Der Kasus (Pl.: Kasus mit langem u), auch der Fall, ist in der Grammatik eine Flexionskategorie eines Nomens (=Deklination). Mit ihm zeigt das Nomen seine Funktion innerhalb des Sinnzusammenhangs des Satzes an. In der Morphologie ist der Kasus eine morphologische Kategorie, die durch ein System einander gegenüberstehender Formenreihen gekennzeichnet ist, wobei diese Formen die Beziehung eines Gegenstandes zu anderen Gegenständen in einer bestimmten Situation wiedergeben. Typischerweise trägt ein Wort nur eine einzige Kasusmarkierung, in einigen Sprachen gibt es jedoch auch Wörter mit zwei und mehr Kasusmarkierungen (Suffixaufnahme).
Kasus im Standarddeutschen
Die deutsche Sprache kennt vier Fälle (Kasus):
- den Nominativ, 1. Fall, „Wer-Fall“
- den Genitiv, 2. Fall, „Wessen-Fall“
- den Dativ, 3. Fall, „Wem-Fall“
- den Akkusativ, 4. Fall, „Wen-Fall“
Beispielsweise ist in dem Satz
- Die Frau gibt ihrem Bruder den Hut ihres Mannes.
die Frau das Subjekt (= Ergänzung im Nominativ), ihrem Bruder das Dativobjekt (= Ergänzung im Dativ), den Hut das Akkusativobjekt (= Ergänzung im Akkusativ) und ihres Mannes das Genitivattribut zu Hut.
Nur im Genitiv Singular und im Dativ Plural findet sich noch eine Kasus-Beugung des Substantivs, d. h. eine Veränderung der Wortform durch das Anhängen einer Endung an den Wortstamm bzw. den Pluralstamm. Diese Beugung der Substantive ist ansonsten in der deutschen Sprache verloren gegangen. Der Dativ Singular der Maskulina und Neutra wurde im 20. Jahrhundert noch in der Schriftsprache flektiert: dem Manne. In manchen Redewendungen ist dieser Stand noch erhalten: Im echten Manne ist ein Kind versteckt: Das will spielen. (Friedrich Nietzsche). Der Verlust der Endungen ist wiederum Ursache für den Zusammenfall von gleichlautenden Kasus, wie im Englischen und Niederdeutschen (s. unten). Das Deutsche ist auf lange Sicht auf dem Weg, auch den Genitiv als Objektskasus („ich schäme mich seiner“) und den Dativ zu verlieren und damit ein Kasussystem wie das Englische auszubilden (Sprachdrift). Bei den nicht mehr durch Endungen gekennzeichneten Fällen zeigen die Artikel den Kasus des entsprechenden Wortes an.
Kasus im Niederdeutschen
Die niederdeutschen Sprachen (Niederländisch, Niederfränkisch, Niedersächsisch und Ostniederdeutsch) kennen überwiegend nur drei Kasus: Nominativ, Genitiv und Objektfall. Dies entspricht dem Kasus-System in der modernen englischen Sprache und den skandinavischen Sprachen. Der Objektfall vereint den Akkusativ und den Dativ. Daher wird er bisweilen Akkudativ genannt. Dies gilt aber nicht für das Pronominalsystem in der niederländischen Schriftsprache. Dies unterscheidet für die 3. Person Plural die Formen hun (Dativ) und hen (Akkusativ), obwohl dieser Unterschied gewissermaßen artifiziell ist, weil er von Grammatikern eingeführt worden ist als eine Nachahmung des Lateins. Die gesprochene Sprache hat diesen Unterschied nicht.
Beispiele:
- De Fru kiekt de Mann an (Das Wort Mann steht im Objektfall; im Standarddeutschen würde es im Akkusativ stehen)
- 'Die Frau schaut den Mann an.'
- De Fru gifft de Mann Koken. (Das Wort Mann steht im Objektfall; im Standarddeutschen würde es im Dativ stehen)
- 'Die Frau gibt dem Mann Kuchen.'
Kasus im Alemannischen
Das Alemannische ist eine Sprache, die sehr arm an verschiedenen Fällen ist. Hier werden die Fälle anhand eines Luzerner Dialekts demonstriert. Es gibt keine einheitliche Angabe der Fälle im Alemannischen, da sie in den verschiedenen Dialekten teilweise sehr unterschiedlich sein können.
Substantive
Kasus | maskulin | feminin | neutrum |
---|---|---|---|
Nominativ | de Maa (der Mann) | d'Frou (die Frau) | s'Chend (das Kind) |
Akkusativ | de Maa (den Mann) | d'Frou (die Frau) | s'Chend (das Kind) |
Dativ | im Maa (dem Mann) | i de Frou (der Frau) | im Chend (dem Kind) |
Die Formen des Nominativs und des Akkusativs sind in allen Genera identisch. Im Dativ wird als Artikel „im/i de“ verwendet. Das Wort selber verändert sich nicht.
Der Genitiv muss gesondert aufgeführt werden. Eigentlich existiert ein Genitiv gar nicht. Deshalb entfallen die wenigen Verben, die im Standarddeutschen noch ein Genitivobjekt fordern, im Alemannischen oder werden mit entsprechenden Präpositionen aufgeführt.
Beispiel:
- Ursprungssatz: Ich schäme mich seiner.
- Alemannisch: Ech schäme mech wäg ehm.
- Einheitliche Übersetzung: Ich schäme mich seinetwegen.
Wird der Genitiv in einem Genitivattribut gefordert, wird er wie folgt angegeben:
Genus des Bezugswortes | maskulin | feminin | neutrum |
---|---|---|---|
maskulin | im Maa sis | i de Frou ires | im Chend sis |
feminin | im Maa sini | i de Frou iri | im Chend sini |
neutrum | im Maa sis | i de Frou ires | im Chend sis |
Plural (m.,f. o. n.) | im Maa sini | i de Frou iri | im Chend sini |
Er setzt sich also zusammen aus dem Dativ, auf den ein Possessivpronomen folgt. In der Spalte ganz rechts ist angegeben, welches Genus das nachfolgende Wort hat. Je nachdem ändert sich auch das Possessivpronomen. Im Plural gibt es nur ein Possessivpronomen, weshalb die Geni Plural nicht mehr einzeln aufgeführt sind. Diese Form eines Genitivs, der ja eigentlich gar keiner ist, kann nur auf Genitivattribute angewendet werden. Als Genitivobjekt ist sie nicht zu gebrauchen. Sie existiert auch im Standarddeutschen, wird aber heute nur noch sehr selten verwendet. So ist sie zu übersetzen (das Genus des Bezugswort ist jeweils in Klammern angegeben):
- Im Maa sis Buech (n.) liit am Bode.
- Dem Mann sein Buch liegt auf dem Boden.
- I de Frou eres Chend (n.) esch 3-jährig.
- Der Frau ihr Kind ist 3-jährig.
- Im Chend sini Mueter (f.) chouft i.
- Dem Kind seine Mutter kauft ein.
Außerdem existiert im Alemannischen eine zweite Form. Auch diese Form ist im Standarddeutsch vorhanden und wird auch heute öfters gebraucht.
maskulin | feminin | neutrum |
---|---|---|
vom Maa | vo de Frou | vom Chend |
Diese Form eines rekonstruierten Genitivs setzt sich aus der Präposition „von“, dem Artikel (bei maskulinen und netrum Substantiven miteinander verschmolzen) und dem eigentlichen attributiven Substantiv zusammen. Das Bezugswort steht vor dem „Genitiv“. Das Genus und der Numerus des Bezugswort spielen in diesem Fall keine Rolle. Diese Form ist so zu übersetzen:
- D'Schwöschtere vom Maa heißed Erika ond Jasmin.
- Die Schwestern vom (=von dem) Mann heißen Erika und Jasmin.
Kasus im Indogermanischen und in anderen Sprachen
Das Indogermanische kannte acht oder neun Fälle:
- Nominativ
- Genitiv oder Genetiv
- Dativ
- Akkusativ
- Ablativ
- Instrumental
- Allativ (umstritten)
- Vokativ
- Lokativ
Die daraus entstandenen Sprachen (baltische, slawische Sprachen, sowie Latein oder Altgriechisch) haben diese vollständig oder nur zum Teil erhalten (teilweise unter anderen Namen). Auch das Deutsche besaß vor 1.000 Jahren noch einen Instrumental-Kasus und in manchen Ausdrücken hat sich bis heute der Lokativ erhalten.
Nicht-indogermanische Sprachen (z.B. finno-ugrische) kennen zum Teil deutlich mehr Fälle. Im Finnischen sind es beispielsweise fünfzehn, im Ungarischen achtzehn. Siehe auch: Ventiv.
Jedoch ist es recht schwierig, dem Begriff eine allgemeingültige Definition zu geben. Manche Fachleute bezweifeln, dass er auf alle Sprachen (z.B. Englisch oder Ungarisch) anwendbar ist.
Kasus in den Sprachen der Welt
Kasus | Bedeutung | Beispiel | Sprachen (Beispiele) |
---|---|---|---|
Abessiv | Abwesenheit von etwas | ohne den Lehrer | Ungarisch, Finnisch, Estnisch |
Ablativ (2) | Wegbewegung | vom Lehrer weg | Ungarisch, Finnisch, Estnisch |
Ablativ (1) | indirekter Fall | den Lehrer betreffend | Sanskrit, Latein |
Absolutiv | Subjekte intransitiver Verben; Objekte transitiver Verben | der bzw. den Lehrer | Ergativsprachen |
Adessiv | nahe bei | beim Lehrer | Ungarisch, Finnisch, Estnisch, Litauisch (früher) |
Akkusativ | direktes Objekt | den Lehrer | viele Indogermanische Sprachen, Arabisch, Ungarisch, Esperanto |
Allativ oder Direktiv | Hinbewegung | zum Lehrer | Baskisch, Ungarisch, Finnisch, Estnisch, Litauisch (früher), Tibetisch |
Äquativ | Vergleich | wie ein Lehrer | Sumerisch |
Dativ | Richtung oder Empfänger; indirektes Objekt | dem Lehrer | viele Indogermanische Sprachen, Ungarisch, Türkisch |
Delativ | Wegbewegung von etwas herab | vom Schiff herab | Ungarisch |
Delimitativ (lokaler Genitiv) | örtliche Zugehörigkeit | des Lehrers, zum Lehrer gehörig | Baskisch |
Derivativ | Herkunft | der Hamburger Lehrer | Türkisch |
Elativ | Herausbewegung | aus dem Haus heraus | Ungarisch, Finnisch, Estnisch |
Ergativ | Subjekt, das ein transitives Verb ausführt | der Lehrer (baut ein Haus...) | Baskisch, Samoanisch, Tibetisch, Inuktitut |
Essiv | Kennzeichnung eines Zustandes | als Lehrer | Finnisch, Estnisch, Samisch |
Genitiv (Genetiv) | Besitz, Beziehung | des Lehrers | viele Indogermanische Sprachen, Arabisch, Tibetisch(?) |
Illativ | Hineinbewegung | ins Haus | Ungarisch, Finnisch, Estnisch, Samisch, Litauisch |
Inessiv | Innen | im Haus | Baskisch, Ungarisch, Finnisch, Estnisch, Litauisch |
Instruktiv (1) | Art und Weise | mittels Lehrer | Finnisch |
Instrumental oder Instruktiv (2) | Kennzeichnung der Nutzung | mit dem Lehrer | Sanskrit, Slawische Sprachen, Baskisch, Finnisch, Ungarisch |
Komitativ | Zusammen mit | mit dem Lehrer | Baskisch, Estnisch, Ungarisch, Tibetisch, Finnisch, Samisch |
Lokativ | Ort | am Haus | Sanskrit, Slawische Sprachen, Lettisch, Tibetisch, Samisch, Türkisch |
Nominativ | Subjekt | der Lehrer | sämtliche Indogermanische Sprachen, Arabisch, Ungarisch, Finnisch, Estnisch, Samisch |
Obliquus (Oblik) | Umfassend | den Lehrer betreffend | Zazaki, Kurmandschi, Altfranzösisch, Englisch |
Partitiv | Mengen | an Lehrern | Baskisch, Finnisch, Estnisch |
Perlativ | Bewegung durch etwas | durch das Haus hindurch | Tocharisch |
Possessiv | Besitz | dem Lehrer gehörend | Baskisch |
Postpositional | Kasus vor Postpositionen | Lehrer + Postposition | Hindi |
Präpositiv | Kasus nach Präpositionen | Präposition + Lehrer | Russisch |
Prolativ (1) | Bewegung auf Oberfläche | durch das Haus | Estnisch |
Prolativ (2) | für oder anstelle von | für den Lehrer | Baskisch |
Sublativ | Bewegung auf etwas | auf das Schiff | Ungarisch |
Superessiv | Position auf | auf dem Schiff | Ungarisch |
Tendenzial | Richtung einer Bewegung | in Richtung Lehrer | Baskisch |
Terminativ | Ende einer Bewegung oder Zeit | bis zum Lehrer | Baskisch, Estnisch, Tibetisch |
Translativ | Zustandswechsel | zum Lehrer | Ungarisch, Finnisch, Estnisch |
Vokativ | Anrede | (Herr) Lehrer! | Sanskrit, Latein, Rumänisch, Griechisch, Serbokroatisch, Tschechisch, Polnisch, Irisch |
Herkunft des Wortes
Die Bezeichnung Kasus geht etymologisch auf den griechischen Grammatiker Dionysios Thrax zurück. Er stellte Nomina als vom Verb 'abfallend' ('abhängig') dar (etwa wie noch heute in der Dependenzgrammatik) und bezeichnete diesen Vorgang als ptosis (Vorlage:Polytonisch) 'Fall'. Die Begriffsübernahme des Lateinischen hat sich bis heute erhalten.