Charlie "(Yard)bird" Parker (* 29. August 1920 in Kansas City; † 12. März 1955 in New York) war ein US-amerikanischer Jazz-Saxophonist (Alt-Sax). Neben Dizzy Gillespie (Trompete) und Thelonious Monk (Klavier) gilt er als einer der Erfinder und herausragendsten Interpreten des Bebop.
Charlie Parker war der definitive Altsaxophonist, der bereits Ende der Dreißigerjahre als Mitglied der Band von Jay McShann in Aufnahmen wie "Hootie Blues" deutlich über die damals übliche Swing-Harmonik hinausging.
Geboren und aufgewachsen in Kansas City während der so genannten Pendergast-Ära (benannt nach dem damals regierenden Bürgermeister, der 1939 wegen Steuerhinterziehung ins Gefängnis musste, was das Ende der Blütezeit von Kansas City mit seinen vielen Cabarets und Nachtclubs bedeutete), fing Charlie Parker bereits als Junge auf einem mit Klebestreifen und Gummibändern zusammengehaltenen Altsaxophon an zu spielen, das ihm seine Mutter gekauft hatte. Dank seiner Begabung machte er rasch Fortschritte und spielte schon bald professionell mit diversen Bands, u. a. den "Deans Of Swing". Einer seiner Freunde wurde Bassist Gene Ramey, der auch später, zusammen mit Parker, in der Band von Pianist Jay McShann spielen sollte.
Da er das Glück hatte, in einem der damaligen Jazz-Zentren der gesamten Vereinigten Staaten aufzuwachsen, konnte Charlie Parker Nacht für Nacht einige der führenden Saxophonisten spielen hören, darunter solche Leute wie Herschel Evans, Coleman Hawkins sowie sein Idol, den Tenorsaxophonisten Lester Young.
Ross Russell erwähnt in seiner Parker-Biografie einen Vorfall, der so etwas wie ein Schlüsselerlebnis für Charlie Parker gewesen sein muss: Eine Jam-Session mit Mitgliedern der Count Basie-Big Band. Parker spielte damals so schlecht, dass Schlagzeuger Jo Jones vor Verärgerung ein Becken seines Schlagzeugs auf den Fußboden warf. Danach ließ sich Parker während eines Engagements am Lake Taneycomo vom Gitarristen der Band, in der er damals spielte, Unterricht in Harmonielehre geben. Augenzeugen zufolge war Charlie Parker nach seiner Rückkehr wie verwandelt: Von einem wenig kompetenten Saxophonisten mit einem schlechten Ton hatte er sich in einen fähigen Musiker verwandelt, der es nun sogar mit weit erfahreneren Saxophonisten aufnehmen konnte.
Nach Zwischenstationen wie der bereits erwähnten Band von Jay McShann, der Big Band von Earl Hines, wo er den Trompeter und Arrangeur Dizzy Gillespie kennenlernte, und der innovativen Big Band von Billy Eckstine, gründete Charlie Parker 1945 zusammen mit Dizzy Gillespie die erste Bebop-Combo, die mit ihren energetischen Rhythmen und ihrer für den Jazz innovativen Harmonik eine klare Absage an den etablierten Swing darstellte und dementsprechend in der ersten Zeit für ihre "chinese music" (Cab Calloway) kritisiert wurde, bevor sich der Bebop schließlich Ende der Vierzigerjahre als der definitive neue Jazz-Stil durchsetzte und die Ära des modernen Jazz einleitete.
Nachdem die Band mit Dizzy Gillespie sich 1946 während eines Aufenthalts in Hollywood auflöste, stellte Charlie Parker, der als einziger für ein Jahr in Kalifornien bleiben sollte, eine eigene Band zusammen, in der zuerst Miles Davis und danach der in Kalifornien lebende Howard McGhee die Stelle von Dizzy Gillespie einnahmen. Nachdem Charlie Parker einen Plattenvertrag mit dem DIAL-Label von Ross Russell, seinem späteren Biografen, unterzeichnet hatte, wurden eine ganze Reihe seiner wichtigsten Platten aufgenommen, darunter die "Yardbird Suite", "Moose The Mooche" und "A Night In Tunisia" mit dem berühmten Altsaxophon-Break (the famous alto break) im allerersten Take.
Nach einer zweiten Session, während der u. a. "Lover Man" aufgenommen wurde, erlitt Charlie Parker einen Nervenzusammenbruch und musste ins Camarillo State Hospital eingeliefert werden, wo er einige Monate verbrachte. Nach seiner Entlassung kehrte er wieder nach New York zurück, wo er u. a. mit dem jungen Miles Davis [tp] ein neues Quintett zusammenstellte. Dieses Quintett bekam ein Engagement im Three Deuces auf der damals berühmten 52nd Street und nahm auch eine Reihe wichtiger Platten auf, wie z. B. "Billie's Bounce", "Koko" (in dem allerdings aus technischen Gründen Dizzy Gillespie den Trompeten-Part übernahm) und "Donna Lee", eine Miles Davis-Komposition. 1948 hatte dieses Quintett u. a. ein Engagement im Royal Roost, wo eine ganze Reihe von Stücken live mitgeschnitten und später veröffentlicht wurden.
Im darauffolgenden Jahr, 1949, folgte der einzige größere kommerzielle Erfolg von Charlie Parker, eine Reihe von Aufnahmen mit Streichern, Oboe und Harfe, die unter dem Titel "Charlie Parker With Strings" auf VERVE veröffentlicht wurden. Die herausragende Aufnahme ist hier ganz klar "Just Friends", die Charlie Parker in Höchstform zeigt, und die daneben auch ein sehr schönes Klaviersolo von Stan Freeman enthält. Wenn auch die Arrangements auf diesen Studio-Aufnahmen sehr kommerziell (um nicht zu sagen: "süßlich") waren, so schafft es Charlie Parker durch seine überragende Musikalität, insbesondere "Just Friends" zu einer seiner schönsten Aufnahmen zu machen (auch nach eigener Aussage).
Das nächste Quintett nach dem mit Miles Davis hatte den jungen weißen Trompeter Red Rodney in der front line, der zuvor mit so renommierten Bands wie dem Claude Thornhill Orchestra gespielt hatte. Am Piano saß - ebenfalls weiß - Al Haig, Bass spielte Tommy Potter, und am Schlagzeug saß einer der besten jungen Bebop-Schlagzeuger, Roy Haines. Von dieser Band gibt es - abgesehen von einer Reihe von Studioaufnahmen - einen sehr aufschlussreichen Live-Mitschnitt, der als "Bird At St. Nick's" veröffentlicht wurde. Eine Besonderheit ist hierbei, dass - ähnlich wie von Dean Benedetti, einem ergebenen Parker-Fan der ersten Stunde - nur die Parker-Passagen mitgeschnitten wurden. "Bird At St. Nick's" zeigt u. a. eine Reihe - für die Zeit - sehr "freier" Saxophon-Passagen, und schon deshalb ist diese Platte ein absolutes "must-have" für jeden Fan.
Es folgte eine Tournee dieser Band durch die Südstaaten der USA, bei denen jedoch der weiße Al Haig durch den schwarzen Walter Bishop ersetzt wurde. Red Rodney wurde als "Albino Red", also als Neger-Albino, angesagt, da zu dieser Zeit im Süden der USA noch keine gemischtrassigen Bands toleriert wurden. Ross Russell beschreibt diese Episode ausführlich in seiner Biografie. Die hygienischen Bedingungen für schwarze Bands waren jedoch so schlecht, dass dies Charlie Parkers letzte Tournee durch die Südstaaten werden sollte.
In den Fünfzigerjahren hatte Charlie Parker das Gros seiner wichtigsten Platten bereits aufgenommen. Interessant sind hier noch einige Live-Mitschnitte aus dem im Dezember 1949 eröffneten und nach Charlie Parker benannten "Birdland" sowie diverse Live-Mitschnitte von "Charlie Parker With Strings". Den Abschluss dieser Live-Aufnahmen bildet ein Konzert, das 1953 in der "Massey Hall" in Toronto stattfand und von Charles Mingus, dem Bassisten der Band, mitgeschnitten und später auf seinem eigenen Label DEBUT veröffentlicht wurde. "Jazz At Massey Hall" gilt als so etwas wie der Schwanengesang des Bebop, war doch der Trend inzwischen der von Miles Davis eingeleitete Cool Jazz.
Die letzten Lebensjahre müssen für Charlie Parker, der laut Russell offenbar seit seinem fünfzehnten Lebensjahr heroinabhängig war, und nun seinen Stern langsam, aber sicher schwinden sah, sehr deprimierend gewesen sein. Oft wurde er engagiert, dann jedoch wegen seines unberechenbaren Verhaltens wieder gefeuert, worauf er konsequenterweise immer weniger Engagements bekam.
Charlie Parker starb am 12. März 1955 im New Yorker Hotel Stanhope, in der Suite der Baroness Nica de Koenigswarter (der der Pianist und Komponist Thelonious Monk seine Komposition "Nica Steps Out" gewidmet hat). Er war 35 Jahre alt; der Arzt, der ihn untersuchte, hielt jedoch die Ziffern für vertauscht und schätzte ihn auf 53. Der exzessive Lebensstil von Charlie Parker hatte schließlich doch seine Spuren hinterlassen.
Aufnahmen:
- Jay McShann Orchestra: "Hootie Blues" (1939), "Honeysuckle Rose" (1940; Station KFBI, Wichita); beide mit Charlie Parker [as].
- Charlie Parker et. al.: "Cherokee" (Live-Mitschnitt von 1941/42; möglicherweise entweder aus Monroe's Uptown House oder dem Savoy Ballroom in New York).
- Red Norvo Septet: "Congo Blues", "Slam Slam Blues" (1945; mit Charlie Parker [as], Dizzy Gillespie [tp] u. a.).
- mit Dizzy Gillespie: "Groovin' High", "Dizzy Atmosphere", "Salt Peanuts" (alle 1945, mit diversen Rhythmusgruppen).
- Charlie Parker Septet: "Yardbird Suite", "Ornithology", Moose The Mooche", "A Night In Tunisia" (mit Miles Davis [tp], Dodo Marmarosa [p] u. a.).
- Charlie Parker Quintet: "Billie's Bounce", "Koko", "Donna Lee", "Chasin' The Bird", "Embraceable You", "Milestones"*, "Parker's Mood" (1946 - 1948; meist mit Miles Davis [tp]; auf * spielt Charlie Parker Tenorsaxophon).
- Charlie Parker With Strings: "Just Friends" (1949; mit Streichern und Rhythmusgruppe).
- Bird At St. Nicks (St. Nicholas Arena, NYC, 18. Februar 1950; mit Red Rodney [tp], Al Haig [p], Tommy Potter [b] und Roy Haines [dr]).
- Charlie Parker All-Stars: "Blue 'n Boogie", "Anthropology", "Round Midnight", "A Night In Tunisia" (1951; Live-Aufnahme aus dem Birdland, mit Dizzy Gillespie [tp], Bud Powell [p], Tommy Potter [b] und Roy Haines [dr] und einer denkwürdigen Einleitung des Diskjockeys "Symphony" Sid Torin).
- Jazz At Massey Hall: "Salt Peanuts" u. a. (1953; Charlie Parker [as], Dizzy Gillespie [tp], Bud Powell [p], Charles Mingus [b], Max Roach [dr]).
Literatur:
- Ross Russell: Bird Lives. The High Times And Hard Life of Charlie (Yardbird) Parker. ISBN 0306806797.
- Die Charlie Parker-Biografie. Spannend geschrieben, mit jeder Menge Details, wenn auch von Musikern wie Miles Davis wegen sachlicher Unrichtigkeiten heftig kritisiert. Falsch ist vor allem das Bild, das Russell von Dean Benedetti zeichnet, der - anders als im Buch beschrieben - kein Alt-, sondern ein Tenorsaxophonist war. Auch die im Buch beschriebenen wire spools (Tondraht) sind reine Fiktion.
- Robert Reisner: Bird: The Legend of Charlie Parker (Da Capo Paperback). ISBN 0306800691.
- Sehr gute Zusammenstellung von Interviews von Leuten, die Charlie Parker gekannt haben.
- Carl Woideck: Charlie Parker: His Music and Life (Michigan American Music Series). ISBN 0472103709.