Mit Walking Bass (engl. „Gehender Bass“) bezeichnet man im Jazz eine Art der musikalischen Begleitung, bei der ein Bassinstrument, typischerweise der Kontrabass, den Ablauf eines Stückes durch eine rhythmisch gleichmäßige und trotzdem abwechslungsreich gespielte Basslinie vorgibt.
Musikalische Funktionen
Das Prinzip des Walking Bass erfüllt dabei primär folgende Aufgaben:
- Es gibt in "traditionellem Jazz" den meist durchgehenden Beat wieder.
- Es versucht die Harmoniefolgen, die somit bei guten Basslines auch ohne weitere akkordische Begleitung für den Hörer und Mitspieler deutlich werden, zu repräsentieren.
- Es ermöglicht bei einer Besetzung ohne Bass, die Bassfunktionen von einem anderen Instrument darstellen zu lassen, welches somit noch die zusätzliche Möglichkeit hat, Harmonien und/oder Melodien zu spielen. So hat z.B. ein Solopianist bei Anwendung der Walking Bass-Technik die rechte Hand für Akkorde, Fill-ins, und Soli frei.
- Darüber hinaus wird eine gute und musikalisch empfundene Bassline natürlich meist versuchen, die Ideen der anderen Musiker sowohl harmonisch als auch melodisch zu ergänzen, sowie eigene dem Genre angepasste Einfälle und einen eigenen, persönlichen Stil zu entwickeln; d.h. also auch improvisatorisch zu partizipieren.
Entstehung
Wie so viele Phänomene des Jazz lässt sich die Entstehung des Walking Bass nicht an einer bestimmten Person oder einem bestimmten Datum festmachen. Erste Anklänge einer Walking-Bass-artigen Begleittechnik lassen sich jedoch schon in den damals noch vom Klavier gespielten Ragtimes und Boogies finden. Bereits auf frühesten Plattenaufnahmen aus den 1920er Jahren sind einfache Walking Bass Lines zu hören.
Aufbau
In der folgenden Darstellung wird zum Zweck der besseren Erklärung zwischen einer vereinfachenden, das Verständnis der Grundprinzipien erleichternden theoretischen Darstellung (wie sie auch häufig in Lehrbüchern anzutreffen ist), und der realen Anwendung, Erweiterung und teilweisen "Außerkraftsetzung" dieser Regeln in der musikalischen Praxis unterschieden.
Theoretischer Aufbau
Eine Walking Bass Line besteht dem Grundkonzept nach aus Viertelnoten, die dem aktuell gespielten Akkordmaterial entstammen. Der wichtigste Ton ist der die harmonischen Zusammenhänge aufzeigende Grundton auf dem betonten ersten Viertel. Weitere wichtige Stufen des Akkordes sind die häufig auf betontem dritten Viertel erscheinende Quinte und die Terz. Vor einem Akkordwechsel wird der Grundton des folgenden Akkordes meist durch chromatische (chromatic approach) oder diatonische Annäherung auf dem letzten Viertel des "alten" Akkordes erreicht. Sprünge die das Intervall einer Sexte bzw. Septime überschreiten, sind - mit Ausnahme von Oktavsprüngen - eher selten, da sie das ruhige, natürliche Fortschreiten der Basslinie eher stören würden.
Bei einer standartisierten, konventionellen Basslinie ist oft folgendes Schema zu beobachten:
1. Viertel: Grundton
2. Viertel: Terz
3. Viertel: Quinte
4. Viertel: Chromatischer oder diatonischer Annäherungston
Takt 1, 5 und 6 zeigen hierbei das erwähnte Standard-Grundschema. Die übrigen Takte sind freier gestaltet. Takt 2 und 10 verwenden z.B. die Sexte und kleine Septime, und Takt 4 die Quarte. Takt 4 und 7 verwenden anstatt dem Grundton die Quinte auf dem ersten Viertel. Der Übergang von Takt 10 zu 11, sowie Takt 6 zu 7 verwendet die diatonische Annäherung, während die anderen Takte den chromatischen Übergang wählen. Takt 4 zu 5 und 5 zu 6 verwenden die Annäherung von unten, während z.B. Takt 1-2, oder 2-3, etc. die Annäherung von oben praktizieren. Die Verwendung eines Tonleiterausschnitts zeigt Takt 10.
Musikalische Praxis
Diese Töne werden, je nach Routine und Inspiration des Bassisten, mit zusätzlichen leitereigenen Optionstönen - dabei bevorzugt der kleinen Septime - chromatischen Durchgangstönen, ganzen Tonleiterausschnitten, oder auch völlig leiterfremden Tönen angereichert.
Die starre, eher theoretische Orientierung an Grundton und Quinte wird abhängig von der "musikalischen Modernität" des jeweiligen Jazzstils und den musikalischen Vorstellungen der beteiligten Musiker häufig aufgegeben. Eine interessante Walking Bass-Linie ist dann meist bestrebt, in der Auswahl ihrer Töne folgende Klangaspekte abwechslungsreich, aber harmonisch klar zu realisieren:
- Die Darstellung der jeweiligen Tonleiter bzw. Skala, des zugehörigen Akkords, oder der dem Titel zugrundeliegenden Modalität.
- Die Umspielung bzw. Einkreisung von elementaren Fixpunkten bzw. Akkordtönen des jeweiligen Titels.
Beim Abweichen vom theoretischen Schema eines akkordweisen Harmoniewechsels erlangen die oben genannten Regeln natürlich neue kreativ nutzbare Freiheiten. So ist bei über mehrere Takte gleichbleibenden Akkorden natürlich die explizite Betonung des Akkordgrundtones auf dem ersten Schlag für die "harmonische Fixierung" weit weniger wichtig. Dies ist an Takt 3 und 4 des obigen Notenbeispiels ersichtlich. Da beide Akkorde C-Dur darstellen, ist eine Betonung des Grundtones im zweiten Takt überflüssig. Der Bass bringt hier auf dem ersten Viertel von Takt 4 den Ton G, der ohne die vorherige "harmonische Klärung" (d.h. das C-Dur in Takt 3) durchaus als Grundton von G-Dur/G7 interpretierbar wäre.
Kürzere Taktwechsel btw. andere Taktarten wie 3/4 oder 5/4-Viertel Takt stellen den Bassisten natürlich vor ganz andere Herrausforderungen, und sind mit dem oben genannten Modell der Schwerpunkte auf dem ersten und dritten Viertel natürlich nicht vereinbar.
Beliebt ist auch das "Einkreisen" eines Zieltones von oben und unten auf schwerer Taktzeit (Double Chromatic Approach). So werden im folgendem Beispiel die Zieltöne A und D von Takt 3 und 4 über ihre "chromatischen Nachbarn" Bb und C#, sowie C# und Eb erreicht.
Auch der in der Grundform gleichmäßige Viertelnoten-Puls kann durch rhythmische Varianten (vorgezogene/nachgezogene Noten, „Drops“, etc.) erweitert werden. Dabei ist unter einer "vorgenzogenen Noten" eine kurze und leichte, kaum in herkömmlicher Notationsweise darstellbare Plazierung der Note vor bzw. nach dem Beat zu verstehen. Drops werden häufig in Form einer meist absteigenden triolischen Figur realisiert:
Die Kunst dabei ist, ein zuverlässiges und durchschaubares rhythmisches und harmonisches Fundament sowohl für die Mitmusiker als auch für die Zuhörer zu liefern, ohne dabei in klischeehafte und langweilige Linien (siehe das Standardschema) abzugleiten. Dabei ist es insbesondere auch erlaubt, Unsauberkeiten beim Spiel (Nebengeräusche der Saiten und ähnliches) mit einzubeziehen. Dies macht es schwierig, wirklich interessante Linien in allen Details zu notieren.
Instrumente
Das prototypische Instrument für den Walking Bass ist der pizzicato gespielte Kontrabass. Diesem von der Spieltechnik und den Fingersätzen her nahe verwandt ist der E-Bass, so dass ein Spieler, der beide Instrumente benutzt, die Kunst des „Walkings“ normalerweise auf beiden Bässen ausüben kann.
Weniger verbreitet sind Walking Bass Lines auf Blasinstrumenten wie Tuba, Sousaphon, Bassklarinette oder Baritonsaxophon. Dies liegt daran, dass die Anforderung des ständig fließenden bzw. schlagenden Pulses hohe Anforderungen an die Atemtechnik des Spielers stellt. Um so beeindruckender sind daher Bläser, die dies trotzdem beherrschen.
Selbstverständlich kann das „Walking“ auch auf den tiefen Saiten einer Gitarre erfolgen (eher unüblich und daher mehr als Effekt denn als Standard anzusehen). Von geübten Jazz-Pianisten wird ebenfalls erwartet, dass sie mit der linken Hand reizvolle Basslinien spielen können. Auf dem Pedal der Hammondorgel hat es etwa Barbara Dennerlein zur Meisterschaft im „Walking-Bass“-Spielen gebracht.
Hörbeispiele
Als Hörbeispiele sind so gut wie alle Jazz-Aufnahmen aus der Swing- und Bebop-Ära geeignet. Meister des Walking Bass waren und sind zum Beispiel Ray Brown, Oscar Pettiford, Charles Mingus, Jimmy Blanton, Ron Carter, Niels-Henning Ørsted Pedersen, Miroslav Vitouš oder Scott LaFaro. Da aber der solide Walking Bass zum grundsätzlichen Handwerkszeug eines jeden Jazz-Bassisten gehört, kann davon ausgegangen werden, dass auch Virtuosen wie etwa Renaud Garcia-Fons, die eigentlich nicht für ihr Walking-Bass-Spiel bekannt sind, dies trotzdem beherrschen.
Außerhalb des Jazz
Viele Basslinien, die im Rock 'n' Roll und Rockabilly gespielt werden, stehen auf der Grenze zwischen Boogie-ähnlichen Ostinato-Figuren und dem Walking Bass. Andererseits gibt es auch Swing-Nummern, deren Bassläufe ebensogut in eine Rock-'n'-Roll-Nummer passen würden. Ein klassisches und bekanntes Beispiel hierfür ist In the Mood von Glenn Miller, dort werden beim Thema einfache Arpeggios gespielt, während in den Soloparts der Bass viel freier spielt.
Der Walking Bass wird gelegentlich verwendet, um einem Stück, das eigentlich außerhalb des Jazz anzusiedeln wäre, zusätzlich mit den Merkmalen anderer Instrumente auch einen „jazzigen“ Touch zu geben. Ein Beispiel hierfür ist der Titel Crazy Little Thing Called Love der Rock-Band Queen aus ihrem Album „The Game“ des Jahres 1980, der musikalisch betrachtet nur eine triolische Variation bekannter Bluesschemen darstellt.
- Get Out Of Your Lazy Bed, Matt Bianco auf „Whose Side Are You On?“, 1984
In der klassischen Musik gilt die Szene "Orpheus verlässt die Unterwelt" in der Oper L’Orfeo aus dem Jahre 1607 von Monteverdi als ältester bekannter Ursprung dieser Art von Basslinie.