Erwerbsarmut

soziale Klasse
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Working Poor (arbeitende Arme) bezeichnet Menschen, die trotz Erwerbstätigkeit keinen "existenzsichernden Lebensunterhalt" verdienen. Man unterscheidet die Begriffe "arm" und arm trotz Beschäftigung. Als Geringverdiener gilt, wer in einem Vollzeitjob weniger als 67% des mittleren Bruttoeinkommens verdient.

Ursachen

Ursachen von Armut trotz Erwerbstätigkeit sind im Wesentlichen prekäre Arbeitsverhältnisse auf Grund anhaltender Strukturkrisen des Arbeitsmarktes. Merkmale prekärer Arbeitsverhältnisse sind:

Situation in den europäischen Ländern

Europäische Union

Als armutsgefährdet gilt gemäß Definition der Europäischen Union, wenn jemand weniger als 60 % des durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens des Landes zur Verfügung hat (in Österreich: 785 Euro pro Monat).

Deutschland

Im Jahr 1998 lebten in Ostdeutschland 3,9% und im Westen 2,7% der Bevölkerung trotz Erwerbstätigkeit unter der Armutsgrenze. Selbst die Anzahl der in Vollzeit erwerbstätigen Armen beträgt noch über eine Million (nach Strengmann-Kuhn 2003). Nach neuer Norm (siehe oben)waren 1994 15,9% und 2003 18,6% der Vollzeitbeschäftigten Niedriglöhner. Dabei ist im EU-Vergleich der Anteil der working poor an der Gesamtbevölkerung in Deutschland noch am zweitniedrigsten (nach Dänemark). 2006 arbeiteten 4,6 Mio. für einen Stundenlohn unter 7,5€. Es wird aber befürchtet, dass durch die Reformen der sozialen Sicherungssysteme und die Ausweitung der Niedriglohnsegmente auf dem Arbeitsmarkt die Zahl der working poor in Zukunft erheblich ansteigt.

Im September 2005 gab es bereits ca. 900.000 Erwerbstätige mit ergänzendem ALG II-Bezug, die trotz ihres Erwerbseinkommens offiziell als bedürftig gelten. Die Anzahl dieser arbeitenden Armen ist weiterhin steigend. Insofern übernimmt ergänzendes ALG II bereits heute faktisch die Funktion eines gesetzlichen bundesweiten Kombilohnes [1].

Schweiz

In der Schweiz sind Working Poor als "erwerbstätige Personen, die in einem die Armutsgrenze unterschreitenden, d.h. armen Haushalt leben" definiert. Als erwerbstätig in diesem Zusammenhang gelten Personen, welche in einem Arbeitsverhältnis stehen, bei dem sie für mindestens eine Arbeitsstunde pro Woche ein Erwerbseinkommen beziehen, und in einem Haushalt leben, dessen Mitglieder insgesamt mindestens 36 Stunden pro Woche gegen Entgelt arbeiten, und zwischen 20 und 59 Jahre alt sind (Definition nach BFS). Der kumulierte Erwerbsumfang der Haushaltsmitglieder bedeutet nichts anderes, als dass insgesamt für den Haushalt eine Vollzeitbeschäftigung von mindestens 90% besteht.

Im Jahr 2003 betrug der Anteil von Working Poor an der erwerbstätigen Gesamtbevölkerung im Durchschnitt 7.4%, mit steigender Tendenz. Über ein Viertel dieser Personen lebt in einem Haushalt mit mindestens zwei Vollzeitstellen, was von der Politik mit Besorgnis zur Kenntnis genommen wird.

Als besonders armutsgefährdete Gruppen unter den Erwerbstätigen nennt das BFS Einelternfamilien (WP: 20.4%) und kinderreiche Familien (WP: 20.5%), Selbständigerwerbende (13.8%), darunter vor allem die "Ich-AGs", unter denen sich 18.3% Working Poor befinden. Auch Erwerbstätige mit befristeten Arbeitsverträgen oder Verträgen "auf Abruf" (WP: 15.9%) sowie WiedereinsteigerInnen (WP: 10.1%) haben trotz Erwerbstätigkeit ein hohes Armutsrisiko. Daneben korreliert der Ausbildungsstand sowie die Herkunft mit dem Armutsrisiko.

Die Entwicklung der Anzahl Working Poors in der Schweiz geht zum Teil mit der Entwicklung der Erwerbslosenquote - zeitverschoben um 2 bis 3 Jahre - parallel. Das Bundesamt für Statistik sieht einen statistischen Zusammenhang zwischen Arbeitslosenquote und dem Anstieg prekärer Arbeitsverhältnisse, welche ihrerseits wiederum zum Anstieg der Working Poor führen. Diese Zusammenhänge werden durch unabhängige Untersuchungen des seco bestätigt.;

Literatur

  • Wolfgang Strengmann-Kuhn: Armut trotz Erwerbstätigkeit. Analysen und sozialpolitische Konsequenzen. Campus Verlag (Frankfurt) 2003. ISBN 3-593-37087-5
  • Barbara Ehrenreich: Nickel and dimed. Undercover in low-wage USA. (Deutsch: Arbeit poor) Granta Books (London), 2002 ISBN 1862075212

Fußnoten

  1. vgl. nur: Ulrike Winkelmann, Hartz-Ombudsrat will Mindestlohn, taz vom 23.6.2006, S. 5

Siehe auch