Deutscher Sprachpurismus

Bestrebungen, die deutsche Sprache von Fremd- und Lehnwörtern freizuhalten
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Unter deutschem Sprachpurismus versteht man Bestrebungen, die deutsche Sprache von Fremd- und Lehnwörtern zu reinigen, indem man sie durch passende deutsche Wörter ersetzt oder neue deutsche Wörter bildet.

Deutsche Sprachpuristen von Zesen, Wolff, Campe

In Deutschland trifft die Bezeichnung Sprachpurismus laut Peter von Polenz eher für die sprachpflegerischen Bemühungen im 17. und 18. Jahrhundert zu. Der seinerzeitige Purismus war nicht nur zwischensprachlich gegen Fremdwörter gerichtet, sondern auch innersprachlich ausgeprägt.

Es gibt hier eine längere Tradition von Sprachpflegevereinen, deren Bemühungen in der Regel neben der Liebe zur deutschen Muttersprache im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts auch eine mehr oder minder national ausgeprägte Haltung als Hintergrund hatten.

Barock und Aufklärung

Die erste deutsche Sprachgesellschaft, die Fremdwörtern entgegenwirken wollte, war die Fruchtbringende Gesellschaft, die 1617 gegründet wurde. Es folgten weitere Sprachgesellschaften mit ähnlichen Zielen.

Pointiert zusammengefasst wurde die Thematik von dem Satiriker Johann Michael Moscherosch (1601–1669):

„Fast jeder Schneider will jetzund leider/ Der Sprach’ erfahren sein und redt latein,/ Wälsch und französisch, halb japonesisch,/ Wann er ist doll und voll, der grobe Knoll./ Ihr bösen Teutschen, man sollt’ euch peitschen,/ Daß ihr die Muttersprach so wenig acht.“

In der Folge kam es immer wieder zu Eindeutschungen insbesondere lateinischer und französischer Begriffe. Die erfolgreichsten Vorschläge stammen besonders von folgenden Sprachpuristen:

  • dem Schriftsteller Philipp von Zesen (1619–1689), dem die deutsche Sprache Begriffe wie „Abstand“ (für „Distanz“), „Bücherei“ (für „Liberey“), Augenblick (für „Moment“), Leidenschaft (für „Passion“) oder „Entwurf“ (für „Projekt“) verdankt.
  • dem Philosophen Christian Wolff (1679–1754), der durch die Eindeutschung lateinischer Fachbegriffe die Grundlage für den Aufschwung der deutschen Philosophie im 18. Jahrhundert legte („Grundlage“ ist eine Bildung Wolffs für lat. fundamentum).
  • dem Schriftsteller, Pädagogen und Verleger Joachim Heinrich Campe (1746–1818), auf den Wörter wie „Altertum“, „Erdgeschoss“ oder „tatsächlich“ zurückgehen.

Andere Neubildungen dieser Männer konnten sich indes nicht durchsetzen („Meuchelpuffer“ für „Pistole“; „Jungfernzwinger“ für „Kloster“). Ob es sich bei dem berühmten „Gesichtserker“ für „Nase“ je um einen ernstgemeinten Vorschlag oder vielmehr um eine Satire auf den Sprachpurismus gehandelt hat, ist unklar.

In vielen Fällen existieren heute sowohl der ursprüngliche als auch der puristische Begriff parallel weiter (wie das bereits erwähnte Paar „Fundament“/„Grundlage“, wobei es gegebenenfalls Bedeutungsunterschiede, Unterschiede in der regionalen Verbreitung und Nutzung (manche Begriffe gelten als regional oder veraltet) oder andere Unterschiede geben kann.

Kritik erfuhr der Sprachpurismus bereits von Johann Wolfgang von Goethe, der sich dafür aussprach, Fremdwörter nicht zu verpönen, sondern produktiv aufzunehmen:

152. Der Purist.
Sinnreich bist du, die Sprache von fremden Wörtern zu säubern,
Nun so sage doch, Freund, wie man Pedant uns verdeutscht.
(aus den Xenien von Goethe und Friedrich Schiller)

19. Jahrhundert

1885 wurde der Allgemeine Deutsche Sprachverein gegründet. Zum Abschnitt des „II. Reiches“ schreiben Autoren der Universität Bristol:

„Als wichtigstes Anliegen der sprachpflegerischen Arbeit im behandelten Zeitabschnitt wird durchweg die Bekämpfung des Fremdwortes herausgestellt, die vor allem mit nationalen Motiven begründet wird: Die Überflutung der deutschen Sprache mit fremden Wortgut wird als ‚geistige Sklaverei‘ und als Ursache für die Beeinträchtigung des Nationalgefühls und Volksbewußtseins gewertet…“

Zeit des Nationalsozialismus

Während der NS-Zeit lebte diese Tradition fort, obwohl bei der Führung (Führererlass vom 19. November 1940) Bedenken bestanden, ein zu starker Purismus könnte zur Rückständigkeit führen. [1] Vermutlich aus ähnlichen Motiven wurden im darauffolgenden Jahr mit dem „Normalschrifterlass“ die „deutschen Schriften“ zugunsten der international gebräuchlicheren Antiqua-Schriftarten zurückgezogen.

Im deutschsprachigen Raum denken manche Menschen bei dem Wort Sprachpurismus mitunter an die Sprachpolitik der Nationalsozialisten. Dabei hatte Adolf Hitler in einem Erlass vom 19. November 1940 „die künstliche Ersetzung längst ins Deutsche eingebürgerter Fremdworte“ ausdrücklich missbilligt.[2] In „Mein Kampf“[3] schreibt Hitler:

Wenn irgend etwas unvölkisch ist, dann ist es dieses Herumwerfen mit besonders altgermanischen Ausdrücken, die weder in die heutige Zeit passen, noch etwas Bestimmtes vorstellen, sondern leicht dazu führen können, die Bedeutung einer Bewegung im äußeren Sprachschatz derselben zu sehen. Das ist ein wahrer Unfug, den man aber heute unzählige Male beobachten kann.

Victor Klemperer beschreibt in seinem Buch „LTI – Notizbuch eines Philologen“ überdies, dass im Dritten Reich gerade Fremdwörter als Mittel der Verschleierung verwendet wurden:

„Ein schön gelehrtes Signum, wie ja das „Dritte Reich“ von Zeit zu Zeit den volltönenden Fremdausdruck liebte: Garant klingt bedeutsamer als Bürge und diffamieren imposanter als schlechtmachen. (Vielleicht versteht es auch nicht jeder, und auf den wirkt es dann erst recht.)“

Gegenwart

In der Gegenwart fühlt sich kaum jemand einem Sprachpurismus verpflichtet. Diese Bezeichnung ist heute ein Anachronismus. Die Bemühungen um fremdwortarmes Deutsch werden eher der Sprachkritik und Sprachpflege zugerechnet, der sich mehrere Sprachvereine widmen.


Siehe auch

Literatur

  • Peter von Polenz: Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart: 17. und 18. Jahrhundert, Band 2, de Gruyter Berlin-New York 1994, 498 Seiten.
  • Sprachgeschichte und Sprachkritik, Festschrift für Peter von Polenz zum 65. Geburtstag, de Gruyter, Berlin 1993

Quellen

  1. http://eis.bris.ac.uk/~gexnl/teaching/purism/adsv.html
  2. Erlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, in: Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Amtsblatt 6 (1940), S. 534.
  3. Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1