Ritterkanton Kraichgau

Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 29. Mai 2007 um 17:28 Uhr durch Castellan (Diskussion | Beiträge) (Turniergesellschaft Zum Esel). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Als Ritterkanton Kraichgau wird eine Gruppe von ritterlichen Adelsfamilien im Kraichgau bezeichnet, die seit dem hohen Mittelalter als Dienstmannen der Staufer oder des Bistums Worms in die Ministerialität aufgestiegen waren und bis zur Mediatisierung der Ritterschaft bzw. der Regionalfürstentümer zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Lehensherrschaft über zahlreiche Ortschaften und Güter im Kraichgau und angrenzenden Gebieten inne hatten. Die Familien (von Gemmingen, von Neipperg, von Helmstatt u.a.) standen über Generationen in verwandtschaftlichen Beziehungen und waren bereits seit dem 14. Jahrhundert in der „Turniergesellschaft zum Esel“ vereint, später in der „Bruderschaft des Kraichgauer Adels“ und ab 1547 im „Ritterkanton Kraichgau“ des Schwäbischen Ritterkreises. Die Kanzlei des Kantons befand sich ab 1619 in der Reichsstadt Heilbronn. Die reichsritterschaftlichen Fürstentümer und damit auch der Ritterkanton Kraichgau wurden 1806 aufgelöst. Unter Pfalzgraf Philipp erfolgte jedoch eine zunehmende Distanzierung der Kraichgauer Ritter von den Pfalzgrafen.


Kraichgauer Ritterschaft

Die Kraichgauer Ritter görten zu den kleinsten Gebilden, die sich in unmittelbarer Stellung zum Kaiser behaupteten und sich dadurch dem Zugriff eines Ladesfürsten entzogen. Dennoch gerieten sie immer mehr in das Interesse der Landesfürsten, insbesondere der Heidelberger Pfalzgrafen. So verstanden es die Pfalzgrafen durch geschickte Lehnspolitik die Kraichgauer Ritterschaft über 180 Jahre eng an sich zu binden Die Kraichgauer Ritter bildeten auch den Kern des wittelbachischen Rates in Heidelberg. Den Rittern wiederum, die häufig auch in den Diensten der Pfalzgrafen standen, entzogen sich damit weitergehenden Ansprüchen der Landesfürsten. Auch gelang es den Kraichgauer Ritteradel, sich über die Bischofswürden unter die Reichsfürsten zu reihen. So stellten alleine die Helmstatt zwischen 1396 und 1504 insgesamt 86 Jahre den Bischof in Speyer und die Gemmingen stellten mit Uriel um 1510 den Erzbischof zu Mainz, damit zugleich Kurfürst und Erzkanzler und somit nach dem Kaiser den zweiten Mann im Reich. Dies begünstigte auch die Besetzung weitere wichtiger Stellen mit Personen aus diesen Adelsgeschlechtern. Seit dem 14. Jahrhundert gelang den Speyerer Domkapitel zu dominieren und andere Adelsgruppen dort zu verdrängen. Erst mit der Konfessionalisierung endete diese Tradition.

Turniergesellschaft Zum Esel

 
Fahnenjungfrau der Turniergesellschaft Zum Esel Wappenbuch um 1450

Vorläufer des Ritterkantons war die ritterliche Turniergesellschaft Zum Esel, eine Ritter- und Turniergesellschaft auf gesellig-gesellschaftlicher Basis, zum gegeseitigen Schutz und einem Friedensgebot untereinander, die vom Vereinigungsverbot in Art. 15 der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. aus dem Jahr 1356 ausgenommen war und wie die meisten Ritterbünde des späten Mittelalters keine hoheitsrechtlichen Aufgaben wahrnahm. Dennoch war die Gesellschaft für die Reichsritter so wichtig, dass keine der Leitfamilien aus dem Gebiet Kraichgau, Odenwald und Taunus darin fehlte.

Da Karl IV. den „Briefadel“ (die Verleihung des Adels per Diplom) eingeführt hatte, grenzte sich der Turnieradel durch die Forderung nach geblütsrechtlichen Voraussetzungen (üblicherweise vier aus ebenbürtiger Heirat hervorgegangene Großeltern) vom Neuadel ab. Die Turniergesellschaften benannten sich häufig nach Tieren. Die erste Turniergesellschaft Zum Esel ist 1387 in der Wetterau und am unteren Main nachgewiesen, das Wappentier ist der christlichen Symbolik entnommen. Diese Gesellschaft spaltete sich vermutlich auf, da im Jahre 1414 ein Bundesbrief der Gesellschaft Zum niederen Esel u.a. von sechs Mitgliedern der Herren von Helmstatt unterzeichnet wurde, zeitgleich aber auch eine Gesellschaft Zum oberen Esel auf den Plan trat. Der „obere Esel“ wurde stehend, der „niedere Esel“ liegend dargestellt.

Die Mitglieder trafen sich jeweils zweimal im Jahr zu Sitzungen im Heidelberger Rathaus. Der Gesellschaft stand ein auf ein Jahr gewählter (Tunier-)König vor, der Turniervögte, Herolde und Vorreiter ernannte. Die Bestimmungen sahen vor, dass Ritter mit Mehrheitsbeschlüssen aufgenommen werden konnten. Könige oder Grafen dagegen durften nur einstimmig aufgenommen werden, da bei ihnen die Gefahr bestehen konnte, dass sie Rechte der Ritter beschränkten. Ein Eintritt in eine andere Gesellschaft war – solange die Mitgliedschaft beim Esel andauerte – untersagt. Über die Zusammenkünfte wissen wir heute wenig, jedoch muß die Repräsentation sehr aufwendig gewesen sein. Die Statuten der Gesellschaft sahen eine einheitliche Tracht vor, welche zwingend vorgeschrieben war. Wir sollen auch alle jhar glich gesellen röckhe miteinander tragen, als wir der zu rhatt werden zu machen in unserm capitel. Die Farben dieser Tracht wechselten aber öfter, jedoch durfte der Esel als Zeichen der Gesellschaft nie fehlen. Als 1478 die prächtigen Stickereien auf den Gesellenröcken entfiehlen, mußte jeder ein silberin halsbandt nach der alten form machen lassen, daran der esel hang. Jedoch hatte zu diesem Zeitpunkt die Gesellschaft schon einige zeit nicht mehr getagt und vermutlich waren auch die Farben und Formen teilweise in Vergessenheit geraten. Möglicherweise weil seit den Statuten von 1455 diese oft eigenmächtig verändert wurden und eine innere Krise der Gesellschft sich abzeichnete. irsahl und zwitracht hatten zum Austritt von Gesellen geführt. Vermutlich zur Förderung des Zusammhalts, sollten die Mitglieder ihr Halsband nuhn nicht nur zu den zisammenkünften der Gesellschaft tragen, sonderen auch zu den hofen bzw. zu torneyen, auch by den fürsten, versamblungen der ritterschaft, zu den höfen und allen unsern capiteln. Es wird vermutet, dass der Konflikt in den Jahre 1460-1464 zwischen dem Pfalzgrafen und seinen kaisertreuen Nachbarn ( siehe auch Mainzer Stiftsfehde und Schlacht bei Seckenheim) die adelige Ritterschaft, mit ihren vielfältigen Verpflichtungen, bis in die einzelnen Familien hinein entzweite und ihr gemeinsames Auftreten verhinderte. Nach dem Tod des badischen Markgrafen Karl I.) schien die Gesellschaft jedoch wieder aktiv zu werden. Sie formierte sich neu, wobei jetzt allerdings nicht mehr alle Familien des pfälzischen Einflußbereiches ihr angehörten.

Auch die Gesellschaft "zum oberen Esel" schien 1471 nicht mehr aktiv zu sein, gleichwohl gibt sich Gesellschaft 1478 neue Statuten. Darstellungen aus jener Zeit die Mitglieder betreffend lassen eine eine starke Ähnlichkeit zur der "Eselstracht" erkennen, wenngleich statt des Esels, ein mehrteiliges Diadem am Halsband getragen wird.

1481 richtete die Turniergesellschaft ein Ritterturnier in Heidelberg aus, an dem u.a. Hans von Helmstatt zu Grumbach als Turnierreiter teilnahm. Die letzte reguläre Zusammenkunft war am 11. Januar 1490 mit nur 12 Rittern. Letzter auf ein Jahr gewählter „König“ der Gesellschaft war 1490 Erhard von Helmstatt († 1514).

Bruderschaft des Kraichgauer Adels

 
Reichesritterlicher Kantonskalender, Archiv Burg Hornberg. Stich, 167 x 85 cm

Am 1. Februar 1490 schlossen sich sieben der zwölf letzten Mitglieder der Eselsgesellschaft der Bruderschaft des Kraichgauer Adels an.

Kaiser Friedrich III. gründete 1488 den Schwäbischen Bund und wollte die Kraichgauer Ritterschaft in diesen einbeziehen. Da jedoch auch die Kurpfalz das Kraichgau als ihr Interessengebiet betrachtete, blieb der Kraichgauer Adel gleichermaßen unabhängig, protestantisch und doch reichsunmittelbar. Bis 1542 konnte sich die Kraichgauer Ritterschaft auch kaiserlicher Besteuerung entziehen. Danach galt nur noch als reichsfreier Ritter, wer den „Gemeinen Pfennig“ als Steuerbeitrag entrichtete. Über den Einzug der Steuern wachten königliche Kommissare, zu denen der römische König Ferdinand, Bruder Karls V., aus den Reihen der Kraichgauer Ritter gleich vier ernannte: Philipp von Helmstatt († 1563), Bernhard Göler von Ravensburg, Wolf von Gemmingen und Reinhard von Sachsenhausen. Diese können als Kernzelle des späteren Ritterkantons angesehen werden. Die Rittertage des „Ritterorts“ fanden zunächst an wechselnden Orten statt: erstmals 1542 in Bretten, ab 1544 in Wimpfen.

Ritterkanton Kraichgau

Die kleine Kraichgauer Ritterschaft fühlte sich zunehmend unsicher gegenüber dem mächtigen Kaiser. Als dieser dann auch noch die Reichsritter wegen der aufkommenden Türkengefahr besteuern wollte, kam es 1542 zur erneuten Gründung einer Kraichgauer Organisation. Kurze Zeit später bewilligten sie jedoch die "Türkensteuer". Gemeinsam mit Palzgraf Friedrich II. bekannte sich der Kraichgauer 1544 zum evangelischen Glauben. Seit dem Reichstag in Worms 1545 bestand Kontakt mit dem Ritterkreis Schwaben, der vom Haus Württemberg geführt wurde. Nach der Niedelade des Schmalkaldischen Bundes 1547, orientierten sie sich aber wieder zunehmend nach dem altgläubigen Kaiser um den Status der Reichsunmittelbarkeit nicht zu verlieren.

Die freie Reichsritterschaft in Südwestdeutschland gliederte sich seit dem 16. Jahrhundert in einen rheinischen, fränkischen und schwäbischen Ritterkreis, der sich wiederum aus verschiedenen Kantonen zusammensetzte. Nach Verhandlungen in Augsburg und Ulm traten die ersten Kraichgauer Ritter 1547 dem Ritterkreis Schwaben bei und bildeten darin den Ritterkanton Kraichgau. Seit 1619 befand sich die Kanzlei des Kantons in Heilbronn. Auch die so organisierte Ritterschaft hatte übrigens keine hoheitsrechtlichen Aufgaben, ihre Tätigkeit ist vielmehr als Interessenvertretung der Ritter gegenüber Kaiser, Fürsten und Freien und Reichsstädten zu sehen.

Im Jahr 1790 gehörten dem Ritterkanton Kraichgau folgende Adelsfamilien an:

Der letzte Ritterdirektor des Kantons war Ernst von Gemmingen-Hornberg, der 1795 in das Amt gewählt wurde und es bis zur Auflösung der Reichsritterschaft 1806 bekleidete.

1793 hatte Frankreich das linke Rheinufer annektiert. Zur Entschädigung der betroffenen Fürstentümer nach dem Frieden von Lunéville 1801 sah der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 die Mediatisierung der der geistlichen Fürstentümer und der Reichsstädte vor. Nach Württemberg beschlagnahmte auch Baden 1806 aber ebenso die ritterschaftlichen Güter und löste die Rittervereinigungen damit auf.

Die Kraichgauer Ritterschaft blieb bis in die Gegenwart durch ihren Grundbesitz ein prägender Faktor innerhalb ihres früheren Machtbereichs. Die Freiherren von Gemmingen und die Grafen von Neipperg besitzen ausgedehnte Ländereien und zahlreiche Burgen, Schlösser und Wirtschaftshöfe im Kraichgau. Ein Familienrat aus Mitgliedern der Familien des ehemaligen Ritterkantons Kraichgau verwaltet darüber hinaus bis heute das Kraichgauer Adeliges Damenstift.

Literatur

  • Lotte Kurras: Turnierbuch aus der Kraichgauer Ritterschaft. Kommentar zur Faksimileausgabe des Cod. Ross 711, Belser Verlag 1984