssturm, Kriegsversehrte und Verwundete.
Das schlimmste Lager soll Bretzenheim gewesen sein, in dem etwa 103.000 Kriegsgefangene waren. Hier wurden von den Amerikanern Soldaten der Waffen-SS gesammelt. Mit der Bewachung der Lager war die 106th Infantry Division der amerikanischen Armee beauftragt, die auf eine Divisionsstärke von 40.000 Mann aufgestockt worden war und zusätzliche Transporteinheiten erhalten hatte, um Nahrung in die Lager zu schaffen. Die Transportkapazität reichte nicht aus, mit der Organisation der Lager war die Division völlig überfordert, weshalb sie den deutschen Gefangenen überlassen wurde[1]. Versuche des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) den Gefangenen zu helfen, wurden von den Amerikanern abgewehrt, dem IKRK wurde der Zutritt zu den Lagern verwehrt, da es seitens der US-amerikanischen Besatzungsmacht nicht erwünscht war, Abgesandte des IKRK die Zustände in den Lagern sehen zu lassen .[2] Dazu kam, dass die Lebensmittelrationen der deutschen Zivilbevölkerung im Frühjahr 1945 bei ungefähr 1.000 Kalorien lagen, nicht einmal die Hälfte der zum Leben notwendigen Menge.
Im April und Anfang Mai 1945 war die Versorgung nur unregelmäßig und reichte nicht, danach besserte sie sich langsam. Erst im Juni gab es ausreichende Essensportionen. Im Verlaufe von Mai und Juni erhielten alle Lager Latrinen, Küchen und Krankenreviere. Dreck, Nässe, Unterernährung und unhygienische Umstände führten zu Krankheiten. Der Ausbruch von Seuchen wurde von den Amerikanern verhindert, indem sie das Trinkwasser chlorierten, alle Gefangenen mit DDT entlausten und reichlich Seife und Toilettenpapier zur Verfügung stellten[3]. Die Todeszahlen wurden so in Grenzen gehalten. 4.537 Tote wurden von umliegenden deutschen Gemeindeverwaltungen gemeldet, die US-Stellen gaben 3.053 Tote an. [4]Die gründlichste Untersuchung über die Todeszahlen wurde von der nach ihrem Leiter Erich Maschke benannten Maschke-Kommission veröffentlicht, die im Auftrag des Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte die Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen wissenschaftlich untersuchte[5]. Die Lager mit der höchsten Sterblichkeit waren:
- Bad Kreuznach (Lager Galgenberg und Bretzenheim)
- Sinzig bei Remagen
- Rheinberg
- Heidesheim
- Wickrathberg
- Büderich
In diesen sechs Lagern sind ca. 5.000 von 500.000 Insassen ums Leben gekommen. Rechnet man diese Zahlen auf die ca. 1.000.000 Gefangenen hoch, ergibt sich eine mögliche, aber nicht belegte Zahl an Gesamtverlusten von ca. 10.000 Menschen. Eine neuere Untersuchung für die beiden Remagener Lager, in der ein Drittel aller Gefangenen war, bestätigt dieses Ergebnis und schließt höhere Todeszahlen für diese Region aus [6]. Als jeweils niedrigste und höchste Schätzung der Opfer nennt der US-amerikanische Historiker Arthur L. Smith die Zahlen 8.000 und 40.000. Er verweist darauf, es sei heute eindeutig belegt, dass der nach Kriegsende zunächst fragliche Verbleib von 1 Million der als vermißt gemeldeten deutschen Soldaten sich durch deren Tod im Osten erklärt. [2]
Disarmed Enemy Forces
Bereits im März 1943 bestand in den USA die Befürchtung, nach einer Invasion und dem anschließenden Sieg die deutschen Kriegsgefangenen nicht ernähren zu können. Davon ausgehend wurde im Stab des Oberbefehlshabers Dwight D. Eisenhower beschlossen, die Gefangenen nicht gemäß der Genfer Konvention von 1929 zu behandeln, sondern als „Disarmed Enemy Forces (DEF)“. Damit sollten ihnen die völkerrechtlich garantierten Rechte von Kriegsgefangenen vorenthalten werden. So schreibt der renommierte Autor Rüdiger Overmans:
„Die Fortsetzung der deutschen Argumentation hätte nun darin liegen können, aus dem Ende der Existenz eines Staates auch zu schließen, dass dieser keine Soldaten mehr habe und daher die Kriegsgefangenen automatisch ihren Status verlören. So weit zu gehen blieb den Westalliierten vorbehalten, als sie bei Kriegsende 1945 deutsche Kriegsgefangene mit dieser Begründung zu ‚Disarmed Enemy Forces‘ erklärten. [Die Wehrmacht hingegen beließ den verbleibenden polnischen Kriegsgefangenen ihren Status. Selbst als vorgeschlagen wurde, die Soldzahlungen für polnische Offiziere zu vermindern oder gar einzustellen, weil ja nach Kriegsende kein polnischer Staat die Ausgaben ersetzen würde, lehnte das OKW mit einem charakteristischen Argument ab: Ein solches Abweichen von den Genfer Konventionen könne zu Repressalien seitens Großbritanniens oder Frankreichs führen.]“
DEF sollten gefangene ehemalige Soldaten eines nicht mehr existierenden Staates genannt werden. Als DEF deklarierte deutsche Einheiten sollten organisatorisch intakt gehalten und als Arbeitskräfte für die amerikanische Armee eingesetzt werden. Einen ähnlichen neuen Begriff wie DEF hat die deutsche Wehrmacht mit dem Militärinternierten für die gefangenen italienischen Soldaten geschaffen. Militärinternierte wurden zur Zwangsarbeit verwendet und galten nicht als Kriegsgefangene [7] [8] [9] [10]. Außerdem beschlossen die USA und Großbritannien 1943, jeweils die Hälfte der Gefangenen zu übernehmen. Diese Rahmenbedingungen bestanden auch noch 1945. Als aber die Alliierten den Rhein überschritten hatten, stieg die Zahl der Gefangenen in einem solchen Maßstab an, dass die Briten sich sträubten, ihren Anteil zu übernehmen. Die USA übernahmen zunächst alle Gefangenen und legten die amerikanischen Rheinwiesenlager an. Von Kritikern wird die anfangs äußerst mangelhafte Versorgung der Lager mit Nahrungsmitteln als Plan der Amerikaner angesehen, der mit dem Status der „Disarmed Enemy Forces“ in Zusammenhang stehe. So behauptet der kanadische Schriftsteller James Bacque, es habe Hunderttausende von Toten in den Rheinwiesenlagern gegeben, die nicht registriert wurden. Grund hierfür sei die von der amerikanischen Armee bewußt in Kauf genommene Mangelversorgung der Gefangenen gewesen [11]. Zur Widerlegung zitiert die Historikerin Brigitte Bailer-Galanda eine Untersuchung von Albert E. Cowdrey, nach der die Zahl der nach den letzten Kampfhandlungen vermissten und nicht als tot registrierten Soldaten 56.285 beträgt. Diese Zahl wäre damit eine Obergrenze für die Zahl der Toten in den Lagern. In dieser Zahl seien aber auch alle Toten enthalten, die während der letzten Kampfhandlungen starben und nicht registriert wurden. Eine dieser Zahl entsprechende Anzahl von Gräbern wurde bei den Lagern bisher nicht gefunden, sodass der Nachweis für Bacques Behauptungen fehlt. Der Status DEF wurde von der amerikanischen Armee im Frühjahr 1946 wieder abgeschafft und durch prisoner of war (POW) ersetzt.
Auch Arthur L. Smith weist die Einschätzung Bacques zurück, und stellt fest, dass das von Amerikanern verursachte Leiden und die oft zum Tode führende schlechte Behandlung der deutschen Kriegsgefangenen in den Rheinlagern ein Kriegsverbrechen gewesen sei, das in keiner Weise als Folge des Krieges erklärbar sei, "ein schändliches Kapitel" in der Geschichte und von der US-Regierung nie untersucht wurde. [2]
Liste der Rheinwiesenlager
(Aufzählung von Nord nach Süd)
Quellen
- ↑ Kurt W. Böhme,Die deutschen Kriegsgefangenen in amerikanischer Hand, München 1972, S. 105
- ↑ a b c Arthur L. Smith, Die "vermißte Million". Zum Schicksal deutscher Kriegsgefangener nach dem Zweiten Weltkrieg, Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Band 65, S. 39 / S. 49, S. 86, im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte hrsg. von Karl-Dietrich Bracher, Hans-Peter Schwarz, Horst Möller, Oldenbourg Verlag München 1992, ISBN 348664565X
- ↑ Richard Ernest Dupuy, St. Vith: Lion in the Way, The 106. Infantry Division in World War II, Nashville 1949, ISBN 0-89839-092-3, S. 227
- ↑ Deutsche (O) / Kriegsgefangene im Westen nach 1945. In: Gunnar Heinsohn: Lexikon der Völkermorde, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1999, ISBN 3-499-22338-4.
- ↑ Kurt W. Böhme, Die deutschen Kriegsgefangenen in amerikanischer Hand, München 1972, S. 204)
- ↑ Kurt Kleemann, Die Kriegsgefangenenlager Remagen und Sinzig 1945 aus der Sicht kommunaler Aktenbestände, Jahrbuch für Westdeutsche Landesgeschichte, (20), 1994, S. 52
- ↑ Rüdiger Overmans: Die Rheinwiesenlager 1945. In: Hans-Erich Volkmann (Hrsg.): Ende des Dritten Reiches – Ende des Zweiten Weltkrieges. Eine perspektivische Rückschau. Herausgegeben im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes. München 1995. ISBN 3-492-12056-3, S. 277.
- ↑ Günter Bischof "Is the Abuse of POW's Under American Control Unprecedented?"
- ↑ Brigitte Bailer-Galanda Eisenhower und die deutschen Kriegsgefangenen "Die Kriegsgefangenen"
- ↑ Eckehard Zimmermann: Internierungslager in der amerikanischen Besatzungszone. In: Franz W. Seidler/Alfred M. de Zayas (Hrsg.): Kriegsverbrechen in Europa und im Nahen Osten im 20. Jahrhundert, Mittler. Hamburg, Berlin, Bonn 2002. ISBN 3813207021.
- ↑ James Bacque, Verschwiegene Schuld. Die alliierte Besatzungspolitik in Deutschland nach 1945, Pour le Mérite Verlag, Selent 2002, ISBN 3-932381-24-6
Weblinks
Literatur
- Rüdiger Overmans: Die Kriegsgefangenenpolitik des Deutschen Reiches 1939 bis 1945. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 9/2. München 2005.
- Rüdiger Overmans: Die Rheinwiesenlager 1945. In: Hans-Erich Volkmann (Hrsg.): Ende des Dritten Reiches – Ende des Zweiten Weltkrieges. Eine perspektivische Rückschau. herausgegeben im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, München 1995, ISBN 3-492-12056-3.
- Brigitte Bailer-Galanda: Eisenhower und die deutschen Kriegsgefangenen. Jahrbuch 1997. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien 1997, S. 111–117. (Mit kritischer Auseinandersetzung mit der umstrittenen Darstellung Bacques; http://www.doew.at/thema/thema_alt/rechts/revis/eisenhower.html Rezension]).