Falsifizierbarkeit (Widerlegbarkeit, von lateinisch: falsum = Unwahrheit) ist ein Terminus aus der Wissenschaftstheorie . Die Forderung der Falsifizierbarkeit einer Theorie verlangt, ein oder mehrere Experimente (Tests, Gegenproben) anzugeben, die bei entsprechendem Ausgang diese Theorie bzw. Folgerungen, die sich aus der Theorie ergeben, widerlegen würden.
Definition
Die Begriffe Falsifizierbarkeit (empirische Widerlegbarkeit) und falsifizierbar (empirisch widerlegbar) wurden von Karl Popper erstmals 1933 in die Wissenschaftstheorie eingeführt, um das Problem der Abgrenzung der Wissenschaft von Pseudowissenschaft und Metaphysik zu lösen. Das Problem der Abgrenzung ist von dem Problem, was Wahrheit ist abzugrenzen und diesem auch untergeordnet. Nach Popper und Tarski kann es kein Wahrheitskriterium geben. Popper schlägt demgegenüber die Falsifizierbarkeit als Abgrenzungskriterium für Wissenschaftlichkeit vor:
- Ein Satz (oder eine Theorie) ist dann und nur dann empirisch wissenschaftlich, wenn sie falsifizierbar ist.
Popper betonte, dass Falsifizierbarkeit eine rein logische Angelegenheit sei, die sich nur mit der logischen Struktur von Sätzen (und Klassen von Sätzen) beschäftigt. Sie hat nichts damit zu tun, ob der Ausgang eines Experimentes, das angestellt wird, um eine Theorie zu widerlegen, als Falsifikation anerkannt wird.
Nach Poppers These ist eine Theorie dann falsifizierbar, wenn sich ein Satz formulieren lässt, der mit der Theorie (bzw. einem Basissatz der Theorie) in logischem Widerspruch steht. Es ist wichtig zu betonen, dass nicht gefordert wird, dass dieser Satz wahr sein muss. Er muss aber theoretisch beobachtbar sein. Man spricht auch von einer Falsifikationsmöglichkeit einer Theorie.
Die Anwendung der Falsifikation wird heute vielfach auch in anderer als der von Popper ursprünglich propagierten Form vertreten. Bekanntestes Beispiel ist der von Imre Lakatos als Reaktion auf T.S.Kuhns Kritik an Poppers Philosophie eingeführte Begriff der Forschungsprogamme. Nach Lakatos besteht ein wissenschaftliches Forschungsprogramm aus einem harten Kern an Überzeugungen, der auch weltanschauliche Elemente enthält, und selbst nicht falsifizierbar ist. Dieser Kern muss es aber erlauben ihn durch falsifizierbare Zusatzanahmen zu erweitern, um zu einer vollständigen Theorie zu werden. Eine Falsifikation betriff dann in der Regel nicht den Kern, sondern führt zur Modifikation der Zusatzannahmen. Erst wenn ein solches Forschungsprogramm "degeneriert" ist, d.h. Zusatzanahmen praktisch nach jeder Überprüfung falsifiziert sind und modifiziert werden müssen, steht auch der Kern des Forschungsprogrammes selbst zur Disposition. Allerdings auch dann nur, wenn ein alternatives Forschungsprogramm überhaupt zur Verfügungs steht, da nach Lakatos ein schlechtes Forschungsprogramm immer noch besser ist als gar keines. Ähnliche Wege geht seit den 1970ern auch der wissenschsftstheoretische Strukuralismus.
Beispiele
Zwei praktische Beispiele (von Popper selbst):
- (1)"Alle Schwäne sind weiß" – Diese Theorie ist falsifizierbar, weil sie mit folgender Aussage in logischem Widerspruch steht: "Am 16. Mai 1934 stand ein schwarzer Schwan zwischen 10 und 11 Uhr morgens vor dem Denkmal der Kaiserin Elisabeth im Volksgarten in Wien."
- (2) "Alle menschlichen Handlungen sind egoistisch und jene, die es scheinbar nicht sind, werden aus dem egoistischem Interesse unternommen, nicht als egoistisch zu erscheinen". Diese Theorie ist nicht falsifizierbar, weil es keine Aussage gibt, die mit ihr in logischen Widerspruch treten kann.
Was passiert aber, wenn jemand den Standpunkt bezieht, ein nichtweißer Vogel könne kein Schwan sein, da es für Schwäne wesentlich sei, dass sie weiß sind? Durch diese Definition von Schwan verwandelt sich die Theorie in eine nichtfalsifizierbare, da nichtweiße Schwäne logisch unmöglich (nicht beobachtbar) gemacht werden. Um solche Dinge (die oftmals auf reinen Definitionsstreit hinauslaufen) zu verhindern fordert Popper von einem ernsthaften Wissenschaftler, wenigstens eine, wenn möglich aber mehrere Bedingungen (Falsifikationsmöglichkeiten) zu beschreiben, unter denen er bereit wäre, seine Theorie als falsch anzusehen. Wer von vornherein falsifizierbar denkt, zwingt sich damit zur Klarheit und wird nur begründete Theorien aufstellen. Je mehr gute Gründe es für seine Theorie gibt, desto wertvoller ist sie für die Wissenschaft. Denn selbst wenn diese Theorie widerlegt wird, wissen wir nun sicher, wie es nicht ist. So bringt eine begründete Theorie, wenn sie falsifiziert wird, die Wissenschaft dennoch voran. Je mehr Falsifikationsmöglichkeiten es für eine Theorie gibt, um so stabiler ist sie, wenn die Falsifikationstests negativ verlaufen.
Missverständnis des Begriffes
Der Begriff Falsifizierbarkeit wird in zwei verschiedenen Bedeutungen gebraucht, was gelegentlich zu Missverständnissen führt. Dabei meint Falsifizierbarkeit
- (a) die prinzipielle Möglichkeit eine Theorie zu widerlegen und
- (b) die praktische Durchführbarkeit eines widerlegenden Experimentes.
Es gibt Bereiche, in denen Experimente praktisch schwer durchführbar und damit die Falsifizierbarkeit(b) nicht gegeben ist. So sind in der Astronomie die untersuchten Objekte so weit weg, dass eine direkte Untersuchung oft nicht möglich ist. Die Forderung der Falsifizierbarkeit(a) der Theorien ist aber dennoch gegeben.
Sollte ein Test die Theorie nicht als falsch erweisen, so folgt daraus nicht, dass die Theorie wahr ist. Es besagt nur, dass die Theorie diesem Test standhielt und vorerst keine Notwendikkeit besteht sie zu modifizieren oder zu ersetzen. Ein andersartiger Test kann durchaus zu dem Ergebnis führen, dass die Theorie verworfen weden muss, und durch eine andere Theorie ersetzt werden muss. Dahinter steckt der Gedanke, dass Theorien immer nur eine Annähernung an die "Wirklichkeit" darstellen und wissenschaftlicher Fortschritt darin besteht, diese Annäherung zu verbessern.
Nichtfalsifizierbare(a) Theorien werden nicht abgelehnt, weil sie falsch wären, sondern weil sie keine Aussage enthalten, die sich durch Beobachtung als "wahr" oder "falsch" erweisen läßt. Die Aussagen nichtfalsifizierbarer Theorien begrenzen die Menge der möglichen Beobachtungen nicht. Das ist aber gerade der Sinn der Wissenschaft, zu beschreiben, welche der möglichen Beobachtungen zu erwarten ist. Hier zeigt sich die Bedeutung des Falsifizierbarkeitskriteriums für die Definition des Begriffes Wissenschaftlichkeit, nämlich, dass Wissenschaft Information über die erfahrbare Welt liefern soll.
Beispiele für nichtfalsifizierbare aber verifizerbare Sätze sind sogenannte universelle Existenzsätze. So ist der universell aufgefasste Existenzsatz "Es gibt schwarze Schwäne" nicht falsifizierbar aber verifizierbar. Nicht falsifizierbar ist er, da man, selbst wenn man beliebig viele Schwäne beobachtet hat und keiner davon schwarz ist, nicht ausschliessen kann, dass es doch irgendwo schwarze Schwäne gibt, und sei es auf anderen Planeten oder gar in anderen Universen. Selbst wenn man diesen Existenzsatz als apriori gültig annehmen würde, wäre er mit jeder Beobachtungen vereinbar und enthielte damit keine Information über eine konkret zu erwartende Beobachtung .
Zwar kann man den Satz "Es gibt schwarze Schwäne" durch die Beobachtung "Am 16. Mai 1934 stand ein schwarzer Schwan zwischen 10 und 11 Uhr morgens vor dem Denkmal der Kaiserin Elisabeth im Volksgarten in Wien" verifizieren, aber der so verifizierte universelle Existenzsatz bietet keinerlei zusätzliche Information über diese Beobachtungsaussage hinaus. So werden solche nichtfalsifizierbaren Sätze oder Theorien aus Sicht der heute allgemein akzeptieren wissenschaftstheoretischer Auffassung (Falsifikationismus) als nicht sinnvoll für die empirische Wissenschaft aufgefasst, selbst wenn sie verifizierbar sind.
Alternativ könnte für nicht falsifizierbare(a) Theorien verlangt werden, dass ein absolut korrekter Beweis für die Gültigkeit einer Theorie aufgestellt wird, bevor diese als anerkannte (allerdings dann nicht empirische) Tatsache akzeptiert wird.
Siehe auch: Beweis, Reliabilität, Verifizierung, Pseudowissenschaft, Induktionsproblem
Literatur
- Handlexikon zur Wissenschaftstheorie, dtv 1992 (mit Beiträgen von Karl Popper selbst)
- Logik der Forschung, Karl Popper, Mohr/Siebeck Tübingen, 1994
- Alles Leben ist Problemlösen, Karl Popper, Pieper 2004 (halbwegs allgemeinverständlich)