Fetter Text


Der Jüdische Friedhof Währing (auch bekannt als Israelitischer Friedhof Währing) war nach seiner Eröffnung im Jahr 1784 die Hauptbegräbnisstätte der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien. Neben dem Sankt Marxer Friedhof schließlich einem Antrag der Grünen im Gemeinderat zu, die ärgsten Schäden und Gefahren auf dem Friedhof durch die Stadt Wien (Stadtgartenamt) beseitigen zu lassen. Um das Areal langfristig sanieren und erhalten zu können, setzt die Gemeinde Wien jedoch stark auf eine Beteiligung des Bundes. Nationalratspräsidentin Barbara Prammer plant mit einer Arbeitsgruppe aus Vertretern von Bund, Ländern und Gemeinden die Erarbeitung einer gesamtösterreichischen Lösung.[1]
Friedhofsanlage und Gräber
Friedhofseinteilung
Betritt man den Friedhof durch das Eingangstor in der Schrottenbachgasse, so befindet sich links vom Eingang direkt an der Straße die ehemalige Verabschiedungshalle (Tahara). Dabei handelt es sich um einen spätklassizistischen Bau von Joseph Kornhäusel. Der Bau ist heute straßenseitig zugemauert, in seiner Grundsubstanz jedoch gut erhalten. Links vom Eingang gesehen befindet sich der alte, ursprüngliche Teil des Friedhofes, der vom später hinzugekauften Teil durch eine Lindenallee getrennt ist. Auf dem älteren Teil des Friedhofes befinden sich die Gräber historisch relevanter Personen wie Fanny von Arnstein und der Familie Epstein. Im nördlichen Bereich des Friedhofes liegt auf beiden Seiten der Hauptallee die sephardische Abteilung. Entlang der Hauptallee selbst befinden sich die Priestergräber (Kohaniter). Im neueren Friedhofsteil wurden vor allem Menschen aus ärmeren Schichten begraben, deren Grabsteine aufgrund billigerer Materialien viel stärker von der Verwitterung betroffen sind. Hier befindet sich auch eine Abteilung, in der Kleinkinder sowie Mütter, die im Kindbett gestorben waren, beerdigt wurden. Die Familiengrüfte der geadelten Juden sind hingegen entlang der Friedhofsmauer im nördlichen Friedhofsteil angeordnet.[2]
Sephardische Abteilung
Im 18. Jahrhundert war es Juden prinzipiell nicht erlaubt, sich in Wien niederzulassen. Eine Ausnahme bildeten die sephardischen Juden aus dem Osmanischen Reich, denen der Aufenthalt als osmanische Untertanen durch den Frieden von Passarowitz gestattet war. Wien wurde durch die Sephardim zu einem wichtigen Zentrum des Orienthandels zwischen dem Osmanischen Reich und sephardischen Gemeinden in Amsterdam, Hamburg oder Kopenhagen. Der Bezug der sephardischen Juden zum Osmanischen Reich spiegelt sich auch in den Grabmälern auf dem Jüdischen Friedhof Währing wieder. Neben der orientalischen Architektur und Ornamentik der Grabstelen nehmen insbesondere die Grabhäuschen einen für Mitteleuropa einzigartigen Stellenwert ein.[2]
Grabmäler bedeutender Persönlichkeiten
Grabmäler der Familie von Arnstein
Fanny von Arnstein (1758–1818) wurde als Tochter des Berliner Rabbiners und Hoffaktors Daniel Itzig geboren. Sie heiratete in eine reiche Wiener Hoffaktoren-Familie ein und konnte sich dadurch als erste Wiener Jüdin die Führung eines eigenen Literarischen Salons im Sinne der Aufklärung leisten. Ihr Palais Arnstein befand sich am Hohen Markt im ersten Bezirk von Wien[3]. Vor allem während des Wiener Kongresses trafen sich im Hause Arnstein prominente Vertreter aus Diplomatie, Wissenschaft, Kunst und Journalismus. Zudem war Fanny von Arnstein Mitbegründerin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.[4] [5] Auch Fanny von Arnsteins Mann, Nathan Adam Freiherr von Arnstein (1748–1838) liegt auf dem Jüdischen Friedhof begraben. Der Bankier, Großhändler und Diplomat erwirkte die Aufhebung der Wohnbeschränkung für Juden.
Die Gebeine Fanny von Arnsteins wurden von den Nazis ausgegraben und für "wissenschaftliche Zwecke" ins Naturhistorische Museum Wien überführt. Dies geschah auch mit mehreren anderen Gräbern. Danach verliert sich die Spur. Bis heute weigert sich das Naturhistorische Museum die Gebeine ausfindig zu machen, um sie dem Friedhof wieder zuzuführen.
Familiengrab Epstein-Teixeira de Matto
Im Grabmal der Familie Epstein wurden die Familienmitglieder des Unternehmers Gustav Ritter von Epstein (1827–1879) beigesetzt. Gustav Ritter von Epstein war ein bedeutender Bankier und war an der Errichtung der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn beteiligt und ließ 1870 an der Ringstraße das Palais Epstein errichten. Durch den Börsenkrach 1873 verlor Epstein jedoch sein Palais.
Grabmal Siegfried Philipp Wertheimber
Das Grabmal des bekannten „tolerierten“ Juden Siegfried Philipp Wertheimber (1777–1836) ist ein wertvolles Grab mit Säulen im ägyptisierenden Stil. Als tolerierte Juden galten Juden, denen der Aufenthalt durch Einzelgenehmigungen gestattet worden war. Diese Genehmigungen wurden durch das Toleranzpatent von Joseph II. ermöglicht. Hatte ein Jude eine derartige Aufenthaltsgenehmigung erhalten, konnten in seinem Haushalt auch zahlreiche als Familienmitglieder deklarierte Menschen Aufenthaltsrecht in der Stadt Wien bekommen. Haushalte von tolerierten Juden umfassten dabei bis zu 200 Personen.[2]
Familiengruft Königswarter
In der Gruft der Familie Königswarter liegt die Familie von Jonas Freiherr von Königswarter (1807–1871) begraben. Königswarter trug als tolerierter Jude den offiziellen Titel „k.k. privilegierter“ Großhändler. Königswarter war Bankier und Präsident der Wiener Kultusgemeinde. Seine Frau Josefine (1811–1861) stand dem israelitischen Frauenverein vor.
Weitere Persönlichkeiten
- Bernhard von Eskeles (1753–1839), Bankier
- Isaak Löw Hofmann (1759–1849), Kaufmann
- Salomon Hermann Mosenthal (1821–1877), Dramatiker
Erhaltungszustand
Da fast sämtliche Verwandte der Begrabenen entweder im Holocaust umgebracht wurden oder ins Ausland emigrieren mussten, gibt es niemanden mehr, der sich um die Gräber kümmern kann. Auch die Israelitische Kultusgemeinde kann auf Grund ihres eingeschränkten Budgets nur in geringem Ausmaß zur Erhaltung beitragen. Da von der Stadt Wien und der Republik Österreich kaum bis keine Mittel zur Erhaltung des Friedhofes zur Verfügung gestellt wurden, ist der Friedhof in einem sehr schlechten Erhaltungszustand. Auf Grund des überalterten Baumbestandes und teilweise offenstehender Gruftanlagen ist ein Besuch des Friedhofes derzeit nur nach Unterzeichnung eines Haftungsverzichts gegenüber der Israelitischen Kultusgemeinde möglich. Die Kosten für die Herstellung eines gefahrlosen Zuganges zur Friedhofsanlage werden vom Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Ariel Muzicant und dem Restitutionsbeauftragten Scholz mit 400.000 bis 800.000 Euro beziffert.[6] Bis auf einen Baumschnitt an den alten Bäumen sind in den letzten Jahren kaum Erhaltungsmaßnahmen gesetzt worden. Teile des Friedhofes sind aufgrund des starken Bewuchses mit Büschen und kleinen Bäumen nicht mehr zugänglich. Zudem führt der Wurzeltrieb dazu, dass Grabsteine verschoben werden und umstürzen. Morsche, herabfallende Äste und umstürzende Bäume zerstören immer wieder weitere Grabsteine. Auch durch Umwelteinflüsse wie sauren Regen, Frost und Bewuchs sind an den Grabmälern des Friedhofes schwere Schäden entstanden. Grabsteine wurden zudem durch rechtsradikale Beschmierungen beschädigt, die insbesondere Sandsteinoberflächen zerstörten. Aus diesem Grund wurden die Umfassungsmauern des Friedhofes von der Kultusgemeinde mit Stacheldraht und einbetonierten Glasscherben gesichert.
Quellen
- ↑ Der Standard, 3./4. März 2007
- ↑ a b c Die Grünen: Der Währinger jüdische Friedhof - Rundgang durch ein verfallenes Denkmal. (PDF) (zuletzt abgerufen am 23. März 2007)
- ↑ Dieter Klein, Martin Knupf, Robert Schediwy (Ed.): Stadtbildverluste Wien - Ein Rückblick auf fünf Jahrzehnte. LIT Verlag, Wien 2005, S. 103
- ↑ * Sabine Krusen: Kurzbiografie von Fanny von Arnstein. In: Scheinschlag Ausgabe 6/2005.
- ↑ Fanny von Arnstein im Österreich-Lexikon von aeiou (zuletzt abgerufen am 23. März 2007)
- ↑ Der Standard, 22. Jänner 2007 [1]
Literatur
- Werner T. Bauer: Wiener Friedhofsführer. Genaue Beschreibung sämtlicher Begräbnisstätten nebst einer Geschichte des Wiener Bestattungswesens. Falter Verlag, Wien 2004, ISBN 3-85439-335-0
- Arthur Goldmann: Nachträge zu den zehn bisher erschienenen Bänden der Quellen und Forschungen zur Geschichte der Juden in Österreich. Wien 1936
- Hermann Wiessner: Die Friedhöfe. In: Arbeitsgemeinschaft "Währinger Heimatbuch" (Hrsg.): Währing. Ein Heimatbuch des 18. Wiener Gemeindebezirkes. Wien 1923, S. 611-639
Weblinks
- Commons: Israelitischer Friedhof Währing – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
- Initiative Währinger Jüdischer Friedhof
- Zeitschrift David Tina Walzer: Der Währinger jüdische Friedhof und seine Erhaltung
- Zeitschrift David Tina Walzer: Der Währinger jüdischer Friedhof. Eine Fotodokumentation
- Der Währinger jüdische Friedhof Rundgang durch ein verfallenes Kulturdenkmal (Infofolder der Wiener Grünen)
- Interview mit der Historikerin Tina Walzer und vier weitere Videos über den Friedhof