Bachem Ba 349

Jagdflugzeug mit Raketenantrieb
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Bachem Ba 349 Natter ist die Bezeichnung eines Raketenflugzeugs zur Flugabwehr („Raketenjäger“), das in der Endphase des Zweiten Weltkriegs von der Firma Bachem 1944/45 entwickelt wurde.

Bachem Ba 349 Natter auf der Kriegsbeuteschau in Farnborough (England). Die Hakenkreuze wurden von den Briten nachträglich aufgemalt.
Der Nachbau der Bachem Natter im Deutschen Museum in München

Hintergrund

Als sich die Kriegssituation 1944 immer weiter gegen Deutschland zuspitzte, sah man sich dort zu neuen Lösungsansätzen herausgefordert, um die zahlenmäßig weit überlegenen alliierten Bomberverbände anzugreifen. Auch stand kaum noch Kapazität auf Flugplätzen zur Verfügung. Daher forderte das Reichsluftfahrtministerium in einer Ausschreibung an die deutsche Luftfahrtindustrie zur Entwicklung eines einfachen, in großen Stückzahlen lieferbaren „Verschleißjägers“ auf. Im Sommer 1944 wurden die eingereichten Entwürfe erstmals gesichtet. Neben bekannten Unternehmen wie Messerschmitt, Junkers, Heinkel und anderen befand sich auch als bisher Unbekannter Erich Bachem. Nachdem die SS die vollständige Entwicklung aller V-Waffen übernommen hatte, war für sie Erich Bachem wider aller Erwartung Außenstehender die erste Wahl. Zuletzt gelang es Heinrich Himmler auch Rüstungsminister Albert Speer, der sich übergangen fühlte, für Bachems Entwurf zu gewinnen.

Aufbau

Die Natter war ein senkrecht startendes Raketenflugzeug, das mit Flüssigtreibstofftriebwerk sowie einer Feststoffstarthilfsrakete ausgestattet war. Aufgrund dieser Konstruktion konnte sie ohne die sonst für Flugzeuge notwendige Infrastruktur schnell und ortsunabhängig starten, da für einen Einsatz nur eine Startrampe benötigt wurde.

Der Rumpf der Natter bestand vorwiegend aus Sperrholz, da Holz der einzige Rohstoff war, über den Deutschland noch in ausreichenden Mengen verfügen konnte. Nach dem Start sollte die Natter schnell die Wolkendecke durchstoßen, um zu den dicht fliegenden Bomberverbänden aufzusteigen und den Gegner dann mit ungelenkten Raketen anzugreifen. Der Pilot wurde nach dem Start durch einen funkleitstrahlgeführten Autopiloten unterstützt und übernahm erst unmittelbar vor dem Angriff auf die Ziele die Steuerung. Weil die Maschine kein Fahrgestell besaß und sich auch durch das Ausbrennen der Raketen der Schwerpunkt so verschob, dass das Flugzeug sich kaum noch steuern ließ, sollte der Pilot nach dem Angriff das Cockpit absprengen und mit dem Fallschirm abspringen. Die wiederverwertbaren Metallteile des Flugzeuges - Front- und Hecksektion sowie das Raketentriebwerk - wurden ebenfalls am Fallschirm zur Erde zurückgeführt, während der zentrale Rumpfbereich mit den Flügeln verloren ging.

Erprobung

Im Keller von Schloß Ummendorf bei Biberach arbeiteten wissenschaftliche Mitarbeiter der technischen Hochschule Aachen unter Leitung von Professor Wihelm Fucks an den vorbereitenden Berechnungen für die Natter. Dafür wurde auch der damals größte und leistungsfähigste Analogrechner, welcher sich im Schloß befand genutzt. Die errechneten Werte wurden mit Modellen in Kleinstwindkanälen für den Hochgeschwindigskeitsbereich untersucht. Fast gleichzeitig erfolgte die Erprobung der Starthilfsraketen auf dem Gelände der Bachem-Werke in Waldsee.

Die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) in Braunschweig übernahm die aerodynamischen Tests. Dabei wurden im Windkanal Geschwindigkeiten von über Mach 0,95 ersprobt, was keinerlei negative Auswirkungen auf die Stabilität erkennen ließ. Zudem wurden verschiedene Leitwerkvarianten entwickelt und erprobt.

Nach Abschluß dieser Entwicklungsarbeit erfolgte ab 3. November 1944 die sogenannte Tragschlepperprobung mit der Mustermaschine BP-20 M1 in Neuburg an der Donau. Die Natter erhielt dazu einen beim Start zurückbleibenden Startwagen und wurde mit einem Schleppseil an eine He 111 gespannt. Bei diesen Versuchen wurde die Natter ohne Starthilfsraketen und ohne Einsatz des eigenen Raketenmotors in die Luft gebracht. Einer der bekanntesten deutsche Versuchspiloten, Erich Klöckler, übernahm die Erprobung der Maschine. Nachdem die He 111 ihre Last problemlos auf 3.000 Meter Höhe gebracht hatte, begann das Testprogramm. Wie Klöckler später berichtete, hatte die Natter bei Geschwindigkeiten über 200 km/h gute Flugeigenschaften. Nur die Schwerpunktlage oder eine ungeeignete Befestigung der Tragseile machen Schwierigkeiten. Zum Abschluß dieses Einsatzes erfolgt der Absprung Klöcklers aus dem Gefährt, der ebenfalls ohne Beanstandungen oder Probleme mit dem Kabinenhaube gelingt.

Bis 27. Januar 1945 dauert die Testserie verschiedener bemannter und unbemannter Tragschlepp- und Mistelschleppflüge. Bis dahin waren auch die unbemannten raketengetriebenen Steilstartversuche (begonnen am 18. Dezember 1944) auf dem Truppenübungsplatz Heuberg bei Stetten am kalten Markt sowie eine Beschußerprobung mit der vorgesehenen Bugbewaffnung beendet.

Die Bedingungen am Heuberg hatten sich für Bachem als ausgezeichnet erwiesen, da der Antransport von seinem Werk in Waldsee nur rund 50 Kilometer betrug.

Der erste bemannte Raketenflug der Welt

Der erste und einzige bemannte Raketenstart mit einer Natter, der M23 am 1. März 1945 endete für den Testpiloten Lothar Sieber tödlich. Als offizielle Unfallursache wurde ein zu schwach dimensioniertes Scharnier an der Kabinenhaube angegeben.

Tatsächliche Ursache war jedoch eine verklemmte Starthilfsrakete, die Sieber nach Funkbefehl über heftige Flugmanöver abschütteln sollte. Die Haube wurde durch Sieber abgeworfen, da er aussteigen wollte, um sich mit dem Fallschirm zu retten, was ihm jedoch per Funk untersagt wurde. Statt dessen sollte Sieber, nachdem er durch diese Manöver in den Wolken die Orientierung verloren hatte, die Maschine mit dem Bremsfallschirm nach dem Austritt aus den Wolken wieder stabilisieren. Dies misslang, da sich der Bremsfallschirm im Heck wegen der verklemmten Starthilfsrakete nicht öffnen konnte.

Die wahre Unfallursache sollte vertuscht werden, um eine sonst fällige Überarbeitung der Konstruktion zu vermeiden. Dabei wurden sogar Bilder retuschiert, um zu verschleiern, dass die Natter mit einem FuG 16-Funkgerät ausgestattet war und Siebert den Befehl erhalten hatte, nicht auszusteigen.

Insgesamt wurden 30 Natter gebaut. 18 davon verwendete man für unbemannte Tests, zwei stürzten ab (eine bei einem Segelflugtest, eine wie oben beschrieben), sechs wurden nach Kriegsende verbrannt und vier wurden von den Amerikanern erbeutet.

Startrampen

Wegen der fortschreitenden Kriegsereignisse und des fehlgeschlagenen Testflugs gab es schließlich keine Kriegseinsätze der Natter, obwohl hierfür bei Kirchheim unter Teck nahe der Autobahn drei Startstellen errichtet wurden. Diese Startstelle sind im Waldgebiet Hasenholz angesiedelt. Die GPS -Koordinaten der drei Startrampen sind: N 48°37'37,9" O 009°29'57,6" ; N 48°37'42,3" O 009°29'53,8" und N 48°37'42,1" O 009°29'58,5" . Alle drei sind in gutem Zustand und frei zugänglich.

Seit 1980 befindet sich in der Nähe der Abschußstelle am Ochsenkopf auf dem Gelände des damaligen Truppenübungsplatzes Heuberg ein großer Gedenkstein mit dem Modell einer Natter. Die betonierte Fläche der Abschußstelle ist dort ebenfalls erhalten.

Ein Nachbau der Natter kann im Deutschen Museum in München besichtigt werden.

Technische Daten

  • Abmessungen
    • Spannweite: 3,60 m
    • Länge: 6,10 m
    • Höhe (im Flug): 2,25 m
    • Tragflügelfläche: 2,75 m²
  • Massen
    • maximale Startmasse: 2.200 kg
  • Triebwerk
    • ein Raketentriebwerk Walter 109-509A-2 (1.700 kp, 16,671 kN) mit 70 sek Brenndauer
    • vier Starthilfsraketen (abwerfbar) Schmidding 109-533 (1.200 kp, 11,768 kN) mit 10 sek Brenndauer
  • Leistungen
    • Höchstgeschwindigkeit:
      • 1.000 km/h
      • 800 km/h in Bodennähe
    • Steiggeschwindigkeit: ~200 m/s (auf 12 km Einsatzhöhe gerechnet)
    • Anfangssteiggeschwindigkeit: 36,58 m/s
    • Dienstgipfelhöhe: 14.000 m
    • Aktionsradius: 40 km in 12.000 m Höhe
  • Bewaffnung (alternativ)
  1. 33 ungelenkte 55-mm Raketen R4/M "Orkan"
  2. 24 ungelenkte 73 mm RZ-73-Raketen "Föhn"

Literatur

  • Horst Lommel: Der erste bemannte Raketenstart der Welt, Motorbuch Verlag, 2. Auflage 1998, ISBN 3-61301-862-4
  • Horst Lommel: Das bemannte Geschoß Ba 349 "NATTER" : Die Technikgeschichte, VDM, ISBN 3-92548-039-0
  • Roger Ford: Die deutschen Geheimwaffen des Zweiten Weltkriegs, Nebel, ISBN 3-89555-087-6
  • Horst Lommel: Vom Höhenaufklärer bis zum Raumgleiter - Geheimprojekte der DFS 1935 – 1945, Motorbuch Verlag, 1. Auflage 2000, ISBN 3-613-02072-6

Siehe auch

Commons: Bachem Ba 349 – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien