Kriegsdienstverweigerung der Zeugen Jehovas

Richtlinie der Zeugen Jehovas
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Neben anderen Religionsgemeinschaften (etwa die Mennoniten, die Quäker oder die Church of the Brethren in den USA), gelten seit der Zeit des Ersten Weltkrieges die Zeugen Jehovas (vor 1931: Bibelforscher) mehrheitlich als Kriegsdienstverweigerer.

Erster Weltkrieg

Die Haltung während des Ersten Weltkrieges war noch uneinheitlich. Viele versuchten über Kompromisse dem Gebot "Du sollst nicht töten" nachzukommen. Sie konnten den Konflikt nicht lösen, dass sie gleichzeitig den Herrschern Gehorsam zollen sollten (Bibel, Römer 13, 1). Daher zogen viele die Uniform an, versuchten aber bei Kampfhandlungen in die Luft zu schießen oder den Gegner zu entwaffnen. Relativ wenige verweigerten konsequent[1].

Einer grundsätzlichen konsequenten Ablehnung des Militärs begegnet man bei Bibelforschergründer Russell selbst in Friedenszeiten nicht. Laut "Wachtturm" Jahrgang 1911 (S. 181), ließ er sich auf seinen Weltreisen von einem General des Heeres, William P. Hall, begleiten, der auch als Vortragsredner Verwendung fand. Noch 1915 gab der deutsche Verlag der Bibelforscher (die Wachtturm-Gesellschaft) eigens eine Liederbuchversion für die Brüder im Felde heraus. 1915 zitierte der Wachtturm diverse Bibelforscher namentlich, die sich im Felde befanden. Auch bei Kriegshandlungen Umgekommene werden namentlich genannt.

Ab etwa 1917 sind die ersten aktiv den Kriegsdienst verweigernden Bibelforscher nachweisbar z. B. in der "Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie"[2]. Das genannte, den Bibelforschern zugehörige Fallbeispiel, leistete ab etwa 1915 Kriegsdienst. Nach einem Urlaub im Juni 1917 erklärte er anschließend seine Verweigerung.)

Zweiter Weltkrieg

Während des Zweiten Weltkrieges wurde zu überwiegendem Teil der Kriegsdienst verweigert. Dies wurde auch durch eine Änderung der Lehre unterstützt: die "obrigkeitlichen Gewalten" aus Römer 13, 1 seien nun "Jehova und sein Sohn Jesus"[3]. Damit entfiel der im vorigen Krieg aufgetauchte Konflikt.

Die Zeugen Jehovas wurden unter den Nationalsozialisten mit einem Verbot belegt, was von ihnen nicht akzeptiert wurde. Einige tauchten in die Illegalität ab, wie etwa Horst Schmidt, der in dieser Zeit als Kurier sein Leben aufs Spiel setzte und schließlich aufgegriffen wurde.

Es sind auch Fälle bekannt, beispielsweise Heinrich Kurlbaum, die sich gar zum Brückenbaupionier in der Armee ausbilden ließen, in der konkreten Entscheidungssituation vor Ort dann aber nicht die Waffe zum Schießen nutzten. Kurlbaum wurde deshalb hingerichtet. Etliche andere, die vielleicht noch konsequenter handelten, ebenfalls.

Charakteristisch ist auch der Fall des hingerichteten Wolfgang Kusserow, der in einem eigens verfassten Begründungsschreiben politische Motive mit einflocht, etwa wenn er äußerte: "Wäre der Führer 1939 gezwungen gewesen, mit Sowjetrussland, mit solch einem unmoralisch, teuflischen Terrorsystem ein Bündnis abzuschließen, um sich den Rücken im Osten freizuhalten, wenn ihm der Herrgott beigestanden hätte? Hat Jesus Christus auch schon mal ein Bündnis mit dem Teufel abgeschlossen, um seine Treuen aus den Klauen des Satans zu retten? Nein, niemals!"

Eher untypisch ist das Verhalten von Hans Dollinger. Ihm war es maßgeblich zuzuschreiben, dass dem NS-Regime eine Vermögensfreigabe der Besitztümer der Wachtturmgesellschaft abgetrotzt werden konnte, bei gleichzeitiger weiterer Verbotssituation. Dollinger hatte nach der Vermögensfreigabe, bis zu seiner eigenen Verhaftung im Jahre 1935, unter anderem aus diesen Vermögen diverse für die Zeugen Jehovas tätig gewordene Rechtsanwälte bezahlt (wenn auch mit geringem Erfolg). Dollinger (ebenso wie Paul Balzereit, der die Leitung der deutschen Zeugen Jehovas inne hatte) ging Kompromisse ein und erhielt so relativ geringe Haftstrafen. Dieses Verhalten wurde und wird von Zeugen Jehovas als Abfall vom Glauben betrachtet.

Bundesrepublik Deutschland

Mit Einführung der Wehrpflicht im Jahr 1956 verweigerten die Zeugen die Ableistung sowohl des Wehrdienstes als auch eines Wehrersatzdienstes. Seit Anfang der 1960er führte diese Verweigerung regelmäßig zu Gerichtsverfahren und Verurteilungen wegen Verstoßes gegen das Wehrpflichtgesetz. Insgesamt wurden über 800 Zeugen Jehovas mitunter mehrfach mit erneut mehrmonatiger Gefängnishaft bestraft[4].

Aufgrund des zunehmenden Unverständnisses im In- und Ausland wurde 1969 die so genannte "Lex Jehova" (§ 15 a ZDG) in das |Zivildienstgesetz aufgenommen. Ein freiwilliges längerfristiges Arbeitsverhältnis im sozialen Bereich ersparte den Betroffenen die rechtlichen Konsequenzen einer Verweigerung. Die Probleme der Zeugen Jehovas mit der Wehrpflicht in der Bundesrepublik waren damit grundsätzlich beseitigt (siehe aber: BVerfG - 2 BvL 9/97 -).

1996 revidierte die Leitung der Zeugen Jehovas ihre Position in der Zivildienstfrage grundlegend. Seitdem steht es Zeugen Jehovas frei, den Zivildienst in sozialen Einrichtungen oder im Katastrophenschutz zu leisten.

Schweiz

In der Schweiz wurden die Bürger beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zum Militärdienst einberufen. Auch dort verweigerten Zeugen Jehovas, was in der übrigen Bevölkerung wegen der Gefahr eines Blitzangriffes durch das Deutsche Reich die Ausnahme darstellte und Unverständnis hervorrief. 1940 wurden das Druck- und Bürogebäude in Bern, viele Privatwohnungen und kurz danach auch die von Zeugen Jehovas betriebenen Flüchtlingsheime durchsucht. Die Behörden vermuteten, von zentraler Stelle sei ein Aufruf zur Verweigerung ausgegangen. Dafür fanden sich keine Beweise. Der Kontakt zur Leitung in Brooklyn brach ab. Der Wachtturm durfte nicht mehr gedruckt werden, da Zeugen Jehovas sich weigerten, ihn von außen zensieren zu lassen. Teile der schwedischen Ausgabe wurden in der Schweiz übersetzt und privat mit Schreibmaschinen kopiert und verbreitet, auch nach Deutschland. Die Zeitschrift "Trost" (später Erwachet!) erschien zwar weiterhin, aber nur noch mit eigenem Material aus der Schweiz und mit Einflussnahme der Zensurbehörden. Gegen Franz Zürcher und Alfred Rütimann, die zur Leitung der Zeugen Jehovas in der Schweiz gehörten, wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Zwei Jahre später wurde Zürcher unter anderem wegen "Untergrabung der militärischen Disziplin" zu zwei Jahren Gefängnis und Rütimann wegen Verweigerung des militärischen Eides zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Beiden wurde über Jahre die bürgerliche Ehrenfähigkeit verwehrt. Das Strafmaß für Zürcher wurde im April 1943 herabgesetzt.

Im Oktober 1943 veröffentlichte die schweizerische Zeitschrift "Trost" (zweimal hintereinander am 1. 10 und 15. 10.) eine Erklärung, in der es im wesentlichen hieß: "Hunderte unserer Mitglieder und Glaubensfreunde haben ihre militärischen Pflichten erfüllt und erfüllen sie weiterhin."[5]

In einer Stellungnahme des Schweizer Büros der Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania [6] heißt es dazu:

"Als die Lage für das Werk in der Schweiz immer kritischer wurde, (man erwartete ein generelles Verbot), rieten unsere Anwälte, mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit zu treten, um diesem Klima der Verleumdungen entgegen zu wirken und darzutun, dass unsere Organisation nicht zum Ziele habe, die Armee zu bekämpfen. Das geschah dann auch durch die besagte 'Erklärung'. Sie war sicher gut gemeint und weitgehend auch völlig richtig formuliert, zu einem kleinen Teil leider nicht, weil die Brüder sich etwas zu viel von den Rechtsanwälten beeinflussen ließen, wenn diese es auch sehr gut meinten und bestrebt waren, das dem Werk drohende Verbot abzuwenden."

Weiter wird in dieser Stellungnahme interpretiert: "Mit den Hunderten von 'Mitgliedern und Glaubensfreunden', welche die militärischen Pflicht erfüllten, waren natürlich vor allem die interessierten Freunde der Wahrheit gemeint, die in der Frage der Neutralität noch nicht Stellung bezogen hatten."

Unter dem Präsidenten Nathan Knorr wurde diese "Erklärung" offiziell auf einem Kongress und im dazu veröffentlichten Bericht im Wachtturm 15. Januar 1948 widerrufen, "weil sie nicht die Stellung der Gesellschaft dartun und nicht in Harmonie sind mit der den christlichen Grundsätzen, wie sie in der Bibel deutlich enthalten sind."

Literatur

  • Horst Schmidt: Der Tod kam immer Montags. Verfolgt als Kriegsdienstverweigerer im Nationalsozialismus, 2003, ISBN 3898612015
  • Thanassis Reppas: Aus Gewissensgründen. Kriegsdienstverweigerer aus religiöser Überzeugung (Das Buch beschreibt den Leidensweg des jungen griechischen Zeugen Jehovas Minas durch die (Militär-)Gefängnisse Griechenlands.)

Quellen

  1. Siehe "Jehovas Zeugen - Verkündiger des Königreiches Gottes", 1993, Seite 191 f
  2. "Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie", Band 45 (1919) S. 393 f
  3. "Die Wahrheit wird euch frei machen", Seite 306f
  4. Beispielhaft in der veröffentlichten Literatur: Karl Peters: "Abschließende Bemerkungen zu den Zeugen Jehovas-Prozessen", in: "Festschrift für Karl Engisch zum 70. Geburtstag", Frankfurt/M. 1969, S. 468 f
  5. http://www.sektenausstieg.net/index.php?option=com_content&task=view&id=724&Itemid=29]
  6. in Faksimilie abgedruckt in der Dissertation von Herbert Weber "Religiöse Mobilität. Religiöse Sondergemeinschaften und Katholische Kirche am Beispiel der Zeugen Jehovas", Wien 1990, Tafel 24/8

Siehe auch

  • August Dickmann (erster im September 1939 hingerichteter deutscher Kriegsdienstverweigerer, ein Zeuge Jehovas)
  • Leopold Engleitner (einer der österreichischen Zeugen Jehovas, der als Kriegsdienstverweigerer überlebte)