Liberec

Großstadt und Regionalverwaltungssitz im Norden Böhmens in Tschechien; dt.: Reichenberg
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Liberec (deutsch: Reichenberg) ist eine Stadt in Tschechien. Mit 100. 000 Einwohnern ist es die größte und wichtigste Stadt Nordböhmens und Hauptstadt des Liberecky kraj (Reichenberger Bezirk).

Geographie

Liberec liegt im Nordböhmen nicht weit vom Dreiländereck mit Polen und Deutschland in einem Becken, das vom Isargebirge im Nordosten und dem Kamm des Ještěd (dt. Jeschken), des Hausberges der Stadt, im Südwesten begrenzt wird. Durch Liberec fließt die Neiße (Nisa).

Geschichte

Die Gegend um das heutige Liberec gewann im 13. Jahrhundert an Bedeutung, da der Weg vom Zentrum Böhmens zur Ostsee hier durchführte. Die älteste belegte Siedlung der Gegend ist Friedland (Frýdlant), von wo aus die Fürsten, denen unter anderem auch das damalige Reichenberg unterstand, jahrhundertelang herrschten.

Reichenberg wird im Jahr 1352 erstmals urkundlich erwähnt. Ende des 14. Jahrhunderts ist es bereits gut besiedelt.

In den Hussitenkriegen hatten die Hussiten in der Gegend um Reichenberg ihre Stützpunkte gegen die katholische Lausitz. Deshalb fanden hier keine größeren Schlachten statt. Nach dem Ende der Kriege begann eine ruhige Zeit des Aufbaus. Mit dem Entstehen neuerer Siedlungen bildete sich bereits in etwa die heutige Besiedlungsstruktur heraus.

Im 16. Jahrhundert erleben Stadt und Umgebung eine Blütezeit. Die Familie von Rädern, das neue Herrschergeschlecht auf Friedland, fördert den Aufbau der Textilindustrie, einer guten Einnahmequelle in dieser rauen Gegend, in der außer Hanf nicht viel wächst. So wird Nordböhmen zu einem Zentrum der Leinenweberei und der Tuchmacherei.

Reichenberg entwickelt sich in dieser Zeit vom Dorf zur größeren Siedlung. 1577 wird es von Kaiser Rudolf II. zur Stadt erhoben und erhält das Stadtwappen, das zwei Türme und ein Rad (das Symbol derer von Rädern) enthält.

Nach der Schlacht am Weißen Berg 1620 wird der Fürst von Rädern enteignet, da er auf seiten der protestantischen der Opposition gegen das Haus Habsburg gestanden war. Die Ländereien um Reichenberg werden Albert von Waldstein zugesprochen. Dieser sorgt dafür, dass seine eigenen Ländereien von den Kampfhandlungen des Dreißigjährigen Krieges zunächst weitgehend verschont bleiben. Er verhilft der Gegend zu einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung, die ihm Waffen und starke und wohlgenährte Söldner beschert. Für die so aufgestellten Heere bekommt er wiederum neue Ländereien.

Bei der Aufteilung von Waldsteins Besitz nach seiner Ermordung 1634 fällt die Gegend um Fiedland der italienischen Familie Gallas zu. Jetzt werden Reichenberg und Umgebung durch duchziehende Armeen stark in Mitleidenschaft gezogen. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges emigrieren besonders aus dem Grenzgebiet viele Adelige ins protestantische Sachsen, da für sie in Böhmen nur die katholische Konfession zugelassen ist. Es dauert etwa 70 Jahre, bis sich die Gegend von diesen Schlägen wieder erholt hat.

In der Zeit des Frühkapitalismus entstehen aus vielen Handwerksbetrieben Manufakturen. Aus dem Landesinneren kommen tschechischsprachige Menschen auf der Suche nach Arbeit in die Industriegebiete des Nordens. So entwickelt sich aus dem deutschen Reichenberg in dieser Zeit der tschechische Namen Liberec.

Im 19. Jahrhundert begünstigen die vielen Flüsse in der bergigen Gegend, die nun als Engergiequelle genützt werden können die Entwicklung von Fabriken. Neben Textilfabriken entstehen bald auch welche, wo Maschinen für die Textilerzeugung hergestellt werden. Nicht zuletzt dank der von Johann Liebig aufgebauten Textilana entwickelt sich Reichenberg/Liberec zu einer der wichtigsten Industriestädte Österreich-Ungarns. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhunderts ist es die zweitgrößte Stadt Böhmens und tritt auch auf kulturellem Gebiet in Konkurrenz mit Prag. So hat etwa kurz nach der Eröffnung des Nationaltheaters in Prag 1893 auch Reichenberg sein Theater. Die Unternehmer bauen sich prachtvolle Villen. Das 1603 erbaute Renaissance-Rathaus wird zu klein und so wird nach Plänen von Franz von Neumann zwischen 1888 und 1893 ein neues gebaut. Seine Ähnlichkeit mit dem Wiener Rathaus hat der Stadt den Beinamen "Wien des Nordens" eingebracht.

Der 1. Weltkrieg bereitet der "Goldenen Zeit" der Stadt ein jähes Ende. Da Liberec keine Schwerindustrie hat, hat es auch wirtschaftlich durch den Krieg keine Vorteile. Mit der Gründung der Tschechoslowakei verliert die Industrie ihre Märkte in Ungarn und Jugoslawien. Reichenberg kann sich in den zwanziger Jahren dennoch erholen.

Die Weltwirtschaftskrise 1929 führt zu politischen Konflikten. Vor allem der deutsche Teil der Bevölkerung verlangt eine Änderung und setzt dabei auch auf Nationalismus. 1934 gründet Konrad Henlein in Reichenberg/Liberec die Sudentendeutsche Heimatfront, die 1935 in Sudetendeutsche Partei umbenannt wird. Mit der Vereinigung der Sudetengebiete mit dem Deutschen Reich wird Reichenberg zur administrativen Hauptstadt des Sudetenlandes.

1945 wird die großteils deutschsprachige Bevölkerung aus Liberec vertrieben.

Während der Niederschlagung des Prager Frühlings kommen in der Stadt neun Menschen ums Leben, die sich den sowjetischen Panzern widersetzen. Eine Gedenktafel mit neun Gliedern einer Panzerkette an der Vorderfront des Rathauses erinnert heute daran.

Nach der Samtenen Revolution von 1989 wird das historische Zentrum der Stadt renoviert und die Infrastruktur, insbesondere die berühmten Straßenbahngeleise, erneuert. Die Textilfabrik Textilana fällt allerdings den verschärften Wettbewerbsbedingungen zum Opfer und steht heute weitgehend leer.