Das liskovsche Substitutionsprinzip ist ein Kriterium in der objektorientierten Programmierung, das angibt, wann ein Datentyp als Unterklasse eines anderen Typs modelliert werden soll. Es wird von vielen als das einzig gültige Kriterium angesehen.
Das liskovsche Substitutionsprinzip wurde 1993 von Barbara Liskov und Jeannette Wing im Artikel Family Values: A Behavioral Notion of Subtyping formuliert. In einem nachfolgenden Artikel wurde es folgendermaßen formuliert (Übersetzung):
- Sei eine beweisbare Eigenschaft von Objekten des Typs . Dann soll für Objekte des Typs wahr sein, wobei ein Untertyp von ist.
Die programmiersprachlichen Mittel zur Umsetzung dieses Prinzips sind Polymorphismus und Dynamisches Binden.
Das Problem
Ein wichtiges Element objektorientierter Programmierung ist die Vererbung: Eine Klasse (die Unterklasse) wird von einer anderen Klasse (ihrer Oberklasse) abgeleitet und erbt dabei ihre Methoden und Datenelemente. Dabei können neue Datenelemente hinzugefügt sowie Methoden hinzugefügt oder ersetzt werden.
Dies führt zur Frage, unter welchen Umständen die Beziehung zweier durch Klassen modellierter Begriffe durch Vererbung beschrieben werden sollte, bzw. was Vererbung über die Beziehung der Oberklasse zur Unterklasse aussagt. Diese Frage wird normalerweise beantwortet mit: Vererbung beschreibt eine ist-ein-Beziehung. Eine typische Hierarchie von Objekten in einem Grafikprogramm könnte z.B. aus einer Oberklasse GrafischesElement und davon abgeleiteten Unterklassen wie Rechteck, Ellipse oder Text bestehen. Beispielsweise wird man die Ableitung der Klasse Ellipse von der Klasse GrafischesElement begründen mit: Eine Ellipse ist ein grafisches Element. Die Klasse GrafischesElement kann dann beispielsweise eine allgemeine Methode zeichne definieren, die von Kreis ersetzt wird durch eine Methode, die speziell einen Kreis zeichnet.
Das Problem hierbei ist jedoch, dass das "ist-ein-Kriterium" manchmal in die Irre führt. Wird für das Grafikprogramm beispielsweise die Klasse Kreis definiert, so würde man bei naiver Anwendung des "ist-ein-Kriteriums" diese Klasse von Ellipse ableiten, denn ein Kreis ist eine Ellipse, nämlich eine Ellipse mit gleichlangen Halbachsen. Diese Ableitung kann jedoch im Kontext des Grafikprogramms falsch sein: Grafikprogramme erlauben es üblicherweise, die grafischen Elemente zu verändern. Beispielsweise lässt sich bei Ellipsen die Länge der beiden Halbachsen unabhängig voneinander ändern. Für einen Kreis gilt dies jedoch nicht, denn nach einer solchen Änderung wäre er kein Kreis mehr. Hat also die Klasse Ellipse die Methoden SkaliereX und SkaliereY, so würde die Klasse Kreis diese Methoden erben, obwohl ihre Anwendung für einen Kreis nicht erlaubt ist.
Das liskovsche Substitutionsprinzip hingegen funktioniert auch hier. Im vorliegenden Fall würde festgestellt, dass die Aussage "die Achsen können unabhängig voneinander skaliert werden" zwar für die Klasse Ellipse, jedoch nicht für die Klasse Kreis gilt. Wäre jedoch Kreis eine Unterklasse von Ellipse, so müsste nach dem liskovschen Substitutionsprinzip diese Aussage auch für die Klasse Kreis gelten. Daher ist Kreis hier keine Unterklasse von Ellipse.
Zu beachten ist hierbei, dass die Entscheidung jeweils abhängig vom konkreten Fall ist. Ist beispielsweise eine Manipulation der geometrischen Figur nach der Erzeugung nicht vorgesehen, so kann Kreis durchaus von Ellipse abgeleitet sein: Dann ist "die Achsen können unabhängig voneinander skaliert werden" keine Eigenschaft der Klasse Ellipse, und somit muss sie auch keine Eigenschaft von Kreis sein, um Kreis zur Unterklasse von Ellipse zu machen.
Weblinks
- http://citeseer.ist.psu.edu/liskov94family.html CiteSeer-Seite zum Originalartikel
- http://reports-archive.adm.cs.cmu.edu/anon/1999/CMU-CS-99-156.ps Nachfolgeartikel (Quelle des obigen Zitats)