Südlich des Brandenburger Dorfes Sacrow steht am Havelufer auf einer Landzunge im Schlosspark die Heilandskirche am Port von Sacrow aus dem Jahr 1844, die weit in den Fluss hineinragt. Das malerisch zwischen Fontanes „Kulturstrom“, der sich hier zum Jungfernsee öffnet, dem Sacrower See und Wäldern eingebettete Dorf Sacrow fand 1375 im Landbuch von Kaiser Karl IV. eine erste Erwähnung und gehört seit 1936 zu Potsdam.
Die mit ihrer Lage und ihrem Stil außergewöhnliche Kirche, vereinfacht kurz „Heilandskirche“ genannt, entstand als sakrales Gebäude im italienischen Stil mit freistehendem Campanile (Glockenturm) nach Entwurfszeichnungen des „Romantikers auf dem Thron“, Friedrich Wilhelms IV.. Der „Architekt des Königs“, Ludwig Persius, wurde mit der Bauplanung beauftragt. Der Gartenkünstler Peter Joseph Lenné führte eine weiträumige landschaftsgärtnerische Umgestaltung durch, in die er die Kirche, das Schloss und den Schlosspark einbezog. Sie sind Teil der Potsdamer Havellandschaft, die von der Pfaueninsel bis nach Werder reicht und mit ihren Schlössern und Gärten als Gesamtensemble seit 1990 als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO steht.
Geschichte
Die erste, aus Feldsteinen gemauerte Kirche des Ortes Sacrow, stand mitten im Ort und verfiel höchstwahrscheinlich während des Dreißigjährigen Krieges. Ihre erstmalige Erwähnung findet sich in Aufzeichnungen aus dem Jahr 1661, als der Pfarrer aus Fahrland für die seelsorgerische Betreuung der Gemeinde zuständig war. Bemerkenswert ist, dass Theodor Fontane, der große Dichter der Mark, Sacrow besuchte und in den Wanderungen durch die Mark Brandenburg in einem gesonderten Kapitel beschrieb, die Heilandskirche jedoch an keiner Stelle erwähnte. Dafür verdanken wir ihm detaillierte Einblicke in das historische Kirchenleben des Dorfes. Die Tagebuchaufzeichnungen des Fahrländer Pastors Johann Andres Moritz (von 1774 bis 1794) gibt Fontane wie folgt wieder (Auszug):
Anno 1694 erbauet..., wurde auf selber Stelle eine Fachwerkkirche. Man muß dem Grafen Hordt die Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass er das elende Sacrow umgeschaffen hat. ... Wenn ich Sacrow jetzt mit dem von 1750 vergleiche, so kann ich sagen, Sacrow war damals ein Ratzenloch. ... Auch du, Sacrow, so klein du bist, auch du bist seit 1776 herabgesunken. Die Exempel deiner Vorgesetzten haben dich verdorben. Unter Hordt (von 1774 - 1779) war Sacrow fromm, denn er war zu der Zeit bigott. Unter Fouqué (von 1779 - 1781) ward es leichtsinnig, endlich frech. Das Verständnis der Baronin mit dem Grafen Schmettau wirkte schädlich auf die Sitten. Unter von H. (von Häseler, von 1781 - 1811) ist alles frank und frei.
Die Sacrower Gemeinde kam 1794 in die Obhut der Potsdamer Nikolaikirche und ab 1808 wieder zu Fahrland. Das kleine Gotteshaus war seit 1813 unbenutzbar und musste wegen Baufälligkeit 1822 abgerissen werden. Die christliche Gemeinde richtete einen Betsaal in einem Haus ein, das dem Berliner Bankier Magnus gehörte. Er war der fünfte Eigentümer des nahe des Ortes Sacrow gelegenen Gutshauses, das 1773 Johann Ludwig Graf von der Hordt erbauen ließ und seit 1816 in Magnus Besitz war.
Die Heilandskirche
Baugeschichte
Für 60.000 Taler erwarb Friedrich Wilhelm IV. im Oktober 1840 das Gut Sacrow und überwies es als Domäne im November des selben Jahres an die Königliche Regierung in Potsdam. Seit dieser Zeit wird das Herrenhaus Schloss genannt. Schon weit vor dem Kauf skizzierte der König Kirchenbauten für Sacrow. Für einen Neubau geeignet, schien eine Bucht, ein Port, in der die Havelfischer bei Sturm mit ihren Booten Schutz suchten. Für den religiös empfindenden Monarchen war dies ein Ort mit Symbolcharakter. Das Kirchenschiff als "Bollwerk" gegen die Stürme des Lebens. Das Kirchensiegel, mit lateinischer Umschrift, weist darauf hin: S. Ecclesiae sanctissimi Salvatoris in portu sacro (Kirche des heilbringenden Erlösers im heiligen Hafen).
Der Hofarchitekt Ludwig Persius beziehungsweise, sein engster Mitarbeiter, Ferdinand von Arnim, der mit der örtlichen Bauleitung beauftragt war, setzte die vom König vorgefertigten Skizzen in die für ihn typische klare Bauform um. Die in das Wasser hineinragende Heilandskirche vermittelt tatsächlich den Eindruck eines vor Anker liegenden Schiffes am Ufer des Sees. Diese Bauweise, auf einem Pfahlrost gegründet, verschlang ein Drittel der Gesamtbaukosten von 45.234 Talern und 27 Silbergroschen. Das Schloss wurde Predigerhaus für die Heilandskirche. Nach dem Baubeginn im Jahr 1841 fand die feierliche Einweihung bereits nach drei Jahren am 21. Juli 1844 statt.
Der Gartenkünstler Peter Joseph Lenné gestaltete nach 1842 das Gelände um das Kirchengebäude, die Bucht, den Park des Schlosses Sacrow und eines 1843/44 von Ludwig Persius im italienischen Stil umgebauten Fährpächter- und Gasthauses "Zum Doctor Faustus", das auf dem Areal weiter östlich stand. Lenné schuf, wie in seinen Anlagen üblich, breite Spazierwege und weite Sichtachsen zu den Parkanlagen Glienicke, Babelsberg, dem Neuen Garten und der Stadt Potsdam. Der über 24 ha große Sacrower Park wurde in seine landschaftsgärtnerische Umgestaltung der Potsdamer Havellandschaft einbezogen.
Nach der Einweihung am 21. Juli 1844, blieb Sacrow nur vier Jahre eine eigenständige Kirchengemeinde, wurde dann von dem Geistlichen der Friedenskirche betreut und ab 1859 Bornstedt zugeordnet. Einen weiteren Wechsel gab es 1870, als die Pfarrei der Heilandskirche mit der Parochie Klein Glienicke (später zu Neubabelsberg) und der Kirche St. Peter und Paul auf Nikolskoje, sowie der Ortschaft Stolpe (heute zu Berlin-Wannsee) zusammengelegt wurde.
Architektur
Das Kirchenschiff
Wie bei der nur wenig später errichteten Friedenskirche im Park Sanssouci dienten auch bei der Heilandskirche jene Sakralbauten als Vorbild, die von frühen christlichen Gemeinden aus den römischen Markt- und Gerichtshallen umgestaltet worden sind. Der königliche Bauherr bevorzugte, wie bei diesen Gebetshäusern üblich, eine einfache, flache Deckenkonstruktion, entgegen dem neugotischen Stil, mit seinen hohen gewölbten Hallendecken. Friedrich Wilhelm IV. sah in der Zeit weit vor der Kirchenspaltung einen vorbildlichen Zusammenhalt der christlichen Glaubensgemeinschaft.
Der über 9 Meter hohe, 18 Meter lange und 8 Meter breite kubische Baukörper, mit östlich ausgebauter Apsis, ist von einem überdachten Arkadengang umgeben. So entsteht optisch der Eindruck einer dreischiffigen Basilika. Da der Säulengang auf einem halbrunden Fundament in die Havel ragt, wirkt die Kirche vom Wasser und vom gegenüberliegenden Ufer der Berlin-Wannseer Südwestecke unterhalb des Schäferbergs aus wie ein antikes Schiff, das vor Anker liegt. Der Glockenturm erscheint aus der Ferne wie der Schornstein eines Mississippi-Dampfers, dessen malerische Wirkung die Wasserspiegelung noch steigert.
Die kannelierten Säulen haben anstelle von Kapitellen einen Palmettenring aus Zinkguss. Durch die Rundbogenfenster im oberen Teil des Langhauses - die Obergadenfenster - und die Fensterrose im Westgiebel fällt Licht in das Innere der Kirche. Die aus gelblichrosa Backstein verblendeten Außenwände werden durch horizontale Streifen mit blauglasierten, gelbgemusterten Fliesen unterbrochen. Sowohl an griechische Tempelbauten als auch an frühchristliche Bauten erinnert die flache Dachneigung der verschiedenen Bauteile. Auf dem Scheitel des Daches schmückt ein Giebelkreuz aus Zinkguss die Vorderfront.
Der Campanile (Glockenturm)
Auf dem rechteckigen Vorplatz mit Exedren an den Schmalseiten, steht der über 20 Meter hohe Campanile (von lat. campana = Glocke). Der Turm hat die gleiche Backsteinverblendung mit dem eingelegten Fliesenmuster wie das Gotteshaus. Die Rundbogenöffnungen nehmen nach oben zu und enden im letzten Geschoss in einem offenen Belvedere. Den Abschluss bildet ein flaches Zeltdach mit Kugel und Kreuz.
Der Campanile trägt eine fast 600 Jahre alte Bronzeglocke. Ihr überliefertes, aber nicht belegbares Gussjahr soll 1406 sein. Erstmals erwähnt wurde sie im Jahr 1661. Die Glocke stammt vermutlich aus einer alten Sacrower Kirche. Eine zweite Glocke ist 1917 und deren Nachfolgerin 1944 für die Rüstungsproduktion beschlagnahmt worden.
Im Sommer 1897 diente der Glockenturm den Physikern Adolf Slaby und Georg Graf von Arco für einen elektroakustischen Versuch, der wesentliche Voraussetzungen für den Rundfunk schuf. Hier wurde die erste deutsche Antennenanlage für drahtlose Telegraphie errichtet. Am 27. August gelang der Signalempfang zum gegenüberliegenden Ufer des Jungfernsees zur kaiserlichen Matrosenstation "Kongsnaes" in der Schwanenalle in Potsdam.
Der Innenraum
In der schlicht gehaltenen Kirchenhalle dominiert das Freskogemälde in der Apsis im byzantinischem Stil. Auf goldglänzendem Untergrund wird der thronende Christus mit dem Buch des Lebens dargestellt, umgeben von den vier Evangelisten. Über ihren Köpfen schweben im Halbkreis Engelsgestalten. Am Scheitel der Halbkugel sieht man die Taube als Sinnbild des Heiligen Geistes. Nach dem Entwurf eines der bedeutendsten Maler der deutschen Romantik Carl Joseph Begas, führte Adolph Eybel das Gemälde 1845 in Freskotechnik aus. Im Halbrund des Vorjochs (Bema) wird die Farbgestaltung der Hallendecke wieder aufgenommen, gelbe Sterne auf blauem Untergrund.
Der originale, freistehende Altartisch aus Zedernholz, wurde 1961 mutwillig zerstört. Da eine Rekonstruktion wegen fehlender Dokumentationen nicht möglich war, steht heute an selber Stelle ein stilistisch ähnlicher Tisch. Das Kirchenschiff hat eine Kassettendecke mit sichtbarer Balkenkonstruktion. Die einzelnen Felder sind mit blauem Tuch bespannt und hellgelben Sternen ausgemalt. Zwischen den Obergadenfenstern stehen auf Konsolen Statuetten der zwölf Apostel aus Lindenholz. Sie wurden 1840/44 von Jacob Alberty geschnitzt. Als Vorbild dienten die Apostelstatuetten an Peter Vischers Sebaldusgrab in St. Sebald in Nürnberg (um 1500) und von Christian Daniel Rauch gefertigte Modelle für den Berliner Dom.
Die Sitzbänke standen ursprünglich parallel zu den Längswänden, nun zu vier Blöcken in Richtung Apsis. Die sehr hohen Rückenlehnen sollten jede Ablenkung vermeiden und die Blicke der Gläubigen auf den um drei Stufen erhöhten Altarraum, Kanzel und Lesepult lenken.
Der einzige Zugang in das Kirchengebäude liegt auf der westlichen Seite. In diesem Bereich ist vom Kirchenraum abgetrennt ein kleiner Sakristeiraum und die Treppe zur darüberliegenden Orgelempore. Die ursprüngliche Orgel von 1844 hatte nur fünf Register mit angehängtem Pedal. Sie wurde 1907 durch größere Prospektpfeifen erweitert und hatte dann sechs Manual- und ein Pedalregister. 1961 wurde sie durch Vandalismus zerstört. Der Bau einer neuen Orgel konnte bisher aus finanziellen Gründen nicht verwirklicht werden. Das neue Instrument soll mit zwei Manualen, Pedal und 14 Registern, auf mechanischen Schleifladen, ausgestattet werden. Um das Gesamtbild der Empore zu vervollständigen, wird die Orgel derzeit durch eine täuschend echt aussehende Pappattrappe ersetzt.
Zerstörung und Restaurierung nach 1945
Backsteine und Muster
Der Bau der Berliner Mauer im August 1961 führte im Laufe der darauffolgenden Jahrzehnte zur fast vollständigen Zerstörung der Heilandskirche. Die deutsch-deutsche Grenze verlief direkt über das Kirchengelände und der Campanile wurde zum Bestandteil der Sperrmauer gemacht, indem man die hohen Betonplatten an den Glockenturm ansetzte. Das Kirchengebäude stand nun im "Niemandsland" Richtung West-Berlin. Trotz allem fanden noch bis Heilig Abend 1961 regelmäßig Gottesdienste statt. Wenige Tage später wurde das Innere der Heilandskirche, die auf von DDR-Grenztruppen scharf bewachtem Gebiet stand, durch Vandalismus zerstört und so die weitere Nutzung unmöglich gemacht.
Als nach Jahren der ruinöse äußere Zustand der Kirche auch von der Westberliner Uferseite nicht mehr zu übersehen war, versuchte man aus politischen Gründen den weiteren Verfall aufzuhalten. Auf Initiative des damaligen regierenden Bürgermeisters von Westberlin Richard von Weizsäcker, und nach langwierigen Verhandlungen zwischen kirchlichen Stellen und den zuständigen Regierungsstellen der DDR, konnte 1984/85 das Äußere des Kirchengebäudes wiederhergestellt werden. Die Spendengelder der Stiftung Tagesspiegel und des Westberliner Senats sollen bei den beauftragten Potsdamer Firmen aber nicht angekommen sein.
Nach dem "Fall der Mauer" wurde am Heiligen Abend 1989, nach knapp drei Jahrzehnten, wieder ein Gottesdienst gehalten. Der zu diesem Zeitpunkt noch zerstörte Innenraum der Heilandskirche, erhielt in den Jahren 1993-1995 sein heutiges Bild. Seit Auflösung der Pfarrstelle 1977 gehört die Gemeinde zum Pfarrsprengel der Potsdamer Pfingstkirchengemeinde. Gottesdienste finden wieder jeden zweiten und vierten Sonntag im Monat statt. Geistliche Konzerte von Mai bis September (außer August), jeden ersten Sonntag im Monat.
Von Peter Joseph Lennés gestalteter Gartenfläche wurden acht ha im Zuge der Grenzbefestigung völlig zerstört und der Park durch die Errichtung von Garagen, Hundezwingern und dem Nachbau einer typischen Grenzübergangsstelle für die Ausbildung der Zollhunde zweckentfremdet. Die Wiederherstellung des Areals gelang ab 1994.
Literatur
- PEDA-Kunstführer: Potsdam-Sacrow. Heilandskirche. Ev. Kirchengemeinde Potsdam-Sacrow (Hrsg.). Kunstverlag PEDA, Passau ISBN 3-930102-33-1
- Theodor Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg . Teil 3. Havelland. (1. Auflage 1873.) Zitate nach der Ausgabe Nymphenburger Verlagshandlung, München 1971, Frankfurt/M, Berlin. ISBN 3-485-00293-3