Völkerrecht
Der Begriff Völkerrecht, auch Innternationales Recht, bezeichnet Rechtsnormen, die die Beziehungen zwischen den Völkerrechtssubjekten (Staaten sowie zwischen Staaten und anderen Rechtsträgern) regeln.
Völkerrechtssubjekte sind in erster Linie Staaten, jedoch existieren heute auch andere Völkerrechtssubjekte wie zum Beispiel Internationale Organisationen (von Staaten gegründet). NGOs (von Privatrechtssubjekten gegründet) haben grundsätzlich keine Völkerrechtssubjektivität, eine Ausnahme stellt lediglich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz dar.
Von überragender Bedeutung ist heute die Charta der Vereinten Nationen, weshalb sie von einigen Autoren auch als Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft bezeichnet wird. Sie kann nicht durch andere zwischenstaatliche Verträge, jedoch, was häufig übersehen wird, durch neu entstandenes Gewohnheitsrecht derogiert werden.
Allgemeines
Quellen des Völkerrechts sind bi- oder multilaterale Verträge, Gewohnheit und allgemeine Rechtsgrundsätze. Völkervertragsrecht entsteht durch Vertragsschluss und anschließende Ratifikation zwischen den beteiligten Völkerrechtssubjekten. Das Völkergewohnheitsrechts setzt sich aus den Elementen der langandauernden Übung (etliche Jahre, in einigen sich schnell verändernden Rechtsgebieten evt. weniger) und der Überzeugung, dass diese Übung rechtens sei (opinio iuris), zusammen. (Völkervertragsrecht hat aufgrund seiner Schriftlichkeit keinen Vorrang vor Völkergewohnheitsrecht!) Will ein Staat seine Bindug an im Entstehen begriffenes Völkergewohnheitsrecht verhindern, so muss er ihm ausdrücklich und, solange die anderen Staaten an ihrer Überzeugung festhalten, auch wiederholt widersprechen. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze bestehen aus allen innerstaatlichen Rechtsordnungen gemeinsamen Prinzipien, Grundsätzen, die jedweder Rechtsordnung immanent sind, Prinzipien, die auf dem speziellen Charakter des Völkerrechts beruhen, und Grundsätzen der Rechtslogik.
Entscheidungen internationaler Gerichte und die Völkerrechtslehre stellen Hilfsquellen dar, die zur Interpretation der oben genannten Quellen heranzuziehen sind. Dies gilt ebenfalls für Resolutionen der UN-Generalversammlung und des UN-Sicherheitsrates, die vor allem auch Indikatoren zur Entstehung von Gewohnheitsrecht sein können.
Zu unterscheiden ist auch das Friedens- und das Kriegsvölkerrecht, wobei das Friedensvölkerrecht auch die Normen beinhaltet, die entscheiden, wann die Anwendung von Gewalt gerechtfertigt ist, während als Kriegsvölkerrecht das im Krieg geltende Recht bezeichnet wird.
Für die Frage, ob eine völkerrechtliche Norm vom innerstaatlichen Rechtsanwender zu beachten ist, ist entscheidend, ob sie self-executing ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Norm bestimmt genug formuliert ist, um direkt angewendet zu werden, sie nicht ausschließlich an die Staaten adressiert ist und sie keine der Anwendung vorausgehende innerstaatliche Umsetzung fordert.
Grundsätzlich kein Teil des Völkerrechts ist das internationale Privatrecht , dieser Begriff bezeichnet vielmehr, unbeachtlich ihres (oftmals innerstaatlichen) Ursprungs, die Normen, die im Falle der Berührung mehrerer innerstaatlichen Rechtsordnungen eines Sachverhalts das anzuwendende Recht bestimmen.
Theorie des Völkerrecht
Der wesentliche Unterschied des Völkerrechts zum innerstaatlichen Recht besteht im Nicht-Vorhandensein eines zentralen Gesetzgebungsorgans. Das Völkerrecht wird den Staaten nicht aufoktroyiert, sondern stellt eine Koordinationsordnung zwischen ihnen dar. Im klassischen Völkerrecht wurden nur die "zivilisierten", d.h. die europäischen Staaten als Völkerrechtssubjekte anerkannt, was den Kolonialismus als legal erscheinen ließ. In der heutigen, in der UN-Charta kodifizierten Völkerrechtsordnung sind dagegen grundsätzlich, unbeschadet faktischer Abhängigkeiten, sämtliche Staaten rechtlich gleichgeordnet.
Geschichte des Völkerrechts und neuere Entwicklungen
Einer der entscheidenden Aspekte des modernen Völkerrechts, das Gewaltverbot, erschien lange Zeit so fernliegend und illusorisch, dass es erst nach dem Ende des ersten Weltkriegs zum erstenmal im Briand-Kellogg-Pakt (Kriegsächtungspakt) zwischen den beteiligten Staaten geschlossen wurde. Zuvor beschränkte sich das Völkerrecht, was den Krieg angeht, darauf, zu versuchen, Grausamkeiten einzudämmen und die Zivilbevölkerung zu schützen. Mit dem Völkerbund (gegründet 1919) und seiner Nachfolgeorganisation, den Vereinten Nationen (seit 1945), wurde erstmals eine gemeinsame internationale Ebene geschaffen, die auf die Sicherung eines für alle Staaten verbindlichen Völkerrechts abzielt.
Heute heftig umstrittene und für die zukünftige Entwicklung des Völkerrechts entscheidende Gebiete sind: das ius cogens, die humanitäre Intervention als Ausnahme vom Gewaltverbot und (aus aktuellem Anlass) die präventive Selbstverteidigung.
Als ius cogens bezeichnet man die Rechtssätze, die zwingendes Völkerrecht darstellen und die weder durch Vertrag noch durch Gewohnheitsrecht beseitigt werden können. Theoretische Grundlage dieser Normkategorie ist zum einen das Naturrecht, zum anderen die Überzeugung des Großteils der Staaten, dass diese Rechtssätze ein unabdingbares Fundament auch einer Koordinationsordnung darstellen. Die Existenz des ius cogens wird von manchen Autoren noch bestritten, jedoch setzt eine der wichtigsten Kodifikationen des Völkerrechts, die Wiener Vertragsrechtskonvention, seine Existenz voraus und ordnet die Nichtigkeit von Vertragsbestimmungen an, die im Widerspruch zum ius cogens stehen. Welche Normen zum ius cogens gehören, ist im einzelnen umstritten, jedoch zählen in jedem Fall der Kern des Gewaltverbots und elementare Menschenrechte zum zwingenden Bestand des Völkerrechts.
Bei der humantitären Intervention sind nicht nur die meisten Stellungnahmen sehr politisch gefärbt, vor allem herrscht oft Begriffsverwirrung anstelle einer klaren Differenzierung. Zunächst muss zwischen Interventionen zur Rettung eigener Staatsangehöriger und der zur Rettung anderer Menschen unterschieden werden. Die Intervention zur Rettung eigener Staatsangehöriger auf fremdem Gebiet wird zum Teil als völlig unzulässig angesehen und von anderen Autoren mit der Völkerrechtsverletzung (Schutzpflichten) des Staates, in dem die Ausländer festgehalten werden, oder aber mit dem Hinweis, dass die Intervention gar nicht auf eine fremde Staatsgewalt, sondern auf eine kriminelle Gruppierung abziele, gerechtfertigt. Bei der humanitären Intervention zur Rettung anderer Menschen muss wiederrum zwischen den vom Sicherheitsrat autorisierten und den unilateral beschlossenen unterschieden werden. Die Charta der UN gibt dem Sicherheitsrat die Möglichkeit, gegen ein als "Bedrohung des Weltfriedens" qualifiziertes Verhalten eines Staates zuletzt auch militärische Sanktionen zu verhängen. Hierzu sind gewohnheitsrechtlich keine direkt dem Sicherheitsrat unterstellten Truppen erforderlich, vielmehr werden Staaten zur Gewaltanwendung ermächtigt. Es ist umstritten, ab wann innerstaatliche Vorgänge den Weltfrieden gefährden, jedoch sieht der Sicherheitsrat diesen regelmäßig als bedroht an, wenn Völkermord oder sog. ethnische Säuberungen Fluchtbewegungen auslösen, die auf die Nachbarstaaten übergreifen. Insbesondere durch das Vetorecht der ständigen Mitglieder oder politisch prekäre Konstellationen ist der Sicherheitsrat jedoch oftmals beschlussunfähig oder -unwillig, und hier tut sich nun der eigentliche Streitstand auf: Dürfen die Staaten bei Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrats als ultima ratio auch unilateral Gewalt anwenden? Eine Ansicht verneint dies kategorisch mit Hinweis auf das Gewaltverbot und die Missbrauchsgefahr. Die Gegenmeinung rechtfertigt auch eine unilaterale humanitäre Intervention im Falle eines sich gerade ereignenden Genozids, zum einen mit der naturrechtlichen Begründung, dass keine Rechtsordnung dazu verurteilen dürfe, einem Völkermord zuzusehen; zum anderen mit einer teleologischen Einschränkung des Gewaltverbots der UN-Charta; oder auch einfach mit neuem, die Charta überlagerndem Gewohnheitsrecht. Weitere mögliche Begründungen sind: Der in allen innerstaatlichen Rechtsordnungen vorhandene Nothilfegrundsatz oder auch das heute anerkannte Selbstbestimmungsrecht der Völker, das Völkern partielle Völkerrechtssubjektivität verleiht und sie im Falle eines Genozids in die Lage versetzt, ähnlich einem angegriffen Staat um Hilfe zu bitten.
Das Recht zur präventiven Selbstverteidigung existiert nach einer zuweilen vertretenen Meinung schlicht nicht, und nach der überwiegenden Meinung nur, wenn ein Angriff beweisbar unmittelbar bevorsteht und ein weiteres Abwarten die Effektivität der Verteidigung untergraben würde. Salopp formuliert: Ein Staat muss nicht zusehen wie Armeen aufmarschieren und Raketen ausgerichtet werden. Nach derzeit geltendem Recht besteht jedoch keinesfalls ein Recht auf eine der nur vermuteten Bedrohung um Jahre vorgreifende Verteidigung, jedoch besteht bei einer Fortsetzung der "we can not let our enemies strike first"-Strategie der einzig verbliebenen Weltmacht die Gefahr der Bildung neuen Gewohnheitsrecht. Staaten, die dies nicht wünschen, sollten also nicht nur politisch widersprechen, sondern Präventivschläge dieser Art auch unmissverständlich als rechtswidrig bezeichnen.
Als Meilensteine des (positiven) Völkerrechts, sind zu nennen:
- der Westfälische Friede von 1648
- der Frieden von Utrecht von 1713
- die Wiener Kongreßakte vom 9. Juli 1815
- die sogen. Heilige Allianz vom 25. September 1815
- das Aachener Konferenzprotokoll vom 24. Mai 1818
- der Pariser Frieden vom 30. März 1856
- die Genfer Konvention vom 22. August 1864
- die Petersburger Konvention vom 11. Dezember 1868 über die Unzulässigkeit des Gebrauchs explosiver Geschosse aus den Handfeuerwaffen
- der Berliner Vertrag vom 13. Juli 1878 über die Orientfragen
- die Congoakte vom 26. Februar 1885
- die Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907
- die Pariser Vorortverträge 1919 und 1920
- damit der Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919
- die Konvention von Montevideo von 1933
- die Genfer Abkommen vom 12. August 1949
- das Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 8. Juni 1977
- die UNO-Seerechtskonvention von 1982
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