Sant’Anna di Stazzema

Dorf in der Toskana, das durch ein Massaker der Waffen-SS im August 1944 international bekannt wurde.
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Sant’Anna di Stazzema war ein Dorf in der Toskana (Italien) in der Gemeinde Stazzema (Provinz Lucca). Es wurde am 12. August 1944 durch Truppen der Waffen-SS zerstört. Dabei starben etwa 560 Menschen, überwiegend Frauen und Kinder. Dies gilt als eines der grausamsten Massaker an Zivilisten im Zweiten Weltkrieg.

Geschichtlicher Hintergrund

Im Sommer 1944 waren die deutschen Streitkräfte in Italien wie an fast allen Fronten auf dem Rückzug, die Front war mittlerweile bis in die Toskana vorgerückt. Da die deutschen Besatzer junge Italiener zwangen, für Deutschland zu kämpfen, und viele kampfunfähige Menschen zur Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie gezwungen wurden, wuchs in Teilen der italienischen Bevölkerung eine starke Antipathie gegen die Besatzer an. Mehr und mehr schlossen sich dem bewaffneten Widerstand, der Resistenza an. Die bewaldeten Berge der Toskana boten den Partisanen Schutz und ideale Bedingungen, um deutsche Nachschublinien zu stören.

Das deutsche Oberkommando reagierte auf diese Entwicklung mit äußerster Härte; einem Schreiben zufolge hatten Offiziere keine Strafe wegen zu hartem Vorgehen zu erwarten. Die Partisanen selbst waren nur schwer aufzuspüren, stattdessen wurden Exempel statuiert an gefangenen Mitgliedern der Resistenza sowie an toskanischen Bergdörfern, welche die Partisanen mit Nahrungsmitteln und Informationen versorgten.

Hergang des Massakers

Am 12. August 1944, kurz nach 6 Uhr, umzingelten vier Kompanien der 16. SS-Freiwilligen-Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS” der Waffen-SS das Dorf. Sant’Anna hatte etwa 400 Einwohner und beherbergte mehrere hundert Flüchtlinge. Offiziell sollte die SS gegen Partisanen vorgehen, doch zu den etwa 560 Opfern zählen überwiegend Frauen und 116 Kinder. Sie wurden in Gehöften und auf dem Kirchplatz zusammengetrieben. Die SS warf Handgranaten in die Menge, erschoss wahllos Männer, Frauen und Kinder und brannte die Häuser nieder. Nach nur gut drei Stunden war das Dorf ausgerottet. Das jüngste Opfer war 20 Tage alt.

Nachkriegszeit

Sant’Anna di Stazzema wurde nie wieder aufgebaut. Das Massaker selbst wurde nach dem Krieg wie viele deutsche Kriegsverbrechen totgeschwiegen, da Westeuropa eine politische Einheit gegen die Sowjetunion bilden sollte. Die Akten über den Vorfall lagerten lange Zeit ungeöffnet in einem Aktenschrank in Italien. So blieben die Täter fast 60 Jahre unbehelligt. Erst im April 2004 eröffnete das Militärgericht von La Spezia einen Prozess gegen mehrere noch in Deutschland lebende Täter, die jedoch in ihrer Heimat als hochbetagte Rentner kein Strafverfahren oder gar den Strafvollzug fürchten müssen. Am 22. Juni 2005 endete dieser Prozess mit der Verurteilung von folgenden 10 früheren SS-Mitgliedern zu lebenslanger Haft:

Die Verurteilten waren nicht anwesend, da Deutschland eigene Staatsbürger nicht ausliefert. Die meisten der Verurteilten gingen in Revision beim italienischen Kassationsgerichtshof (Corte Suprema di Cassazione), so dass deren Urteile auch nach italienischem Recht noch nicht rechtskräftig sind. Die Urteile könnten in Italien oder in Deutschland vollstreckt werden. Wenn die deutschen Behörden einem Auslieferungsbegehren Italiens folgen würden, hätten die Verurteilten ihre Strafe aufgrund ihres Alters als „Hausarrest“ zu verbüßen.

Ob das Massaker und das Urteil für die beteiligten ehemaligen SS-Mitglieder Folgen haben wird, ist unklar. Nach deutschem Recht muss im Gegensatz zum italienischen die individuelle Schuld eines Angeklagten nachgewiesen werden. Die deutsche Staatsanwaltschaft, u. a. Oberstaatsanwalt Gernot Blessing, Staatsanwaltschaft Stuttgart, ermittelt seit 2002 in dem Fall, jedoch nur gegen neun der in La Spezia Verurteilten. Dazu kommen fünf weitere, die in dem italienischen Prozess nicht angeklagt waren. Die Staatsanwaltschaft hat jedoch noch keine Anklage erhoben. Auch verweigert sie den Überlebenden die Einsicht in die Ermittlungsakten. Die Opfer des Massakers von Sant´Anna stellten im Jahre 2005 Antrag auf gerichtliche Entscheidung in Stuttgart. Kritiker werfen der Staatsanwaltschaft Stuttgart jedoch vor, dass diese das Verfahren verschleppen würde, in der Hoffnung, dass die heute noch lebenden SS-Mitglieder, die an dem Massaker beteiligt waren, in absehbarer Zeit eines natürlichen Todes sterben[1]. Mit zunehmendem Alter der Angeklagten stellt sich auch das Problem ihrer Verhandlungsfähigkeit.

Die Staatsanwaltschaft erklärte hierzu: „Die Ermittlungen dauern noch an, ein Ende ist nicht abzusehen. ... Wir wollen den Sachverhalt vollständig aufklären. Und es ergeben sich immer wieder neue Hinweise.“ Neue Zeugen hätten sich gefunden, weitere würden gesucht, jedoch könnten oder wollten sich vielleicht die Zeugen häufig nicht mehr erinnern. (Badische Zeitung, 6. Mai 2006).

Zum 60. Jahrestag des Massakers besuchte mit dem deutschen Innenminister Otto Schily erstmals ein deutscher Politiker eine Gedenkfeier im Ort[2]. Im Ort selbst hat Enio Mancini, der das Massaker als Junge miterlebte und nicht von den Deutschen erschossen wurde, eine Gedenkstätte und ein Museum aufgebaut, in dem Fotos, persönliche Habe, und Anderes zu besichtigen sind.

Literatur

  • Gerhard Schreiber: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien - Täter, Opfer, Strafverfolgung. C. H. Beck 1996, 278 Seiten, ISBN-10 3406392687, ISBN-13 978-3406392689

Quellen

  1. RBB – Kontraste: In Italien verurteilter Kriegsverbrecher als Nachbar – Dorfbewohner verteidigen ehemaligen SS-Mann (RealVideo & Mitschrift), 3. August 2006
  2. Otto Schily: Ansprache auf der Gedenkfeier zum Massaker vom 12. August 1944 in Sant' Anna di Stazzema, 12. August 2004