Sexuelle Revolution
Ursprünge - Wilhelm Reich
Der Ausdruck Sexuelle Revolution geht auf das im Jahr 1936 von Wilhelm Reich veröffentlichte Werk mit gleichem Namen zurück. Dreißig Jahre nach Magnus Hirschfeld (Arzt), Otto Gross (Arzt) und Karl Kraus (Journalist, Sittlichkeit und Kriminalität)kritisierte Wilhelm Reich darin die bigotte und verlogene Sexualmoral seiner Zeit. Nach Reichs Auffassung bringe Doppelmoral und Unterdrückung der vitalen sexuellen Triebe Persönlichkeitsdeformationen mit sich und führe so zu Aggression und Frustration, welche verdrängt würden und sich oft in Lust an Herrschaft und Hierarchie ein Ventil schaffen müssten.
Nach Reichs Auffassung brächte eine Befreiung der Sexualität eine friedliche Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen mit sich: Menschen, die in befriedigenden Zusammenhängen lebten, ließen sich nicht oder schwer in Herrschaftsstrukturen einbinden oder für gewaltsame Aktionen mobilisieren.
In diesem Zusammenhang beschrieb Reich auch das Bild eines autoritären Charakters, dessen vitale Triebe in jene der Herrschaftslust und Freude an der Unterdrückung anderer umgeschlagen hätten.
Des Weiteren lähme die Unterdrückung der Sexualität die kreativen Potenziale der einzelnen Personen und stütze so das kapitalistische System, in dem die einzelnen strukturell ihrer Unterdrückung nichts oder wenig entgegensetzen könnten.
Neuorganisation der Familie - Marcuse/Fourier
Zu den wesentlichen geistigen Einflüssen der Sexuellen Revolution gehörten auch die Ideen von Herbert Marcuse, der ebenfalls eine Neuorganisiation des gesellschaftlichen Miteinanders jenseits von partiarchaler und institutionalisierter Kleinfamilie forderte.
Gedanken zur Schaffung neuer Organisationsformen des Miteinander Lebens waren auch schon vorher, etwa beim Frühsozialisten Charles Fourier im beginnenden 19. Jahrhundert formuliert worden.
Sexuelle Freiheit / Freud
Forderung nach sexuellen Freiheiten stießen in weiten Kreisen der 68er auf experimentierfreudies und großes Interesse - einerseits wollte man sich von der als bigotten Prüderie der 1950er-Jahre befreien, andererseits war die Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung und die Furcht vor Strukturen, wie Horkheimer und Adorno in ihrer Studien über den autoritären Charakter und Wilhelm Reich in seiner Massenpsychologie des Faschismuss analysierte, gerade auch in Folge der Schrecken des Naziregimes sehr groß (Enthemmung). Durch die Unterdrückung von vitalen Trieben sahen viele 68er den Menschn in seiner Persönlichkeit deformiert, und darin die Ursache für die Bereitschaft, anderen Menschen so Entsetzliches anzutun wie im so genannten Dritten Reich geschehen. Hier kamen auch die Schriften Sigmund Freuds zum Tragen, der - wenn auch mit anderer Gewichtung - ebenfalls die folgenschwere Unterdrückung der Sexualität als überaus mächtigen Trieb thematisiert hatte, aber - anders als sein Schüller Otto Gross - nicht dessen Entfaltung sondern ebenfalls einer Hemmung das Wort redete. Die neuen sexuellen Freiheiten - zusätzlich befördert durch die zeitgleiche Markreife derAnti-Baby-Pille - wurden häufig vehement und mit sehr viel Rückhalt in kirchlich/konservativen Kreisen bekämpft, führten aber gesellschaftlich sehr viel weiter, als andere politische Forderungen der 68er-Bewegung. (Flower-Power-Bewegung). Aus der 68er-Bewegung rekrutierten sich auch die ersten Vertreter der zweiten deutschen Schwulenbewegung, innerhalb derer - in Westdeutschland anders als in anderen westlichen Ländern - gerade der Wiederspruch politische-allgemeiner versus persönlich-individueller Freiheiten zu großen Meinungsverschiedenheiten führten (so genannter Tuntenstreit, Eklat in der Bonner Beethovenhalle).
Kommerzialisierung, Sexwelle der 60er Jahre
Gleichzeitig mit der Sexuellen Revolution, die auf eine Befreiung der sexuellen Bedürfnisse abzielte, verbreitete sich insbesondere seit Mitte / Ende der 1960er-Jahre eine Liberalisierung der Sexualität, oft als Sexwelle bezeichnet, die von den Befürwortern der Sexuellen Revolution insofern kritisiert wurde, als sie die Vermarktung der Sexualität mit einschließe und daher die Sexualität zunehmend als käufliches Gut betrachte. Im Vergleich zu heute existierenden weltweiten Sexindustrie war die 68er Sexwelle eher ein Sturm im Wasserglas.